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7. Ungleiches Duell

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Schreckensstarren Auges schaute Spike sein Gegenüber an. Der feindliche Wolf war mit einer dicken Eisschicht umgeben. Der Junge selbst wusste gar nicht, wie ihm geschah. War er das gewesen? Aber wie? Während er noch rätselte, gab Miss Cheirona einen Laut der Anerkennung von sich, Hulk johlte gemeinsam mit der Ratte und ein Raunen kam von den Zuschauern. Ungeachtet des Eispanzers begann der Wolf derweil mit den Augen zu rollen, spannte die Muskeln an und überall begann es zu knirschen. Risse zogen sich durch den Eispanzer und dieser bröckelte ab. Kaum halbwegs befreit, schüttelte sich das Raubtier wie ein nasser Hund und schleuderte auch noch die letzten Eisstücke davon.

»Au Backe«, sagte sich Spike, denn am Blick seines Gegenübers sah er, dass er den Wolf mit der eisigen Abkühlung erst recht fuchsteufelswild gemacht hatte. Nun wurden ihm die Knie richtig weich und diesmal gab Spike ihnen auch nach. Rücklings fiel er zu Boden und lag dann regungslos im Gras, mit angezogenen Armen. Sogar die Zunge ließ er aus dem halb geöffneten Mund hängen. Fast unmerklich zuckte der Wolf zusammen, kam einen Schritt näher, schnupperte und legte die Ohren an.

»Der Lupo hat ihn allein mit seinem Blick getötet!«, glaubte ein weiblicher Fan. »Er ist wirklich der Allertollste, der Stärkste und der Größte!« Andere Mädchen fielen in das Jubeln mit ein. Doch nicht alle Schüler waren voller Begeisterung.

»Nein!«, quietschte Hulk in höchsten Tönen und rang die Hände. »Das kannst du mir nicht antun, Kumpel, bleib bei mir!«

Tränen schossen ihm in die Augen. Die Ratte begann zeitgleich wie ein Rohrspatz zu meckern. Leicht fing der Wolf an zu schielen, was aber so gut wie niemanden auffiel, da nun die ganze Klasse wild durcheinander schrie. Allen voran rief Hulk etwas von einem Mörder und Galgenvogel. Manch einer schloss sich ihm an. Die Fans wiederum wetterten dagegen und nicht einmal die mahnende Stimme der Lehrerin konnte die aufgebrachten Gemüter beruhigen.

»Du bist doch gar nicht tot«, brummte der Wolf missgelaunt und verwandelte sich in den Kahlkopf zurück. Doch als fast menschliches Wesen wirkte er nicht weniger angsteinflößend. »Es macht wirklich keinen Spaß, jemanden anzugreifen, der schon am Boden liegt.«

»Das wäre auch überaus unfair!«, mit schnellen Schritten kam Miss Cheirona heran gestürmt. »Also halte dich zurück!«

»Hab eh gerade keinen Hunger«, murrte der Lupo, während sich Spike endlich wieder aufsetzte.

»Du lebst ja noch!«, mit Tränen in den Augen stürzte Hulk herbei und drückte den Jungen ohne Vorwarnung an sich. »Und ich dachte, du wärst gestorben! Du bist echt der Hammer! Von den Toten zurück gekehrt!«

»Ach du meine Güte«, kam es von der Ratte und diese sprang zu Boden, »manchmal bist du echt oberpeinlich! Ach was sage ich da: du bist immer peinlich! Ich kenne dich gar nicht.«

Auch Spike war das reichlich unangenehm. Er schielte zum Himmel und hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Schon lachten ein paar Klassenkameraden hämisch. Die peinliche Situation wurde aber sogleich von Miss Cheirona entschärft. Insgeheim konnte sich Spike nur wundern. Bisher hatten seine Lehrer es immer nur verstanden, aus einer eh schon unangenehmen Situation die ultimative Katastrophe zu machen.

»Der Lupo hat sich freiwillig geschlagen gegeben!«, wetterte die Zentaurin, während der Kahlkopf die Arme verschränkte. »Dieses Duell ist somit unentschieden. Doch ich als Lehrkraft ernenne diesen kleinen Jungen zum Sieger nach Punkten. Es gehört schon einiges dazu, einen solch übermächtigen Gegner zur Aufgabe zu bewegen! Das bewerte ich daher auch wegen seiner Kreativität mit zwölf von fünfzehn zu erreichenden Punkten.«

»Bah!«, schnaubte der Lupo.

