Читать книгу Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten - Sam Cutler - Страница 10

Оглавление

4. Schatten und Licht

Der unmittelbare Effekt des LSD bewirkte aber auch einen leichten „Knick“ meines Selbstbewusstseins. Mein Verständnis der Welt war schlagartig auf den Kopf gestellt. Ich erkannte, dass ich keine Ahnung von der subjektiven Natur der individuellen Wahrnehmung der Realität hatte. Mein Ich schien Zuflucht bei einem neuen Bewusstsein gefunden zu haben, und ich musste täglich kämpfen, um die gerade gemachten Erfahrungen mit dem täglichen Leben eines Lehrers in Einklang zu bringen.

Nach einem zweijährigen Kampf zwischen meinen Lust-Dämonen und der Knochenmühle des Lebens gab ich den Lehrerjob auf. Das Gehalt reichte kaum zum Leben, außerdem konnte ich die anderen Lehrer nicht leiden.

Na ja, um ehrlich zu sein, erschienen mir Genuss und Hedonismus attraktiver und machten auch mehr Spaß! Der ursprüngliche Enthusiasmus und Idealismus waren wie weggefegt, hatten sich an den von Natur aus konservativen Richtlinien des Bildungssystems abgerieben. Die Kids interessierten mich, die Erwachsenen hingegen langweilten mich zu Tode. Nachdem ich die Schule verlassen hatte, vermisste ich die Kinder, und ich hoffte, auch sie würden noch oft an mich denken.

Ich zog mit Freunden in eine Wohngemeinschaft an der Inverness Terrace im Herzen Londons und widmete meine ganze Energie den Aktivitäten des Musikgeschäfts und dem wohl wichtigsten Faktor im Leben eines jungen Mannes – Spaßhaben.

London war ein brodelnder Hexenkessel, dessen süßliche Rauschwaden gen Himmel zogen. Meine neue Bude lag gleich links um die Ecke von der U-Bahn-Station Queensway aus gesehen. Über die Straße hinweg erstreckte sich das Grün des Hydeparks. Dort bemerkte ich kleine Gruppen junger Leute, die sich in wahnsinnig bunten Klamotten wie feminin wirkende Dandys aus der Regency-Zeit kleideten, den Tag an sich vorbeiziehen ließen und insgeheim Joints rauchten. Man konnte sich ganz ungezwungen zu einer Gruppe Fremder setzen und mit ihnen einige Worte wechseln. Die Leute teilten gerne das, was sie besaßen – außer man war ein Langeweiler oder ein Polizeibeamter.

Im Richmond Park, im Westen Londons, graste eine große Herde Hirsche. Nach verregneten Nächten gingen wir schleunigst in den Park, um Magic Mushrooms zu suchen, die auf dem Kot der Tiere wuchsen, die gemächlich auf dem Grün grasten. Die kleinen, glockenförmigen Pilze sprossen in ungeahnter Geschwindigkeit empor und wackelten auf den spindeldürren Stämmchen. Kein Problem, die Dinger zu finden.

Im frühen Morgennebel schlichen jungen Menschen lachend und kichernd durch das nasse Gras. Die Polizei hatte natürlich keine Ahnung von diesen „frühen Vögeln“, die „neue Würmer“ fingen.

Dann fuhren die Leute nach Wales, um Pilze zu sammmeln; hier waren diese im Übermaß zu finden. Schnell bildete sich eine ganze Bewegung ehemaliger Stadtbewohner, die nun in den walisischen Tälern lebten. Plötzlich standen Indianerzelte zwischen den Hügeln, die schon seit einer Generation kaum ein Mensch betreten hatte, weil die Farmen unwirtschaftlich geworden waren. Haschisch wie Schwarzer Afghane oder Roter Libanese waren in London und den angrenzenden Grafschaften an jeder Ecke zu haben. Bei einem Spaziergang über den Kensington Market oder die Kings Road hinunter roch man überall Joints. Fast von Minute zu Minute wurde die Mode flippiger und abgedrehter. Nie sahen die Frauen schöner aus.

Wir steckten mitten in einem Generationswechsel. Die Veteranen des Zweiten Weltkriegs rissen nun die Macht an sich.

Die politische Ausrichtung der Studenten in Großbritannien verlief synchron mit den Geschehnissen in Paris, wo im Mai 1968 der Protest junger Menschen mit Unterstützung von Gewerkschaftlern in gewalttätige Demonstrationen mündete und in die Besetzung von Universitäten und Fabriken. Die amerikanische Vietnampolitik radikalisierte dekadente Popstars, und sogar Mick Jagger – das rechne ich ihm bis in alle Ewigkeiten hoch an – nahm an einer riesigen Demonstration gegen den Vietnamkrieg teil, bei der ich mit meinem Freund Hubert aus Paris in der ersten Reihe das Banner trug. Das Logo der Kampagne für nukleare Abrüstung war überall zu sehen.

