Читать книгу Tatort Nordsee - Sandra Dünschede - Страница 16
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ОглавлениеAm nächsten Tag wollte sich August früh auf den Weg nach Norden machen. Er hatte den Getreidehänger noch abends hinter den 120er-Schlepper gehängt, Freerk hatte ihm dabei geholfen, was die Sache erheblich erleichtert hatte. Die Getreidepreise waren im Moment ganz passabel, sodass August sich entschlossen hatte, eines der Silos möglichst bald zu leeren. Besser wurde die Qualität des Korns bei längerer Lagerung schließlich nicht. Henrike hatte ihm noch allerlei Aufträge mitgegeben, die von zwei Kisten Wasser bis hin zu einigen Besorgungen im Supermarkt und schließlich zehn Brötchen beim Bäcker am Neuen Weg reichten.
»Hast du den Knall heut Nacht gehört? Hörte sich fast an wie ein Schuss …«, fragte August Henrike beiläufig, bevor er losfahren wollte.
»Ich habe geschlafen wie eine Bärin«, verneinte Henrike indirekt und fuhr fort: »Vergiss Tee und Kluntje nicht.«
»Nee, vergess ich nicht.« August entschied, dass er wohl geträumt haben musste.
Er hatte sich entschlossen, Peter Kümmel, der bei der Bezugs- und Absatzgenossenschaft arbeitete und den er sicher bei der Ablieferung und Auswiegung des Getreides dort treffen würde, nach dessen Schwager zu fragen, der seit vielen Jahren beim Amt für Küstenschutz tätig war. War das nicht der Redenius, von dem Wiard erzählt hatte? Der so sauer auf Wiard gewesen war, als dieser besoffen über den Deich gefaselt hatte? Klar, das musste ein und derselbe sein. Der wusste sicher etwas vom Deichbau, der Fast-Pleite des Konsortiums und den damit zusammenhängenden Geschichten und Gerüchten. Vielleicht hatte er deshalb auch so reagiert, da es sein Amt nicht im besten Licht erscheinen ließ. Da war die Reaktion erklärbar, nach viel Alkohol ohnehin, wenn August auch Gewalt in jeder Form ablehnte. Schließlich war das Amt in die Planung und Ausführung direkt eingebunden und hatte Aufsichtspflichten. Vielleicht hatten Peter oder dessen Schwager wenigstens einen Tipp, der Licht in die Sache brachte.
August setzte sich in die Kabine, startete den Motor, legte den ersten Straßengang ein und fuhr an. Doch sofort merkte er, dass etwas nicht stimmte. »Düfel!«, ging es ihm durch den Kopf, und er fühlte, was es war. Er stoppte sofort, stieg aus der Fahrerkabine aus und sah, was er schon vermutet hatte: Ein Reifen war platt. Einer der mächtigen Hinterreifen – wie konnte das sein?
»Bullshit!«, rief August (das hatte er von Freerk). Aber es war weit und breit niemand da, der ihn hätte hören können. Die Reifen waren doch so gut wie neu. Beim näheren Hinsehen begriff er schnell. Da war ein Loch, fast kreisrund. Angesichts des dicken Gummis war ein Schaden in dieser Form so gut wie unmöglich – da steckte eine gewaltige Kraft dahinter. Kleinkaliber, Jagdgewehr. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Wer machte denn so etwas?! Und plötzlich fror es ihn ein wenig, ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Der Steinwurf durch Wiards Fenster, der zerschossene Reifen, der Knall in der Nacht. Von wegen Traum.
Die Fahrt nach Norden hatte sich einstweilen erledigt – hoffentlich blieben die Getreidepreise so, wie sie waren, wenigstens für ein paar Tage. Doch dann gingen Augusts Gedanken wieder in eine andere Richtung. Er starrte auf den Reifen (Was das kostet!), und der grauenvolle Gedanke schoss ihm in den Kopf, auch ihn könne demnächst ein Stein am Kopf treffen, oder, schlimmer, irgendetwas träfe Henrike oder eines der Kinder … Plötzlich wurde ihm schwindelig.
Oder war alles doch Zufall? Nein, hier hatte sich jemand an seinem Reifen zu schaffen gemacht, das war sonnenklar. Was war nur plötzlich hier los? August ließ den Trecker mit vollem Getreidehänger stehen, wo er war, und ging ins Haus. Er hatte die Schuhe noch nicht ausgezogen, als das Telefon klingelte. Er nahm ab, meldete sich mit Namen. Die hohe Stimme am anderen Ende der Leitung näselte nur:
»Dein Freund Wiard und du, ihr sollt mit dem Schnüffeln aufhören. Ist doch schade um den Reifen?« Klack. Aufgelegt.
August wurde kreidebleich im Gesicht, und Schweiß brach ihm aus. Er starrte auf das Telefon. Da stand es, stumm und schweigend, und hatte ihm doch gerade einen schweren Schlag versetzt. War das der Steinewerfer gewesen? Der Reifenschießer? August raffte sich auf, taumelte ins Wohnzimmer, setzte sich aufs Sofa und wusste nicht, was er denken oder tun sollte.