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6. Die ersten Lehrstunden

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»Und jetzt mal raus mit der Sprache«, raunte Spikes unheimlicher Banknachbar. Ein leises Grollen aus dessen Kehle untermalte jedes einzelne Wort. Das arg mulmige Gefühl in seinem Bauch kehrte zurück, als Spike zu ihm hinauf schielte. Sein Gegenüber hatte ihn mit den verschiedenfarbigen Augen fixiert. Diese wurden umrandet von einem dichten Kranz schwarzer Wimpern, die ihm, im Kontrast zu der kreideweißen Haut, einen noch unheimlicheren Ausdruck verliehen. Als wäre dies noch nicht abschreckend genug, hatte sich der Teenager heute auch noch mit einer schwarzen Hose bekleidet, die mit Nieten und Ringen besetzt war. Dazu trug er ein schwarzes Kapuzen-Shirt mit Piratenemblem und um den Hals ein mit silbernen Stacheln besetztes Lederband.

»Was für einer bist du nun ganz genau?«, raunte der Lupo. Doch der Junge verstand nichts ganz, worauf die Frage abzielte.

»Ich will wissen, welcher Art du angehörst, Kurzer. Bist du ein Erdgnom oder ein Heinzelmännchen?«

»Nicht, dass ich wüsste«, es kostete Spike viel Überwindung jedes einzelne Wort hervorzubringen und nicht gleich schreiend die Flucht zu ergreifen, »ich bin zu hundert Prozent ein Mensch.«

Etwas schlesisch schaute sein Banknachbar ihn an und setzte sich dabei die dunkle Kapuze auf. Dadurch wirkte er gleich noch einschüchternder.

»Menschen haben auf dieser Universität nichts verloren.«

»Ähm«, stammelte Spike und der Kloß in seinem Hals schwoll immer mehr an, »irgendwie war da noch die Rede von einer Hexe, die mir ihre Magie vererbt hat. Wirklich schlau bin ich nicht aus dem Gerede geworden.«

»Nun sieh mal einer an, da haben wir also einen kleinen Hexenmeister als Neuzugang.«

Weil sich das irgendwie nach einer Drohung anhörte, zog Spike schon mal den Kopf ein. Wer konnte es ihm schon verraten? Vielleicht hatte sein Sitznachbar ja ausgerechnet Magier, Zauberer und Hexen zum fressen gern.

Etwas scheel wurde Spike daraufhin von dem Lupo gemustert, »Ist irgendwas, Kurzer?«

Spike schluckte trocken, »Bitte, lass mich doch leben! Ich schmecke bestimmt ganz fürchterlich.«

»Das glaub ich dir aufs Wort. Außerdem hab ich gerade einen halben Ochsen gefrühstückt und das reicht erst mal bis zur Mittagsstunde. Übrigens mag auch ich kein Fastfood.«

»Aber«, Spike wurde immer verwirrter, »gestern, da...« Schließlich hatte er es noch gut in Erinnerung, dass sein Gegenüber ihn nach der Rettung zum »Dank« fast in der Luft zerpflückt hätte.

»Kein Thema«, wehrte der Lupo ab, »gestern habe ich deutlich mein Revier markiert und ich hoffe du weißt nun, wo es lang geht. Zu deiner Info, ich lasse dich leben, aber verrate mir doch, welche Kräutertante ausgerechnet dir ihr Erbe vermachte?«

Spike nickte erst einmal, um seinen Banknachbarn bei Laune zu halten. Der Name, der gestern genannt wurde, war ihm nämlich gerade entfallen. Fieberhaft suchte er in seinem Kopf danach. Derweil deklamierte der Lehrer noch immer über Insekten, Spinnen und gestreifte Zebras, die allesamt Meister der Tarnung waren. Etwas argwöhnisch schielte derweil Hulk hinüber zu seinem neuen Zimmergenossen. Was sie tuschelten verstand er aber nicht, da der Direktor alles lautstark übertönte.

Unterdessen war der Groschen bei Spike endlich gefallen. »Ihren genauen Namen kenne ich nicht, aber es war die Rede von einer gewissen Hexe von der Promenade.«

»Bitte?«, die einschüchternde aufrechte Körperhaltung vernachlässigte der Lupo für einen kurzen Augenblick der Fassungslosigkeit. »Die mächtigste Hexe diesseits des Meeres gab all ihre Kraft an dich weiter?« Das brüllte er nun so laut, dass alle anderen Privatgespräche verstummten und auch der Lehrer inne hielt.

»Was ist los?«, wunderte sich eine der Zombiegestalten.

»Och nichts«, gab Hulk großspurig an, »der Lupo ist wohl nur gerade auf den Trichter gekommen, dass mein Kumpel hier der Erbe der Hexe von der Promenade ist.«

Als wäre dies die Hiobsbotschaft des Tages, schwafelten nun sofort alle wild durcheinander und der Lehrer konnte so energisch aufs Pult klopfen und nach Ruhe verlangen, wie er wollte. Es half aber einfach nichts.

»Mit einem Wink seines kleinen Fingers kann er euch zu Eis erstarren lassen«, bewies Hulk eine enorm große Lippe, »ihr hättet mal sehen sollen, was er mit dem Jäger gemacht hat! Der ist gerannt wie ein Hase und unseren Direktor hat Spike glatt unter Strom gesetzt!«

»Ich darf doch sehr bitten!«, räusperte sich der Lehrer, dem sein Haar schon wieder ein wenig vom Kopf abstand. Nicht einmal eine Extrapackung Pomade hatte es bändigen können.