»Und für dich gibt es heute nur einen von fünfzehn Punkten, als Strafe für penetrante Angeberei!«

Das hatte nun wirklich gesessen. Unverhohlen fing Hulk an zu feixen, während Spike sich der Umarmung endlich entwinden konnte.

»Wirklich sehr gut für den Anfang, Kleiner. Diese Taktik stammt sicher von einem großen Meister der Kampfkünste. Oder hast du sie selbst erfunden?«, fragte die Zentaurin.

»Öhm«, Spike wollte der netten Lehrerin keine Antwort schuldig bleiben, also saugte er sich schnell was aus den Fingern, »das war der Opossum-Stil. Bei Angriffen werfen sich die Beutelratten wie tot auf den Boden. Allerdings stinken sie dabei auch, als wären sie schon Leichen. Diesen Kniff habe ich selbst noch nicht lösen können...«

»Trotzdem wunderbar!«, flötete Miss Cheirona und schob Spike zur Seite. »Und nun weiter im Text! Die nächsten zwei Kandidaten, wenn ich bitten darf. Da du schon auf dem Kampfplatz stehst, wie wäre es, wenn du uns zeigst was du inzwischen gelernt hast, Hulk?«

»Tja«, dem Großen blieb gar nichts anderes übrig. Er raffte sich zusammen und gab sich kämpferisch mit geballten Fäusten. »Und wen darf ich plätten?«

Das brachte großes Gelächter mit sich, während Spike von der sprechenden Ratte gesteckt bekam, welches Fiasko sich bei Hulks letztem Training ereignet hatte.

»Der wurde so fertig gemacht, wie noch keiner in der Geschichte aller Loser«, raunte das Nagetier. »Das war kein schöner Anblick. Die Kleine da, die sich in einen Fuchs verwandelt, hat ihn aufs Kreuz gelegt. Bin gespannt, wie er sich heute bis auf die Knochen blamiert.«

»Na toll«, von derlei Gewalttätigkeiten war Spike wenig angetan. Zudem schielte er unsicher zur Seite, wo der Lupo stand und einen Blick wie ein Biest machte, das seinem Opfer auflauerte.

»Kolossos!«, rief die Zentaurin den zweiten Schüler für diese Runde auf. »Heute bist du endlich mal wieder an der Reihe.«

Auf diesen äußerst imposanten Namen hin trat ausgerechnet der kaum einen Meter hohe Hänfling vor, jener mit der grünen Haut und den riesigen spitz zulaufenden Segelohren. Vorhin hatte er im Unterricht neben Hulk gesessen.

»Geht klar«, zeigte der Kurze keine Scheu und baute sich vor Hulk auf, dem er kaum bis zum Bauch reichte. Keck reckte er das Kinn und hob die kleinen Fäuste. Abgesehen von einer Hose trug Kolossos nur ein rotes Halstuch, als Kontrast zu seiner schuppenbesetzten Reptilienhaut.

»Was ist das denn nur?«, fragte sich Spike halblaut, der sich zwar ein wenig in der Welt der Mythen auskannte, aber wohl doch nicht gut genug.

»Och, nur ein Gremlin«, feixte die Ratte, »pass mal auf, das wird sicher spannend!«

So recht wollte das Gesagte Spike nicht einleuchten. Schließlich hatte der Winzling auf den ersten Blick keine Chance gegen den hoch gewachsenen Hulk mit seinen zwei Metern. Doch während Spike noch über die Fairness dieses Kampfes sinnierte, erklärte Miss Cheirona den Wettstreit auch schon für eröffnet.

»Na dann fang mal an, aber ich warne dich, ich habe viel dazu gelernt«, schwafelte Hulk, beugte sich leicht vor, als ihn der Kurze so schnell wie der Wind packte, über die Schulter schleuderte und er hart am Boden aufkam. Während Spike fassungslos drein sah, der Gestürzte leise klagte, klopfte sich der so genannte Gremlin die Hände: »War‘s das schon?«

»Du hast mich nur überrumpelt«, ächzte Hulk und kam wieder auf die Füße, »aber das passiert nicht noch einmal. Du wirst schon sehen, gleich flehst du um Gnade...«

Doch kaum hatte er das gesagt, sprang der Wicht auch schon in die Luft, trat ihm gegen das Schienbein und Hulk fand sich erneut am Boden liegend wieder. Jammernd blieb er auch erst einmal dort, da Kolossos nun begann, auf Hulks Rücken herumzuhüpfen wie auf einem Trampolin. Das sorgte selbstredend für viel gute Laune bei den Zuschauern. Fragend sah Spike die Ratte an, welche breit grinste.

