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5. Kapitel

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Als Thamsen die Haustür aufschloss, hörte er Babygeschrei und stöhnte unweigerlich. Er hatte Feierabend gemacht, da aus der Witwe nichts mehr herauszubekommen war. Die Mutter hatte sich geweigert, ihrer Tochter zur Seite zu stehen. »Ich habe selbst genug um die Ohren. Sie muss gucken, wie sie klarkommt«, hatte Else Mommsen nur gesagt und aufgelegt. Dirk hatte zwar noch Jonas Lützen befragen wollen, aber der schlief laut Auskunft seiner Mutter, von daher blieb ihm zunächst nichts anderes übrig, als abzuwarten.

Dörte kam ihm mit der schreienden Lotta entgegen. Sie sah müde und geschafft aus. Er nahm ihr Lotta ab, die trotz seiner Beruhigungsversuche weiter schrie. Wann wohl endlich alle Zähne da sein würden? Dieses ewige Gebrüll zerrte ziemlich an seinen Nerven. Er liebte die Kleine – ohne Zweifel –, aber wenn man ihn fragen würde, ob er sich noch einmal für das Kind entscheiden würde, er wüsste nicht, was er antworten würde. Das Kind hatte einfach noch einmal alles verändert. Dörte und er existierten als Paar praktisch gar nicht mehr und seine beiden anderen Kinder bekam er auch immer seltener zu Gesicht, was sicherlich nicht zuletzt an dem Schreihals auf seinem Arm lag. Timo hatte sich vor vierzehn Tagen sogar für drei Monate in einen Schüleraustausch nach Frankreich geflüchtet. Jedenfalls hatte es wie eine Flucht gewirkt, denn eigentlich hatte Timo in die USA gewollt. Aber um der häuslichen Situation zu entkommen, hatte er ohne zu zögern dem Aufenthalt in Toulouse zugestimmt – obwohl er Frankreich nach eigener Aussage nicht wirklich cool fand. Seitdem hatten sie so gut wie nichts von ihm gehört. Thamsen setzte Lotta auf den Fußboden und legte ihr ein Spielzeug hin. »Anne?«

Seine ältere Tochter reagierte nicht. Sie saß mit Kopfhörern auf dem Sofa und sah fern. Er trat neben sie und zog einen der Knöpfe aus ihrer Ohrmuschel. »Ey!«, motzte sie ihn an.

»Kannst du dich bitte mal eben um Lotta kümmern?«

Im Gegensatz zu ihm hatte Anne einen guten Draht zu ihrer Schwester und schaffte es meist, die Kleine zu beruhigen. Sie schaute entnervt, nickte dann aber.

In der Küche räumte Dörte gerade erst den Frühstückstisch ab. Sie selbst wirkte, als sei sie kurz zuvor aufgestanden. So kann es nicht weitergehen, beschloss er. »Was hältst du davon, wenn Anne auf Lotta aufpasst und wir heute mal nett essen gehen?«

»Auf gar keinen Fall«, fuhr Dörte auf.

Thamsen fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Eigentlich hatte er gedacht, sie freue sich über seinen Vorschlag, wäre froh, mal rauszukommen. »Aber das tut uns beiden bestimmt gut«, versuchte er sie umzustimmen.

Doch Dörte schüttelte entschlossen den Kopf.

