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4. Hexenmeister wider Willen

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»He! Ihr zwei!« Von dem Gemäuer her nahte der Mann mit der bleichen Haut, die sporadisch von grünem Flaum überzogen war. Das Beben seiner Stimme verriet, wie aufgebracht er war. Dicht bei Spike und dem Langen blieb er stehen.

»Ihr zwei Chaoten vom Dienst sollt euch umgehend beim Direktor einfinden! Euretwegen steht die ganze Universität Kopf!«

Trocken schluckte Spike, denn erst jetzt fielen ihm die unheimlichen Augen des ohnehin grotesken Mannes auf. Sowohl seine Pupillen wie auch die Iris waren genau so weiß gefärbt wie der Rest seines Augapfels.

»Na los doch, folgt mir!«, verlangte der Mann und bewegte sich in eigenartig hüpfender Manier vorwärts. Auffordernd sah er dabei über die Schulter zurück.

Spike seinerseits schielte zu dem großen Farbigen auf. Erst jetzt hatte er die Muße auch ihn genauer anzusehen und im Moment gruselte er sich dabei überhaupt nicht. Im Gegenteil, mal abgesehen von den spitzen Zähnen sah der Riese sogar reichlich sympathisch aus. Er schien nur wenige Jahre älter als Spike selbst zu sein. Auf dessen zwei Meter Größe verteilte sich aber kaum Gewicht. Seine Figur war am besten mit den Worten hager und schlaksig zu beschreiben. Wangenknochen sowie Schlüsselbeine traten deutlich sichtbar hervor.

»Habt ihr da hinten Wurzeln geschlagen? Den Direktor sollte man nicht warten lassen!«

»Da hat er Recht, der kann sonst sehr ausfallend werden«, raunte der Große, »wir sollten tun, was er sagt. Vertraust du mir? Dir wird kein Leid zustoßen, das verspreche ich.«

Etwas skeptisch sah Spike erst zu ihm und dann in die Runde. Vereinzelt waren noch immer ein paar der seltsamen Gestalten anwesend. Andere machten sich schon auf den Weg zum Gemäuer. Trotz der guten Beleuchtung der Rasenfläche konnte Spike nirgendwo einen Ausgang ausfindig machen. Alles was er erkennen konnte, waren hohe Bäume, welche die Wiese umschlossen. Er wusste ja nicht einmal, wo er war und zwischen den Stämmen war es schaurig dunkel. Wer wusste schon, was ihn dort erwartete? An die Flucht voran war also nicht zu denken, daher blieb ihm keine andere Option. Also nickte er und setzte sich langsam in Bewegung.

Der alte Mann mit dem grünen Flaum und dem grauen Zopf fuchtelte schon ungeduldig mit den knorrigen Händen, an denen gebogene Adlerkrallen saßen: »Wird das heute noch was oder erst morgen? Mach schon Hulk, setz dich in Bewegung, du Hungerhaken! Sonst mache ich dir Beine.«

Diese Drohung des alten Herren zeigte Wirkung, mit großen Schritten trabte der Lange voran in Richtung Gemäuer und Spike folgte, so schnell ihn seine kurzen pummligen Beine tragen wollten.

Allzu weit musste der Junge nach all den Anstrengungen dann aber doch nicht laufen. Durch ein monumentales Portal führte der Weg ins Innere des turmhohen Anwesens, errichtet aus schwarzem Vulkangestein. Danach führte der Alte die zwei einen kurzen Korridor entlang und anschließend eine Wendeltreppe in die Höhe. Spike zählte sechs Stockwerke, eh es nicht mehr weiter ging und die Treppe endete. Weiter ging es durch einen neuen Flur und schon standen sie vor einer anderen, ebenfalls prunkvollen Teakholztür. In das Holz waren ganz ohne Zweifel die apokalyptischen Reiter eingebrannt. Angeführt von einem mageren Gaul und seinem Reiter, der wie der Tod persönlich nur aus Haut und Knochen bestand.