»Der Kurze ist gut, was? Gremlins gelten als ausgesprochen stark. Zwar sehen sie harmlos aus, doch haben es diese Kobolde faustdick hinter den Ohren.« Gerade wurde Hulk von dem grünen Jungen auch noch in den Schwitzkasten genommen, bis er leise keuchte und um Gnade zu flehen begann.

»Endkrass«, hauchte Spike leise und fasste sich an den Kopf, »was für Tricks hat der Kurze wohl noch auf dem Kasten?«

»Gute Frage! Das Hobby aller Gremlins ist die Sabotage von Technik. Sie lieben das Chaos, bringen Computernetzwerke dazu zusammenzubrechen, sorgen für Abstürze von Flugzeugen, legen den Straßenverkehr lahm oder kappen die Energieversorgung einer ganzen Metropole«, redete die Ratte altklug weiter, »und ein paar Gestalten aus dem Gremlin-Clan arbeiten als Spitzel für unseren Direktor.«

»Gnade!«, jaulte Hulk soeben und durchschnitt das latente Gelächter der Schüler.

»Ja, ich glaube das reicht für heute«, fand auch Miss Cheirona. Schon erstarb das Gewimmer, denn der Gremlin Kolossos gab Hulk frei.

»Nichts für ungut. Immerhin waren deine Sprüche schon mal besser als beim letzten Versuch«, ulkte Kolossos, »beim nächsten Mal tue ich dann auch so, als hätte ich Angst vor dir.«

»Danke«, keuchte Hulk und nahm wieder Haltung an, »aber eine Sache habe ich da noch auf der Pfanne!«

Spike konnte sich über die Zähigkeit und Schmerztoleranz des Langen nur wundern - und über dessen Ignoranz, eine bereits überaus peinliche Situation als eine solche zu erkennen und klein beizugeben, anstatt es nur noch schlimmer zu machen. Doch wie es schien, war Hulk gerade darin ein Meister, sich selbst erst zum Volldeppen zu machen ... und dann auch noch nachzulegen.

Leises Stöhnen machte die Runde. Auch die Lehrerin guckte etwas missmutig. Doch der Große bestand darauf, noch nicht ausreichend genug in den Boden gestampft worden zu sein. Er verlangte noch einen Nachschlag.

»Na, das kann was werden«, kicherte die Ratte, »bin schon gespannt, wie er sich gleich noch mehr blamiert.«

»Bis auf die Knochen ist er es schon«, murmelte Spike zurück.

»Dann schafft er es auch noch, sich bis ins Mark zum Horst zu machen«, wusste die Ratte aus Erfahrung. Während Spike nun schon wieder flau im Magen wurde, nahm das Unglück bereits seinen Lauf.

»Soll ich noch meine berühmte Kopfnuss anwenden?«, fragte Kolossos halblaut. »Oder ist dir ein ordentlicher Tritt in den Allerwertesten lieber?«

»Danke«, Hulk winkte ab, »das hört sich verlockend an, aber heb dir das für ein anders Mal auf. Jetzt bin ich nämlich am Start!«

Offenbar machte den Gremlin das Gesagte sehr neugierig, denn er hielt sich tatsächlich erst einmal zurück. Manche im Publikum giggelten jetzt schon albern, als wüssten sie ganz genau, was für ein Reinfall gleich folgen sollte.

»Ist das wirklich nötig?«, Miss Cheirona klang äußerst besorgt. »Wir wissen doch längst alle, dass du nicht gerade zum Killer geboren bist.«

Dabei nahm sie besonders das grell gelbe Hemd in Augenschein, welches Hulk heute trug. Es war mit stilisierten blauen Hibiskusblüten übersät. Mancher Schüler schüttelte sich inzwischen vor Gelächter. Das Gackern der blassen schwarzhaarigen Mädchen klang dabei besonders gehässig.

»Alles nur Tarnung«, gab sich Hulk gespielt selbstsicher, »das ist Teil meiner neuen Strategie, die den Feind dazu bringen soll, sich in Sicherheit zu wiegen. Wie mein geschätzter Kollege vor mir will ich den Widersacher mit etwas erschrecken, das er nicht erwartet! So verbirgt sich das wahre Grauen stets hinter dem vermeintlich Harmlosen...«

»Willst du noch lange schwafeln?«, erregte sich das Geistermädchen. »Wird das heute noch was?«,

»Oder soll ich ihn gleich noch einmal fertig machen?«, bot die Kitsune im Kimono an.