»Er ist der Oberknaller!«, übertönte Hulk das aufkommende Geschrei und Spike seufzte nur zum Steinerweichen. Tausend Fragen hagelten auf ihn ein, was er denn alles tun könne und welche Feinde er denn schon wie einen Schmelzkäse in der Sonne verflüssigt hatte. Das meiste verstand Spike nicht einmal und so gab er auch niemandem eine Antwort.

»Ruhe!«, die Stimme des Rektors klang nun ausgesprochen tief und gebieterisch und tatsächlich wurde es sogleich still wie im Grab. »Kostproben seiner Kraft könnt ihr sicher auch noch in der Pause erfragen! Jetzt wird geschwiegen und mitgeschrieben und damit meine ich jeden einzelnen von euch - auch dich, Spike. Da du so viel zu tuscheln hast, scheint es mir, als seiest du bereits Experte in Sachen Täuschen und Tarnen. Da ich nun den Exkurs in die Tierwelt für beendet erkläre, ist es an der Zeit ein wenig darüber zu reden, wie unseresgleichen sich der Umwelt anpasst. Na, was hast du uns zu diesem Thema zu sagen?«

Nun wurde die ganze Situation auch noch extrem peinlich. »Gelinde gestanden habe ich keine Ahnung«, gab Spike es kleinlaut zu, dann aber erinnerte er sich an den gestrigen, extrem verrückten Tag. »Ich weiß nur, was ich gesehen habe: An der Flussmündung lief eine Bisamratte umher und plötzlich sah sie aus wie ein Troll oder dergleichen und dann war da noch diese Krähe mit dem Frauenkopf und später der Löwe, der zu einem kleinen Mädchen wurde.«

»Das war ich!«, quakte das dunkelhäutige Mädchen mit den Zöpfen dazwischen. »Und ich kann mich inzwischen super gut verwandeln! Das geht richtig fix!«

Dafür bekam sie sogar Beifall. Sogar der Lehrer lobte die Kleine, »Wirklich gut, Lulu. Ja, unser neuer Freund hat wirklich keine Ahnung und dennoch hat er die wichtigsten Arten der Verwandlung soeben genannt.«

Schwer erleichtert, auch aus dieser Situation heil herausgekommen zu sein, atmete Spike durch. Denn wenn hier schon zu spät kommen mit der Folterkammer bestraft wurde, dann wollte sich der Junge nicht ausmalen, welche Strafe auf ausbleibende oder falsche Antworten gegeben wurde. Vielleicht die Streckbank? Die Daumenschrauben oder eine Woche im Verließ bei Wasser und Brot?

Während sich Spike nun die schauerlichsten Dinge ausmalte, hörte der Rest der Klasse eher mäßig interessiert den Ausschweifungen der Lehrkraft zu. Schließlich kannten sich die Meisten bereits mit dem Thema aus. In den letzten Wochen waren aber ein paar neue Schüler dazu gekommen, daher sah sich der Lehrer bemüßigt, zu wiederholen und ins Detail zu gehen.

»Wie die meisten von euch wissen sollten, gibt es eine ganz bestimmte Regel, die für alle gilt, sowohl für Nachtgestalten, Dämonen, Fabeltiere, wie auch für Magier, die Völker des Lichts wie Elfen und Feen oder auch Geister und Untote: Den Menschen dürfen wir unter keinen Umständen unser wahres Wesen offenbaren.«

Dabei wanderte der gestrenge Blick des Lehrers zu den vier Zombies, die verstohlen grinsten.

»Manchen von euch mag es ein großes Vergnügen sein, die Normalsterblichen zu erschrecken, indem ihr euch ihnen zeigt. Doch damit bringt ihr uns alle in Gefahr! Zwar würden die meisten Menschen ihren eigenen Augen nicht trauen und alles was sie sehen der Folge von Alkoholgenuss, Drogen oder geistiger Umnachtung zuschreiben - aber was ist, wenn ein Jäger davon etwas spitz kriegt? Was, wenn die Jäger eines Tages wegen solchem Unfug auf unsere Universität aufmerksam werden?«

Nun zogen die vier Angesprochenen die Köpfe ein und allein am Unterton des Lehrers begriff Spike sofort, dass dies der Supergau für alle Anwesenden sein dürfte. Ihr sicherer Untergang und das definitive Ende. Während nun manch einer verhalten schlotterte, fing sich der Lehrer wieder und kehrte zum eigentlichen Thema zurück.

»Ich möchte es abermals betonen, wie streng verboten es ist, sich als mystisches Wesen offen Menschen zu zeigen. Unerkannt darf ein jeder hingegen unter ihnen wandeln. Wir sollten die Gabe preisen, der wir es zu verdanken haben, dass uns dies möglich ist und sie heißt: Verwandlung.«

Nun hatte der Direktor es tatsächlich geschafft, Spikes Interesse zu wecken. Der Junge vergaß ganz und gar die Schreckgestalten um sich herum und vor allem den Lupo neben sich und lauschte ergriffen.

