Читать книгу Herzen fühlen - Sandra Cammann - Страница 12
ОглавлениеDoch ich spürte auch, dass diese Verbindung zu Baza sehr gefährlich und nicht ehrlich war. In unserer ersten Nacht, die wir gemeinsam verbrachten, schliefen wir mehrmals miteinander. Baza schien genau zu wissen, wo er mich anfassen musste, um mich besinnungslos glücklich zu machen. Es war das erste Mal, dass ich multiple Höhepunkte erlebte. Die Entspannung danach führte mich in einen Trancezustand. Plötzlich kamen Bilder in meinen Kopf: Drei Männer standen um mich herum. Sie waren komplett verschleiert und sprachen kurdisch. Sie befahlen dem Mann in der Mitte, mich mit einem Schnitt durch die Kehle zu töten. Er schaute mir mit einem traurigen kalten Blick in die Augen, legte das Messer an meine Kehle und tötete mich. Dieser Mann in der Mitte war Baza, der nun im Bett neben mir lag und friedlich einschlief.
Mir lief es kalt den Rücken herunter. Für einen Moment hatte ich Angst vor ihm. Warum hatte ich diese Situation gesehen? Konnte diese Liebe mich wirklich in Gefahr bringen? Ich blendete diese Gedanken schnell wieder aus. Es war schön, mit Baza intim zu sein und mit ihm Zeit zu verbringen. Wir waren die nächsten Wochen unzertrennlich, flogen auf die Kanaren, gingen ins Kino, trieben Sport oder trafen uns mit lieben Freunden. Wir hatten gleiche Interessen und waren unzertrennlich. Jeden Tag verbrachten wir Zeit miteinander, umarmten uns, hielten uns an den Händen oder schliefen miteinander. Abends wurde Baza immer emotional und erzählte mir Ereignisse aus seinem Leben. Er berichtete von seinem Bruder, der ihn wie ein Vater großgezogen hatte. Doch dann wurde sein Bruder von einer anderen Familie getötet – es ging um Geld. Die Familie seines Bruders verlangte von ihm, dass er den Mord rächen solle, weil er der einzige Mann in der Familie war, der keine Frau und Kinder hatte. Traurig erzählte er mir, dass er sich eine Zukunft mit mir wünschte und nun diese Tat anzweifelte. Ich hoffte, dass unsere Liebe stärker sein würde als der Hass. Sie war es nicht. In den folgenden Wochen und Monaten veränderte sich etwas zwischen uns. Baza wollte, dass ich abends in meinen Yogastunden meinen Kopf und Körper mehr bedecken sollte. Er erzählte jedem, dass ich ihm gehörte. Als er mich fragte, ob ich ihn heiraten würde, damit er die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen würde, schrie etwas in mir auf. Ich stellte mir vor, wie wir verheiratet sein würden, Kinder bekämen und Baza mich wie sein Eigentum behandeln würde. Es machte mir Angst. Ich zögerte eine Antwort hinaus und er fragte mich zum Glück nicht mehr danach, weil er kurz darauf die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt. Sein Studium ging in die Endphase und er begann seine Examensarbeit zu schreiben. Sein Thema hatte mit seiner Religion zu tun.
Aus heiterem Himmel trennte er sich von mir, nachdem wir sechs Monate nach unserem ersten Treffen immer noch wie Frischverliebte durchs Leben liefen. Baza teilte mir mit, dass er seine Cousine heiraten würde und dass diese Verbindung von Anfang an festgestanden hätte. Er zeigte mir sein zweites Gesicht und ich sah zum ersten Mal die kalten Augen, die mir bereits in der Vision begegnet waren. Fassungslos stand ich vor ihm. Tränen liefen aus meinen Augen: „Warum? Ich liebe dich. Das kann doch nicht alles von heute auf morgen weg sein?!“ „Du bist wunderschön, wenn du weinst.“ Er schaute mir tief in die Augen und küsste mich. „Baza, hör auf damit. Du willst deine Cousine heiraten? Dann hör auf, mich zu küssen, hör auf, mit mir zu schlafen. Du kannst uns nicht beide haben.“ Ich wurde wütend und schrie ihn an: „War denn alles eine Lüge? Du hast die ganze Zeit gewusst, dass du sie heiraten würdest, und erzählst mir, dass du dir eine Zukunft mit mir wünschst?“ „Karla, du bist eine Deutsche. Sei nicht so naiv. Ich komme aus einer anderen Welt. Es war schön mit dir, aber meine Familie würde dich töten, wenn sie von dir wüsste.“