In Notting Hill konnte ich die Veränderungen hautnah miterleben. Die Menschen schienen diese grimmige Verdrossenheit abgelegt zu haben, mit der die Briten der Welt gegenübertreten. Auf den Londoner Häuserwänden tauchten merkwürdige Slogans auf: „Wenn Wahlen etwas veränderten, würde man sie sofort abschaffen.“ Oder: „Haschisch ist das neue Opium des Volkes.“

Scheinbar jeder diskutierte über radikale Alternativen zu den alten Systemen, junge Menschen beäugten die Musikindustrie mit Argwohn und spekulierten über einen neuen Ansatz. Wir hatten den Eindruck, dass das Musikbusiness nur von alten Säcken bestimmt wurde, die auf Fotos mit ihren dicken Zigarren arrogant posieren. Der Management-Ansatz von Larry Parnes/Tito Burns/Larry Parnell schien hoffnungslos überaltert zu sein, weil nur noch greise „Betonköpfe“ die Fäden zogen. Einige der alten Manager tricksten nicht nur mit dubiosen Geschäftsmethoden, sondern arbeiteten auf die gleiche Art und Weise wie schon seit Millionen von Jahren. Für uns waren das nur noch Fossilien.

Als naiv konnte uns niemand bezeichnen. Jeder wusste, dass einige dieser Typen die Künstler in jeglicher Hinsicht kontrollierten und nicht viel besser als sexuelle Raubtiere agierten. Ihnen lag viel daran, einen „Stall“ junger Männer als Stars aufzubauen und davon zu profitieren – in welcher Hinsicht auch immer. Wir fanden das alles hochverdächtig.

Eine Zeitlang bestimmten gut aussehende Jungs in Röhrenhosen mit ausgebeultem Schritt das Geschehen, die den Massen musikalische Pappgerichte servierten. Sie tauchten im Fernsehen auf, und ihre Platten schossen in die Charts. Wenn wir die „Künstler“ sahen, zogen alle verächtlich die Oberlippe hoch und kicherten: „Voll eins auf den Arsch, es trifft den Richtigen.“ Wir führten uns wie besserwisserische Lehrer auf, die den Dummen den Hintern verdreschen können.

All diese Papp- und Plastikmusik wirkte sich glücklicherweise nicht auf die Acts aus, die nach Alternativen suchten: Soft Machine, Pink Floyd und Arthur Brown, der Bandleader von The Crazy World of Arthur Brown. Diese Bands waren viel zu „far out“ für die alten Knacker, die das Musikbusiness leiteten. Sie hatten panische Angst, eine Beziehung zu diesen drogenschluckenden, langhaarigen Typen werde einen Hauch des Skandals in ihr sonst „grundanständiges“ und allgemein akzeptiertes Leben bringen.

Die alternative Musik benötigte zumindest zu Beginn ein alternatives Management, doch es dauerte nicht allzu lange, bis die Haie der Industrie ihre Zähne in einige der psychedelischen Bands schlugen. Glücklicherweise befand ich mich da schon in den USA und führte ein tolles Leben.

Die All Saints Church Hall, nahe der Westbourne Grove in Notting Hill, gehörte zu den ersten Orten, an denen die alternative Musikszene aufblühte. Dort spielten die Bands nur so aus Spaß, und die Zuschauer zahlten am Eingang einen beliebigen Betrag. Ich arbeitete dort umsonst und war zufrieden, wie all die anderen auch. Die All Saints Church Hall entwickelte sich in der Zeit ihres Bestehens zu einem legendären Veranstaltungsort. Musiker wie Arthur Brown und Charlie Watts traten dort vor einem aufnahmebereiten und zahlreich erschienenen Publikum auf. Ich freundete mich dort mit Nick Mason an, dem Schlagzeuger von Pink Floyd.

Ganz kurz glaubte ich, dass ich mich total in die Schwester der Frau verknallt hätte, die später Nick heiraten sollte, doch damals liebte ich eigentlich alle Mädchen, die sich in der Musikszene tummelten. Ein Hauch göttlicher Erhabenheit umgab sie, sie waren begehrenswert, und ich wollte mit allen ins Bett! Ich liebte die Liebe und musste nur noch herausfinden, was ich mit meinem Herzen anstelle.