»Doch kommen wir nun zum Kern des Ganzen. Denn Verwandlungen folgen nicht immer dem gleichen Schema. Präzise gesagt, gibt es zwei sehr unterschiedliche Arten der Verwandlung. Als da wären zum ersten die so genannte ,Optische Verwandlung‘. Bei dieser ist natürlich genau wie bei der anderen Art eine gewisse Magie im Spiel, die uns Mystischen Kreaturen innewohnt. Jedoch verwandelt sich ein Wesen, das die optische Verwandlung nutzt nicht wirklich, sondern es hüllt sich in eine Aura, die seine wahre Natur verbirgt. Genau wie der Neue es beschrieben hat, sehen Menschen dank dieses magischen Tarnschleiers eine Bisamratte anstelle des Brückentrolls oder eine harmlose Krähe, die doch in Wahrheit eine Sirene ist.«

Langsam aber sicher dämmerte es Spike, dass er wahrlich seine bisherige Weltansicht verwerfen konnte. Seine Katzenfreundin war eine Hexe gewesen und wer wusste es schon, vielleicht waren auch andere tierische Kameraden, denen er im Laufe der Jahre begegnet war, etwas ganz anderes, als das, was er in ihnen gesehen hatte.

»Durch die optische Verwandlung können Einhörner friedlich in der Steppe grasen, unauffällig zwischen Mustangpferden, weil die Menschen in ihnen gewöhnliche Stuten oder Hengste sehen. Schauderhafte Bestien wie der Mantichora werden nicht selten als Löwen eingefangen und landen in Tierparks oder dem Zirkus und Wesen wie Elfen oder Vampire erscheinen als ganz normale Menschen. Viele arbeiten sogar mitten unter den Normalos in der Bank, am Tresen der Fastfood-Kette oder an der Theaterkasse. Wenn die Menschen wüssten, wer so alles unerkannt unter ihnen lebt, dann würden die meisten auf der Stelle vor Schreck tot umfallen...«

»Oder sie erklären einen für verrückt«, tuschelte der Lupo, »so wie mich, als ich in der ersten Klasse war und meine Lehrerin für kein menschliches Wesen hielt. Als mich dann später dieser räudige Köter biss und ich mich verwandelte, da konnte ich sehen, was sie wirklich war: eine hässliche, griesgrämige, Jahrhunderte alte Moorhexe. Wenn der Jäger sie nicht inzwischen erwischt hat, dann quält sie noch immer kleine Kinder mit Vokabeln und Rechenaufgaben.«

Bei dem Gesagten fühlte sich Spike arg an seine eigene Schullaufbahn erinnert. Da hatte es auch nur so gewimmelt vor eigentümlichen Mathelehrern, unheimlichen Englischlehrerinnen und grantigen Hausmeistern. Er mochte sich gar nicht ausmalen, wie wohl deren wahres Wesen aussah. Natürlich dachte er dennoch daran und bekam eine Gänsehaut.

»Im Gegensatz zu den meisten Tieren, die durch unseren magischen Tarnschleider hindurch blicken können, lassen sich weit über neunundneunzig Prozent der Menschheit davon blenden. Es ist ein Wesenszug von ihnen, immer das zu sehen, was sie sehen wollen. Nur einige wenige von ihnen besitzen die Gabe, den wahren Kern der Sache zu erfassen. Man nennt diese Fähigkeit die ,Elfensicht‘, mit der sie aber nicht nur Elfen und Feen erkennen, sondern auch alle anderen mystischen Wesen. Manch einem von ihnen wurde diese Gabe im Laufe ihres Lebens geschenkt, beispielsweise von einem dankbaren Elfenvolk, wenn eine menschliche Botschafterin verhinderte, dass eine Schnellstraße durch den Elfenhügel gebaut wurde. Viele, die nun die Wahrheit erkennen, verkraften sie jedoch nicht und verfallen in Wahnsinn und andere wiederum nutzen ihre Gabe, um sich als Jäger auf unsere Fährte zu begeben. Daher wurde es vor mehr als hundert Jahren offiziell verboten, einem Menschen die Elfensicht zu schenken. Leider gibt es aber immer wieder Tore, die dies dennoch tun. Meist ist die Liebe da mit im Spiel. Wenn eine Vampiress meint, der Liebe ihres Lebens ihre wahre Natur zu offenbaren, dann kann sie nicht einmal der Teufel davon abhalten.«

»Pff«, kam es geschlossen von der Dreierformation an schwarzhaarigen Mädchen, die etwas von dummen Hühnern zu tuscheln begannen. Derweil fragte sich Spike allen Ernstes, was wohl hinter der Fassade seiner gestrengen Stiefmutter steckte. Vielleicht ein Sumpfungeheuer? Ein Kellergespenst oder doch eher eine mit Warzen übersäte, schlangenhaarige Gorgone?

»Die zweite Art der Metamorphose, die eine tatsächliche Umformung des Körpers mit sich bringt, nennt man die ,Reelle Verwandlung‘. Bei ihr strukturieren sich alle Körperteile neu. Berüchtigt dafür sind allen voran natürlich die Wertiere, wie Werwölfe oder Werkatzen.«

»So wie ich!«, erwies die kleine Lulu wieder ihre vorlaute Ader und hast du nicht gesehen, schon saß da auf dem Schemel kein süßes unschuldiges afrikanisches Mädchen mit Rastazöpfen, sondern eine Zähne fletschende Löwin. Respektvoll zollten einige wenige Anwesende ihr den nötigen Respekt, indem sie Beifall klatschten.

