Читать книгу Studienführer Medizin - Saskia Christ - Страница 9
Weniger gute Gründe für ein Medizinstudium
ОглавлениеØDu weißt nicht, was Du sonst mit Deinem 1,0-Abitur machen sollst Lass es. Es gibt viele Abiturienten, die gern Medizin studieren würden und nicht den Abischnitt dazu haben. Und wenn Du dann nach drei Semestern abbrichst, um doch Kunstgeschichte zu studieren, was Du ja eigentlich machen wolltest, Dich aber nicht getraut hast, weil Dir Freunde und Familie gesagt haben, mit so einem Abi musst Du einfach Medizin studieren, ja, dann ist auch keinem geholfen. Also setz Dich durch und studiere gleich Kunstgeschichte oder Vergleichende Textilwissenschaft, kulturgeschichtlich, oder wonach auch immer Dir der Sinn steht.
ØDu denkst, dass Dir ein weißer Kittel gut stehen würde Dazu ist Folgendes zu sagen: Du trägst ihn eh nicht lange. Ich habe schon seit Jahren keinen mehr getragen. Wenn es irgendwie geht, steigst Du ganz schnell auf ein kürzeres Modell um oder Du verzichtest gleich ganz darauf, denn Kittel sind verdammt unpraktisch. Dauernd bleibst Du damit irgendwo hängen und wenn Du ihn schließt, dann brauchst Du garantiert irgendwas aus dem Kasack, den Du darunter trägst. Und für die Mädels: Wenn Ihr glaubt, dass Euch mit Kittel und Stethoskop um den Hals die Patienten endlich nicht mehr mit »Schwester« anreden, so irrt Ihr. Als Frau bleibst Du immer die Schwester, auch wenn Du ein Namensschild trägst und Dich mit: »Guten Tag, ich bin die Stationsärztin«, vorstellst.
ØIrgendwer muss schließlich Papas Praxis übernehmen Natürlich spricht überhaupt nichts dagegen, Medizin zu studieren, wenn Deine Eltern auch Ärzte sind. Es kann sein, dass Du schon während Deines Studiums nichts lieber machen möchtest, als wie Papa Augenarzt zu werden und mit ihm in seiner Praxis zu arbeiten. Aber was, wenn Du nach zwei Semestern merkst, dass Du mit Augen so gar nichts anfangen kannst und lieber Orthopäde werden möchtest? In vielen Familien mag das kein Problem sein, Du solltest diese Konstellation jedoch vor Deinem Studium einmal ansprechen, um falsche Erwartungen zu vermeiden. Noch schlimmer ist es, wenn Du eigentlich gar nicht Medizin studieren willst und es nur Deinen Eltern zuliebe tust, weil sie sich nichts sehnlicher wünschen, als dass Du die Praxis übernimmst. Nur weil Deine Eltern Mediziner sind, musst Du aber noch lange nicht den gleichen Wunsch haben. Du darfst auch Metzger werden, wenn Du das möchtest.
ØDie Sache mit dem Prestige Reden wir mal gleich Klartext: Ja, Mediziner ist ein prestigeträchtiger Job. Und es ist genau wie mit allen Dingen, die Du mal als besonders wahrgenommen hast – irgendwann ist es einfach Alltag. Du wirst nicht den Rest Deines Lebens mit stolzgeschwellter Brust verkünden, dass Du Arzt bist. Ganz im Gegenteil. Du wirst Dir möglicherweise schon während des Studiums ab und an mal überlegen, ob Du auf die Frage eines Fremden, was Du so studierst oder beruflich machst, irgendwas anderes sagst. Du wirst nämlich schnell ein paar Dinge feststellen, zum Beispiel, dass die Aussage, Medizin zu studieren oder als Arzt zu arbeiten, ein absoluter Konversationskiller ist. Natürlich kommt das auf den Kreis an, in dem Du Dich bewegst. Leute, die selbst etwas »Prestigeträchtiges« studieren (was auch immer das sein mag, meine eigene Einschätzung hat sich da über die Jahre sehr gewandelt), wird das weniger interessieren. Ich habe es aber oft genug erlebt, dass eine zwanglose Konversation mit Fremden nach der Nennung meines Studienfachs oder Berufs schnell endet, manchmal garniert mit der Aussage: »Dann musst Du ja wahnsinnig intelligent sein«. Ich weiß dann nie, was ich sagen soll. Ich kenne ja naturgemäß viele Mediziner und die sind meiner Einschätzung nach auch nicht intelligenter als die meisten anderen Menschen mit Abitur (und auch genügend ohne Abitur). Das zu erklären, ist allerdings zwecklos und lenkt die eh schon verlorene Konversation in eine ganz falsche Richtung.
Warum also erzähle ich Dir das jetzt? Um Dir zu sagen, dass Prestige die absolut falsche Motivation für ein Medizinstudium ist. Das, was Dir für Deine Berufswahl an Anerkennung gezeigt wird, kommt garantiert von den falschen Leuten, während es für die Menschen, an denen Dir wirklich gelegen ist, eh nicht sonderlich wichtig ist, was Du beruflich machst. Wenn Du Medizin studieren möchtest, dann tu es, weil Du das Fach interessant findest und weil Du Dich in den Dienst der Menschheit stellen willst, auch wenn das etwas pathetisch klingt (das mit dem Dienst an der Menschheit sollte Dich zumindest nicht übermäßig stören, das wäre schon mal ein Anfang). Mir hat mal jemand den schönen Satz gesagt: »Du kannst Dich entscheiden, heute mal nicht Architekt zu sein, nicht Jurist und nicht Einzelhandelskaufmann, aber Du kannst Dich nie entscheiden, heute mal kein Arzt zu sein«. Das kann ziemlich nerven, denn es entspricht auch den Erwartungen Deiner Mitmenschen. Gerade Nicht-Mediziner erwarten, dass Du zu jedem Wehwehchen eine Meinung hast und natürlich kompetent Auskunft geben kannst (mal im Ernst, was weiß ich als Anästhesistin schon von Augenkrankheiten?). Dass Du immer wieder in solche Situationen hineinmanövriert wirst, hat viel mit dem Prestige des Arztberufes zu tun und Du wirst es wirklich ganz schnell verfluchen (spätestens, wenn Du am späten Abend Dein Augenheilkundebuch hervorkramen musst, weil der Freundin von Tante Gerda das mit dem roten, tränenden Auge einfach keine Ruhe lässt). Also überleg Dir das mit Deiner Motivation nochmal ganz genau, bevor Du Dich für dieses Studium entscheidest.
Kleine Nebenbemerkung am Rande: Das eben Gesagte gilt überhaupt nicht für Deine engere Familie. Hier gilt das Sprichwort: »Der Prophet gilt nichts im eignen Land«. Eine typische Konversation geht da in etwa so:
»Papa, diesen geschwollenen Fuß solltest Du unbedingt röntgen lassen, das könnte ein knöcherner Bandausriss sein.«
»Ach was, so schlimm wird es nicht sein.«
»Doch, Papa, bitte, lass das röntgen.«
»Jaja.«
Fünf Stunden später:
»Stell Dir vor, sie haben gesagt, das muss man sofort röntgen und dabei stellte sich heraus, es ist ein knöcherner Bandausriss! Wer hätte das gedacht?«
»Ich, ich hätte das gedacht! Danke schön!«