Neben der erhabenen Pforte standen rechts und links Sockel, auf denen schauderhafte Statuen weilten, die schimmerten wie Bronze. Sie stellten muskulöse Athleten mit Stierköpfen dar. Weit ausladend waren die Hörner gestaltet und ihre Gesichter glichen unheimlichen Fratzen mit gefletschten Zähnen. Eine der Kreaturen hielt dabei eine Tafel in Händen, auf der in goldenen Schnörkellettern »Direktor« geschrieben stand. Die zweite Statue wiederum hielt ein Glöckchen in die Höhe, das der Alte nun energisch läutete. Quietschend und ächzend öffneten sich die hohen Flügel der Tür daraufhin von selbst und der Mann stieß erst Spike und dann dessen hochgewachsenen Begleiter in das Dunkel jenseits des Türrahmens.

»Vergnüglichen Abend noch ihr zwei und sterbt recht schön...«

Damit zog sich der Alte zurück und Spike schüttelte es, »Wer ist der Kerl? Bei dem läuft es mir kalt den Rücken hinunter!«

»Ich weiß genau was du meinst, Alter«, kam es von dem schlaksigen Hulk, »das war der Lehrer für Mathematik, Physik und Alchemie ... brrr ... bei den Fächern grault es noch jeden.«

Leicht irritiert schielte Spike zu dem Witzbold. Mittlerweile hielt er den für völlig harmlos und fragte sich wie es möglich war, dass dieser vorhin bei der Brücke solchen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Im Vergleich zu anderen Gestalten, denen er in diesem Gemäuer begegnet war, schien der Lange echt ein Softie zu sein.

»Da seid ihr ja endlich!«

Dazu, weiter nachzugrübeln kam Spike nicht. Nach wenigen Schritten durch einen schummrig beleuchteten Saal, an dessen Wänden zur rechten und linken diverse Ritterrüstungen aus verschiedenen Epochen und Ländern ausgestellt worden waren, langten die zwei auch schon an einem besonders klobigen alten Schreibtisch an. Bergeweise vergilbtes Papier stapelte sich dort nebst Tintenfass, zahllosen Federkielen, Stempeln, Siegeln, Pendeln und Schatullen.

Die Stimme, die sie soeben vernommen hatten kam eindeutig von oben und so begann Spike zu schielen. Ein Kronleuchter hing direkt über dem Schreibtisch. Mit Wachskerzen war er bestückt, deren Dochte entzündet waren. Von einem der Arme des Leuchters hing ein großes Tier herunter, gehüllt in seine Flügel: Eine Hufeisennasenfledermaus, aber von der Größe eines Uhus!

Spike, der wohl vertraut war mit der Tierwelt, ahnte, dass da mehr dahinter stecken musste. Eine riesige Fledermaus an diesem Ort? Das sprach schier Bände.

»Habt ihr auch nur eine Vorstellung, welchen Aufruhr ihr verursacht habt?«, drang es vorwurfsvoll aus der Schnauze der Hufeisennasenfledermaus. »Was hast du dir dabei nur gedacht, Hulk? Einen Menschen an diesen Ort zu bringen?«

Der Angesprochene zog den Kopf zwischen die schmalen Schultern und Spike wurde es nun doch wieder mulmig zumute. An Flucht dachte er jedoch noch nicht, denn er war einfach neugierig darauf zu erfahren, was sich nun Unglaubliches abspielen würde und tatsächlich, er wurde nicht enttäuscht. Die Show, die man ihm hier bot, ging soeben weiter. Mit einem Seufzen ließ die kopfüber hängende Fledermaus den Arm des Kronleuchters los, stürzte erst ein Stück senkrecht in die Tiefe, breitete dann die ledrigen Schwingen aus und vollführte einen Salto. Doch damit fing der beste Teil erst an, denn nun begann sie sich noch im Fall zu verwandeln, wuchs in die Länge und aus dem Fledertier wurde ein stattlicher Mann, der punktgenau auf seinem Allerwertesten im gut gepolsterten Sessel hinter dem Schreibtisch landete.