»Wirklich ausgesprochen gut«, lobte der Direktor, während sich die Kleine zurück verwandelte, »neben Werlöwen nutzen aber selbstverständlich auch Vampire wie meine Wenigkeit diese Gabe, um Fledermäuse zu werden oder Hexen, die sich beispielsweise als Stubentiger ausgeben. In diesem Falle der Wandlung werden mit dem neuen Erscheinungsbild aber nicht nur Menschen getäuscht, sondern selbst andere mystische Kreaturen. Einen Werluchs aus einer Gruppe von normalen Luchsen herauszusuchen, ist ein sehr kompliziertes Unterfangen. Bisweilen verraten sie sich aber durch ein abweichendes Verhalten oder durch einen Riesenwuchs von den wirklichen Tieren.«

Der Direktor senkte seine Stimme, so als wäre er am Ende seines Vortrages angelangt, doch nun meldete sich eine etwa zwölfjährige Asiatin zu Wort, das gleich neben dem Geistermädchen saß. Ihr dunkles Haar trug sie hochgesteckt und dazu einen bunt bestickten Kimono aus feinster Seide. Spike träumte derweil wieder vor sich hin und fragte sich, ob beispielsweise im Zoo an Stelle von echten Raubkatzen verwandelte Leute hockten oder ob die Hunde und Katzen im Tierheim wirklich alle das waren, was sie auf den ersten Blick schienen. Während er noch grübelte, erteilte der Lehrer dem asiatischen Mädchen gerade das Wort.

»Sie haben vergessen zu erwähnen, dass nicht nur Vampire, Werwölfe und andere menschenähnliche Wesen diese Fähigkeit nutzen, um zu Tieren zu werden, sondern dass es auch Tiere gibt, die sich mittels der reellen Verwandlung als Menschen ausgeben. So wie Drachen oder die Marderhunde, die man in meiner Heimat auch Tanuki nennt.«

Kurz schloss das Kind die Augen, um sich zu konzentrieren und schon begann sie sich zu verwandeln. Während ihr ein dichter, orangeroter Pelz wuchs, löste sich der Kimono auf. Im Gesicht wuchs ihr eine Schnauze und ihre Ohren wurden zu großen Lauschern. Im Ganzen nahm sie binnen Sekunden die Gestalt eines Rotfuchses an. Auf den Hinterbeinen hockend meldete sie sich mit einer Vorderpfote erneut zu Wort: »Und wir Kitsunen gehören natürlich auch zu dieser Gruppe. Als Menschen getarnt können wir uns unauffällig unter den Normalos bewegen. Meine Familie ist sehr groß und einige meiner Onkels gehen tatsächlich einem ganz gewöhnlichen Tagwerk in der Bank oder an der Supermarktkasse nach.«

In genau diesem Moment erklärte ein Gongschlag diese lehrreiche Stunde für beendet. Der Direktor dankte dem

Fuchsmädchen noch für ihre Ergänzung, dann jagten die meisten Schüler auch schon aus dem Saal heraus. Auch Spike erhob sich, musste aber tierisch aufpassen, nicht von Zombies und dergleichen umgerannt zu werden. Grinsend schob sich sein Banknachbar an ihm vorbei und verschwand wie alle anderen durch die Tür hinaus.

»Und, wie hat dir deine erste Stunde gefallen, Alter?«, quakte Hulk, der neben dem Lehrer als Einziger noch anwesend war.

»Tja«, mehr fiel Spike im Moment dazu nicht ein. Nun kam auch noch der Direktor schnurstracks auf ihn zu.

»War doch voll interessant, was?«, posaunte Hulk, als meine er, dass der Lehrer schwerhörig wäre. »Also ich denke, das war die informativste Lehrstunde, der ich überhaupt beiwohnen durfte. Der Direx ist doch mit Abstand der coolste Lehrer von allen.«

Jener seufzte nur: »Statt hier herum zu schleimen, solltest du lieber ein bisschen mehr pauken, Hulk. Das kann nie schaden.«

In diesem Moment erinnerte der bleiche Vampir-Direktor Spike an einen seiner ganz normalen Lehrer von früher. So viele Unterschiede es auch gab, es existierten offenbar doch auch gewisse Parallelen zwischen dieser völlig abgedrehten Welt und jener, die für Spike bisher die Realität war.

»Und was folgt jetzt?«, fragte der Junge. »Eine weitere Lektion über Verwandlungen?«

»Nicht doch«, winkte Hulk ab, »jetzt fängt die Aktion doch erst richtig an. Mit einer praktischen Übungsstunde in Sachen Selbstverteidigung gegen die üblen Mächte des Chaos - die man auch als Jäger bezeichnet. Das ist jedenfalls cool, solange man den anderen bei ihren Show-Kämpfen zusieht. Muss man dann aber selber ran, dann zerlegt es einen höchst wahrscheinlich in seine Einzelteile.«

»Wie bitte?«, Spike hoffte innständig, sich verhört zu haben.

»Keine Bange Jungs, das packt ihr schon«, glaubte der Direktor und klopfte Spike zuversichtlich auf die Schulter.

»Na, ich weiß nicht«, seufzte Hulk, »beim letzten Mal habe ich einen Zahn verloren und drei Rippen wurden mir gebrochen. Dank der magischen Krankenschwester ist alles wieder in Ordnung gekommen. Aber was, wenn sie heute ihren freien Tag hat?«

»Genau und wenn es euch zwei Komiker dann atomisiert, ist Ende Gelände«, setzte die gescheckte Ratte noch eines drauf, die noch immer auf Hulks Schulter hockte. »Passt auf, dass man euch halbe Hemden heute nicht so fix und fertig macht, wie noch kein Hosenscheißer vor euch in die Pfanne gehauen wurde! Sonst habe ich am Ende keinen mehr, über den ich mich lustig machen kann!«

Nun schielte Spike schon wieder wie ein Kaninchen erst zu dem Großen und dann zu der Lehrkraft auf. Er ahnte Schreckliches. Seine Maskerade als cooler Draufgänger hatte er bei all dem ganz vergessen.

