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ОглавлениеDante Savelli stand am Fenster seiner Wohnung mit Blick auf die Piazza Mastri. Nur er hatte etwas Abstand zwischen sich und die Familie bringen können, war immerhin zweihundert Meter weggezogen von dem Ort, wo er aufgewachsen war. Die Häuser seiner Geschwister duckten sich für immer im Schatten der fabbrica. Dafür hatte er nur eine Zweizimmerwohnung, im ersten Geschoss gegenüber der Bottega Bar l’Incontro. Aber das reichte für ihn. Wozu brauchte er ein ganzes Haus, das nach Tradition und Moder roch? Dante schob den Laden ganz auf. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Meride standen in Gruppen zusammen, um die Ereignisse des Tages zu besprechen.
»Ignoranten«, murmelte Dante.
Links bei der Mauerbrüstung erkannte er den Commissario, das Telefon am Ohr, dem Platz den Rücken zugewandt, den Blick auf die Gärten und Rebhänge gerichtet, die sich unterhalb des Dorfes ausbreiteten. Vor der Kirche standen diese Deutschschweizerin, die den alten Stall von Albisetti gekauft hatte, und Valeria, die Schwätzerin. Sie schienen sich von einer dritten Frau mit Hund zu verabschieden, die er noch nie gesehen hatte. Dante kniff die Augen zusammen. Es war ein Labrador. Einer, wie er ihn sich als Kind gewünscht hatte. Ein schönes Tier mit weichem Fell, an das er sich hätte kuscheln können, in dem er sein Gesicht hätte wärmen können.
»Besser als mamma!«, hatte er geschrien, bevor ihn der Hieb seines Vaters traf.
Dante ging zum Tisch zurück, betrachtete wieder die Fotografie der jungen Frau. Er hatte das Papier vorhin reflexartig eingesteckt und aus dem Zimmer des Vaters getragen, vorbei am dösenden Beamten. So also hatte seine Mutter ausgesehen, bevor sie zu der Frau geworden war, die er als Junge kannte. Mamma. Es waren bloß fünf Buchstaben, die er aber kaum über die Lippen brachte. Diese Frau ohne Fleisch und Blut und mit Augen, die immer an ihm vorbeisahen. Felsenhart der Schoß, den er vergeblich zu erklettern versucht hatte. Eiskalt ihre Hände, die ihn von sich stießen, als er noch klein war und schwach.
»Und jetzt«, sagte Dante, »tauchst du hier auf, nach all den Jahren. Was soll das denn, mamma?«
Er griff nach der Fotografie und zerriss sie in viele kleine Stücke. Dann warf er sie in die Toilette und spülte.