Eine gewisse Blässe zeichnete auch diesen Zeitgenossen aus. Besonders bedrohlich hervorgehoben wurde sie durch seinen Kleidungsstil aus einem blutroten Seiden-Rüschen- hemd, einer schwarzen historischen Kniebundhose und einem dunklen Umhang, dessen Innenfutter smaragdgrün glitzerte. Im Gesicht wiederum unterstrichen sowohl ein ankerförmiger Kinnbart, wie auch der schmale Schnurrbart auf der Lippe, dessen Enden seitlich hochgestellt waren, das unheimliche Gesamtbild. Nicht zu vernachlässigen waren dabei natürlich auch die starken Brauen und das kurze schwarze Haupthaar, das mit viel Pomade glatt anlag und nur oben am Kopf über den Schläfen wie zu zwei kurzen Hörnern aufgestellt war. Unweigerlich fühlte sich Spike ein wenig an die Figur eines Teufels, namens Mephisto, aus Oper und Legende erinnert.

»Was nur hast du dir dabei gedacht, mein Junge?«, wandte der Mann seine unheimliche Stimme wieder an Hulk. »Dies ist die Mitternachtsuniversität. Ein Ort, an dem Geister, Gespenster, Phantome lernen richtig zu spuken. Hier treiben Vampire, Mumien, Monstren und andere Kreaturen der Dunkelheit ihr Unwesen. Hexen lernen die Magie einzusetzen, die ihnen innewohnt und zurzeit haben wir sogar einige Wertier-Austauschschüler unter uns.«

Die Stimmlage des Direktors schwankte schon hinüber ins theatralische. Spike hielt es für besser, sich ganz ruhig zu verhalten. Seine Beine fühlten sich ohnehin an wie aus Zement und er wäre gar nicht in der Lage gewesen, jetzt stiften zu gehen.

»Ja, Herr Direktor, aber hören Sie...«, stammelte Hulk, wurde aber unterbrochen.

»Todesfeen, Teufel, Trolle und Zyklopen drücken hier die Schulbank des Grauens. Meinst du nicht auch, dass ein Mensch das letzte Wesen auf Erden ist, dass hier in diesen altehrwürdigen Hallen etwas zu suchen hat?«

Mitten in der Rede brach der Direktor jedoch ab und schnupperte. Auch Spike kitzelte der penetrante Geruch schon eine Weile in der Nase. Die Quelle war eindeutig die lange Bohnenstange neben ihm.

»Wie überaus unangenehm«, der Direktor fing an mit der Hand zu wedeln, »ist das etwa Knoblauch?«

Nun begann auch Hulk an seinem Hemd zu schnuppern. Das war jedoch nicht die Quelle des üblen Geruches, zumal er sich vorhin umgekleidet hatte. Nein, der penetrante Knoblauchduft entsprang seinen Haaren.

»Das letzte Mal, als mir so speiübel war, befand ich mich anno 1862 auf einer Dinnerparty, auf der die Gastgeber aus Scherz nur Dinge servierten, die mit Knoblauch gewürzt waren: wie Knoblauchsuppe, Aioli, Knoblauchpastete, Gazpacho, Knoblauchwurst...« Der Direktor gab ein leises Würgen von sich, griff nach einem Flakon auf dem Schreibtisch, öffnete den Verschluss und schnupperte an dem flüssigen Inhalt und sogleich schien es ihm wieder viel wohler zu sein.

»Tut mir leid, Sir«, Hulk machte einen Schritt nach hinten, »das war der Jäger, der mich heimtückisch überfallen hat. Nur diesem Jungen allein habe ich mein Leben zu verdanken und im Übrigen ist er kein normaler Mensch und.«

Er stoppte, als der Direktor zweifelnd eine Augenbraue in die Höhe hob und Spike durchdringend ansah. Der hätte nun doch am liebsten die Fliege gemacht, konnte es aber nicht.

Links vom Schreibtisch, im vergoldeten Mülleimer, raschelte es und eine Ratte steckte ihren pelzigen Kopf heraus. Spike erkannte sie sofort, es war dasselbe Tier, das ihn nach seinem Erwachen im Sarg fast zu Tode erschreckt hatte.

