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Kapitel 1

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Ich stehe vor unserem Haus, zähle Autos und warte auf Mama. Heute werden wir zusammen abendessen. Das hat sie mir versprochen. Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase. Unsere Straße heißt Pfeifferstraße und ist eigentlich ganz schön, finde ich. In den Lindenbäumen summt und brummt es im Sommer, und manchmal finde ich darunter tote Hummeln. Die sammle ich dann auf und begrabe sie in dem kleinen Garten hinter unserem Haus. Herr Schilling aus der Wohnung über uns steht oft auf dem Balkon und schimpft darüber, dass unser Garten so heruntergekommen ist. Die Hortensien müssten geschnitten und das Gras gemäht werden, findet er. Und Frau Schilling sagt dann: »Na, wenn’s nur der Garten wär. Aber das Kind! Wenn sie mal nur das Kind nicht so viel allein lassen würde!«

Ich glaube, sie reden absichtlich so laut, damit wir es hören. Dabei geht die das doch gar nichts an. Mama arbeitet im Krankenhaus. Sie ist Kinderärztin. Na ja, noch keine fertige. Sie sagt immer, wenn sie mal fertige Ärztin ist, dann wird alles besser mit den Arbeitszeiten. Und wie schön es wäre, wenn es jemanden aus der Familie gäbe, der ab und zu nach mir schauen könnte. Aber das ist nicht der Fall. Also kümmere ich mich selbst um mich. Und sie kümmert sich um die Patienten.

Da!

Mamas rotes Auto saust die Straße herauf und parkt genau vor mir an der Bordsteinkante. Mama steigt aus, ihr Pferdeschwanz flattert, sie lacht.

»Mona! Schatz!«

Ihre Arme auf meinem Rücken. Ihr Geruch.

»Mama!«

»Puh, was für ein Tag. Tut mir leid, dass es wieder so spät geworden ist. Kurz vor Feierabend kommen immer die Notfälle. Aber jetzt machen wir es uns gemütlich. Schau mal, ich hab Sushi mitgebracht. Vegetarisches für dich.«

Und dann sitzen wir auf der Eckbank in unserer Küche und Mama erzählt mir von ihren Patienten.

»Und du?«, fragt sie. »Wie war dein Tag?«

»Och. Ganz normal.«

Mama nimmt meine Hände.

»Herr Holtigbaum hat mich angerufen«, sagt sie.

»Wieso das denn?« Ich ziehe die Hände zurück.

»Er sagt, er mache sich Sorgen um dich. Die anderen Lehrer haben ihn auch schon darauf angesprochen. Sie sagen …«

Mama nimmt ihren Schal ab. Zwei Falten bilden sich zwischen ihren Augenbrauen.

»Was denn?«

Ich hasse es, über die Schule zu reden. Warum können wir es nicht einfach mal nur schön miteinander haben?

»Sie sagen, dass du nie redest in der Schule.«

»Ach so, das.«

»Und du verabredest dich auch nie mit irgendjemandem. Dabei bist du doch jetzt schon seit über einem Jahr in der Klasse. Mona-Maus. Hey, du weinst ja! Komm mal her. Stimmt irgendetwas nicht?«

Ihre Hände sind rau und kühl. Ärztinnenhände. Wie gerne würde ich ihr alles erzählen. Aber ich weiß nicht, wie.

Als ich im Bett liege, kuschelt Mama mich ganz fest ein und sagt: »Morgen wird es leider wieder spät. Ich hab den ganzen Tag Dienst. Willst du es nicht doch nochmal probieren mit dem Hort?«

Im Hort war ich nur ein einziges Mal, und das war schrecklich.

Frau Rieselfeld, die Betreuerin, versuchte die ganze Zeit mit lauter Stimme, etwas zu erklären. Irgendwas mit Projekttag. Die Mädchen sollten sich schminken und gegenseitig die Nägel lackieren. Immer zu zweit. Ich war übrig. »Rieke und Katha, na los, ihr nehmt Mona noch mit dazu«, rief Frau Rieselfeld. Ich musste meine Hände auf eine Plastikunterlage legen und sollte eine der grässlichen Lackfarben aussuchen. Aber dazu kam es nicht, Rieke fing plötzlich an zu kreischen. Erst dachte ich, sie wäre von einer Wespe gestochen worden oder so. Aber sie kreischte wegen mir.

»Ihhh! Schaut euch mal der ihre Fingernägel an! Die rühr ich nicht an, Frau Rieselfeld. Die nicht!«

Meine Fingernägel waren lang und hatten schwarze Ränder. Das ist nur, weil mir der Nagelknipser ins Klo gefallen ist, wollte ich sagen, bekam aber keinen Ton heraus.

Rieke rannte zu ihren Freundinnen, und Frau Rieselfeld beugte sich zu mir herunter und fragte mit heiserer Stimme: »Was ist denn bei euch zu Hause los, sag mal? Ist da niemand, der sich um dich kümmert?«

Da stand ich auf, rannte auf die Toilette und blieb dort sehr, sehr lange.

Heftig schüttle ich den Kopf.

»Zum Hort geh ich nicht mehr, egal was.«

Mama seufzt.

»Na ja. Du bist ja mein großes Mädchen. Dann machst du dir einfach die Nudeln warm, ja? Und dann geh doch mal bei dem Sportverein an der Ecke vorbei und frag, was die für Kurse anbieten. Tennis zum Beispiel, hm?«

Ich schließe die Augen. Wir schweigen eine Weile. Dann seufzt Mama nochmal, küsst mich und geht leise aus dem Zimmer.

In meinem Hals hängt schon wieder ein Kloß. Ich versuche ihn runterzuschlucken. Manchmal bin ich so allein, dass es in mir drin weh tut. Am schlimmsten war es letztes Weihnachten.

Mama hatte ewig lange Dienst, bis neun Uhr! Aber dann wollten wir es uns schön machen. Ich sollte schon mal den Kartoffelbrei und die Würstchen aufwärmen. Ich deckte den Tisch mit Sonntagstellern, Weihnachtsservietten und selbstausgeschnittenen Papiersternen. Und dann wartete ich. Der Kartoffelbrei begann, angebrannt zu riechen und bekam eine Schrumpelhaut. Die Würste platzten auf. Aber Mama kam nicht.

Ich wurde immer trauriger. Irgendwann war mein Herz so voll mit Traurigkeit, dass nichts mehr reinpasste. Und da war es, als würde sich die Traurigkeit plötzlich verwandeln in Trotz. Oder Mut.

Ich zog mich an und lief hinaus ins Schwarze der Nacht. In den Fenstern konnte ich Leute lachend am Tisch sitzend sehen, und ich sah Weihnachtsbäume. Überall glitzernde Weihnachtsbäume. Nur unsere Fenster, die waren dunkel. Als ich zurückkam, war Mamas Parkplatz noch immer leer. Da ließ ich mich auf die Bank fallen, die vor unserem Haus steht. Mit einem Mal begannen die Kirchenglocken wie wild zu läuten. Und dann sah ich in der Ferne zum ersten Mal die Rote Burg.

Plötzlich spürte ich etwas Warmes an meinem Arm. Es war mein Pferd, es heißt Sturm. Ich sprang auf seinen Rücken, und wir galoppierten zur Burg. Die Zugbrücke hatte man schon herabgelassen für uns. Alles war bereit.

Die Blaue Ritterin

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