Zu den Pink-Floyd-Konzerten erschienen regelmäßig die schärfsten Frauen, besonders als noch Syd Barrett, ihr erster Sänger und Frontmann, in der Band spielte. Wann immer ich Syd traf, der manchmal wie ein verängstigtes Reh in den Scheinwerfern eines Wagens aussah, wurde er von einer bezaubernden Dame begleitet, die wie eine Göttin durch den Raum schwebte. Wir freuten uns für ihn und sein Glück. Ich beobachtete, wie die „andersweltigen“ Frauen Syd ausnahmslos und ohne zu zögern ins Visier nahmen. Er schenkte ihnen wenig Aufmerksamkeit und war mit seinen launenhaften Stimmungsschwankungen beschäftigt, obwohl er ihrer Fürsorge bedurfte. Syd wirkte wie ein Kind, und wir nannten ihn eher abfällig einen „Space Cadet“. Ich zweifelte, ob dieser Mann sich einen Toast zubereiten konnte, doch als ich ihn zuerst kennenlernte, merkte ich schnell, was für ein guter Gitarrist er war. Wenn die Band an neuem Material arbeitete, rief er ihnen die Akkordwechsel zu.

Ohne Zweifel war Syd der erste, wenn auch eher schüchterne und vorsichtige Star der Psychedelic-Szene Großbritanniens. Ihn umgab eine merkwürdige Fremdartigkeit. Oft beschäftige er sich mit den unbedeutendsten Dingen, starrte wie ein Besessener auf belanglose Gegenstände. „Der ist total durchgeknallt“, meinte meine damalige Freundin, und die musste es wissen, denn sie wohnte in Kingsley Hall und wurde von Ronnie Lang behandelt wurde, dem weltbekannten Psychiater und Experten auf dem Gebiet der psychischen Störungen und Krankheiten. Verrückt oder nicht, Syd konnte wenigstens seine Gitarre stimmen, obwohl er manchmal vergaß, das verdammte Ding zu spielen.

Freunde erzählten mir die Geschichte von einer gemeinsamen Autofahrt aufs Land. Syd hielt plötzlich an und latschte einfach weg. Als meine Kumpels kapierten, was da vor sich ging, konnten sie Syd nicht mehr finden und mussten sich auch auf den Fußmarsch begeben, weil er die Autoschlüssel mitgenommen hatte. Als sie ihn das nächste Mal trafen, erinnerte er sich gar nicht mehr an die Fahrt.

Niemand wollte Syd hart rannehmen und ihm gehörig die Meinung sagen, weil er überhaupt nicht wusste, was vor sich ging. Er war unschuldig wie ein Kind. Die Mädchen taten ihr Möglichstes, ihn zu umsorgen und zu beschützen, bis zum Zeitpunkt, an dem er sich völlig in sein Innerstes verkrochen hatte und ihm niemand mehr helfen konnte.

Die anderen Musiker von Pink Floyd verhielten sich unter den gegebenen Umständen ungewöhnlich nett gegenüber ihrem Bandkollegen. Aus einem einstmals klaren und strahlenden Diamanten war eine stumpfe, durch Drogen vernebelte Persiflage des früheren Ich geworden. Jeder empfand das als zutiefst traurig und bewegend, doch niemandem gelang es, ihm zu helfen, obwohl viele es versuchten.

Meine quirlige und wunderbare Freundin hatte mich auf die All Saints Hall gebracht. Ich liebte den Ort und lud meinen Freund Ron Geesin ein, damit er die Szene dort erleben konnte. Ron und ich trafen uns bei einem gemeinsamen Kumpel und freundeten uns sofort an, was wohl daran gelegen haben mag, dass ich seine Musik mochte, eine abgefahrene Art und Weise der Vertonung des „Theaters der Grausamkeit“. Er gehörte zu den angesagten Typen.

Ron war ein geschickter, klassisch ausgebildeter Musiker, doch sein persönlicher Geschmack führte ihn zu höchst ungewöhnlichen Instrumenten und bizarren Klangeffekten, die er mit absurden Texten krönte und mit einem unverständlichen schottischen Akzent vortrug. Die Klangkaskaden wirkten auf die Zuhörer beängstigend und beunruhigend. Er spielte Klavier mit der Leidenschaft eines Wahnsinnigen Es war eine Erfahrung der ganz besonderen Art, seine Vision der Entfremdung vom Herkömmlichen zu erleben. Man erstarrte fast vor Furcht. Trotzdem war Ron einer der geselligsten Menschen, und nachdem ihn die Musiker von Pink Floyd näher kennengelernt hatten, mochten sie ihn wegen seiner außergewöhnlichen Exzentrik. Uns verband eine enge Freundschaft.

Ron nahm keine Drogen, schlug sogar einen Joint aus, doch konnte sich trotzdem auf die Musik von Floyd einlassen. Schon bald schloss er Freundschaft mit dem Keyboarder Rick Wright und dem Bassisten Roger Waters. Ron spielte eine wichtige Rolle, denn er transzendierte und öffnete den musikalischen Ansatz der Band. Sein Einfluss kann auf der ersten LP The Piper At The Gates Of Dawn (1967) über Dark Side Of The Moon (1973), Animals (1977) bis hin zu The Wall (1979) wahrgenommen werden. The Wall wird zwar offiziell Roger Waters und Floyd zugeschrieben, doch die Atmosphäre der Vereinsamung und des von Angst ausgelösten Wahnsinns stammen sicherlich von den frühen surrealen Themen meines Freundes Ron.

