Читать книгу Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten - Sam Cutler - Страница 12

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6. Organisationskünstler

Zwei Tage nach der Blind-Faith-Show fuhren Mick, Keith und Charlie Watts zur Cotchford Farm, wo Brian Jones lebte, und erklärten ihm, er sei gefeuert. Mick Taylor, sein Nachfolger, hatte Peter Green bei John Mayalls Band abgelöst und wurde in Londons Musikerkreisen als ausgezeichneter Blues-Musiker gefeiert. Er war jung und unverbraucht und zählte zu den besten Gitarristen des Landes, vergleichbar mit Brian Jones zu seinen Glanzzeiten. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger musste er sich nicht mit Drogenproblemen herumschlagen und konnte somit problemlos ein Arbeitsvisum in den USA beantragen, was Brian verwehrt worden war.

Als die Rolling Stones Blackhill verrieten, dass sie im Hyde Park spielen wollten, um Mick Taylor vorzustellen, stürzte ich mich mit manischer Energie auf das Projekt und erarbeitete einen grob umrissenen Plan, in dem ich die Grundkomponenten der Show festlegte: exakter Aufrittsort im Park, die Bühne und die Beschallungsanlage [kurz PA]. Vorsichtig einigten wir uns auf die Notwendigkeit eines Budgets. Die Stones schlossen einen Vertrag mit Granada Televison, die eine Dokumentation der Performance aufzeichnen sollten und im Gegenzug die Produktionskosten übernahmen.

Die Idee, das Konzert durch den Verkauf der Filmrechte zu finanzieren, stammte von Mick. Niemand hatte das zuvor versucht, besonders nicht bei einem Live-Event. Die Rolling Stones waren damals so populär, dass sich einer der größten Fernsehsender bereit erklärte, die Kosten zu begleichen. Natürlich hofften sie, das Investment werde sich durch die Fernsehübertragung des Films und die Filmrechte amortisieren. Bei der Stones-Tour im folgenden Jahr in den USA zog Mick erneut diesen Coup ab, wenn auch in abgeänderter Form.

Der Hyde Park liegt im Zentrum Londons, vergleichbar mit dem New Yorker Central Park. Wir entschieden uns, die Bühne neben der Serpentine aufzubauen, einem kleinen Fluss mitten im Park. Vom Backstage-Bereich aus konnte man einen Blick über das Wasser werfen; vor der Bühne bildete der Boden eine lange Mulde, so dass jeder optimale Sicht hatte.

Ich entwarf eine Bühne, die nach heutigen Ansprüchen primitiv, aber funktional war, damals jedoch zu einer der größten Bühnen für ein Open-Air-Konzert zählte. Sie ragte fast zwei Meter in die Höhe und war mit einer festen Plane überzogen – die Zuschauer konnten alles verfolgen, doch nicht hochklettern, um an die Band heranzugelangen. Man hätte eigentlich auf eine Security verzichten können.

WEM war zu der Zeit der größte Verleih für Beschallungsanlagen in Großbritannien und wurde von einem umgänglichen Gentleman namens Charlie Watkins betrieben. Er war deutlich älter als die meisten Leute, die für die Organisation des Konzerts arbeiteten, stand aber auf die Stones. Für ihn stellte es eine große Herausforderung dar, die Hunderttausende von Fans, die man im Park erwartete, professionell zu beschallen. Eine weitere Schwierigkeit bestand im Mitschnitt des Soundtracks des Films. Letztendlich sang Mick in zwei Mikros, die man nur mit Klebeband aneinander befestigte. Schräg, aber es funktionierte.

Bisher hatte es noch kein Konzert mit solch einem Schallvolumen gegeben. Um die Vielzahl von Lautsprecherboxen unterzubringen, stellten wir Gerüste auf. Ich berechnete mit Charlie Watkins die Belastung der Bühne, damit die Tagfähigkeit gewährleistet war.

Kurz darauf rief mich mein enger Freund Chesley Millikin an, der ehemalige Geschäftsführer von Epic Records Europa. Er lud mich ein, ihn nach Heathrow zu begleiten, wo er einen amerikanischen Bekannten abholen und mir vorstellen wollte. Obwohl ich bis zum Hals in der Arbeit steckte, ließ Chesley ein Nein nicht als Antwort gelten. Er holte mich in seinem tollen alten Bentley ab; wir tuckerten stilvoll zum Flughafen und pafften dabei einen dicken Joint.

Auf der Fahrt unterhielten wir uns über Brian Jones, der einige Charakterzüge mit Syd Barrett teilte. Er konnte seine Gier nicht zügeln, hatte einfach zu wenig Selbstkontrolle. Nicht alle können mit Drogen klug umgehen und ihren Konsum steuern, und Brian gehörte eindeutig zu diesen Leuten. Er warf sich das Zeug mit einer unglaublichen Zügellosigkeit ein, und als sich seine Sucht steigerte, zerstörten die Drogen sein Talent und verwandelten ihn in einen heruntergekommenen und widerlichen Menschen.