In meiner Wut verließ ich die Wohngemeinschaft. Stundenlang lief ich orientierungslos durch den Wald, bis ich zusammenbrach und mich an einen Baum lehnte. Dort weinte ich, bis keine Tränen mehr kamen. Meine Vision bewahrheitete sich – nur anders, als ich es zuvor gesehen hatte. Kurz nachdem Baza sich von mir trennte, übte er die Bluttat aus Rache für seine Familie aus. Er erschoss einen Menschen aus seinem Kulturkreis, verkleidet als Postbote vor den Augen von Erwachsenen und Kindern. Die Tat hatte Baza viele Jahre lang geplant. Auf meinen Schultern lastete ein übergroßer Rucksack. Zentnerschwer, weil ein Mensch sterben musste. Wieder war ich am Boden zerstört, bekam Schuldgefühle und fragte mich, ob ich es hätte verhindern können. Und wieder kam mir in den Sinn: „War es wirklich Liebe, die uns verband? Oder war es einfach Leidenschaft? Ist Leidenschaft nur das, was Leiden schafft? Wo ist sie nur, die Liebe? Wo finde ich diesen einen Menschen, der mich komplett macht und mit dem ich gemeinsam die Welt retten kann?“ Das Schlimmste war jedoch, dass ich Baza hörig war und zu ihm zurückgekommen wäre, wenn er es gewollt hätte. Ich dachte ernsthaft, ich würde ihn lieben, und war abhängig von diesem Gefühl, das uns beide verband. Die Vision, die ich anfangs hatte, wurde zu einer symbolischen Realität. Er tötete mich – innerlich. Mein Herz fiel in zwei Hälften und hörte auf zu schlagen. Ich wollte auf der Stelle sterben. Meine Seele verließ meinen Körper. Knapp zwei Jahre meines Lebens habe ich versucht, die Ereignisse zu verarbeiten. Ich sah keinen Sinn mehr im Leben. Die Stunden und Tage verliefen wie in einem Albtraum und ich konnte daraus nicht aufwachen. Meinen Job als Kauffrau kündigte ich. Dann schrieb ich mich an der Uni ein und studierte BWL, um mich später selbstständig zu machen. Außerdem wollte ich mich ablenken und einen kompletten Neuanfang wagen. Nun saß ich im Hörsaal, aber die Worte der Dozenten drangen oft nicht zu mir durch. Meine Gedanken waren bei Baza und dem Leid, das ich fühlte. Schließlich kam die erste Studentenparty. An diesem Abend zog ich es vor zu arbeiten, anstatt zu feiern. Die ganzen fünf Jahre, die ich studierte, habe ich mich um Partys und fröhliche Menschen gedrückt. Ich habe nur gearbeitet und funktioniert. Herzschmerz zog sich viele Jahre durch mein Leben, weil ich nicht wusste, dass Liebe einfach ins Leben kommt, wenn ich mich von dem Gedanken löse, nach ihr zu suchen.
Meine Freunde haben mich immer wieder aufgerichtet und mir die Augen geöffnet. Einer davon ist mein jetziger Ehemann. Er hat mich wahrlich gerettet und auf Händen durchs Leben getragen, als ich den Mut verlor und mich selbst aufgab. In der Zeit, als ich mit Baza eine Beziehung führte, waren Marcel, Baza, Ingo und ich eine befreundete Clique, die viel zusammen unternahm. Nach unserer Trennung war es für uns schwierig, damit umzugehen. Die Jungs hatten mich alle sehr gern. Ingo versuchte mich aufzuheitern und zu stützen. Er gestand mir, dass ich seine Traumfrau wäre. Doch ich konnte nur müde lächeln: „Ingo, du wirst deine Traumfrau treffen. Ich bin es nicht!“ Marcel ging in dieser Zeit erst einmal auf Abstand. Alle hatten Angst vor Baza, weil er immer noch erzählte, ich wäre sein Mädchen. Baza kündigte Ingo die Freundschaft, weil er spürte, dass er sich zu mir hingezogen fühlte. Mich beschimpfte er als deutsche Schlampe, weil er dachte, ich würde mir gleich den nächsten Freund suchen. Die Zeit mit Ingo lenkte mich ab und tat mir gut. Manchmal saßen wir nur stundenlang in der WG, hielten uns in den Armen, kuschelten miteinander und sprachen über das Leben. Die Auflösung der Clique war für alle eine Art Trennung, die wir verarbeiten mussten. „Du bist eine Egobraut“, Ingo lächelte, als er das sagte. „Wie meinst du das?“ „Hey, ganz ehrlich: Du nutzt mich voll aus!“ „Du hast doch einen freien Willen. Du musst dich nicht mit mir treffen.“ „Ist aber schön mit dir.