Читать книгу Der Zirkadian-Code - Satchin Panda - Страница 12
Zirkadiane Rhythmen existieren wirklich
ОглавлениеFrüher glaubte man, dass unsere Tag-Nacht-Zyklen allein durch äußere Einflüsse bestimmt wurden: Das Morgenlicht weckte uns, und wenn der Mond am Himmel erschien, war es an der Zeit, schlafen zu gehen. Noch bis Mitte der 1970er-Jahre taten viele Wissenschaftler das Gebiet der zirkadianen Biologie als nutzlos ab. Obwohl man schon um das Jahr 1700 wusste, dass Pflanzen über eine innere Uhr verfügen, ließ sich die Idee, dass auch Menschen und Tiere eine Art inneren Auslöser besitzen, schwer nachweisen. Man ging allgemein davon aus, dass der Mensch als hoch entwickelte Spezies neben Sonne und Mond auch noch von anderen äußeren oder Umweltfaktoren beeinflusst sein müsste.
Was passiert, wenn unsere innere Uhr aus dem Takt gerät?
Experimente mit Pflanzen durchzuführen, erwies sich als einfach genug: Eine Pflanze, die man in einen dunklen Kellerraum stellt, bewegt ihre Blätter trotzdem gemäß einem bestimmten inneren Rhythmus auf und ab.21 Viele Pflanzen heben ihre Blätter während des Tages an, um mehr Energie aus dem Sonnenlicht zu gewinnen. Nachts lassen sie die Blätter meist wieder sinken, weil es Energieverschwendung wäre, sie angehoben zu lassen. Viele Blumen blühen nur am Tag, wenn bestäubende Insekten und Vögel unterwegs sind. Manche allerdings, wie der Jasminbaum neben dem Haus meiner Großeltern, blühen bei Nacht. Diese Pflanzen bauen bei der Bestäubung auf den Wind und nicht auf Tiere.
Welche Art von Schichtarbeiter sind Sie?
Laut der europäischen Definition für Schichtarbeiter handelt es sich dabei um Personen, die mehr als 50 Tage im Jahr drei Stunden oder mehr zwischen 22 Uhr abends und 5 Uhr morgens wach sind. Ich glaube allerdings, dass wir aufgrund unserer Lebensweise mehr oder weniger alle Schichtarbeiter sind. Welche Art von Schichtarbeit trifft auf Sie zu?
•Traditionelle Schichtarbeit: Ungefähr 20 bis 25 Prozent der Menschen, die in Industrie- oder Entwicklungsländern in zivilen Berufen tätig sind, leisten Schichtarbeit. Dazu zählen alle, die im Rettungsdienst arbeiten (Feuerwehrleute, Leitstellenmitarbeiter), Polizisten, Reinigungspersonal und Mitarbeiter im Gesundheitsdienst (Krankenpfleger, Ärzte), in der Fertigung, beim Bau, bei Versorgungsdiensten, im Luftverkehr (Piloten, Kabinenpersonal, Bodenpersonal), im Bodentransport, im Nahrungsmittelbereich oder im Callcenter.
•Schichtarbeiterähnliche Lebensweise: Hierunter fallen beispielsweise Oberschüler und Studenten, Musiker, darstellende Künstler, junge Mütter, pflegende Angehörige und die Partner von Schichtarbeitern.
•Jobs in der Gig-Economy: Dazu zählen Teilzeitfahrer für Mitfahragenturen und Auslieferer von Lebensmitteln, Personen mit flexiblen Arbeitszeiten und Freiberufler.
•Jetlag: Dieser tritt ein, wenn Sie innerhalb eines Tages zwei oder mehr Zeitzonen durchqueren. Nahezu 8 Millionen Menschen steigen jeden Tag ins Flugzeug20 und die Hälfte von ihnen durchqueren dabei mindestens zwei Zeitzonen.
•Social Jetlag: Tritt ein, wenn man am Wochenende länger schläft und mindestens 2 Stunden später aufwacht als unter der Woche. Über 50 Prozent der Bevölkerung in unser modernen Gesellschaft leiden darunter.
•Digital Jetlag: Hierzu kommt es, wenn Sie über soziale Netzwerke oder digitale Medien mit Freunden oder Kollegen sprechen, die mehrere Zeitzonen entfernt leben und folglich mehr als drei Stunden zwischen 22 Uhr und 5 Uhr morgens wach sind.