»So, so«, in der Stimme des Direktors klang nun ein gewisses Wohlwollen mit, »hat er das? Wie heldenhaft. Aber wenn er denn kein Mensch ist, was ist er denn dann?«

»Tja«, kam der Farbige in arge Erklärungsnot. Die Ratte funkte ihm wie aufs Stichwort dazwischen: »Ich weiß was, ich weiß was! Vielleicht ist der Kleine ja ein Weißer Mann!«

Es war kein Wunder, dass Spike ein reichlich verwundertes Gesicht gemachte. Denn schließlich lag das doch auf der Hand, dass er kein Farbiger war. Mit hochgezogener Braue schaute auch der Direktor auf das altkluge Pelztier herab.

»Ein Weißer Mann? Du meinst, so wie die Weißen Frauen, jene legendären Totengeister, die in adligen Familien erscheinen, um das baldige Ableben ihrer Nachkommen anzukündigen?«

Eifrig nickte die Ratte mit dem klobigen Kopf und machte dabei Männchen. Doch der Direktor seufzte nur laut und nahm einen neuen Zug aus dem Riechfläschchen. Respektvoll wich Hulk einige Schritte vom Schreibtisch zurück, um sein Gegenüber nicht unnötig mit Knoblauchdünsten zu plagen. Spike wiederum blieb wo er war, als wäre er festgewachsen.

»Ich enttäusche dich nur ungern. Aber diese Geister sind immer weiblich. Von männlichen Pendants habe ich noch nie etwas vernommen«, der Direktor ließ die Fingerknochen knacken. Nun schmollte die Ratte erst einmal und Spike schielte verunsichert über die Schulter zu dem Schwarzen. Was hier gespielt wurde, war ihm immer noch schleierhaft.

»Gehe ich nun Recht in der Annahme, dass dieser Junge nur ein stinknormales menschliches Wesen ist?«, wandte sich der Rektor auch an den jungen Mann mit dem Knoblauch-Duft. Jener zog leicht den Kopf ein und lächelte schief, statt eine Antwort zu geben. Seufzend fuhr sich der Direktor mit der rechten Hand über das Gesicht. Seine Finger endeten in spitzen Nägeln.

»Was hat dieser Junge dann hier verloren? Dies ist eine Universität für Gespenster, Magier, Dämonen und Nachtgestalten! Um es anders zu formulieren: Für Wesen, die für die Menschen ins Reich der Legende gehören! Und das ist auch gut so! Denn was würde wohl geschehen, wenn sie wüssten, dass es das Ungeheuer im Kleiderschrank wirklich gibt oder dass nicht nur fette Bisamratten unter ihren Brücken hausen, sondern auch Trolle? Das manche ihrer Wasserspeier auf den Dächern der Kirche gar nicht aus Marmor bestehen oder dass viele Tauben, Krähen oder Möwen in Wahrheit Sirenen oder Harpyien sind, die sie mit einem Lied oder einem Schrei ins Verderben stürzen könnten?«

Während seiner Rede beugte sich der Mann im edlen Zwirn über den klobigen Schreibtisch und stierte Hulk mit brennendem Blick an: »Sag mir, was wäre dann?«

»Ich weiß was, ich weiß was!«, krähte die Ratte dazwischen. Nun wanderte der böse Blick des Direktors weiter zu ihr, sie ließ sich aber nicht einschüchtern. »Das wäre der Ober-Mega-Hammer-Super-Gau!«

Seufzend ließ sich der Direktor wieder in seinen Stuhl fallen, »Das Ende der Welt wäre es! Alles würde in Panik, Chaos und Massenhysterie untergehen! Die Fäden der Zivilisation würden zerreißen, Anarchie würde ausbrechen und das Gesetz der Willkür würde Einzug halten.« Nun klang sein Seufzen schon fast nach einem Schmachten. »Was für eine herrliche Vorstellung...« Trocken schluckte Spike und sein Gegenüber fand wieder zu sich.

»Es wäre so schön, die alte Ordnung wieder herzustellen, aus jenen vergangenen Zeiten, in denen Dämonen und Naturgeister die Erde und das Leben darauf beherrschten. Bis zu jenen Tagen, als sich der Mensch über alles erhob und es mittels seiner Technik beherrschte. Wir Gelichter wurden ins Dunkel der Mythen vertrieben und fristen unser Dasein im Geheimen. Doch wir müssen uns mit unserem neuen Platz im Weltgefüge arrangieren. Denn die Menschen sind in der Überzahl. Wie viele gibt es von ihnen heute, Junge? An die acht Milliarden oder sind es schon neun Milliarden?«

Stumm wie ein Fisch nickte Spike beklommen mit dem Kopf. Schon rang sein Gegenüber mit den Händen wie der Held einer tragischen Operette.