»Nein danke«, lehnte der Gremlin ab, »nun rück aber endlich raus. Wie heißt deine neue Strategie?« Um die Anwesenden nicht länger auf die Folter zu spannen, hielt Hulk nicht länger mit seinem Wahnsinnseinfall hinterm Berg. Mit dramatisch erhobenen Armen verkündete er: »Der Wahnsinn!«

Zeitgleich zu dem bühnenmäßigen Einwurf förderte der Lange eine Kaugummi-Kugel aus der Hosentasche und steckte sie sich in die linke Backentasche. Dann hob er die Arme, krümmte dabei die Finger wie Krallen und gab gurgelnde Geräusche von sich, während er umher schwankte wie ein Betrunkener und dabei den Mund halb öffnete. Die Mädchen hörten trotz der Vorstellung nicht auf zu frohlocken. Derweil gab sich Hulk alle erdenkliche Mühe. Wild rollte er mit den Augen und bleckte die Zähne. Kurz stutzte Spike, der die Eckzähne seines Klassenkameraden viel länger in Erinnerung hatte. Zwar waren sie reichlich spitz, aber kaum größer als die des Jungen selbst. Nun aber tat sich etwas. Ein Stück weit schoben sich die Beißerchen aus dem Zahnfleisch von Hulk heraus. Nun waren sie schon wesentlich beachtlicher, sicher nicht ganz so beeindruckend wie die einer mächtigen Säbelzahnkatze, aber von ihrer Länge her konnten sie durchaus mit jenen eines männlichen Pavians mithalten.

»Ja, nur weiter so!«, prustete die Ratte und konnte sich nur schwer zurück halten, laut loszulachen. »Schlag den Wicht in die Flucht!«

Um das zu erreichen, gab Hulk wirklich sein Möglichstes. Fauchend und zischend umrundete er den Gremlin, der aber nur müde gähnte. Zum großen Finale kam Hulk, als er kurz die Kiefer aufeinander biss und ihm eine rötliche Flüssigkeit aus den Mundwinkeln herab tropfte.

»Huuu!«, machten einige Mädchen und gackerten dabei. »Das ist ja sooo gruselig!«

»Ist das Blut?«, flüsterte Spike. Die Ratte, die auf seiner Schulter hockte winkte lässig ab: »Ist hundertprozentig Lebensmittelfarbe. Nutzen auch Maskenbildner. Gar nicht mal so übel das Zeug, macht schon was her ... nur bei einer solch miesen Show, da nützt auch das beste Kunstblut nichts mehr.« Leise musste Spike seufzen. Er wusste genau, worauf sie hinaus wollte. Nicht mal ihm jagte der Lange einen wirklichen Schrecken ein. Jener aber glaubte offenbar, das Grauen an sich zu verkörpern, als er verkündete: »Und wenn der Feind dann völlig verwirrt ist aufgrund meiner saucoolen Vorstellung, überrumpele ich ihn!« Zeitgleich versuchte sich Hulk auf den Gremlin zu stürzen. Der trat elegant zur Seite und der Große machte eine Bruchlandung. Das aufbrausende Gelächter übertönte danach so gut wie alles. Mit ihrer eigentlich zarten Stimme musste sich die Lehrerin ganz schön anstrengen, das Geschrei zu übertönen: »Wie üblich erhält Kolossos die volle Punktzahl. Und zu dir, mein Großer ist noch zu sagen: Gar nicht einmal so übel! Dafür bekommst du immerhin acht von fünfzehn Punkten für Ideenreichtum.«

»Yes!«, Hulk machte mit beiden Händen das Victory-Zeichen, als er sich wieder erhoben hatte. »Ich hab euch alle gerockt! Ihr könnt schon zugeben, dass ihr die Hosen gestrichen voll hattet!«

»Auweia«, Spike schämte sich mächtig für seinen Zimmerkameraden.

»Ja, er weiß, wie man alles noch viel peinlicher macht«, quiekte die Ratte. »Darin ist unsere Bohnenstange ein wahrer Champion.«

»Ich glaub, ich tu erst einmal so, als ob ich den gar nicht kenne«, raunte Spike zurück, »das ist ja sooo oberpeinlich.«

Doch zu seinem Pech kam der Lange nun auch noch auf ihn zu und grinste dabei, als hätte er einen haushohen Sieg davon getragen. Freundschaftlich schlug er Spike auf die Schulter, der am liebsten im Boden versunken wäre. Alle Augen waren nun auf ihn gerichtet und Hulk schien die Situation hingegen gar nicht unangenehm zu sein. Stattdessen machte er sich schon wieder zum Trottel: »War das nicht sensationell? Ich hab‘s geschafft!«

»Was denn? Dich zum absoluten Vollidioten zu machen - wie schon so oft?«, stichelte die kleine Lulu.

