Читать книгу Die Blaue Ritterin - Sarah Knausenberger - Страница 16

Kapitel 4

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»Hast du dein Gepäck wiedergefunden?«, fragt die Strahlenfrau.

»Du meinst, meinen Ranzen?« Ich muss lachen. Die Strahlenfrau drückt sich so altmodisch aus manchmal.

»Nein. Und ich … ach, ich wünschte, ich müsste nie wieder zur Schule.«

Da erhebt sich die Strahlenfrau vom Sofa und ergreift einen der Kerzenleuchter.

»Komm«, sagt sie. »Jetzt zeig ich es dir.«

»Was?«, frage ich, aber sie lächelt nur und nimmt meine Hand. Wir gehen auf die Tür zu, die ins Innere der Burg führt. Mi und Mo halten sie für uns auf. Hier war ich noch nie. Der Flur ist dämmrig, nur der Kerzenschein leuchtet uns den Weg. Jetzt steigen wir die knarzenden Stufen hinauf. Ich lasse meine Hand an der Steinwand entlanggleiten. Wie kühl sie ist. Noch durch ein paar Türen und durch ein paar Flure, dann stehen wir vor einer Wendeltreppe mit einem allerliebst verschnörkelten Geländer. Und in dem Licht, das von oben herunterfällt, kann ich erkennen, dass es blau ist!

»Wie schön«, sage ich und streiche mit der Hand darüber.

Von oben kommen uns klopfende und sägende Geräusche entgegen, da müssen Handwerker am Schaffen sein. Die Strahlenfrau ist stehen geblieben, sieht mich an. Mi und Mo hüpfen aufgeregt auf und ab.

»Das blaue Türmchen«, sagt die Strahlenfrau feierlich, »soll dir gehören, wenn es fertig ist. Dann kannst du immer bei uns bleiben.« Ein eigenes Türmchen? Vor Staunen bleibt mir der Mund offenstehen.

»Komm!«

Hintereinander steigen wir nun die enge Treppe hinauf, mein Herz pocht wie wild. Und dann wird es plötzlich ganz hell und wir stehen in einem wunderschönen, kreisrunden Raum mit gewölbten Decken, wie eine kleine Kirche. An der Wand wurde ein Mosaik begonnen – ganz in blau. Man kann schon ein paar Blumen erkennen. Auf dem Boden stehen mehrere Körbe mit unterschiedlich blauen Steinen.

Die Handwerker haben ihre Werkzeuge abgelegt, um uns zu begrüßen.

»Wie kommt ihr voran?«, fragt die Strahlenfrau.

»Gut, gut. Das Bett bekommen wir heute noch fertig.« Der Mann zwinkert mir zu, macht eine Verbeugung und tritt zur Seite, damit wir betrachten können, woran er gerade gearbeitet hat. Es ist ein Himmelbett mit geschwungenen Seiten, fast sieht es aus wie ein Schiff.

»Ohh«, kann ich nur sagen.

»Morgen wird die Schneiderin die Tücher bringen«, sagt die Strahlenfrau. »Hättest du lieber ein helles oder ein dunkles Blau?«

»Hm, ich glaube dunkelblau«, sage ich.

»Blaue Ritterin!«, rufen Mi und Mo. Sie stehen in der kleinen Tür, die hinaus auf einen Balkon führt. Ich folge ihnen in den Sonnenschein. Der Balkon führt im Halbkreis um mein Türmchen herum. Man kann hinüber zum Wald blicken, er ist ganz nah. Die Blätter der Bäume rauschen wie ein Wasserfall. Unten zwischen den Stämmen staksen zwei Rehe herum.

»Gefällt es dir?« Die Strahlenfrau ist auch herausgekommen.

»Und wie«, sage ich. »Es ist der schönste Ort der Welt.«

Die Strahlenfrau lacht ein glockenhelles Lachen. Aber dann tut sie etwas Seltsames. Sie dreht sich um, lehnt die Stirn an die roten Ziegel, breitet ihre weißen Arme aus, als wolle sie den Turm umarmen, und sagt:

»Unsere Rote Burg. Aus Schweigestunden erbaut.« Dann dreht sie sich zu mir. »Und nur du, Blaue Ritterin, kannst sie erhalten.« Genau da spüre ich es. Eine leichte Erschütterung geht durchs Gemäuer, als ob die Burg erbebt. Oder ist es ein Donner? Ich greife nach dem Geländer, aber da ist es schon wieder vorbei.

Ob die anderen es auch gespürt haben? Der Blick der Strahlenfrau schweift in die Ferne. Aber dann richtet sie sich auf.

»Komm, meine Liebe«, sagt sie. »Das Abendessen ist bereit.«

Bevor wir die kleine Wendeltreppe hinabsteigen, drehe ich mich nochmal um. Bald werde ich also mein eigenes, kleines Gemach in der Roten Burg haben. Dann werde ich Burgbewohnerin sein. Und dann werde ich nie wieder … auf einmal fröstelt mich. Schnell renne ich den andern hinterher.