»Ich garantiere euch, dass ich ihr heute keinen freien Tag genehmigt habe«, versuchte der Direktor die Gemüter zu beruhigen. »So schlimm wird es schon nicht werden, Kopf hoch, ihr zwei! Danach könnt ihr euch von allen Schmerzen und Strapazen doch erst einmal beim Mittagessen ausruhen, bevor es im Einzel- oder KleingruppenUnterricht dann richtig zur Sache geht.«

Mit diesen Worten entfernte sich der Direktor aus dem Zimmer und der Junge starrte ihm fassungslos nach. Diese Neuigkeit machte Spike nicht gerade froh. Reichlich kleinlaut hakte er bei Hulk nach, »Was genau soll das mit dem Einzelunterricht bedeuten?«

»Dass man dich allein lässt mit einem der gruseligen Lehrkräfte«, kicherte die Ratte, »damit der dich ganz in Ruhe in die Pfanne hauen kann.«

»Alleine mit so einem Typen?«, Spike merkte wie ihm die Knie weich wurden, »so wie dieser unheimliche Kerl mit dem grünen Flaum und den langen Wimpern?« Bei dem alleinigen Gedanken kam er schon einer Ohnmacht nahe.

»Voll korrekt«, bestätigte die Ratte mit gehässigem Unterton, während Hulk mit dem Kopf schüttelte: »Nicht ganz, Alter. Mit Professor Ginseng habe ich schon das zweifelhafte Vergnügen. Mir will er beibringen, ein echter Vampir zu sein. So voll konkret mit Leute erschrecken, Bluttrinken und Jägern ihren Schatten zu stehlen, um sie zu schwächen. Für dich, schätze ich, wird ein Magier oder eine Hexe verantwortlich sein, um dir die ganze verzwickte Zauberer-Kiste einzutrichtern.«

»Genau und von denen hört man allesamt nichts Gutes«, schwafelte die Ratte drauf los, während Hulk sich in Bewegung setzte. Spike folgte ihm mit ungutem Gefühl hinaus in den Korridor und dann ein Gewirr von Gängen hindurch zu einer Treppe, die in das Erdgeschoss hinab führte. Unterdessen verstand das Nagetier es meisterhaft, Spike dazu zu bringen, mit den Zähnen zu klappern: »Von jener Hexe, die hier auch als Sportlehrerin abreitet und auch Unterricht im Besenfliegen erteilt, hört man, dass sie ihre Schüler auf Kadavergehorsam drillt. Wenn sie sagt, dass man aus dem Fenster springen soll, gibt es nur noch die Option, danach zu fragen, als welchem Stockwerk man sich stürzen soll. Um den eigentlichen Befehl kommt man aber nicht drum herum. Mit den anderen Lehrern der Magie will ich gar nicht erst anfangen...«

Damit die Ratte dies auch tatsächlich nicht tat, hob Hulk sie von seiner Schulter herab, drohte ihr damit, sie an die hellseherische Katze von Meister Ginseng zu verfüttern. Daraufhin hielt sie auch tatsächlich ihre Schnauze und kicherte nur leise und etwas boshaft vor sich hin.

»Und wo soll es jetzt hingehen?«, fragte Spike um sich selbst abzulenken. Derweil waren sie schon im Erdgeschoss angelangt.

»Raus auf die Wiese hinter dem Anwesen«, Hulk bog gerade um eine Ecke in einen weiteren Flur, der bei einem großen Portal endete, »dort hast du dich gestern erfolgreich mit dem Lupo angelegt. Was wollte der vorhin im Unterricht denn von dir? Hat er gedroht, dich mit Haut und Haar aufzufressen? Wenn ja, dann ist das ein Zeichen, dass du ihn gestern voll korrekt auf die Palme brachtest, als du ihm die Stirn geboten hast, Alter!«

»Äh, klar«, Spike war ganz in Gedanken, »ich glaube, der respektiert mich jetzt, denn ich habe mich nicht einschüchtern lassen. Dieser Lupo meinte jedenfalls, es wäre alles geregelt zwischen uns zwei.«

Gleich bereute er es aber wieder, so übertrieben zu haben. Anerkennend klopfte Hulk ihm auf die Schulter und betonte wieder einmal, dass Spike in seinen Augen der Megaknaller war. Jener biss sich im Geheimen auf die Zunge. Es verlangte ihm viel Überwindung ab, sich cool zu geben. Schließlich war er in Wahrheit das genaue Gegenteil davon. Doch er erinnerte sich, dass er sich vorgenommen hatte, hier ganz neu anzufangen und nicht bei jeder Gelegenheit den Schwächling heraus hängen zu lassen. Zudem tat Spike die Bewunderung von Hulks Seite her furchtbar gut und er wollte sie keinesfalls einbüßen. Das konnte auch durchaus gut gehen, solange er sich im Hintergrund hielt und nur dann den Coolen markierte, wenn der Gegner so leichtgläubig war wie der Zyklop von heute früh und sich auch ebenso schnell geschlagen gab.

»Du bist noch keinen Tag hier und schon hast du dem Obermacker dieser Schule bewiesen, dass du keine Angst vor ihm hast«, schwafelte Hulk überschwänglich, während sie durch die Tür hinaus traten und zur Wiese marschierten, die von hohen Eichen umschlossen war, »der Kerl ist nicht einmal einen Monat hier und schon hat er jeden besiegt, der es wagte ihn herauszufordern. Jetzt ist der Lupo der unangefochtene Obermotz und eigentlich traut sich keiner, ihn auch nur schief anzugucken. Aber du lässt dich nicht so einfach unterkriegen wie die anderen Luschen. Es ist eine Ehre, dass ich das Zimmer mit dir teilen darf, Alter!«

Man brauchte wahrlich kein Hellseher zu sein, um herauszuhören, wie tief beeindruckt er war. Spike lächelte nur schief und versuchte Haltung zu bewahren.