Ich begegnete ihm nur ein einziges Mal. Er saß im Studio, wirkte wie ein katatonischer Patient in der Psychiatrie und wurde von den anderen bewusst ignoriert. Ständig belästigte ihn die Polizei, Razzien standen auf der Tagesordnung. Brian Jones zu sein – das machte bestimmt wenig Spaß.

Während wir uns dem Flughafen näherten, erzählte mir Chesley, dass wir eigentlich zur Feltham Police Station fuhren, was mich erstaunte. Doch ich dachte mir nicht viel dabei, und so setzen wir unsere – wie sich später zeigte – Rettungsmission fort. Es habe da so eine kleine Unannehmlichkeit gegeben, erzählte mir Chesley mit seinem niedlichen irischen Akzent. Der Zoll hatte seinen Freund mit 30 LSD-Trips erwischt, aber wen kümmerte das schon? Ich musste ständig an die anstehende Show im Park denken, war allerdings überrascht, dass die Polizei ihn überhaupt einreisen ließ.

Auf der Wache schnappten wir uns Chesleys Freund. Wie sich herausstellte, war dieser Typ Rock Scully, der Manager von Grateful Dead aus San Francisco. Das beeindrucke mich. Rock war ein gut aussehender Mann, von oben bis unten in Jeans gekleidet, und trug teuer wirkende Cowboystiefel. Als der diensthabende Beamte Rock seine Habseligkeiten zurückgab, las er eine lange Liste vor und sagte: „Eine Adlerfeder.“ Wow! Er überreichte Rock die geheiligte Feder, die an einer exquisit gestalteten indianischen Kette hing. Auf dem Rückweg nach London freundeten wir uns schnell an. Beim Abendessen erzählte Rock von den jüngsten Ereignissen in San Francisco und berichtete über die amerikanische Musikszene, was mich regelrecht verzauberte. Geschichten von „Acid Tests“ und den Grateful Dead, heißen kalifornischen Mädchen und anderen Attraktionen flossen in unser Gespräch ein. Als wir auf On the Road zu sprechen kamen, beschrieb Rock Neal Cassady und seine Beziehung zu den Dead und den Pranksters mit Worten, die in meinen Ohren wie magische Formeln klangen. Erneut wurde ich in der Absicht bestärkt, die USA zu erkunden. Rock wirkte wie der geborene Romantiker und lebte den kalifornischen Traum. Mühelos verfolgte ich seinen lebhaften Wortschwall.

Er schilderte die Free Concerts im Golden Gate Park, nahe dem Herzen der alternative Szene im Haight-Ashbury-Bezirk der Stadt. Viele kostenlose Konzerte hatten dort stattgefunden, doch es gab niemals Probleme.

Er war doch alles so einfach: Die Bands traten auf, und die Leute hatten ihren Spaß. Die Hells Angels hielten sich bei den Generatoren auf und wurden von den Leuten gemieden. Somit war eine reibungslose Stromzufuhr garantiert. Peace and Love! Falls es mal Probleme gab, waren es höchstens schlechte LSD-Trips. Diese Leute wurden von drogenerfahrenen Spezialisten behandelt, die sie sicher aus den Horrorvisionen herausführten.

Das klang unglaublich aufregend.

Rock streunte später durch London. Ich sah ihn nicht sehr oft, doch er traf sich mit Keith Richards, den er durch Chesley kennenlernte. Während des Meetings, in Keiths Haus in Cheyne Walk, kam zum ersten Mal die Idee eines Free Concert der Stones in Kalifornien auf den Tisch. Soweit ich es beurteilen konnte, schien das niemanden so richtig zu begeistern, doch die Idee sollte wieder aufgegriffen werden – und die Stones auf immer und ewig verfolgen.

Einige Tage später traf ich mich mit Chesley und Jo Bergman, die das Büro der Stones leitete. Chesley arbeitete damals als persönlicher Manager für Terry Reid, den viele trotz seiner jungen Jahre für einen der besten Sänger Großbritanniens hielten. Chesley diskutierte die Möglichkeit, Terry als Support bei der US-Tour der Stones auftreten zu lassen. Mick und seine Band wurden von der Plattenfirma massiv unter Druck gesetzt, endlich den großen Teich zu überqueren.

Ich mochte Jo Bergman. Sie sah bezaubernd aus und trug lange Röcke, die bis zu den Knöcheln reichten. Sie war klein, hatte ein süßes, markantes Gesicht und wuselige Haare, die in alle Himmelsrichtungen abstanden, vergleichbar mit einem abgefahrenen Afro. Die Frau war hochintelligent und hatte eine eiserne Disziplin. Wir mussten alle lachen, als ich Jo beiläufig fragte, ob sie Micks rechte Hand sei, was durch meinen Tonfall ein wenig anzüglich klang. „Na klar“, erwiderte sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich erzählte ihr noch von meiner Freundschaft mit Alexis Korner, und der Abend nahm einen angenehmen Verlauf.

Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten

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