Nick Mason und Ron Geesin unterstützen mich bei einem eigenen Musikprojekt, wofür ich ihnen für alle Zeiten danke, da ihre Beiträge dem Experiment eine gewisse Schwere und Tiefgründigkeit gaben. Einige Freunde hatten sich entschlossen, eine Gruppe mit dem Namen Screw zu gründen, eine Punk-Band, mehr als ein Jahrzehnt vor Malcolm McLaren und den Sex Pistols und lange bevor einer wusste, was der Begriff Punk nun bedeutet. Ron und Nick fanden die Musik sowohl schrecklich als auch faszinierend. Wir hatten unseren Spaß, konnten alles rauslassen und frech sein, doch die Band verschwand schnell von der Bildfläche.

Screw gehörte zu den wenigen Formationen, die ihre Zuhörer an die Wand spielten und sie verwirrt und betäubt zurückließen. Nachdem die Leute ein Konzert gehörte hatten, wussten sie nicht, was man davon halten, geschweige denn darüber sagen sollte. Screw verschlug ihnen die Sprache, und das war – wie wir damals dachten – eine nennenswerte Leistung.

Sogar John Peel, der Kult-DJ, der in seiner BBC-Radio-Show die merkwürdigsten, abgefahrensten Sachen auflegte, bekam bei einem Gig von Srew kein Wort mehr über die Lippen. Ich lud ihn zu einem der Happenings ein. Während des Sets schlug Chris Turner, der Mundharmonika-Mann, ein wenig über die Stränge. Seine Lippen platzen auf, und das Blut spritze über die ganze Bühne. Der Sänger Pete Hossell eilte ihm zur Hilfe und besudelte sich die Hände und das Mikro mit Blut. Das wirkte alles schon ziemlich bedrohlich. Nach dem Konzert ging ein besorgter John Peel in den Backstage-Bereich, um seine Hilfe anzubieten. Er war wohl ziemlich schockiert, als er Pete Hossell dabei beobachtete, wie er Chris’ blutende Lippen mit einer seiner dreckigen Socken (in Bier getränkt) abwusch und dabei noch eine tiefen Schluck nahm, als sei nichts gewesen.

Chris war ein erstaunlicher Typ. Er spielte mitreißende Soli auf seiner Blues-Harp und spuckte manchmal einen abgebrochenen Zahn aus, während ihm das Blut in kleinen Rinnsalen das Kinn hinablief. Damit schickte er das Publikum natürlich auf einen Horrortrip. Gelegentlich meinten die Leute, dass er auf der Bühne bei einem seiner emotionalen Ausbrüche verblute. Manchmal musste er auf der Bühne wiederbelebt werden, und einmal rief der Veranstalter bei einem Konzert sogar den Krankenwagen, im festen Glauben, dass der Harp-Mann nun wirklich zu viel Blut verloren habe. (Natürlich war das alles ein Show-Act, denn Chris zerbiss Filmblutkapseln und spuckte künstliche Zähne aus, doch Screw überzeugte das Publikum. Kaum jemand kannte die ganze Wahrheit!)

Nick Mason half bei der Produktion einiger Srew-Songs, die am 13. Mai 1969 in den Lansdowne Studios in London aufgenommen wurden. Die Bänder verstaubten dann 30 Jahre lang in einem Lager für Audiobedarf. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich Nick zu dem ungewöhnlichen Projekt überredete, und nur die Götter wissen, warum Ron Geesin die Bänder überspielte und masterte. Doch Ron hatte stets eine Schwäche für das Ungewöhnliche und Schockierende. Er war der einzige Mann in der ganzen Stadt, der die Dagenham Girl Pipers mochte, weibliche Dudelsack-Spieler, die damals in London lebten.

Aus heutiger Sicht engagierte sich Nick wahrscheinlich für Screw, weil sie ihm eine Pause von der Komplexität und dem cleveren Ansatz seiner eigenen Band ermöglichten. Die offensive und direkte Herangehensweise von Screw stellte für ihn ein heilsames Gegengift zu einem Roger Waters dar, der ihn ständig belehrte, was er denn nun spielen solle. Ich versuchte alles, damit die Screw beim Free Concert der Rolling Stones im Hyde Park auftreten konnten (mehr zu dem Thema später). Bei dem Konzert spielten sie vor 500.000 Zuschauern. Ich erinnern mich noch gerne an den Jazz/Blues-Musiker Alexis Korner, der sich die Show vom Bühnenrand aus ansah und ungläubig den Kopf schüttelte. Kurz darauf flog ich in die USA, und Screw mussten sich andere Vertreter suchen.