»Wahrlich, sie sind in der Überzahl. Dagegen können wir Vampire, Dämonen und Gelichter nicht anstinken. Gibt es doch von manchen unserer zahllosen Arten nur noch Einzelexemplare. Zu dumm, dass wir Vampire uns mit den größten anderen Clans neben den unseren - jenen der Wer- tiere - in einer ewig andauernden Feindschaft befinden. Zusammen mit ihnen hätten wir vielleicht bessere Chancen.« Er stoppte sich selbst mitten im Satz. »Doch das tut hier und jetzt nichts zu Sache! Nun gilt es erst einmal dieses Problem zu lösen! Der Junge hat zu viel gesehen, ach was rede ich da, er hat alles gesehen! Er weiß nun, dass es uns gibt und das ist ein wahrlich großes Problem und warum ist es ein solches?«

»Ich!«, quietschte die Ratte. »Das weiß ich nun wirklich! Das ist ein Problem, denn wenn wir ihn gehen lassen und er es herum erzählt, dann halten ihn alle für verrückt und er kommt in die Klatschpresse und die Psychiatrie!«

Verdattert schaute Spike zu der Ratte. Garantiert wäre er nicht so dämlich, Hinz und Kunz von all dem Verrückten hier zu berichten. Resigniert stöhnte derweil der Direktor.

»Ich werde keinem was sagen«, piepste Spike, »die würden es eh nicht glauben. Außerdem halten mich meine Klassenkameraden sowieso für spleenig, da wäre ich schön blöd ihnen von Untoten und Mutanten zu erzählen, als seien sie echt.« Er stoppte sich selbst. War er doch in einen schönen Fettnapf getreten. Der Direktor aber nahm dies wohl nicht krumm. Stattdessen goss er sich aus einer Karaffe eine rote Flüssigkeit in ein Glas und stürzte den Inhalt in einem Zug herunter. Danach nahm er Spike ins Visier.

»Du scheinst recht intelligent zu sein, Junge, und ich nehme es dir ab, was du sagst. Doch da draußen gibt es andere als deine kleinen Klassenkameraden und die können dich zum Sprechen bringen, ob du nun willst oder nicht.«

Bei diesen Worten kauerte sich die vorlaute Ratte platt auf den Dielenboden, auf dem sie seitlich vom Schreibtisch hockte. »Die Jäger«, raunte sie und dieses eine Mal schien sie einen Volltreffer gelandet zu haben, denn der Direktor nickte würdevoll: »Diese Typen quetschen aus jedem heraus, was sie erfahren wollen und du weißt eindeutig zu viel, um dich so einfach laufen zu lassen.«

Spike durchfuhr es wie ein Blitzschlag und draußen begann ein heftiger Sturm zu tosen. Was hatte das nur zu bedeuten?

»Sie wollen mich nicht gehen lassen?«, keuchte der Junge.

»Am liebsten würde ich dich einfach so dem Monster in den Katakomben zum Fraß vorwerfen. Das wäre am einfachsten für alle Beteiligten. Leider ist das Biest nur gerade auf Diät.«

Fassungslos starrte Spike den Direktor an, der Sturm draußen toste immer heftiger und Hulk begann wie wild mit den Armen zu fuchteln, so als wollte er etwas Wichtiges äußern. Doch der Direktor erteilte ihm nicht das Wort, sondern gebot ihm still zu schweigen.

»Du hast uns den Schlamassel eingebrockt, Hulk. Warum nur hast du diesen Jungen hier her gebracht? Ich verstehe es einfach nicht!«

Mit zusammengekniffenen Augen stierte der Direktor den immer noch erstarrten Spike von oben bis unten an. Sein Augenmerk haftete dabei auf dem blutroten Flecken auf dessen weißem Hemd.

