Читать книгу Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten - Sam Cutler - Страница 13

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7. Die Stones im Park

Am 2. Juli, drei Tage vor dem Hyde-Park-Konzert, verstarb Brian Jones unter mysteriösen Umständen. Angeblich ertrank er in seinem Swimmingpool. Die Polizei vermasselte die Untersuchung im großen Stil, und der Ermittlungsleiter urteilte, dass ein Unfall die Todesursache gewesen war. Bei so einer Definition könnte man schlussfolgern, dass alle unnatürlichen Tode auf einem Unfall beruhen!

Viele älteren Menschen mochten Brian nicht, für sie war er ein drogenabhängiger Rockstar, der seinen Tod selbst zu verantworten hatte. Sie neideten ihm den Reichtum und den Lebensstil und fanden den ihrer Ansicht nach ungezügelten Hedonismus skandalös. Briten können in ihrer ruhigen und nichtssagenden Art oft grausam und brutal sein. Ich würde sie am liebsten als die Japaner Europas bezeichnen, doch das trifft nur in einigen Punkten zu.

Einen Tag nach Brians Tod fuhr eine gewisse Person zur Cotchford Farm und ließ alle Wertgegenstände mitgehen. Seit diesem Tag ist nichts davon wieder aufgetaucht. Wertvolle Gitarren, Kleidung, Möbel – alles wie vom Erdboden verschluckt. Während des schweren Diebstahls wurden alle finanziellen Unterlagen im Garten in einem großen Feuer verbrannt. Das geschah an einem Ort, an dem weniger als 24 Stunden vorher ein Mann unter höchst verdächtigen Umständen ums Leben gekommen war! Die Polizei hatte es wohl nicht für nötig gehalten, das Gebäude und den Garten abzusperren.

Die Person, die Brians Habseligkeiten mitgehen ließ, war ein enger Freund von Frank Thorogood, dem Bauarbeiter, den viele für Brians Mörder halten, da er sich zu der Zeit dort aufhielt. Thorogood soll kurz vor seinem Tod ein Geständnis abgelegt haben, doch nur in Anwesenheit eines einzigen Zeugen. Diejenigen, die den Zeugen kennen und über seine langjährige Beziehung zu den Stones Bescheid wissen, kann dieses Geständnis nicht überzeugen. Eindeutig lässt sich Folgendes belegen: Einige Personen, die sich in der Nacht von Brians Tod auf seinem Anwesen aufhielten, wurden in der Folgezeit bedroht und zum Verlassen des Landes gedrängt. Dadurch sollten intensivere Ermittlungen der Polizei oder des Gerichtsmediziners verhindert werden. Das kam erst Jahre nach Brians Tod ans Tageslicht.

Der die Untersuchungen leitende Beamte konnte nicht in Erfahrung bringen, wer sich in der schicksalsträchtigen Nacht bei Brian aufgehalten hatte. Vor Gericht wurden keine Ergebnisse von Blutuntersuchungen vorgelegt. Die mögliche Unfalltheorie basiert auf einem Asthma-Inhalator, den man bequemerweise genau neben dem Pool fand. Der Beamte beschrieb es als „wahrscheinlich denkbar“, dass Brian an einem Asthmaanfall gestorben war, während er im Pool schwamm. Niemand, der Brian kannte, und auch nicht die bei seinem Tod auf dem Gelände Anwesenden glaubten dem Urteil nur eine Sekunde lang. Ich bin fest davon überzeugt, dass er ermordet wurde.

Jo Bergman rief mich an und bat um ein Treffen, woraufhin ich zum ersten Mal das Stones-Büro in der Maddox Street besuchte. Es lag im obersten Stockwerk eines unscheinbaren Hauses. Ich empfand die Innenausstattung vergleichbar mit einem Farmhaus in den Cotswolds und wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass es das Büro der größten Band dieses Planeten ist. Nirgendwo fand sich ein Hinweis auf die Rolling Stones – keine Bilder der Gruppe, keine Goldenen Schallplatten, einfach gar nichts. Die Möbel erinnerten mich an eine typische Mittelklassenwohnung in einem der Londoner Vororte.

Dann erschienen Mick und Les Perrin, der Pressesprecher der Band. Mick schien am Boden zerstört, rastete förmlich aus, da ihm die Tragik verdammt naheging, dass Brian so kurz nach seinem Rausschmiss gestorben war. Die Band hatte ein Meeting abgehalten und sich dazu entschlossen, die Hyde-Park-Show zu spielen, doch als eine Veranstaltung zum Gedenken ihres Kollegen.