Nach dem Abendessen machen wir noch einen kleinen Ritt, die Strahlenfrau und ich. Eichenast hat die Pferde gesattelt, sie stehen am hinteren Burgtor bereit. Sturm wiehert leise, als ich mich ihm nähere. Ich klopfe ihm den Nacken und schwinge mich in den Sattel. Ich finde, es gibt fast nichts Schöneres, als auf einem Pferderücken zu sitzen. Obwohl ich auf der anderen Seite nie reiten gelernt habe, kann ich es sehr gut. Die Strahlenfrau sitzt auf ihrem schwarzen Hengst Silberpfeil und überquert schon die große Wiese. Ihre beiden Hunde rennen um sie herum und bellen aufgeregt.

»Tschüss, Eichenast«, rufe ich und treibe Sturm an, um sie einzuholen. »Können wir mal in den Wald reiten?«, frage ich die Strahlenfrau, als ich neben ihr angekommen bin. »Da waren wir noch nie.«

»In den Wald des Schweigens möchtest du? Nun gut«, sagt sie und lenkt Silberpfeil hinüber zum Wald. Die Hunde freuen sich, sie springen um die Bäume herum und schnüffeln im Laub. Aber auf den kleinsten Pfiff der Strahlenfrau hin kommen sie zurück und traben artig rechts und links neben ihr her.

Es ist kühl und schattig hier, unter den riesigen, alten Bäumen. Aber etwas ist seltsam. Erst nach einer Weile fällt es mir auf. Es ist so still. Man hört keine Vögel. Auch die Strahlenfrau ist schweigsam. Vielleicht mag sie diesen Weg nicht? Hätten wir doch am Waldrand entlang reiten sollen, wie sonst auch? Ich will ihr das sagen, will vorschlagen, dass wir wieder umdrehen können, aber meine Zunge fühlt sich seltsam träge an. Da ziehe ich einfach die Zügel. Sturm bleibt gehorsam stehen.

Die Strahlenfrau aber scheint es nicht zu merken, sie reitet einfach weiter, fängt jetzt sogar an zu traben und hat auf einmal einen großen Vorsprung.

»Strahlenfrau!«, rufe ich. »Warte!«

Aber es fühlt sich an, als hätte ich Wasser im Mund. Meine Worte sind ein einziges Lallen, sie kommen als Echo von allen Seiten wieder zurück und wandeln sich in eine Art Grollen. Dieser Wald ist mir nicht geheuer. Ich darf mich hier auf keinen Fall verlaufen! Nun gebe ich Sturm die Sporen, ohne auf den Weg zu achten, rasen wir durch den Wald. Zweige schlagen mir ins Gesicht, aber das ist egal, wir müssen zur Strahlenfrau. Endlich haben wir sie eingeholt. Sturm schnaubt, als ich ihn bremse. Die Strahlenfrau ist stehen geblieben, denn eine Art Steinbruch hat sich vor uns aufgetan. Und mit einem seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht – fast so, als könne sie den Anblick kaum ertragen, aber auch ein bisschen so, als träume sie mit offenen Augen – starrt sie in den Abgrund. Auch ich schaue hinein. Mich schaudert ein bisschen, weil er so tief ist – aber er ist wunderschön! Die Wände erglänzen in den herrlichsten Farben. Rote und gelbe Steinbrocken liegen herum, dazwischen ganze Bäume. Sie müssen abgerutscht sein. Noch immer hört man das Donnergrollen, und jetzt, da wir stillstehen, spüre ich, dass der Boden ein wenig bebt. Die Hunde klemmen die Schwänze ein und drängen sich an Silberpfeil. Da scheut der Hengst, steigt mit den Vorderbeinen auf – und endlich ist es, als erwachte die Strahlenfrau. Sie schaut sich um und lächelt, als sie mich sieht. Mit der Hand bedeutet sie mir, ihr zu folgen, und wir wenden die Pferde. Der Rückweg scheint schneller zu gehen, und bald haben wir die düsteren Tannen hinter uns gelassen und reiten am Waldrand unter den großen, alten Buchen entlang. Die Hunde rasen übermütig voraus.

»Nun hast du ihn kennengelernt, den Wald des Schweigens«, sagt die Strahlenfrau.

»Ja«, sage ich. »Ein unheimlicher Ort.«

»Das ist er«, sagt die Strahlenfrau. »Aber er schützt unsere Rote Burg nach Norden hin.«

»Wurde die Burg denn jemals angegriffen?«, frage ich.

»Nun ja, nicht von Reitern mit Speeren und Kanonen, falls du das meinst«, sagt sie. »Aber es ist das Donnern der Worte, was uns schadet.«

Mir fällt ein, wie meine Worte sich im Wald in ein Grollen verwandelt hatten. Hier hören sie sich zum Glück wieder ganz normal an.

»Ist der Steinbruch auch durch das … Donnern entstanden?«, frage ich.

»So ist es«, sagt die Strahlenfrau. »Der Hang des gebrochenen Schweigens liegt schon fast an der Grenze.«

Nun haben wir den Wald hinter uns gelassen, vor uns breitet sich die sandige Heidelandschaft aus. Überall hoppeln Kaninchen herum.

»Es ist spät, Blaue Ritterin«, sagt die Strahlenfrau. »Bald musst du wieder hinüber.«

»Lass uns auf der schönen Sandstraße zurückreiten«, bitte ich.

Und als wir sie erreicht haben, pfeift die Strahlenfrau die Hunde herbei, wir geben den Pferden die Sporen und galoppieren los, der roten Abendsonne entgegen.

Die Blaue Ritterin

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