Читать книгу Friesenschrei - Sandra Dünschede - Страница 7
3. Kapitel
Оглавление»Also, das ist für den Moment alles«, schloss Thamsen seinen Bericht über den Ermittlungsstand im Fall des toten Bademeisters. Seine Mitarbeiter nickten zwar, schauten ihn dennoch erwartungsvoll an. Viel war es nicht, was sie bisher über den Leichenfund sagen konnten, das wusste er selbst, aber er konnte auch keine Ergebnisse aus dem Hut zaubern. Er hatte zwar Haie zu dem Bademeister befragt, der konnte über Ralf Burger allerdings wenig sagen. »Ich höre mich aber mal im Dorf um«, hatte der Freund angeboten und versprochen, sich sofort zu melden, falls es Neuigkeiten gab.
»Dann sollten wir die Obduktion und den Bericht der Spurensicherung abwarten«, erklärte Thamsen, da die anderen ihn immer noch anstarrten. »Und wann willst du mit der Witwe sprechen? Oder ist die noch nicht wieder vernehmungsfähig?« Lorenz Meister von der Kripo Husum, den Thamsen telefonisch über den toten Bademeister informiert hatte und der daraufhin zur Besprechung nach Niebüll gekommen war, blickte ihn geradezu herausfordernd an.
Schon jetzt kotzte Dirk Thamsen die bevorstehende Zusammenarbeit mit den Beamten aus der Polizeidirektion an. Meistens gestaltete sich diese nämlich so, dass er mit seinen Mitarbeitern die ganze Arbeit erledigte, und die feinen Beamten aus Husum dafür die Lorbeeren kassierten. Früher war er regelmäßig auf die arroganten Kollegen, die sich in seinen Augen für etwas Besseres hielten, losgegangen. Jetzt als Dienststellenleiter jedoch scheute er den Konflikt, da er es war, der für die Konsequenzen seinen Kopf hinhalten musste. Also machte er gute Miene zum bösen Spiel. »Ich fahre gleich nachher mal vorbei.« Er musste ohnehin mit Grit Burger sprechen, denn wie Lorenz Meister von der Kripo wusste auch er, dass bei einem Mord der Täter oftmals im persönlichen Umfeld des Opfers zu finden war. Bei der Gelegenheit konnte er auch noch einmal bei Jonas Lützen vorbeischauen. Viel Hoffnung, der Junge würde dann mit ihm reden, hatte er zwar nicht, aber wenn der Zustand sich manifestierte, würde er gleich heute noch der Kinderpsychologin Bescheid geben. Lorenz Meister nickte und sie verabredeten, die nächste Besprechung auf den nächsten Tag zu verlegen. »Aber erst am Nachmittag. Auf 9 Uhr ist nämlich die Obduktion angesetzt und Dr. Becker hat mich hinzugebeten.«
Haie hatte sich Thamsens Aufforderung gleich zur Aufgabe gemacht und war, anstatt nach Hause, direkt von der Schule ins Dorf geradelt. Er hatte sein ganzes Leben in Risum verbracht und wusste daher sehr genau, wo man an die besten Informationen kam. Er betrat den kleinen Supermarkt an der Dorfstraße, der seltsamerweise stark frequentiert war. Normalerweise wurde es erst wieder um die Mittagszeit voller in dem Laden. Doch Haie war halt nicht der einzige, der wusste, dass man im SPAR-Markt bestens mit den Neuigkeiten aus der Umgebung versorgt wurde. Und die Nachricht über den Tod des Bademeisters hatte sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet, wie er den Wortfetzen entnehmen konnte, die ihm beim Betreten des Ladens entgegenschlugen. Helene stand mit hochrotem Kopf an der Kasse und diskutierte wild gestikulierend mit einer Kundin über den Vorfall.
»Also langsam fühlt man sich hier ja seines Lebens nicht mehr sicher«, krakeelte die Frau mit dem Einkaufskorb. »Wir sind erst vor etwas über fünf Jahren hierhergezogen und allein in dieser Zeit ist das jetzt der vierte Mord! Dabei sind wir nach Risum gezogen, weil wir uns in Hamburg nicht mehr sicher fühlten und einen friedlichen Ort gesucht haben. Aber das ist hier ja schlimmer als in der Großstadt!«
»Na, na, na«, meldete sich plötzlich ein älterer Mann mit Schirmmütze aus der Warteschlange zu Wort. »Wenn hier einer umgebracht wird, hat das auch einen Grund. Nicht wie in Hamburg, wo sie einen einfach so auf der Straße abknallen.«
»Und was für einen Grund hat der Täter deiner Meinung nach gehabt, Ralf Burger umzubringen?«, mischte Haie sich ein. Es interessierte ihn, was die Dorfbewohner zu dem Fall zu sagen hatten. Doch der Mann mit der Kappe, auf der das Logo der örtlichen Volksbank prangte, hielt sich plötzlich bedeckt und zuckte lediglich mit den Schultern. Er stecke seine Nase nicht in fremde Angelegenheiten, betonte er, und könne daher nur etwas zu den vergangenen Morden sagen. Außerdem sei doch wohl noch gar nicht klar, ob der Bademeister überhaupt umgebracht worden sei. »Oder?« Er blickte ihn neugierig an. Selbstverständlich wusste man im Dorf über die Freundschaft zwischen Haie und dem Kommissar Bescheid. Daher hatte sich das Blatt schlagartig gewendet und statt der erhofften Informationen, die Haie hatte auskundschaften wollen, war nun er es, der berichten musste.