Die Band war ihrer Zeit weit voraus, doch leider wurde nichts aus dem Projekt, das unter einem schlechten Stern stand. Ihr Co-Manager knallte völlig durch und gründete in Schottland eine Kommune, deren einziges Mitglied er schwängerte. Der Leadgitarrist Al Kinnear verstarb sehr früh, und der Drummer Nick Brotherwood verdiente sich seine Brötchen als Pfarrer! Pete Hossell ließ sich in São Paulo nieder, und Stan Scrivener, der Bassist, scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Die 1969 aufgenommene Platte wurde schließlich 2006 in einer auf 500 Exemplare limitierten Edition auf dem Spezialisten-Label Shagrat veröffentlicht. Die Musik klang immer noch so durchgeknallt wie damals. Ich kann mich gut an alle Songs erinnern.

UFO war ein weiterer Londoner Club, der eine wichtige Rolle in der aufblühenden Musikkultur spielen sollte. Er öffnete kurz vor Weihnachten 1966 und lässt sich als finstere Höhle beschreiben, die unter einem Kino in der Tottenham Court Road lag. Unter anderem traten dort Pink Floyd und Soft Machine auf. Ich warf mich in mein psychedelisches Outfit und besuchte den Laden, wo ich Leuten begegnete, die aus allen Winkeln Großbritanniens kamen. Ein Kerl aus Deutschland etablierte sich als Haus-Dealer. Manchmal zog ich mir einige Joints durch oder warf einen Trip und schaute mir die Schwarzweißfilme an, die man während der ganzen Nacht auf eine Wand projizierte. Auf einem Trip zu sein und um sieben Uhr morgens die Stufen zur Tottenham Court Road hochzustolpern war schon ziemlich schräg. Ich flüchtete so schnell wie möglich vor der ganzen UFO-Szene, spazierte meilenweit durch die ausgestorbenen Straßen und beobachtete, wie die ganze Stadt langsam zum Leben erwachte.

Als die neuen Clubs eröffneten, nahmen enthusiastische Manager den Platz der alten Typen ein, die das Business schon viel zu lange schleifen ließen. Peter Jenner und Andrew King standen an vorderster Front der „jungen Wilden“ und gründeten gemeinsam Blackhill Enterprises. Durch einen Umweg gelangte ich zu den beiden.

Traditionell verbringt die Bevölkerung Großbritanniens die Wochenenden mit einem Ausflug aufs Land, dem Besuch eine Gartenparty oder von Freunden. Ich hatte eine Einladung zu einer großen Party auf einem riesigen Anwesen in Surrey erhalten. Das Gebäude gehörte Nick Masons’ Schwiegervater, einem bekannten und fortschrittlichen Architekten.

Wir kamen südlich von Guildford an und sahen 40 bis 50 Leute, kunterbunt in allen Farben des Regenbogens gekleidet, die LSD-Trip eingeworfen hatten und weit über dem Boden der „herkömmlichen“ Realität schwebten. Sie schlenderten durch die gepflegten Gärten und machten es sich auf dem makellosen Rasen bequem, der hinter einem unfassbar großen Gebäude lag. Doch irgendwie lief alles so schrecklich britisch-zivilisiert ab. Ich begegnete dem Hausbesitzer, der einen grauweißen Bart trug und sich sehr großzügig zeigte. Er fand die Freunde seiner Tochter bemerkenswert und hochinteressant. Allerdings bin ich mir nicht sicher, was er von mir hielt, denn ich trug die wildesten Klamotten, die ich damals besaß. Mit einer Freundin produzierte ich Kleidung für einige der neuen, ausgeflippten Boutiquen Londons. Wir kauften die Stoffe bei Liberty’s, einem großen Geschäft, das aufsehenerregende Designs anbot, die an die von William Morris im 19. Jahrhundert kreierten Wandbehänge und -teppiche erinnerten. Eigentlich waren die Stoffe für Gardinen gedacht oder für Schonbezüge, aber wir fertigen daraus Schlaghosen und Jacketts für die Shops in Kensington. Ich schneiderte mir einen Anzug mit aufgedruckten knallig bunten Rhododendrenblüten. Mich erstaunt es noch immer, wie viel Mut ich gehabt haben muss, in so einem Dress in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Zwar verkauften wir nicht viel, doch es machte eine Menge Spaß.