»Dich bis auf die Knochen zu blamieren?«, foppte das kindliche Gespenst.

»Oder unser Zwerchfell vor Lachen fast zum Zerreißen zu bringen?«, giggelte das Fuchsmädchen.

»Nein«, wehrte Hulk das ab, »ich bin ohne einen nennenswerten Kratzer oder einen Knochenbruch davon gekommen! Das ist super gut!« Vor lauter Fremdscham bedeckte Spike nun schon seine Augen mit einer Hand. Beifall wurde gezollt, der aber keineswegs von Respekt herrührte.

»Keine Bange, morgen ist auch wieder ein Tag voller neuer spektakulärer Zweikämpfe und genug Gelegenheit für euch alle, eine Bauchlandung zu vollführen«, drohte die Lehrerin, zwinkerte Hulk zu und klatschte in die Hände. Den nun nicht mehr ganz so fröhlichen Schülern verkündete sie, dass der Unterricht vorbei sei. Danach entfernte sie sich auch schon. Die Lerngemeinschaft löste sich sogleich auch auf.

»Endkrass«, fand die Ratte und gluckste vor sich hin. Mit leicht verträumtem Blick schaute Hulk der blonden Grazie mit den spitzen Ohren hinterher. Leider schaute sie zu seinem Verdruss nicht noch einmal zurück.

»Ist es endlich vorbei?«, Spike nahm die Hand vom Gesicht. Alle anderen Schüler waren verschwunden, einschließlich des mürrischen Lupo.

»Ist es!«, tönte die Ratte und lachte dabei gehässig. »Dennoch solltest du dich schon mal daran gewöhnen, dich bald täglich so fremd zu schämen. Willkommen in meiner Welt: solange du mit dem hier zusammen hängst, sind Pleiten, Pech, Pannen, Fettnäpfe und Peinlichkeiten nie weit.« Nun machte der Verhöhnte einen ziemlich geknickten Eindruck. Spike schielte zu der Ratte, doch die dachte nicht im Traum daran, etwas davon zurückzunehmen oder sich gar zu entschuldigen.

»Was denn?«, das Nagetier zuckte mit den Schultern. »Ist nichts als die Wahrheit, so wahr die Götter des Chaos mir helfen.«

Jetzt seufzte Hulk auch noch zum Steinerweichen, »Es ist ja richtig, leider. Ich werde nie so gut sein, wie mein cooler Kumpel hier.«

Damit meinte er nun Spike, der nur schief lächeln konnte. Schließlich war die ganze angebliche Coolness nur gespielt. In Wahrheit hatte er sich bei der Konfrontation mit dem Lupo vorhin fast ins Hemd gemacht.

»Du bist einfach der Oberknaller!«, offenbar war Hulk außerstande, über einen längeren Zeitraum hinweg geknickt und ernst zu bleiben. Schon saß ihm wieder ein breites Grinsen im Gesicht. »Du hast es unserem Angeber so was von gezeigt! Das war der Hammer!«

Dabei neigte er auch noch leicht das Haupt und Spike wurde diese Verehrung, die schon fast einer Anbetung gleich kam, von Sekunde zu Sekunde unangenehmer. Schließlich war er in Wahrheit nichts von alldem, was der Lange in ihm sah. Weder war er heldenhaft, noch waghalsig.

»Ich werde nie dein Level erreichen«, fuhr Hulk fort in seiner Schwärmerei, »und ich muss dir unbedingt noch sagen, wie stolz ich bin, dass du dich mit so einem Waschlappen wie mir abgibst.«

»Himmel hilf«, dachte sich Spike da. Sein Gegenüber war wirklich ein herzensguter Kerl. Es machte ihm arge Bauchschmerzen, dass der Lange ein derartiges Zerrbild von ihm im Kopf hatte. Schon spielte Spike mit dem Gedanken, die Tatsachen auszuplaudern. Darüber, dass er in Wahrheit schon immer der Außenseiter an seiner alten Schule war. Dass ihn dort niemand respektiert hatte und, dass er sich hier nur derart verstellte, um ein wenig mehr Anerkennung zu erhalten. Doch zu der großen Beichte kam er gar nicht, denn wieder funkte die vorlaute Ratte dazwischen: »Wunderschöne Ansprache! Aber nun setzt eure Hinterteile endlich in Bewegung, bevor die Meute alles auffuttert! Abmarsch zur Mensa, ich hab einen derartigen Kohldampf, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen!«