»Ist es das? Machst du Fortschritte und wolltest dir einen kleinen Snack genehmigen? Doch du solltest längst wissen, wie man Bisswunden wieder heilt und dass mein sein Opfer deshalb noch lange nicht zu einem Hausbesuch an der Mitternachtsuniversität einladen darf!«

»Sorry, Doc«, die Ratte war heran gewieselt und mit einem Wahnsinnssatz auf Spikes linker Schulter gelandet. Sie schnupperte intensiv an einem der Flecken. Beunruhigt schielte Spike zu dem kessen Nager. »Unser Junior macht keine Fortschritte - das ist nur Tomatensaft.«

»Ich«, erhob der dunkelhäutige junge Mann sein zartes Stimmchen. Weiter kam er aber nicht, da der Direktor mit geballter Faust auf den Tisch schlug: »Das kann doch wohl alles nicht wahr sein! Was für Scherereien das alles mit sich bringt! Jetzt muss ich ihn irgendwo einquartieren und bewachen lasen, damit er nicht ausbüxt und keiner der Schüler auf dumme Ideen kommt ... dann müssen wir ihm das Gedächtnis löschen und abwarten und nach frühestens zwei bis vier Wochen können wir dann endlich sicher sein, dass er sich wirklich an nichts mehr erinnert und dann darf er gehen. Bis dahin müssen wir ihn durchfüttern und...«

»Einen Monat?«, Spike glaubte sich verhört zu haben. Seine Starre legte sich schlagartig und er machte ruckartig einen Schritt vorwärts. Die Ratte war derart überrascht, dass sie rücklings von seiner Schulter purzelte, im Sturz aber eine Rolle machte und sicher auf den Pfoten landete. Eilig wieselte sie zu Hulk und versteckte sich hinter dessen rechtem Fuß.

Für Spike war unterdessen Schluss mit lustig. Das warme Gefühl in seinem Magen brandete wieder auf. Draußen jaulte der Sturm wie bei einem Hurrikan und dann sprang das große Fenster an der Rückwand auch schon scheppernd auf. All die getürmten Akten wehten durcheinander und sofort erloschen die meisten Kerzen im Raum vom eindringenden Wind. Nur einige wenige Öllampen blieben verschont. Die düstere Stimmung des Saals wurde noch unheimlicher, doch davon ließ sich Spike nicht aufhalten.

»Sie können mich doch hier nicht einfach so festhalten! Das ist Freiheitsberaubung und überhaupt, was soll nur der ganze Wahnsinn? Bin ich verrückt geworden, ist das ein Traum? Habe ich zu viele Videospiele gespielt oder bin überfahren worden und in der Vorhölle gelandet?«

Spike stand nun direkt vor dem klobigen Schreibtisch und stützte sich darauf. Der Direktor hatte an Haltung verloren, zog die Arme an und starrte ihm ins Angesicht. In diesem Moment glühten Spikes unscheinbar braungrüngraue Augen förmlich auf und als sich der Schimmer legte, hatten sie die leuchtende Farbe des Bernsteins angenommen.

Abermals jaulte der Sturm und als Spike gerade mit Nachdruck verlangte, dass man ihn auf der Stelle gehen ließe, schoss eine glühende Kugel durch das offene Fenster herein. Der Kugelblitz rollte im Zickzack über den Boden und sprang dem Direktor, entgegen aller physikalischen Gesetze, buchstäblich in den Schoß. Eine kleine Explosion folgte und als sich der Rauch legte, sah das kreidebleiche Gesicht des Direktors reichlich rußig aus. Das pomadige Haar stand ihm wild vom Kopf ab und von hinten kam ein anerkennendes Pfeifen von Hulk, der sich ansonsten nicht gerührt hatte.

Spike selbst verharrte nun auch wieder. Der Sturm hörte auf zu jaulen und verstört sah sich der Junge um. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, was soeben geschehen war. Sein Blick blieb an einem großen Wandspiegel hängen und er musste dreimal hinsehen, bis er es glaubte. Seine Augen hatten die Farbe gewechselt, leuchteten nun mysteriös und im selben Bernsteinton wie von seiner alten Freundin, der dreifarbigen Katze.