An diesem netten Sommernachmittag, tief im Herzen der ländlichen Idylle Großbritanniens, unterhielt ich mich mit Nick Mason und Rick Wright über Musik, das Leben und das Universum und sonstige Belanglosigkeiten. Nach kurzer Zeit kam das Thema Blackhill auf. Die beiden erzählten mir, hier sei eine neue Firma mit einem vollkommen anderen Ansatz des Managements in der Musikindustrie am Start.

Sie meinten, die alten Strukturen müssten eingerissen und alles neu aufgebaut werden. Das bezog sich auf das Management der Musiker und die Organisation des Profilebens. Die Bands durften sich nicht mit alternden, fettleibigen, an der Zigarre nuckelnden Kerlen des Establishments einlassen, die ihnen Vorschriften machten. Die Musiker wollten unter allen Umständen mit Leuten zusammenarbeiten, die ihre Sprache verstanden. Sie wollten von Typen repräsentiert werden, die kifften, die etwas von alternativen Bewusstseinszuständen verstanden und die bereit waren, sich auf einer neuen Ebene zu verwirklichen. Darüber hinaus war es für viele Musiker am wichtigsten, dass sich angesagte Leute um ihre Angelegenheiten kümmern. Blackhill vertraten Floyd und den späteren Glam-Rock-Star Marc Bolan, der seine Karriere mit dem Duo Tyrannosaurus Rex begann, und befanden sich im Epizentrum einer sich rasant entwickelnden Londoner Musikszene. Ich war wie versessen darauf, mit ihnen zu arbeiten, und Nick Mason versprach mir, sich für mich einzusetzen.

Peter und Andrew führten die Firma völlig unverkrampft und freigeistig. In einem zur Straße hin gelegenen Büro, abseits der Westbourne Grove, beschäftigten sie begeisterte und idealistische Leute, die Tourneen organisierten, Plakate druckten und allgemein die Kleinigkeiten erledigten, die für den reibungslosen Ablauf einer Konzertreise notwendig sind. Es war die sicherlich schönste Zeit, um im Musikgeschäft zu arbeiten. London schien vor kreativer Energie aus allen Nähten zu platzen. Ich begann dort 1967 als Mädchen für alles und versuchte mich als Bühnenmanager oder Roadie.

Ich hielt Andrew King für einen offenen und zugänglichen Mann und überreichte ihm im jugendlichen Leichtsinn ein Buch meiner auf der Schreibmaschine geschriebenen Gedichte (ich besaß nur ein Exemplar). Vielleicht taugten sie was für Texte? Andrew versprach, sie zu seinem Cottage in Wales mitzunehmen, wo er sie in Ruhe lesen könne. Als er sich zu einem Wochenende auf dem Lande aufmachte, ließ er das Buch gedankenverloren auf dem Dach seines Wagens liegen; es entschwebte dann irgendwo zwischen London und den Grafschaften in Vergessenheit und tauchte nie mehr auf. Wie damals üblich, dachte er nach einer kurzen Entschuldigung nicht mehr darüber nach, und mir fiel es erst jetzt, bei der Niederschrift dieses Buches wieder ein.

Ich beobachtete mit großem Interesse, wie Peter und Andrew der schwierige Balanceakt zwischen dem „Wertesystem des Underground“ und den kommerziellen Notwendigkeiten gelang. Peter hatte die London School of Economics besucht, und Andrew war als Manager für British Airways tätig gewesen. Ich hatte immer den Eindruck, dass die beiden für eine Art des „erleuchteten ökonomischen Despotismus“ standen, vergleichbar mit dem heutigen China, das den Kapitalismus mit einem sozialistischen Deckmäntelchen vertritt.

Die beiden propagierten ihren ökonomischen Ansatz mit einem charmanten Lächeln, guter Laune und einer Portion Schlitzohrigkeit und wurden von allen geschätzt. Sie waren clevere Typen, für die nichts unmöglich zu sein schien. Das stellte besonders in Großbritannien eine Ausnahme dar, weil sich die meisten Briten für nichts begeistern konnten.

Die eingeübte Zurückhaltung und eine gewisse Kühle kennzeichneten das soziale Leben des Landes. Das Selbstbewusstsein und die Begeisterungsfähigkeit von Peter und Andrew sorgten für einen frischen Wind, der uns mitriss. Es mutet merkwürdig an, wenn die Begeisterungsfähigkeit an sich als eine revolutionäre Einstellung erlebt wird, doch in den Sechzigern war das eindeutig der Fall. Die Briten hatten sich zuletzt im Zweiten Weltkrieg emotional engagiert, als sie sich schworen, den Faschismus zu zerschlagen.