Um den Nager nicht weiter zu verärgern, marschierten die Jungs sofort in Richtung Eingangsportal. Erst heute fiel Spike der große gläserne Wintergarten ins Auge, der hinten links an der langgestreckten Fassade des Gemäuers anschloss. Die Ratte verkündete auch gleich, dass sich dort die gastliche Stätte zur Speisung befand. Während sie nun ins Schloss eintraten und einen Korridor entlang schritten, lief auch Spike schon das Wasser im Munde zu zusammen. Seit gestern Mittag hatte er schließlich keinen Bissen mehr bekommen. Dann aber hielt er inne. An dieser Schule war ja sonst auch alles total verdreht und anormal, angefangen von den Schülern, über die Lehrer bis hin zu dem fünfstöckigen monumentalen Schloss, erbaut aus schwarzem Lavagestein. Wenn also hier sowieso alles ganz anders war, wie konnte er sich dann einbilden, dass zumindest das Essen für Normalsterbliche geeignet war?

»Du bist so blass«, stellte Hulk fest. »Hast du ein Gespenst gesehen?« Etwas zögerlich rückte Spike mit seinen Bedenken über die kulinarischen Köstlichkeiten heraus, die ihn am Ende des Ganges in der Mensa erwarten würden.

»Tja«, die Ratte grinste hämisch, »mal dir das schrecklichste Essen aus, das du dir vorstellen kannst und dann setz noch eines drauf! Na, was hast du dir für ein Bild gemacht, rück schon raus! Was meinst du, tischt man dir dort auf?«

»Ähm«, stammelte Spike und schielte zu seinem Zimmernachbarn. Doch der hielt dicht und grinste nur vor sich hin. »Vielleicht ein hundert Jahre alter Harzer Käse, in dem sich Maden tummeln?«

»Gar nicht so übel«, fand die Ratte, »aber komm schon, du kannst dir bestimmt noch was Schmackhafteres ausdenken oder reicht deine Fantasie dafür nicht aus?«

Es war klar, dass Spike diese Herausforderung nicht auf sich sitzen lassen konnte. »Vielleicht werden auch Kakerlaken im Schlafrock gereicht? Vergorene Haifischflossen, tausendjährige Eier, Fußnägel-Terrinen, gefüllte Kröten, gesottene Trollgehirne oder Pasteten aus menschlichen Augen? Dazu gibt es Blut in Karaffen gereicht und als Nachtisch einen Plumpudding mit Spinneneinlage?«

»Mmm, lecker«, schmatzte die Ratte. »Da läuft einem das Wasser im Mund zusammen.« Voller Entsetzen sah Spike sie an. Sollte das bedeuten, dass ihm gleich tatsächlich solche Scheußlichkeiten serviert wurden? Nun wurde er noch bleicher.

»Ach, lass dich nicht auf den Arm nehmen, Alter!«, winkte Hulk ab. »Solche Spezialitäten werden doch nur den Professoren zu besonderen Anlässen kredenzt. Etwas derartig Erlesenes reicht man doch nicht uns einfachen Schülern in der Mensa.«

Spike konnte nun nicht behaupten, dass ihn diese Aussage wahrlich zuversichtlicher stimmte. Also fragte er noch einmal kleinlaut nach, was ihn denn nun konkret erwartete. Die Frage bereute er sofort.

»Saure Nierchen hatten wir schon lange nicht mehr«, schwadronierte die Ratte, »auch könnten mal wieder Kutteln auf dem Speiseplan stehen oder Saumagen, gebratene Leber, Rocky Mountain Austern, panierte Kuheuter, MadenSushi, frittierte Hühnerfüße, Froschschenkel, Lungen-Haschee, Blutkuchen oder Kalbshirn.« Wie angewurzelt blieb Spike stehen und wollte keinen Schritt mehr weiter gehen: »Unter diesen Umständen ziehe ich es vor, zu verhungern!«

»Was denn?«, wunderte sich die Ratte, als Hulk sie böse von der Seite anschielte. »Das waren alles Gerichte, die von Menschen irgendwo auf der Welt gegessen werden. In echt. Habt ihr schon mal verkohlte Schafsköpfe probiert oder schwarzen englischen Pudding, bestehend aus Fleischresten, Blut und Fett? Tja, nicht nur Vampire wissen, dass der Lebenssaft wirklich gut schmeckt.«

»Brr!«, Spike schüttelte es und Hulk packte die Ratte im Genick.