“ Ingo wurde sentimental und etwas traurig, weil auch er die Richtige noch nicht gefunden hatte. Dann kam der Abend, an dem die Spezialeinheit der Polizei überraschend die WG stürmte und Baza abholte. Außer ihm war zum Glück niemand im Haus. Baza wurde ins Gefängnis gebracht und sollte für seine Bluttat büßen. Es erleichterte Marcel und mich – auch wenn es uns traurig stimmte. Ingo versuchte verzweifelt, den Kontakt zu Baza zu halten, und schrieb ihm endlos lange Briefe ins Gefängnis, die Baza nicht beantwortete. Im Rückblick bin ich Baza dankbar, dass er sich damals von mir getrennt hat. Ich hätte weder sein Mitwisser sein wollen noch seine Freundin, die ihn im Gefängnis besucht. Im folgenden Monat fuhr ich allein in den Urlaub auf eine griechische Insel. Im Gepäck hatte ich eine Schachtel mit Dingen, die Baza gehörten. Ich wanderte auf einen Berg und verbrannte alle gemeinsamen Fotos und Geschenke von ihm, um mich zu lösen. In diesem Urlaub wanderte ich viel oder fuhr mit einem Leihfahrrad bis zum Einsetzen der Dunkelheit über die Insel. Die Einsamkeit und die Natur brachten mich zu mir selbst zurück. Als ich wieder zu Hause war, spürte ich, dass ich Marcel vermisste. Ich musste ihn unbedingt wiedersehen. Unser Arbeitgeber feierte kurz darauf ein Sportevent und wir waren beide als Aushilfen eingeteilt. In der Pause aßen wir zusammen Waffeln und erzählten von schönen Reisen. Erst kürzlich war Marcel mit seinem Freund in Amerika gewesen und durch den Grand Canyon gewandert. Marcel flachste ein wenig herum und sagte: „Karla, dich würde ich auch in die USA mitnehmen. Wir mieten uns ein cooles Auto und fahren damit über den Highway.“ Sofort liefen Bilder in meinem Kopf ab. Das war eine wundervolle Vorstellung! Ich fühlte mich sehr wohl in seiner Gegenwart. Marcel strahlte diese innere Ruhe aus, die ich schmerzlich vermisste. Plötzlich hatte ich dieses „Jetzt-oder-nie-Gefühl“. Ich stopfte ihm den Rest meiner Waffel in den Mund und flachste: „Wetten, dass ich besser kochen kann als du?“ Marcel antwortete prompt: „Die Wette gilt. Ich werde dir ein Gericht zaubern, das du nie vergessen wirst.“ So saßen wir am nächsten Abend zusammen und kochten gemeinsam. Wir hatten zum ersten Mal nach langer Zeit zusammen Spaß. Es war herrlich vertraut zwischen uns. Wir verabredeten uns in den Folgetagen, ohne dass wir uns berührten. Unsere Beziehung entwickelte sich sehr langsam und vorsichtig. Eines Abends gingen wir durch den Park. Marcel legte wie selbstverständlich seine Hand in meinen Nacken und ließ mich nicht mehr los. Am selben Abend küssten wir uns zum allerersten Mal. Es dauerte Wochen, bis wir miteinander intim wurden. Irgendwann wurde aus dem sinnlichen Kuscheln ein Verführen. Wir lagen stundenlang eng umschlungen im Bett und schauten uns in die Augen. Als wäre ich zerbrechlich, berührte er mich ganz vorsichtig. Zwischen uns herrschte in dieser Nacht ein unglaublich zärtlicher Austausch. Genauso wie es im Kamasutra beschrieben war: Unsere Vereinigung war ein heiliger Akt mit dem Gefühl der Verbundenheit. Wir waren uns körperlich und geistig ganz nah und wollten einander nie wieder loslassen. Auch bei Marcel hatte ich in dieser Nacht eine Vision: Es herrschte Krieg und er war gekleidet wie ein Soldat. Wir befanden uns mitten in einem Gefecht. Er versteckte mich in einem Graben und sagte zu mir: „Hier bist du sicher.“ Dann richtete er sich auf und verteidigte mit seiner Waffe mich und unser Leben. Ich konnte bei ihm schwach sein und ließ mich im Vertrauen fallen. Marcel trug mich von diesem Zeitpunkt an wie auf einer Sänfte durchs Leben. Er tat es gern für mich und regelte alles: die gemeinsame Wohnung, die Hochzeit, das Haus, sogar die Geburten unserer Kinder – alles nur, um mich glücklich zu machen. Wie im Bilderbuch heirateten wir ein paar Jahre später, schauten uns magische Naturereignisse wie Polarlichter an, hielten uns in den Armen, träumten zusammen und bekamen unsere lieben Kinder. Ein Happy End? Zum ersten Mal spürte ich, was wahre Liebe zwischen Mann und Frau war. 17 Jahre gehen wir seitdem gemeinsam durchs Leben. Über viele Jahre hat sich unsere Liebe gefestigt und ist tiefer und inniger geworden. Langsam aber stetig wurde das Begehren mehr. Dann kaufte ich mir mein erstes Kamasutra-Buch. Die Stellungen interessierten mich dabei weniger – vieles hatten wir schon intuitiv probiert. Mich interessierte die Philosophie, die das „Einswerden“ von zwei sich liebenden Menschen zu einem unvergesslichen Akt machte. Ich wollte Marcel noch viel näher kommen, als es uns im Alltag mit den Kindern möglich war. So wie damals in unserer ersten Nacht. Von diesem Tag an wurde eine Lust und Leidenschaft in mir entfacht, die meine Sinne und Seele beflügelte.