»Ab heute bist du mein voll fettes Vorbild, Alter«, ereiferte sich Hulk, »und ich respektiere dich ganz besonders deshalb, weil du genau das krasse Gegenteil von diesem aufgeblasenen Angeber bist, der immer im Mittelpunkt stehen muss - siehst du, genau das meine ich.«

An der Wiese angelangt, war Hulk stehen geblieben und Spike ließ den Blick schweifen. Die meisten Schüler, die er eben in der Klasse gesehen hatte, waren auch schon hier. Verzückt rangen gerade die drei Mädels mit den schwarzen Haaren die Hände. Eine Blondine tat es ihnen gleich. Ihre blauen Augen und die großen, spitz zulaufenden Ohren zeichneten sie als Elfe aus. Sie war eindeutig die so genannte Austauschschülerin. Von Spike unbemerkt fing der Große neben ihm an, die Blondine anzuhimmeln. Etwas abseits von der Vierergruppe stand das Gothic-Girl mit den Falterflügeln. Auch sie beobachtete interessiert, was da auf dem Rasen vor sich ging. Dort machte nämlich gerade der Lupo ein paar Dehnbewegungen und schloss einige Tai-Chi Übungen an. Bei dem Chinesischen Schattenboxen führte er konzentrierte Bewegungen mit den Armen aus und warf auch ab und an die Beine in die Luft. Danach schloss er einen Spagat, mehrere Liegestütze und schließlich einen Handstand an.

Seine weiblichen Fans zollten dem Lupo Beifall, nur das kleine Mädchen mit den Zöpfen murmelte etwas von wegen, dass sie ihn bei der nächsten Gelegenheit aufs Kreuz legen würde. Um ihre Macht zu demonstrieren, wurde aus der kleinen Lulu auch gleich wieder eine Löwin. Ihr Freundinnen - das Geistermädchen und die Kitsune - feuerten sie schon jetzt an.

Der Lupo, dem das nicht entgangen war, grinste zu den kleinen Mädchen herüber und riet der Löwin noch ein paar Jahre damit zu warten, bis sie groß und stark war. Sofort verwandelte sich Lulu wieder zurück und stampfte bockig mit einem ihrer kleinen Füße auf: »Wäre dieser Tollpatsch nicht auf mir gelandet, hätte ich dich schon gestern besiegt!«

»Na klar«, grinste der Lupo, während seine Fans die Kleine ausbuhten. »Der Kurze hat dir das Leben gerettet. Wäre es zu einem Kampf gekommen, hätte ich einen Perserteppich aus dir gemacht, du Stubentiger.«

Nun wurde die kleine Afrikanerin noch wütender. Sie ballte die Fäuste und Tränen kullerten über ihre Wangen. Während sie zu schluchzen begann, rollte der Lupo nur mit den Augen.

»Du bist so was von fies!«, fluchte das Mädchen in dem Kimono. »Aber warte nur, irgendwann kommt dein Meister, du Monster!«

»Na klar«, höhnte der Lupo, »ich hab jetzt schon Angst!«

Wieder lachte die Dreier-Mädchenclique, die Elfe Cinderella fiel mit ein, ebenso wie das geflügelte Gothic-Girl. Augenblicklich heulte die kleine Lulu noch mehr. Ihre Kitsunen-Freundin knurrte leise und das Geistermädchen wetterte: »Großer Lupo, Memento Mori - Du musst sterben!«

Spike erinnerte sich genau, dass sie genau diesen Satz auch schon gestern zu ihm gesagt hatte, nachdem er aus seiner Ohnmacht erwachte. Kurz schielt er zu Hulk, der noch immer die Elfe anhimmelte, dann wandte er sich wieder dem eigentlichen Geschehen zu. Gerade machte der Lupo eine wegwerfende Handbewegung.

»Na klar, das sagst du auch jedem. Ist wohl auch die Wahrheit - alle müssen irgendwann sterben. Leider bist du ja nie konkret, was den Zeitpunkt betrifft. Und nun solltet ihr Drei-Käse-Hochs lieber im Sandkasten spielen gehen und euch nicht weiter mit mir anlegen ... Denn das könnte gefährlich werden.«

Dabei guckte er gekonnt finster und zeigte die kräftigen Zähne. Die drei Mädchen ließen sich davon einschüchtern und ebenso waren alle anderen Anwesenden tief beeindruckt von der Aura der Macht, die vom Lupo ausging. Seine Fans überhäuften den Angeber nun mit vielen Komplimenten darüber, dass er der Größte, der Stärkste und der Tollste auf der ganzen Schule sei, und dass ihm niemand das Wasser reichen konnte. Bei dem ganzen Süßholzgeraspel musste Spike unweigerlich mit den Augen rollen, erinnerte ihn das doch stark an seine letzte Klasse. Da hatte es auch so einen Obermacho gegeben, vor dem alle im Staube krochen oder ihn anbeteten.

Zu Spikes Pech sah der Lupo diese Geste der Geringschätzung ganz genau. Zwar fasste sich Spike schnell wieder, er grinste schief und zog den Kopf an. Doch mit dem grünen, wie auch mit dem braunen Auge nahm der Lupo ihn ins Visier und schaute finster vor sich hin, die schwarze Kapuze dabei tief über die Stirn gezogen.