Oft wird vergessen, dass fast nur junge Menschen in den Kampf ziehen mussten. Die Gruppe derer, die im Krieg zwischen 18 und 25 gewesen waren, trug die Traumata des Gefechts und der hohen Verluste mit sich, fühlte sich ausgelaugt und wie am Boden zerstört. Seit 1946 hatte in Großbritannien trotz aller guten Absichten und Vorsätze eine Art Dauerschlaf geherrscht. Nun wollte eine neue Generation das Land aus seiner Lethargie befreien und den Menschen (wenigstens ein bisschen) mehr Leben einhauchen. Glücklicherweise erreichte uns in den Fünfzigern der Rock’n’Roll und rettete uns aus einer Schockstarre der ewigen Langeweile.

Die Musikszene im London der Sechziger lässt sich sarkastisch als „leicht inzestuös“ beschreiben. Es war einfach, schnell ein Netzwerk von Kontakten und Freundschaften aufzubauen, da wir alle dieselben Pubs und Clubs besuchten und in denselben Stadtbezirken abhingen – und natürlich warfen wir die gleichen Drogen ein. Eines Tages traf ich Alexis Korner in der Portobello Road. Er lud mich spontan in seine Wohnung in Queensway ein. Korner lachte, als ich ihm erzählte, dass ich ihn als Banjo-Spieler mit Ken Colyer einige Jahre zuvor in Croydon gesehen hatte.

Er war die personifizierte Großzügigkeit, und ich fand es sehr aufregend, dass er überhaupt mit mir redete. In seiner kleinen Bude quatschten wir über den Blues. Ich war vollkommen verblüfft, als er mir davon berichtete, dass Big Bill Broonzy, Brownie McGhee und viele andere Blues-Größen genau auf dem Sofa gesessen hatten, auf dem ich es mir gerade gemütlich machte. Während ihrer Großbritannien-Konzerte übernachteten sie oft bei Alexis und seiner Frau Bobby. Ich empfand es als eine große Ehre, mich dort aufhalten zu dürfen. Alexis lachte, als ich ihm erzählte, dass Musiker mich zum Kiffen gebracht hatten. Seiner humorvollen Einschätzung nach war ich ein glücklicher Junge, weil mich die Musiker im Dope-Konsum und im Blues unterrichteten. Ich konnte da nur zustimmen.

Alexis war damals eine Art Übervater der Londoner Blues-Szene. Ein kleiner griechischer Mann mit einem ansteckenden Lächeln und dem Kopf voller Ideen beeinflusste die Entwicklung einer ganzen Szene und machte oft Vorschläge, wer denn mit wem spielen sollte. Man kann ihm und seiner großartigen und überaus einflussreichen Band Blues Incorporated den Aufbruch der Rhythm’n’Blues-Szene Großbritanniens zuschreiben. Cyril Davies, sein Mundharmonika-Mann, war ein Top-Musiker, verehrt von allen Zuschauern.

Es gab keinen Musiker in London, der Alexis Korner nicht kannte. Na ja, mal abgesehen von einigen Leuten, die bei der Heilsarmee spielten. Vor Gründung der Rolling Stones hatte Mick Jagger in einer seiner Bands gesungen, und Charlie Watts stieg zeitweise bei ihm als Drummer ein. Brian Jones, der Mitbegründer der Stones, pflegte eine enge Freundschaft mit Alexis. Gitarrengrößen wie Eric Clapton, Jeff Beck, Jimmy Page und natürlich Robert Plant, der zukünftige Sänger von Led Zeppelin, Davey Graham, der Blueser Long John Baldry, die Yardbirds und der Band-Leader John Mayall – Alexis kannte sie alle, und sie kannten ihn. In verschiedensten Besetzungen hatten sie schon mit ihm gespielt oder bei Jam-Sessions mitgemacht, die er organisiert hatte. Alexis wurde niemals die Aufmerksamkeit zuteil, die ihm gebührte.

In seiner Bude hatte ich das Gefühl, eine Verbindung mit dem großartigen britischen Blues-Revival einzugehen, einer musikalischen Bewegung, die sich von der traditionellen Jazz-Szene über den Rhythm’n’Blues entwickelt hatte und großartige Bands hervorbrachte. Wir redeten den ganzen Nachmittag, zogen einige Joints durch und tranken literweise Tee. Ich überredete Alexis zu einem Auftritt in der All Saints Hall.

Durch ihn erkannte ich, dass ich im Musikbusiness als Tourmanager arbeiten sollte. Zum Durchstarten bot er mir einen Job an. Ein kleines Festival in den Niederlanden war geplant, gefolgt von einigen Auftritten in Deutschland. Er fragte mich, ob ich Lust und Zeit hätte. Es sollte in Hoek van Holland beginnen. Von dort aus würde uns eine Fähre nach Belgien befördern, wonach die Shows in Deutschland anstünden. Alexis wollte mir die Kosten erstatten und mich einarbeiten. Natürlich ließ ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen.