Ich fragte ihn, wer sich um Brian gekümmert hatte. Jemand musste sich doch um so einen zerbrechlichen Menschen gesorgt haben! Mick strich Brians Aufpasser, der sich an jenem Tag nicht dort aufgehalten hatte, von der Lohnliste. Dieser Mann hatte zuvor für Keith gearbeitet, war jedoch wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten gefeuert worden.

Mick erzählte mir dann von einer Australientour, auf der sich die Band am Bondi-Strand gesonnt hatte. Brian war so weit hinausgeschwommen, dass ihn niemand mehr sah. Alle kannten ihn als kräftigen und guten Schwimmer – undenkbar, dass er in einem kleinen Swimmingpool gestorben sein sollte. Mick verstummte in einer Art Schockstarre, bis wir endlich über die Einzelheiten der anstehenden Show diskutierten. Wir mussten uns jetzt auf die Zukunft konzentrieren.

Mick wollte Bilder von Brian auf der Bühne anbringen. Les Perrin sollte sie mir zukommen lassen. Wir sprachen darüber, weiße Tauben fliegen zu lassen, was wir schnell verwarfen, weil es zu kitschig wirkte. Dann kam Mick auf die Idee, Schmetterlinge freizulassen, was er zugleich als einen ironischen Verweis auf einen Leitartikel der Times verstand, der nach der Drogenrazzia bei Keith und Mick unter dem Titel „Who breaks a butterfly on a wheel“ erschien. Ich versprach ihm, irgendwo Schmetterlinge aufzutreiben, und das war’s erst mal.

Mick gab mir mit Nachdruck zu verstehen, dass er Mineralwasser in Flaschen wollte und dass wir auf einen Backstage-Bereich verzichten würden. Er bestand darauf, dass die Band kam, auf die Bühne ging, ihre Musik spielte und nach dem Konzert sofort wieder verschwand. Falls sie jemand von der Rock-Elite sehen wollte, musste er sich zum ganz normalen Publikum gesellen.

Als Nächstes folgte eine lange Diskussion, ob auch andere Bands an dem Event teilnehmen sollten. Ich wies Mick darauf hin, dass sich das Publikum schon zu Tagesanbruch im Park versammeln würde. Wir konnten die Leute nicht so einfach da sitzen lassen, wir standen unter Druck, sie gut zu unterhalten, bis die Stones auftreten würden. Mick stimmte zu, wollte aber keine anderen Gruppen, die den Stones stilistisch zu nahe kämen.

Die Entscheidung, wer denn nun auftrat, wurde letztendlich Blackhill überlassen. Mich interessierten keine Details, doch er gab seine Zustimmung dafür, dass Alexis Korner auf jeden Fall dabei sein musste, weil er und Brian sich sehr nahe gestanden hatten. Nach 30 Minuten verabschiedete sich Mick, um sich um andere Angelegenheiten zu kümmern, und ich besprach den Rest der Vorkehrungen mit Jo Bergman.

Am 5. Juli 1969 war ich schon vor Tagesanbruch aufgestanden. Ich sah einige Tausend Menschen, die die Nacht im Park verbracht hatten. Die Fans erwartete ein warmer und sonniger Sommertag. Um ungefähr 7 Uhr hatten sich schon einige Zehntausend versammelt. Das größte Free Concert in Großbritannien begann! An dem Tag traten neben den Rolling Stones noch folgende Bands auf: Family, Battered Ornaments (ohne Pete Brown), King Crimson, Roy Harper, die Third Ear Band, Alexis Konrner New Church und meine Schützlinge Screw.

Les Perrin hatte zwei Riesenbilder von Brian aufgetrieben, doch ich empfand sie als äußerst unglückliche Wahl, da sie einen Menschen zeigten, an dem seine besten Tage schon vorübergezogen waren. Die riesigen Drucke stammten von den Foto-Sessions des Beggars Banquet-Albums. In der letzten Minute dekorierten die Helfer die Bühne mit den Aufnahmen und einer Wagenladung künstlicher Palmen und Blumen, die wir von einem Dekorateur für Film-Sets gemietet hatten.

Zehntausende Kohlweißlinge wurden von der Paddington Station in Kartons abgeholt, die ich im Schatten unter der Bühne verstaute. Ich betete, dass einige von ihnen den langen und sonnigen Tag überlebten.