•Jahreszeitlich bedingte affektive Krankheiten: Millionen von Menschen leben in den äußeren nördlichen oder südlichen Breitengraden (z. B. die Einwohner von Nordkanada, Schweden, Norwegen und Südchile). Im Winter gibt es dort weniger als acht Stunden, im Sommer mehr als 16 Stunden Tageslicht. Diese Extreme stören den zirkadianen Rhythmus.
Die nächsten Studienreihen waren schon schwieriger, und die Forscher begannen mit Insekten, Vögeln und schließlich auch anderen Tieren zu arbeiten. Sie untersuchten den Zeitpunkt, an dem aus Larven Fruchtfliegen wurden – ein zirkadianes Phänomen, das nur am Morgen stattfindet, wenn wenig Wind und eine höhere Luftfeuchtigkeit vorhanden sind. Sie analysierten die Wandermuster von Zugvögeln und die Schlaf-Wach-Rhythmen anderer Tiere. Auch Labormäuse wurden in einer kontrollierten Umgebung untersucht.22 Wenn man sie konstanter Dunkelheit aussetzte, wachten sie trotzdem präzise wie ein Uhrwerk auf und schliefen ein, und zwar in einem Rhythmus von 23 Stunden und 45 Minuten. Auch die inneren Uhren vieler Pflanzen und Pilze folgen einem Rhythmus, der ungefähr 24 Stunden entspricht.
Die Überprüfung, ob Menschen ebenfalls über solche inneren Uhren verfügen, schien lange Zeit nahezu unmöglich, weil es schwierig ist, alle externen Zeithinweise und Verbindungen zur Außenwelt zu kappen. In den 1950er-Jahren allerdings hatten Forscher eine Idee: Sie nahmen ein einfaches Telefon, über das ein Freiwilliger nur zu einer einzigen anderen Person Kontakt aufnehmen konnte. Der Freiwillige begab sich dann in eine Höhle tief in den Anden. Er nahm nichts anderes mit als ausreichend Nahrungsmittel, Kerzen und Lesematerial für mehrere Wochen. Jedes Mal, wenn er müde genug war, um schlafen zu gehen, rief er seinen Partner am anderen Ende der Telefonleitung an, der dann die Zeit festhielt. Auch beim Aufwachen erfolgte ein Kontrollanruf. Die Studie zeigte, dass der Schlaf-Wach-Rhythmus mehrere Wochen lang wie am Schnürchen funktionierte. Trotzdem ging der Freiwillige jeden Tag ein kleines bisschen später schlafen, was ein Anzeichen dafür war, dass sein innerer Zyklus etwas länger war als 24 Stunden. Tatsächlich betrug er genau 24 Stunden und 15 Minuten. Dieser Zyklus war so vorhersehbar, dass er nur durch eine innere Uhr gesteuert sein konnte.23
Die Tatsache, dass der zirkadiane Rhythmus nicht exakt 24 Stunden beträgt, ist nicht verwunderlich, da auch der Abstand von Sonnenaufgang zu Sonnenaufgang in den meisten Teilen der Erde nicht genau 24 Stunden beträgt. Durch die Neigung der Erdachse gibt es bei der Umkreisung der Sonne Zeiten im Jahr, in denen entweder die nördliche oder die südliche Erdhalbkugel stärker der Sonne zugeneigt ist. Während die Tage im Verlauf des Jahres länger oder kürzer werden, verändern sich auch die Zeiten, zu denen die Sonne auf- und untergeht. Am Äquator ist diese Veränderung kaum spürbar, aber wenn Sie in Boston, Stockholm oder Melbourne leben, kann sich der Sonnenaufgang von einem Tag auf den nächsten um mehrere Minuten verschieben. Wenn die Tage mit der Ankunft des Sommers wieder länger werden, weckt uns unsere innere Uhr etwas früher am Morgen, wenn die Sonne aufgeht. Wenn wir von einer Zeitzone in die nächste fliegen, passt sich unser Schlaf-Wach-Rhythmus langsam an die neue Zeitzone an. Diese Beispiele sind nur einige unter vielen, die zeigen, warum wir eine innere Uhr haben und wie ihre Fähigkeit, sich anzupassen, mit den Änderungen von Sonnenaufgang oder Tageslänge zusammenhängt. Sobald dies einmal feststand, gingen die Forscher davon aus, dass zirkadiane Rhythmen mit Licht zusammenhingen oder daran festgemacht werden konnten.