»Na und?«, quiekte die. »Ist doch nichts dabei! Die Stadtmenschen sind einfach verweichlicht. Auf dem Land hingegen verschwendet man nichts, was beim Schlachten anfällt und überhaupt: Blut ist so nahrhaft und es lassen sich so tolle Gerichte daraus zaubern! Wie wäre es mit einem schönen Teller Blutsuppe, danach eine ordentliche Blutwurst nebst pommerschen Blut-Klößen. Dazu dann einen schönen Becher voller Kuhmilch, vermischt mit einem Schluck Rinderblut - nach dem Vorbild mongolischer Hirten.«

»Igitt«, Spike schüttelte sich, »die Hirten sollen machen, was ihnen gefällt. Aber ohne mich.«

»Aber echt«, brummte Hulk und zwängte die Ratte in seine Hosentasche, »da vergeht einem ja der Appetit.«

Über seinen kurzzeitigen Anfall von Übelkeit kam Spike recht schnell wieder hinweg. Seine Gedanken schwirrten um die letzte Aussage seines Zimmernachbarn, die so gar nicht in das Klischee der blutdürstenden Vampire aus alten Romanschwarten passte.

»Müsste dir da nicht viel mehr das Wasser im Munde zusammen laufen?«, verwunderte sich der Junge. »Ich dachte immer, Vampire stehen voll auf das rote Zeug ...«

Abrupt blieb der Lange stehen und stemmte dabei die Arme in die Hüften, »Das ist ja so was von daneben, Mann!« In seinen grauen Augen funkelte es und Spike schwante, dass dieser Spruch ein Griff ins Klo gewesen war. Leicht verschreckt zog er den Kopf ein.

»Blut wird vollkommen überbewertet! Beim VampirSein geht es doch nicht nur darum, unschuldigen Opfern die Schlagadern zu öffnen und sie auszusaugen! Wir sind doch nicht nur irgendwelche dämlichen Ungeheuer, die zum Spaß Leichen zerfleddern und in aristokratischen Gewändern herumstolzieren.«

Hulk hielt in seiner Belehrung inne, denn gerade schob sich der Direktor an ihnen vorbei durch den Gang in Richtung Kantine. Jener trug heute eine besonders prunkvolle Sonntagsgarderobe mit Rüschen, dazu einen wallenden Umhang aus Samt und auf dem Kopf einen Hut mit ausgefallenem Federschmuck.

»Ausnahmen bestätigen nicht nur die Regel, sondern sie sind die Regel«, ulkte die Ratte und steckte ihren Kopf aus der Tasche, »also ich für meinen Teil kann von Blut nie genug bekommen!«

»Also echt!«, ziemlich eingeschnappt verschränkte Hulk die Arme und Spike atmete innerlich auf. Das Ganze war also doch nur Getue und keine ernst zu nehmende Bedrohung. »Wir Vampire haben doch wesentlich mehr zu bieten, als gruselige Überfälle bei Nacht. Manche sind Philosophen und andere Künstler...« An einigen Punkten seiner Rede war Hulk offenbar so emotional geladen, dass seine Stimme kurzzeitig in ziemlich hohe Töne umschwang.

»Oh, dass ich das noch erleben darf. Unser zart besaiteter Künstler hat einen Wutanfall! Soll ich schon mal einen Lappen organisieren, damit man später die Sauerei wegwischen kann, Mozarter?«, von allen unbemerkt war der Lupo aufgekreuzt. Nun wurde Spike doch wieder ziemlich mulmig zu Mute. Derweil verlor Hulk seinen Sprechfaden, etwas entgeistert sah er den Kahlkopf an: »Was ist los?«

»Willst du ihn nun zerfetzen oder totquatschen?«, zischte der Lupo und grinste frech. »Steh nicht da wie eine Salzsäule. Tu was! Jetzt ist grimmige Entschlossenheit angesagt, damit der Neue seine gedankenlose Wortwahl kräftig bereut.«

»Äh?«, offenbar stand der Lange nun wieder auf dem Schlauch.