»Au Backe«, Hulk wurde endlich aufmerksam auf das Dilemma, »du bist wirklich ein Adrenalin-Junkie und liebst es, gefährlich zu leben. Der guckt, als wollte er dich jetzt in echt fressen! Respekt, Alter, vor deinem Mut ziehe ich den Hut.« Leider hatte Hulk aber gerade keinen auf, sondern nur ein Stirnband um den Kopf, das in den Farben rot, gelb und grün leuchtete. Ersatzweise zog er kurz daran. Während er das noch tat, wurde das Grollen des Lupo nur noch lauter.

»Du bist so was von tot«, unkte die Ratte, die jetzt wieder auf Hulks Schulter hockte, »war nett, dich kennen gelernt zu haben.«

Leises Tuscheln kam unter den Anwesenden auf. Halblaut fragte sich der Zyklop, ob der Neue jetzt wohl zu Brei geschlagen würde. Vor lauter Angst war Spikes Kehle schon ganz trocken und noch immer lastete der brennende Blick auf ihm. Tiefes Brummen kam zudem aus der Kehle des Lupo. Doch just in diesem Augenblick trat eine weitere Gestalt herbei.

»Suchst du schon wieder die Herausforderung, Lupo?«, fragte eine Stimme direkt hinter Spike, welcher herum fuhr. Frontal sah er sich einer zarten jungen Dame gegenüber, die gerade einmal einen Meter und sechzig hoch war, also noch kleiner als Spike selbst. Sie wirkte fast schon zerbrechlich, so schlank waren ihre Arme. Ihr Gesicht wiederum war fein geschnitten wie von einer Engelsstatue. Die braunen Haare trug sie als Dutt hochgesteckt. Bekleidet war sie mit einer violetten Tunika und dort, wo sich bei anderen Damen zwei Beine befanden, saß ihr Oberleib auf dem Körper eines Pferdes. In ihrem Fall war es der Leib eines zarten Ponys, bedeckt mit weißem Fell und einer nuss- farbenen Scheckung.

Freundlich lächelte die Pferdefrau Spike zu, dem vor Verwunderung der Mund offen stand und wandte sich dann auch an ihn. »Du musst der Neue sein. Es freut mich, dich kennen zu lernen. Ich bin eine Zentaurin, wenn dir die Frage danach auf der Zunge liegt. Mein Name ist Miss Cheiro- na. Ich unterrichte diese quirlige Meute in der Kunst, sich selbst zur Wehr zu setzen, sollte es einmal zu der Attacke eines Jägers kommen.«

»Genau so ein Gauner hat mich gestern angegriffen, Miss!«, erzählte Hulk frisch von der Leber weg. »Und dieser Junge hat mich gerettet! Er ist ein Tausendsassa! Und fürchtet sich vor rein gar nichts!« Spätestens jetzt bereute Spike es umso mehr, vorhin so fürchterlich angegeben zu haben. Das war nun wohl die Strafe dafür. Immer noch lächelnd sah die Lehrerin zu ihm: »Wirklich? Das ist sicher eine tolle Geschichte. Aber jetzt muss ich erst einmal meinem aufmüpfigsten Schüler eine Lektion erteilen.«

Gerade lächelte die hübsche Dame mit dem Pferdekörper noch gütig und schon im nächsten Augenblick setzte sie ein derart wütendes Gesicht auf, dass sie einer Höllenfurie glich. Mit Kampfgeschrei stürzte die Zentaurin so flink vorwärts, wie man es ihren kurzen Ponybeinen gar nicht zugetraut hätte. Dicht vor dem offenbar überrumpelten Lupo bäumte sich die zarte Frau auf und trat ihm mit aller Wucht mit den vorderen Hufen gegen die Brust. Wie von einer Abrissbirne getroffen, schnappte der Kahlkopf nach Luft und stürzte hinten über zu Boden. Keuchend hielt er sich mit der rechten Hand den schmerzenden Oberkörper und auch Spike rang um Atem, da er Derartiges nicht erwartet hätte.

»Wow...«, war alles, was im dazu einfiel. Schon stieß der Lange ihn an.

»Miss Cheirona ist zwar viel kleiner als alle anderen Zentauren, von denen die Kürzesten mich überragen«, raunte Hulk, »aber trotzdem ist sie genau so stark wie drei ausgewachsene Boxweltmeister! Dieser Tritt war für ihre Verhältnisse noch sehr sanft. Man erzählt sich, dass sie vor langer Zeit schon einen ausgewachsenen Bergtroll mit nur einem Pferdekuss ins Reich der Träume befördert hat und diese Typen wiegen selten unter fünfhundert Pfund.«

»Krass, was?«, unkte die Ratte und konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen.

»Echt?«, Spike knirschte mit den Zähnen. Er schwankte zwischen Furcht und Anerkennung. Derweil jammerten die Fans des Lupo leise und voller Mitgefühl. Der gestürzte Obermotz kam nur langsam und schnaufend wieder auf die Beine. Im Moment machte der Lupo gar keinen überheblichen und gefährlichen Eindruck, sondern sah einfach nur genauso verletzt aus wie jeder andere, den es so von den Latschen hieb. Genau in dieser Sekunde empfand sogar Spike ein gewisses Mitleid mit dem Angeber. Doch das währte nicht besonders lange.