»Wahrlich beeindruckend«, keuchte der Direktor, zückte ein Spitzentaschentuch und wischte sich damit über das Gesicht. Ansonsten schien er keinen weiteren Schaden davon getragen zu haben. »Was um alles in der Hölle war das gerade?«

Verwirrt glotzte Spike ihn an, während Hulk versuchte, sich abermals zu Wort zu melden, »Ich...«

Doch ein gestrenger Fingerzeig des Rektors ließ ihn inne halten. Der bleiche Mann in dem blutroten Hemd beugte sich gerade weit über seinen Schreibisch und nahm Spike dabei ins Visier. Der machte nun ein Gesicht wie ein Babykaninchen, das sich wehrlos einem hungrigen Falken gegenüber sah.

»Einen kurzen Augenblick mal ... vor all dem Knoblauchgestank hätte ich eines fast überrochen.« Der Direktor nahm die Witterung auf. »Was ist das für ein Hauch von Mystik und Magie? Noch sehr schwach ausgeprägt, doch da steckt großes dahinter.«

Wieder musste Spike schlucken, immerhin wandte der Rektor nun seinen Blick von ihm ab, »Nun rück schon raus mit der Sprache, Hulk! Was wird hier gespielt und warum haftet diesem Knirps der Hauch der Zauberei an?«

»Tut es das?«, wisperte der Große. »Hat es tatsächlich funktioniert? Ich meine: Ja, es hat geklappt! Natürlich, der Plan war auch idiotensicher!« Mit hoch gezogener Braue starrte der Direktor zu ihm und der Jungspund mit dem Afrolook fasste sich wieder.

»Etwas genauer, wenn ich bitten darf«, knurrte der Schulleiter mit drohendem Unterton, »wie genau lief das ab?«

»Oh«, der schlaksige Riese versuchte sich so lässig zu geben wie nur möglich, »das war voll die Aktion! Naja, es fing ganz harmlos an, als ich unlängst so einer bunt gescheckten Katze begegnete. In Wahrheit war sie eine Hexe und da sie wusste, dass ihr Ende nahe war, suchte sie verzweifelt nach einem Erben. Das hab ich dann korrekt für sie gedeichselt, denn ich kannte da genau den Richtigen und so hat ein ... ähm ... befreundeter Hund diesen jungen Herren hier zu der Hexe geführt und danach hat sie ihm dann, simsalabim, ihre Kraft übertragen.«

»Was?«, vor Schreck zuckte Spike zusammen. Leicht begann das Zimmer zu schwanken und der Direktor krallte sich mit seinen kräftigen Nägeln in die polierte Tischplatte. Tief musste er Luft holen, um die Fassung zu wahren. Dabei zuckte er aber erneut leicht zusammen.

»Das riecht nicht nach der üblichen Provinz-Möchte- gern-Hexe, sondern nach archaischem Zauber, alt wie die Zeit selbst. Wer genau war diese Hexe, die so mir nichts, dir nichts einem dahergelaufenen Wicht wie diesem all ihre Macht übergab?« Mit scharfem Blick sah er zu Hulk, der nervös an den Rüschen an seinem Hemd fingerte.

»Och na ja, das war halt so 'ne olle Tante. Steinalt, aber eigentlich ganz nett. Hat mir mal 'ne Kräutertinktur verabreicht, als ich mir die Pfote - ähm - den Finger verstaucht hatte und sofort ging es mir wieder korrekt gut.«

»Nicht ablenken«, der Direktor kämpfte offenbar schwer damit, nicht an Ort und Stelle auszurasten, »konzentrier dich, Hulk! Den Namen will ich wissen! Welche Hexe ist von uns gegangen und hat ihr Erbe weitergereicht?«

»Also«, wich der Farbige erst aus, gab dann aber unter dem stechenden Blick seines Gegenübers doch nach, »ihren richtigen Namen hat sie mir nicht verraten, aber.« Seine Stimme wurde dabei immer leiser. Spike konnte das Wispern kaum noch verstehen. Doch im Gegensatz zu ihm hatte der Direktor Ohren wie ein Luchs. »Ich glaube, man nannte sie wohl allerorten nur die - Hexe von der Promenade?«

Den letzten Teil hatte Spike gar nicht mehr verstanden, der Schulleiter aber sehr wohl. Wie von der Tarantel gestochen sprang jener auf und fuchtelte wild mit den Armen umher.