Seufzend machte der Lupo eine wegwerfende Handbewegung, »Ich habe mich wohl getäuscht. Ich dachte, da wäre tatsächlich mal ein Anflug von Aggression in dir, Mozarter. Doch das war nur heiße Luft. Schade, ich hatte wirklich für eine Millisekunde den Eindruck, aus dir könne doch noch ein richtiger Vampir werden. Na, was soll‘s. Kann halt nicht jeder ein gefürchtetes Raubtier sein.«

Dämlich grinsend stolzierte der Lupo weiter. Nun sah Hulk reichlich geknickt aus und ließ den Kopf hängen. Spike war nun seinerseits ein wenig angesäuert über die Arroganz des Kahlen und die Ratte drohte sogar mit geballter Pfote: »Mach dich ja vom Acker, sonst zeige ich dir, was ein wildes Raubtier ist!«

Dabei fletschte sie die Zähne und gab ein ziemlich beeindruckendes Knurren wie von einem Kampfhund von sich. Schon blieb der Lupo stehen und schielte über die Schulter.

»Habt ihr was gesagt?« Eilig stopfte Hulk die Ratte zurück in seine Hosentasche, bevor sie noch mehr Ärger vom Zaun brechen konnte.

»Äh, nö«, stammelte der Lange mit dem Afrolook dabei. »Alles cool, Mann.«

Ein wenig grimmig kniff der Lupo die verschiedenfarbigen Augen zusammen und machte ihnen mit einem Handzeichen klar, dass sie bei ihm vorgemerkt waren. Spike klopfte bei dem furchterregenden Anblick das Herz bis zum Hals. Nur mit Mühe konnte er sich überwinden, nicht schreiend wie ein kleines Mädchen davon zu laufen. Langsam fasste er sich wieder.

»Lass mich raus, den kneife ich bis er um Gnade winselt!«, quiekte es in Hulks Tasche. Kaum wurde die Ratte losgelassen, steckte sie schon wieder ihren Kopf an die Luft. Doch da war der Lupo auch schon in der Mensa verschwunden. Der Eingang zum Speisesaal befand sich nur wenige Schritte entfernt und würzige Düfte wehten ihnen entgegen. Zu Spikes Verwunderung roch es dabei in keins- ter Weise beängstigend oder widerlich, sondern eher ziemlich lecker. Etwas, das sein Gemüt zu beruhigen verstand. Auch die Ratte, die eigentlich weiter fluchen wollte, fing stattdessen an zu schnuppern.

»Auch gut«, quiekte sie, »dann mache ich den Angeber eben nach dem Essen fertig.«

»Allen Ernstes?«, Spike konnte das irgendwie nicht so recht glauben. Aber vielleicht besaß die Ratte ja ungeahnte Superkräfte, von denen er noch nichts wusste.

»Klar doch!«, antwortete stattdessen Hulk, der seine gute Laune schon wieder gefunden hatte. »Es gibt auch schon einen ultrageheimen Plan. Unser Ratten-Kumpel hier lässt sich als Nachtisch im Schlafrock dem Lupo servieren und fressen.«

»Und dabei bleibe ich ihm mörderisch im Halse stecken!«, jauchzte die Ratte die Pointe heraus. »Ist das nicht genial?«

»Äh«, Spike wusste nicht so recht, was er erwidern sollte, daher blieb er bei der Wahrheit. »Aber dann erstickt ihr beide.«

»In Echt?«, offenbar hatte die Ratte dies noch gar nicht bedacht. »Das wäre aber blöd. Wo ich doch gar nicht dabei draufgehen will. Ich glaube, da sollten wir uns bei Gelegenheit einen neuen Plan ausdenken. Du kannst uns dabei helfen. Du hast Köpfchen, Kleiner.«

»Aber so was von«, nickte Hulk und schnappte sich ein Tablett, kaum dass sie den Speisesaal betreten hatten. Dann reihte er sich an der Essensausgabe in die lange Schlange von Schülern ein. Spike stellte sich hinter ihm an, noch etwas verlegen über das Kompliment.

»Das wird sicher ein hammermäßiger Plan«, freute sich die Ratte schon jetzt, »aber vorher wird gegessen. Was gibt es denn heute?«

Das Gleiche fragte sich Spike auch und als er die Auswahl an drei Gerichten endlich sah, verschlug es ihm glatt die Sprache. Statt Blutpudding und Spinnenkompott hatten die Köche nämlich ganz ordinäre Pasta und ein Gratin zubereitet. Als drittes gab es dann doch noch etwas ziemlich Schauriges, nämlich gebratene Hühnerherzen.

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