»Da du schon wieder stehst, kannst du auch kämpfen, mein kleiner Musterschüler«, dabei klang Miss Cheironas Stimme ein wenig gehässig, »also wirst du uns gleich mal beweisen, was du wirklich auf dem Kasten hast ... und was nicht nur hohles Gerede ist. Wollen doch mal sehen, wer sich heute gegen dich behaupten darf, Lupo.«

»Au Backe«, Hulk wich gleich zwei Schritte zurück, »sie wählt in fast in jeder Stunde jemanden aus und noch nie konnte ihn einer besiegen. Letzte Woche wurde der Zyklop fertig gemacht und davor die vier Zombies, die keine Chance hatten, obwohl sie gemeinsam angriffen.«

Auch alle anderen Anwesenden wichen respektvoll zur Seite. Offenbar wollte sich keiner freiwillig mit dem Lupo anlegen, obwohl dieser schon angeschlagen war. Ein ganz und gar mulmiges Gefühl machte sich in Spike breit. Auch er wollte sich zurückziehen und hatte schon den Plan, sich hinter dem Langen zu verstecken, als seine Beine nicht mitmachten. Sie waren wieder wie zu Eis erstarrt.

»Na kommt schon Leute, traut euch«, bat die Lehrerin und sah sich um, »der Lupo ist gar nicht so fies, wie er immer tut. Will ihn nicht endlich jemand vom Thron stürzen?«

Cheironas Blick haftete an Spike, der weit vor allen anderen stand. Endlich ließen sich seine Füße wieder bewegen und er wollte sich unauffällig zurückziehen, als die Zentaurin ihn mit der Hand heranwinkte.

»Dann eben unser Neuer. Komm schon zu mir, Kleiner. Wenn du einen Jäger austrickst, musst du ein schlaues Kerlchen sein und dass es nicht auf die Größe ankommt, siehst du an mir. Wenn ich diesen Kahlkopf umhaue, kannst du es auch.«

»Ich?«, Spike fing schon leicht an zu zittern. Hatten sich denn alle guten Götter gegen ihn verschworen? Womit hatte er das verdient?

»Zeig es dem Angeber!«, kam es unerwartet von Lulu. Ihre Freundinnen stiegen in das Gejohle ein, ebenso wie Hulk und seine Ratte. Sogar ein paar andere Klassenkameraden beteiligten sich daran. Nur die Fans des Lupo buhten kräftig.

»Schweigt, Kinder!«, verlangte die Lehrerin und bäumte sich auf. Schon hätte man eine Feder zu Boden fallen hören können, so still war es. »Die Kontrahenten brauchen absolute Konzentration. Schaut zu und lernt.«

Damit trat sie zurück und Spike sah sich seinem schlimmsten Albtraum gegenüber. Da er keine Anstalten machte, näher zu treten, kam der Lupo dafür seinerseits auf ihn zu. Der brummte tief und hielt erst etwa zwei Meter vor Spike an. Dieser fühlte sich wie auf dem Präsentierteller und starrte den Gegner an wie eine Maus, die von einer Katze gestellt wurde.

So schnell wie er dachte, kam der Angriff dann aber doch nicht über Spike. Stattdessen ließ der Lupo erst einmal die Fingerknochen knacken, danach drehte er den Kopf erst nach rechts und dann nach links, wobei es leise knirschte. Alsdann zog Spikes Gegner den Hals ein und stellte sich breitbeinig hin, als würde er jeden Moment losspringen wollen. Spike wollte schon die Augen schließen und sich seinem Schicksal als leichte Beute ergeben, doch der Lupo sprang gar nicht los, um ihn von den Füßen zu reißen. Dafür ereignete sich etwas völlig anderes. Aus der bleichen Haut des Lupo spross nach und nach langes, flauschiges, weißes Fell. Aus seinen Händen und Füßen wurden Pfoten, während sich die Kleidung in Nichts auflöste. Vom aufrechten Stand wechselte der Lupo in eine auf vier Beinen ruhende Haltung. Hinten wuchs ihm ein buschiger Schwanz und vorne im Gesicht eine lange Schnauze, gespickt mit einem unheimlich scharfen Raubtiergebiss. Alles veränderte sich an dem Kerl, der zu einem Reitpony-großen weißen Wolf mutierte. Nun wusste Spike endlich, warum man ihn den Lupo nannte.

Einzig und allein die Augen des Obermotzes behielten ihre verschiedenen Farben. Daran erkannte Spike das Tier auch wieder, dem er sowohl heute früh begegnet war, wie auch bereits gestern. Leise knurrte der Wolf vor sich hin, dessen Fell so lang war, dass sogar ein Collie-Hund neidisch geworden wäre. Tiefe Zornesfalten bildeten sich auf der Stirn und der Schnauze des Wolfes, während dieser die dunklen Lefzen anhob.

Bei dem alleinigen Anblick wurde Spike ganz anders zumute. Er fühlte, wie die Ohnmacht schon in ihm hochkroch. Dann aber hörte er wieder die Stimme von Hulk, der ihn im Hintergrund lautstark anfeuerte. Also riss er sich am Riemen und versuchte, wenigstens nicht wie der größte Schwächling gleich tot umzufallen. Das Grollen des Wolfes wurde alsbald zu einem aggressiven Fauchen. Scheinbar schnappte er in der Luft nach einer Fliege und ließ die kräftigen Zähne aufeinander krachen. Diese Drohgebärde erschreckte Spike nun dermaßen, dass er einen Satz nach hinten machte und dabei die Arme empor riss. Zeitgleich schoss nebelhafter Wasserdampf gleich einer Wand aus der feuchten Erde hervor und erstarrte noch in derselben Sekunde zu Eis.

Die Mitternachtsuniversität

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