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Kapitel 2

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Missmutig schäle ich mich aus dem Bett und tappe in die Küche. Mama ist schon weg. In der Küche hängt noch ein Hauch von ihrem Parfum. Und sie hat mir eine Packung Toffifee neben die Müslischüssel gelegt. Während ich mein Müsli löffele, beobachte ich den Minutenzeiger unserer Wanduhr, wie er weiter und weiter kriecht. Viertel nach sieben. Ich seufze, schnappe die dummen Toffifee und stopfe sie in die Süßigkeiten-Kiste unter meinem Bett. Sie ist schon ziemlich voll. Dann gehe ich ins Bad. Als ich auf dem Schulhof eintreffe, bin ich wieder fast die Letzte. Ist auch gut so. Bleibt keine Zeit zum Reden. Ich beneide meine Klassenkameraden, wie sie miteinander sprechen, spielen, sogar streiten. Weil ich das nicht kann. Auch wenn es Leute gibt, die ich mag – ich wüsste einfach nicht, was ich zu ihnen sagen sollte. Ich habe es einmal versucht. Es ging um Fallschirmspringen, Emily erzählte, wie sie das mit ihrem Papa in den Ferien gemacht hatte. Was für eine schreckliche Angst sie vor dem Absprung hatte, aber wie toll es dann war.

»Ich kann es nicht beschreiben. Ich hab mich gefühlt wie … wie …«

»Wie ein Vogel?«, fragte ich begeistert.

Alle Köpfe drehten sich zu mir.

»Was?«

»Vielleicht warst du – äh, also ich meine, vielleicht hat es sich angefühlt wie ein … als wärest du ein Vogel?«

»Quatsch. Vögel fallen doch nicht.«

Gekicher.

Seitdem schweige ich lieber.

Schweigen ist eine ritterliche Tugend, nur weiß das niemand. Ich aber kenne das Geheimnis. Schweigen ist eine Kraft, die sie brauchen auf der Roten Burg – und die mich über den Graben trägt. Es klappt nicht immer. Wenn Mama zu Hause ist zum Beispiel. Dann rede ich natürlich. Aber heute hat sie wieder lange Dienst. Heute will ich mir den Weg zur Burg auf keinen Fall verbauen.

In Geschichte, da geht es fast schief. Als Herr Holtigbaum irgendwas von Handwerkern und Zünften im Mittelalter erzählt, da guckt Ole – er sitzt schräg vor mir – wieder so in der Gegend herum. Und da fällt sein Blick auch auf mich. Schnell meinen Helm! Zu spät.

Unsre Blicke haben sich getroffen. Was denkt er wohl jetzt von mir? Na, vielleicht gar nichts so Schlimmes. Ole ist nicht gemein. Eigentlich ist er sogar ganz nett. Manchmal hab ich das Gefühl, wir reden miteinander ohne Worte. Jetzt zum Beispiel guckt er wieder nach vorne, wackelt dabei aber zweimal ganz doll mit den Ohren. Wie um zu sagen: »Hallo Mona!« Seine Ohren stehen sehr weit ab.

»Wisst ihr, woher das Wort Schlitzohr kommt?«, fragt Herr Holtigbaum plötzlich.

Niemand meldet sich.

»Na, ich werde es euch verraten. Ein Ohrring war das Zeichen, dass man einer bestimmten Zunft angehörte. Einem Verein, sozusagen. Die Zünfte hatten aber strenge Regeln, und wenn jemand gegen die verstieß, riss man ihm den Ring aus dem Ohr. Er hatte dann für immer einen Schlitz im Ohr.«

Ole zieht seine Ohren jetzt so hoch, als ob man ihn schmerzhaft daran gezogen hätte. Mir rutscht ein Pruster raus. Köpfe drehen sich nach mir um. Schnell krame ich im Ranzen nach meiner Wasserflasche.

Nach der letzten Stunde lehne ich mich zurück und schließe kurz die Augen.

Puh. Geschafft. Jetzt auf zur Burg!

Als ich bei der Ampel stehe, schubsen sich Julius und Ossi neben mir hin und her.

»Da ist deine Braut!«, ruft Ossi.

»Halt’s Maul«, sagt Julius.

»Ich hab’s doch gesehen! Wie du sie heute immer angestarrt hast!«, ruft Ossi. Julius stößt Ossi vor die Brust, sodass er beinahe auf die Straße fällt. Da endlich wird die Ampel grün, alle Kinder drängeln rüber. Ossi ruft:

»Hey Mona, du hast hier einen Verehrer!«

Ich laufe schneller.

»Die stumme Mona! Wer will die schon haben«, höre ich Julius laut antworten.

Und Ossi: »Hey komm, wir bringen die mal zum Reden.«

Wir sind jetzt bei der Unterführung angelangt. Ich beginne zu rennen, der Ranzen schlackert gegen meinen Rücken. Julius und Ossi beginnen auch zu rennen und rufen:

»Mona renn doch, Mona flenn doch!«

Sie kommen immer näher! Die Unterführung ist lang, und ich weiß, hier kann mir niemand helfen. Da schmeiße ich meinen Ranzen ab und renne um mein Leben. Die Jungs sind mir wie Hunde dicht auf den Fersen. Die Treppe rauf stolpere ich. Autsch! Mein Knie. Egal. Weiter. Irgendwann kann ich nicht mehr. Da, schnell in die Eisdiele. Der dicke Eisverkäufer mit dem Schnurrbart steht hinter dem Tresen.

»Alles okay, Kleine?«, fragt er.

Ich nicke und wende mich ab, aber er lässt mich nicht in Ruhe.

»Bist ja ganz außer Atem. Komm, setz dich. Kriegst ’ne Kugel Eis auf den Schreck. Schokolade?«

Ich hasse Schokolade. Aber die Jungs hängen direkt vor der Eisdiele an der Bushaltestelle herum. Ich nicke. Nehme das Eis und setze mich in eine Ecke, lecke an dem klebrigen Zeug herum. Mein Knie tut echt weh. Das wird ein dicker blauer Fleck werden. Und wie komme ich jetzt an meinen Ranzen? Sicher bewachen ihn die Jungs. Die denken bestimmt, dass ich ihn jetzt gleich holen werde. Aber – das werde ich nicht. Ich werde ihn einfach morgen früh einsammeln. Hausaufgaben hin oder her.

Als die Jungs gerade nicht zu sehen sind und der Eismann summend an der Kaffeemaschine herumputzt, schleiche ich raus. Tut mir leid, Eismann. Ich hätte mich gerne bedankt.

Völlig außer Atem komme ich zu Hause an. Zerre das Lederband mit dem Schlüssel, das ich immer um den Hals trage, unter meinem Hemd hervor. Mit zittrigen Fingern schließe ich die Haustür auf, dann die Wohnungstür. Schnell, bevor Frau Schilling mich hört.

Zack, Tür zu. Geschafft!

Als ich meinen Ranzen abnehmen will, erschrecke ich kurz, weil er nicht da ist. Dann hole ich das Strickzeug unter meinem Bett hervor und setze mich damit auf den Teppich. Stricken beruhigt.

Rechts, links, rechts, links …

Die können mich mal, die Jungs. Wenn die wüssten.

Rechts, links, rechts …

Als die Abendglocken zu läuten beginnen, pikse ich die Nadeln in das Knäuel, springe auf und schlüpfe hinaus in die Dämmerung.

Die Blaue Ritterin

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