»Na ja, nach einer natürlichen Todesursache sieht es nicht unbedingt aus«, formulierte er allerdings sehr vage den Umstand, dass die Polizei von einem Kapitalverbrechen ausging.
Sofort meldete sich Helene zu Wort, die mit exklusiven Details punkten wollte. »Na, da hat sich doch bestimmt eine seiner vielen Liebschaften an Ralf gerächt.« Haies Kopf schnellte herum. Neugierig blickte er die Kaufmannsfrau an, auf deren Gesicht sich ein triumphales Lächeln breitmachte. Wieder einmal zahlten sich ihre beharrlichen Befragungen der Kunden aus, die oftmals an ein regelrechtes Ausquetschen grenzten. Erst neulich hatte ihr eine Frau erzählt, sie hätte gehört, der Bademeister gehe wohl fremd. »Der sah ja schließlich auch knackig aus und immer braun gebrannt«, geriet Helene beinahe ins Schwärmen.
»Aber wer soll sich denn an ihm gerächt haben?« Haie zweifelte an dem Wahrheitsgehalt der Behauptung.
Doch das Grinsen der Kaufmannsfrau verstärkte sich nur. Sie hatte einfach die besseren Argumente – jedenfalls schien sie davon fest überzeugt, denn sie fegte Haies Zweifel mit einer abfälligen Handbewegung vom Kassentresen. »Na, wenn sich von den Damen keine gerächt hat, dann wird es wohl ein gehörnter Ehemann gewesen sein.«
Leonie Oldsen seufzte leicht, während sie Jonas erneut über das Haar strich. Sie saß mit dem Jungen bereits eine ganze Weile auf der Bank vor der Schule und wartete mit ihm zusammen, dass seine Mutter ihn abholte. Die anderen Kinder hatte der Direktor bereits wieder heimgeschickt, denn an Unterricht wäre heute ohnehin nicht zu denken gewesen. Zu aufgewühlt waren alle von den aktuellen Ereignissen. Zwei Schülerinnen hatten sich vollends in den Vorfall hineingesteigert und sich übergeben müssen. Der tote Bademeister war ein traumatisches Ereignis für die Kinder. Sie hatten Angst, verstanden nicht, wieso der Mann getötet wurde und von wem. Das fragte Leonie sich auch. Wer tat so etwas? Einen anderen Menschen umbringen? Warum? Noch war zwar nicht offiziell bestätigt, dass es sich um einen Mord handelte, aber wie beinahe alle anderen Dorfbewohner ging Leonie davon aus. Sie hatte den Mann nicht sonderlich gut gekannt, eigentlich nur vom Sehen. Erst zu Beginn des Schulhalbjahres war sie nach Risum gezogen und hatte an der Grundschule ihr Referendariat begonnen. Kontakte hatte sie bisher praktisch keine geknüpft, selbst mit den Kollegen war sie nicht sonderlich warm geworden. Daher fuhr sie, so oft es ihr möglich war, nach Kiel, wo sie aufgrund ihres Studiums viele Freunde hatte und sich wesentlich wohler fühlte. Die Enge des Dorfes nahm ihr die Luft zum Atmen – in diesen Augenblicken ganz besonders.
»Wo deine Mutter nur bleibt?« Sie strich Jonas noch einmal über den Kopf, ehe sie aufstand und zur Straße ging. Wie konnte man in dieser Situation seinen Sohn derart lange warten lassen? Ihr war sowieso aufgefallen, dass der Junge in der letzten Zeit leicht verwahrlost wirkte, und auch seine Konzentration im Unterricht ließ zu wünschen übrig. Ob es Probleme in der Familie gab? Das war heutzutage beinahe gang und gäbe und erklärte oft ein auffälliges Verhalten der Schüler. Endlich sah sie einen silbernen Golf auf der Herrenkoogstraße näher kommen, und als das Fahrzeug auf Höhe des Kindergartens war, erkannte Leonie Frau Lützen.
»Tut mir leid, aber mein Freund hatte den Wagen«, entschuldigte sich die Mutter, als sie ausstieg und die Referendarin begrüßte.
Leonie wunderte sich, warum dann besagter Freund Jonas nicht abgeholt hatte, wurde aber in ihren Gedanken gestört.
»Wo ist er?«
Sie wies hinüber zur Bank am Eingang, auf der Jonas wie ein Häufchen Elend saß. »Der Arzt hat ihm etwas zur Beruhigung gespritzt. Wenn es ihm heute Abend nicht besser geht, sollen Sie morgen zum Kinderarzt gehen.«
Frau Lützen nickte und eilte zu ihrem Sohn. Leonie beobachtete aus einiger Entfernung, wie die Mutter auf den Jungen zuging, ihn ansprach und versuchte, ihren Arm um ihn zu legen. Jonas konnte momentan diese Nähe wohl nicht ertragen, denn er rückte fluchtartig zur Seite. Frau Lützen warf Leonie einen Hilfe suchenden Blick zu.
Diese ging zu den beiden und kniete sich vor Jonas. »Du kannst jetzt nach Hause gehen.« Sie berührte seinen Arm, woraufhin er seinen Kopf hob. Leonie sah gleichzeitig so viel in seinem Blick und doch nichts Konkretes. Dann stand der Junge auf und trottete zum Auto.