Wir waren ungefähr sieben Tage unterwegs und hatten viel Spaß. Noch im Dunkeln brachen wir von London auf und verließen Großbritannien an einem kalten und trübseligen Morgen mit der Fähre. Ich stand am Heck, blinzelte in den Nieselregen und freute mich wie wild auf das wunderbare Abenteuer, das vor mir lag: Großbritannien zu verlassen, um die Musik in andere Länder zu bringen, nicht zu wissen, was als Nächstes geschieht – ja, auf Tour zu gehen! Ich war viel zu aufgeregt, um müde zu sein, wohingegen Alexis, seit Jahren ein Vollprofi, sich auf einen Stuhl hockte und schon schlief, noch bevor die Fähre den Hafen verlassen hatte.

In Bezug auf die Finanzen war Alexis ein gewiefter Geschäftsmann. Er erklärte mir mit großer Geduld die Komplikationen, die mit Geld einhergingen, ohne mir einen Penny abzugeben! Mit großer Vorfreude meinte er, wir könnten bei den jeweiligen Gigs essen, da der Veranstalter uns auf seine Kosten bewirten werde – und somit wären wieder einige Pfund gespart. Auf einer deutschen Autobahn mit leerem Magen zu fahren – mit der Aussicht auf Bratwurst, Bockwurst oder Wurst in einer anderen Form – ist allerdings nur den Helden und Tollkühnen zu empfehlen. Ich bin versucht, das als die schlimmste Erfahrung zu beschreiben, die man machen kann. Doch das ginge ein wenig zu weit. Ich habe überlebt und eine wertvolle Lektion gelernt: Verlass dich nie auf eine Beköstigung durch Konzertveranstalter.

Von Alexis erfuhr ich erstmalig etwas über die Rolle eines Werbesprechers. Er hatte eine warme und honigsüße Stimme, selbstbewusst und auf eine bestimmte Art überzeugend, eine Stimme, die jede Hausfrau dahinschmelzen ließ. Und so hörte man Alexis in zahlreichen TV-Werbespots. Als er uns bei einigen Joints erzählte, dass er hinter den Dasch-Spots steckte und die Worte „Dasch wäscht so weiß, weißer geht’s nicht“ wiederholte, kicherten wir wie Kinder, während der Transporter die Kilometer auf der Autobahn fraß. Ich war noch nie einem leibhaftigen Fernsehsprecher begegnet. Noch beeindruckender empfand ich Alexis’ Wissensschatz in Bezug auf Bruttoeinnahmen, Nettoeinkünfte, Tantiemen und den ganzen Geldfluss. Er war ein echt schlaues Bürschchen. Ich saß zwar nicht zu seinen Füßen, aber zumindest neben ihm!

Alexis besaß zwei Gitarren und einen Verstärker, die ich für ihn herumschleppte und auf der Bühne aufbaute. Wenn er schlief, übernahm ich das Lenkrad. Von ihm lernte ich, dass es klug war, immer und überall zu schlafen, wenn sich die Gelegenheit bot, denn während einer Tour kann man nie sagen, wann eine angemessene Ruhepause möglich ist. In den Niederlanden spielten wir auf einem kleinen Open-Air-Festival, wo der Regen kontinuierlich durch die über der Bühne angebrachte Plane tröpfelte. Doch alles lief mit holländischer Gründlichkeit ab, und die Bands erhielten sogar ihre Gage, was in jenen Tagen oft Glücksache war. Weil damals viele Gruppen leer ausgingen, entwickelte sich die Praxis, das Geld vor dem Konzert einzutreiben.

Zwei der Auftritte in Deutschland fanden in kleinen Clubs statt, die vor Blues-Fans aus ihren Nähten platzten. Diese Jungs kifften wie wild und tranken eimerweise Bier. Allerdings gab es wenig Geld, und zum Ausgleich spielten wir in einem amerikanischen Militärclub in der Frankfurter Kaserne. Mich beeindruckte der technisch bestens ausgestattete Veranstaltungssaal, in dem sicherlich 1.000 Zuschauer Platz fanden. Endlich stand Alexis auf einer großen Bühne mit einer guten Lichtanlage und spielte vor vollem Haus. Allerdings standen im Publikum überwiegend Afroamerikaner. Man bekam schnell das Gefühl, mitten in Deutschland in „Little America“ aufzutreten. Wir wurden in Dollar bezahlt, und so besorgten wir uns in dem auf der Basis gelegenen Shop für die Armeeangehörigen Kippen und Alk. Ich brachte als Trophäen eine Flasche Wild Turkey und eine Stange Camel mit nach Hause.

Als der ganze Tross nach Hause zurückgekehrt war, wurde mir klar, mit welchem Job ich mein Leben verbringen wollte. Vielen Dank an den Griechen, der den Blues spielte.

Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten

Подняться наверх