Tom Keylock, der „Security-Mann“ der Stones, ein ehemaliger Fallschirmjäger, gab einigen Bikern mit handgestickten Hells-Angels-Abzeichen auf der Kutte Anweisungen, wie mit den „Schreihälsen“ umzugehen war – Mädchen, die um alles in der Welt Mick auf der Bühne an die Wäsche wollten. Die meisten Biker waren keine Hells Angels, sondern nur ganz normale Rocker. In Großbritannien gab es 1969 kein offizielles Hells-Angels-Chapter, nur einen Haufen lächerlicher „Möchtergern-Asphalt-Cowboys“, kaum alt genug, sich zu rasieren. Tom fiel die Aufgabe zu, sich um diese Typen zu kümmern. Der Anführer des Haufens muss Mitte dreißig gewesen sein und wurde Wild Child genannt. Er trug einen Wehrmachts-Stahlhelm und fiel mir wegen seiner außergewöhnlichen Dummheit auf. Keylock bat die Hells Angels „für Arme“ in einem Anflug naiven Macho-Gehabes, sich während des Auftritts zu benehmen. Wenn sie nach dem Konzert noch ein wenig Lust auf Action hätten, könnten sie ja mit ihm einen kleinen Boxkampf veranstalten. Glücklicherweise ließ sich niemand auf die dämliche Provokation ein.

Die Angels erhielten Naturalien als Entlohnung – Tee, der von einem Catering-Wagen der Filmcrew aus gereicht wurde. Wir empfanden das als angemessene Bezahlung dafür, dass sie bloß rumstanden und grimmig in die Gegend glotzten. Alles blieb friedlich und ruhig. Reiter trabten auf ihrem Morgenausritt durch den Park, und kein einziger Bobby ließ sich sehen. Die jungen Biker plusterten sich auf wie Pfaue in der frühen Morgensonne, in der Vorfreude – die alle teilten – darauf, am Abend ein Konzert mit den Rolling Stones zu erleben.

Gegen Mittag betrat die erste von vielen Bands die Bühne. Zu dem Zeitpunkt befanden sich schon 250.000 Menschen im Park. Das Equipment wurde problemlos ausgetauscht, und die Techniker behoben einige kleinere Probleme. Die meisten Rockmusiker hatten dankenswerterweise ihr Ego zu Hause gelassen. Die Bands spielten, fanden jedoch meist wenig Beachtung. Friedliches Verhalten und Freundlichkeit bestimmten den Tag. Alle warteten ungeduldig auf die Stars des Festivals, denn die Sonne brannte gnadenlos auf das Publikum herab.

Das medizinische Notfallteam bestand aus vier älteren Damen von der St. John’s Ambulance Brigade. Sie kümmerten sich um die Dehydrierten und reichten ihnen in typisch britischer Manier Tee und Plätzchen. In ihrer Nähe stand ein Bereitschaftsarzt, der allerdings nicht benötigt wurde. Frustriert ließ er sein Stethoskop verschwinden, weil er sich ziemlich albern vorkam. Der ganze Event wirkte wie eine surreale britische Gartenparty für Hippies.

Die Stones trafen am Nachmittag im Park ein. Sie wurden in einem Rettungswagen aus dem Zweiten Weltkrieg angekarrt, der sich langsam durch die Massen quälte. Noch nie hatten sie vor so vielen Zuschauern gespielt. Seit den spontanen Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sich in der Stadt nicht mehr so viele Menschen auf einem Haufen versammelt. 500.000 Fans wollten die Rolling Stones sehen.

Der bekannte DJ Jeff Dexter sollte durch das Programm führen, war aber nicht erschienen, und so übernahm ich seinen Mikrofon-Job. King Crimson traten auf. Alexis Korners Band spielte. Immer noch kein Lebenszeichen von Dexter. Ich hatte noch nie in der Öffentlichkeit gesprochen, machte mir aber trotzdem nicht allzu viele Gedanken, sondern brabbelte in hippiesker Sprache drauflos und erinnerte das Publikum daran, die Bäume nicht zu beschädigen und sich nett zueinander zu verhalten. Ich war erstaunt, dass alles so glatt lief, und hatte das Gefühl, mich umgäben eine halbe Million Freunde. Kurz vor seinem Auftritt rief mich Mick hinter die Bühne. Er trug weiße, außergewöhnlich geschnittene Kleidung, die Mr Fish entworfen hatte, ein damals angesagter Modedesigner. Meiner Meinung nach sah er ziemlich albern aus, doch natürlich sagte ich das nicht. In dem Caravan, der den Stones als Garderobe diente, verriet mir Mick, dass er zum Gedenken an Brian einen Auszug aus Percy Bysshe Shelleys Gedicht „Adonaïs“ lesen wolle. Er bat mich, die Menge zur Ruhe aufzurufen, damit der Text überall gehört werden könne. Ich versicherte ihm, dass er sich keine Sorgen machen müsse.