»Du kannst es dir ja überlegen. Ich gehe jetzt erst mal laufen!« Er verließ die Küche, schlüpfte in Sportdress und Turnschuhe und warf die Haustür hinter sich zu. Er musste hier raus, sonst platzte er. Viel zu schnell lief er los und musste nach wenigen Hundert Metern mit Seitenstichen anhalten. Außerdem war er bereits klitschnass geschwitzt, denn auch am späten Nachmittag waren die Temperaturen noch sehr hoch. Er blickte sich keuchend um. Wie sollte es zu Hause nur weitergehen? Er verstand Dörte einfach nicht. Alles, was er tat oder sagte, war immer irgendwie falsch. Dabei wollte er doch nur, dass sie glücklich waren. Er fühlte sich jedenfalls momentan nicht sonderlich wohl daheim, und so wie Dörte aussah, bezweifelte er auch, dass sie es tat. Und zu alldem kam nun auch noch dieser Mord. Aus Erfahrung wusste er, dass ihm solch ein Fall ohnehin viel abverlangte und ihm wenig Zeit für andere Dinge ließ. Er seufzte und setzte sich langsam wieder in Bewegung. Schon jetzt hatte er das Gefühl, der Fall würde kompliziert werden. Das Telefonat mit der Schwiegermutter wies auf schwierige familiäre Verhältnisse hin. Allein, dass sie in dieser Situation nicht für die Tochter da war, sondern Grit Burger vielmehr die Schuld am Tod ihres Mannes gab, sagte einiges aus. Ob die Witwe tatsächlich etwas damit zu tun hatte, ließ sich zwar noch nicht sagen, aber die von der Mutter angesprochene Eifersucht gab ein vorzügliches Motiv ab. Denn selbst, wenn Grit Burger ihren Mann nicht, wie Else Mommsen behauptete, in den Selbstmord getrieben hatte, war es immer noch möglich, dass sie ihn selbst umgebracht hatte. Oder ein betrogener Ehemann, falls Grit Burgers Eifersucht begründet gewesen war.

»Ja, und stell dir vor, der lag wohl tot im Becken«, berichtete Haie Tom, als dieser sich am Abend von seiner Geschäftsreise meldete.

»Was?« Tom konnte beinahe nicht fassen, was der Freund ihm erzählte. Kaum war er ein paar Tage weg, passierten unglaubliche Dinge im Dorf. »Und, war es Mord?«

»Habe mit Dirk noch nicht wieder sprechen können, aber ich glaube schon. Helene hat erzählt, der Ralf soll wohl fremdgegangen sein.«

»Und jetzt glaubst du, da hat sich jemand gerächt?«, schlussfolgerte Tom.

»Na ja, so ganz unwahrscheinlich ist das nicht, oder?«

»Dann musst du das Dirk mitteilen.« Er wunderte sich, warum Haie den Kommissar noch nicht über diesen Umstand unterrichtet hatte. Wie die Polizei wusste auch Tom, dass der ehemalige Hausmeister durch seine unzähligen Kontakte im Dorf und seine entsprechenden Kenntnisse über die Bewohner eine enorme Ermittlungshilfe war. Diese Informationen über die Seitensprünge konnten für die Aufklärung des Falls enorm wichtig sein.

»Ja, ich versuche es gleich Morgen. Obwohl in Lindholm beim Schlachter davon niemand etwas zu wissen schien«, erklärte Haie nun sein zögerliches Verhalten.

»Ja, aber das sind halt Lindholmer«, sprach Tom die Tatsache an, dass man sich in Lindholm eher weniger für die Risumer interessierte. Obwohl das Dorf offiziell eine Gemeinde war, sahen die Bewohner der jeweiligen Ortsteile das meist anders. Man war stolz auf seine ursprüngliche Herkunft. Ein Risumer blieb daher ein Risumer und die Lindholmer empfanden genauso.

»Ja, aber über den Leichenfund haben die trotzdem ordentlich diskutiert.«

»Das ist ja auch etwas anderes.« Haie wiegte den Kopf hin und her und blickte dann hinunter auf Niklas, der die ganze Zeit neben ihm ausgeharrt hatte. Nun streckte der Kleine die Hände in die Höhe. Haie reichte ihm den Hörer.

»Papa, Papa, wir haben heute im Kindergarten geplanscht.«

Tom musste lächeln, als er das aufgeregte Geplapper seines Sohnes hörte. »Toll! Wenn der Papa wiederkommt, gehen wir auch mal Planschen«, versprach er und hoffte, das Freibad würde bis dahin wieder geöffnet haben.

Friesenschrei

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