»Die Hexe von der Promenade?«, brüllte der Rektor so laut, dass sich alle Anwesenden die Ohren zuhalten mussten. Wild gestikulierte er dabei mit den Armen. »Du sagst, es war die Hexe von der Promenade am steinigen Meeresstrand?« Offenbar konnte der Mann es nicht fassen. Spikes Verwirrung steigerte sich ins Unendliche, während Hulk nur sachte mit dem Kopf nickte.

»Das kann doch nicht sein, dass die mächtigste lebende Hexe in unserer Hemisphäre all ihre Macht an so einen dahergelaufenen Wicht vererbt!«

»Ich verstehe nur Bahnhof«, gab Spike es zu, »können Sie mich nicht einfach gehen lassen? Ich schlafe eine Nacht drüber, sage mir, dass alles nur ein Traum war und erzähle keiner Menschenseele davon. Von mir aus können Sie auch mein Gedächtnis löschen, nur lassen Sie mich möglichst schnell von diesem Ort verschwinden ... ich fürchte, sonst verliere ich noch mein letztes bisschen Verstand.«

Der eben noch brüllende Rektor fasste sich wieder und ließ sich in den gepolsterten Sessel fallen. Er seufzte und sah zu ihm: »Dich gehen lassen? Das ist nicht möglich mein Junge. Es hat sich alles geändert, durch diese Neuigkeit. Nun wirst du hier bleiben, bei uns und das nicht nur für einen Monat, sondern voraussichtlich für die nächsten Jahre.«

»Wie bitte?«, Spike geriet völlig außer sich. Wieder begann der Boden mit den Dielen zu wackeln. Aus den hohen Regalen an den Wänden purzelten Bücher heraus und draußen kam der heftige Wind wieder auf. Blitze zuckten und drei neue Feuerbälle schossen herein, rollten durchs Zimmer. Sie kamen diesmal genau auf Spike zu, verglühten aber im Abstand von einer Handbereit zu seinen Füßen. Schwer atmete der Junge. Die aufgeflackerte Wut in ihm erlosch. Sofort hörte das Zimmer auf zu schwanken und draußen legte sich der Wind. Erschöpft ließ er sich auf die Dielen fallen und rang nach Luft.

Der Direktor, sichtbar schwer beeindruckt, rutschte vom Sessel herunter und bog um den Schreibtisch herum. Mit ziemlich besorgter Miene beugte sich bereits Hulk über den Jungen, der am Boden hockte und ins Leere stierte. Die Ratte sprang gerade von seiner Schulter, machte Männchen und quiekte etwas von einem saucoolen Auftritt.

»Es mag schwer für dich sein«, die Stimme des Schulleiters klang nun versöhnlich, »dies alles ist neu für dich. Doch zu deiner eigenen Sicherheit und der deiner Mitmenschen ist es unumgänglich, dich eine Weile hier zu behalten. Sterbende Hexen und Zauberer geben ihre magische Macht kurz vor ihrem Tod an die nächste Generation weiter. So sterben nur ihre physischen Hüllen, doch die Magie überdauert Jahrhunderte. Dir hat eine der mächtigsten Hexen ihr Erbe vermacht und somit ändert sich alles, was ich vorhin gesagt habe. Die Mitternachtsuniversität ist kein Ort für Menschen, jedoch für Magier, Geister und Dämonen. Uns Menschen gegenüber zu zeigen ist verboten. Doch du bist jetzt einer der unseren und wir dürfen uns dir offenbaren. Willkommen an der Universität des Grauens.«

Schwer verunsichert sah Spike von dem Mann zu Hulk und wieder zurück. All das geistige Chaos, das er am heutigen Tage hatte ertragen müssen, war nichts gegen das Gefühl der Verwirrtheit, das er nun gerade empfand.

Der Schulleiter räusperte sich in einem Anflug von Respekt, den er nun urplötzlich vor Spike empfand. »Dein bisheriges Leben endet in diesem Augenblick und ein neues Kapitel wird aufgeschlagen. Deine Ausbildung zum Hexenmeister wird morgen beginnen.«

Die Mitternachtsuniversität

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