Schnell trieben wir ein Ersatzmikro auf, durch das Mick den Text vortrug.

Mick bat um Ruhe und las Shelleys Zeilen:

Peace, peace! He is not dead, he doth not sleep –

He hath awakened from the dream of life –

’Tis we, who lost in stormy visions, keep

With phantoms an unprofitable strife,

And in mad trance, strike with our spirit’s knife

Invulnerable nothings. – We decay

Like corpses in a charnel; fear and grief

Convulse us and consume us day by day,

And cold hopes swarm like worms within our living clay.

He hath outsoared the shadow of our night;

Envy and calumny and hate and pain,

And that unrest which men miscall delight,

Can touch him not and torture not again;

From the contagion of the world’s slow stain

He is secure, and now can never mourn

A heart grown cold, a head grown grey in vain;

Nor, when the spirit’s self has ceased to burn,

With sparkless ashes load an unlamented urn.

Das Riesenpublikum lauschte in andächtiger Stille den Zeilen eines der größten Lyriker Großbritanniens. Wir ließen die Schmetterlinge aus ihren brütend heißen Kisten frei. Die Überlebenden flatterten schwach in die heiße Luft und versuchten zu entkommen. Schon bald war die komplette Bühne mit den toten Faltern übersät. Brian, selbst ein geschwächter und niedergeschlagener Schmetterling, hätte das gefallen.

Dann sagte ich die Rolling Stones an. Es folgte ein ohrenbetäubender Applaus. Sie begannen das Konzert, wobei Mick zuerst in das falsche Mikro sang. Ich hatte ihm von den unterschiedlichen Mikrophonen erzählt (und dabei mit einem kleine Witz auf einen Rock’n’Roll-Klassiker angespielt: „One for the Shelley, two for the show“ [gemeint ist „Blue Sude Shoes“ von Carl Perkins]), aber die Situation war so spannungsgeladen, dass er es vergaß. Er grinste und hielt mich wohl für einen totalen Trottel. Egal, er vergaß es, und ich musste auf die Bühne kriechen, um Mick darauf hinzuweisen. Als er seinen Fehler bemerkte, lächelte er, entledigte sich des albernen Jacketts und konzentrierte sich auf die Musik, um einen gutes Konzert hinzulegen.

Anscheinend störte es niemanden, dass die Musiker die Instrumente nicht richtig gestimmt hatten und manchmal das Timing vergaßen. An diesem Tag liebten alle die Stones, denn sie überwanden ihre Trauer und hatten den Menschen durch das Konzert ein Geschenk gemacht. Es wurde ein energiegeladenes Statement und bewies dem Establishment, dass die Stones, ungeachtet der gnadenlosen Verfolgung durch die Polizei in den letzten Jahren, noch immer beliebt und populär waren. Es gab keine einzige Verhaftung. Und warum? Nicht ein einziger Polizeibeamter ließ sich blicken, um jemanden aus dem Verkehr zu ziehen!

Die Parkverwaltung machte sich Sorgen über den ganzen Abfall, der bei früheren Konzerten entstanden war, und so organisierte ich nach der Show ein kollektives Mülleinsammeln. Hunderte Mülltüten wurden an die Menge ausgegeben, und Tausende verbrachten einige Stunden damit, sie zu füllen und zum Sammelpunkt zurückzubringen, wo wir ihnen für die Mühe eine Stones-Platte überreichten. Es lief wie am Schnürchen. Wir hatten eine ansehnliche Müllpyramide zusammengetragen und ließen den Park sauber zurück. Bis heute erfüllt mich das noch mit Stolz, denn wir verbrachten eine tolle Zeit miteinander und haben unseren Scheiß selbst weggeräumt.

Erschöpft, aber in Hochstimmung ging ich noch in die Royal Albert Hall, um mir Chuck Berry und die Who in einem Doppelkonzert anzusehen. Mick hielt sich im Backstage-Bereich mit Marsha Hunt auf, warf mir ein fröhliches Lächeln zu und dankte mir. Er meinte, es sei einer der schönsten Tage in seinem Leben gewesen.

Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten

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