Читать книгу Der Zirkadian-Code - Satchin Panda - Страница 22

Rhythmus Nr. 1: Schlaf – Die Wahrheit über Lerchen und Eulen

Оглавление

Viele Menschen glauben, dass sie ausgesprochen früh oder spät zu Bett gehen und entsprechend früh oder spät aufwachen. Sie schreiben diese Schlafgewohnheiten genetischen Ursachen zu und beschreiben sich dann entweder als Nachteulen, die lange aufbleiben können, oder als Lerchen, also Morgenmenschen, die früh wach werden.

In Wahrheit ist es so, dass die Frage, ob wir Morgenmenschen oder Nachteulen sind, sich mit dem Alter ändern kann. Kleinkinder werden in der Regel früh wach, weil sie schon früh am Abend einschlafen. Wenn Sie versuchen, Ihr Kind bis 21 oder 22 Uhr wach zu halten, dann stören Sie damit seinen natürlichen Einschlafrhythmus. Das Verschieben des natürlichen Schlafmusters von Kindern ist zu einem schwerwiegenden Gesundheitsproblem geworden und wirkt sich auf die Hirnentwicklung aus. Selbst Fälle von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) bei Erwachsenen werden mittlerweile mit spätem Zubettgehen, zu wenig Schlaf und dem hauptsächlichen Aufenthalt in geschlossenen Räumen in Verbindung gebracht.4 Natürlich bleiben Kinder manchmal abends länger wach, weil es nur normal ist, dass Eltern Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Das ist vor allem in China und Indien ein großes Problem, wo die Eltern aufgrund langer Arbeitswege abends oft erst spät zu Hause sind.

Auch Teenager gehen meist spät zu Bett und schlafen dann bis in den Morgen hinein. Die meisten Schüler im Highschool-Alter bleiben problemlos bis nach Mitternacht wach, bekommen dann aber nicht ausreichend Schlaf, wenn sie vor sieben Uhr morgens aufstehen müssen, um zur Schule zu gehen.

Wenn wir älter werden, in den Jahren zwischen 30 und 50, werden wir ganz von selbst wieder zu Frühaufstehern. Das bedeutet, dass es uns leichter fällt, abends einzuschlafen und wir wahrscheinlich morgens von selbst zu Tagesanbruch wach werden. Im Anschluss an die Pubertät besteht die Tendenz, dass Frauen früher wach werden als Männer. Dieser Unterschied löst sich im mittleren Alter auf, wenn die Produktion der Geschlechtshormone nachlässt – auch ein Signal dafür, auf welche Weise der Geschlechtshormonpegel Schlafmuster beeinflusst.5

Wir sind darauf programmiert, als Babys mindestens neun Stunden zu schlafen und für den Rest unseres Lebens ein Schlafmuster von sieben Stunden beizubehalten, aber unser gesamtes Uhrensystem lässt mit der Zeit ein wenig nach und wird weniger effektiv. Mit zunehmendem Alter lässt der innere Trieb nach ununterbrochenen Schlaf- oder Wachphasen nach. Wir werden durch Geräusche oder Licht schneller geweckt und haben Probleme, wieder einzuschlafen. Genau dann wird das Pflegen einer inneren Uhr durch bessere Gewohnheiten zu einem kritischen Faktor.

Während viele Menschen davon ausgehen, dass Veränderungen ihres Schlafzyklus von den Genen beeinflusst werden, ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Genmutation sehr gering. Nur äußerst wenige Menschen weisen eine Genmutation auf, die ihre innere Uhr so massiv verstellt, dass sie Probleme haben, sie über neue Gewohnheiten umzustellen. Das Untersuchen dieser Menschen hat uns allerdings wichtige Einblicke in den menschlichen zirkadianen Zyklus gegeben.

Eine Frau namens Betty hatte ein Schlafproblem, und es war so gravierend, dass sie nach einer Lösung suchte. Zwar bekam Betty die viel zitierten sieben Stunden Schlaf am Tag, aber zu Zeiten, die nicht der Norm entsprachen. Jeden Abend ging sie um 19 Uhr ins Bett und wachte gegen 2 Uhr nachts auf. Ihr Schlafverhalten war ein großes Problem für sie, denn es grenzte die Zeit ein, in der sie ein normales Sozialleben führen konnte. Betty suchte viele Schlafspezialisten auf, die sie alle untersuchten und ihr dann bestätigten, dass sie kerngesund sei, da sie ja ihre sieben Stunden Schlaf bekomme. Doch obwohl sie sich wirklich große Mühe gab, gelang es ihr nicht, ihr Schlafmuster zu ändern.

Der letzte Arzt, an den sie sich wendete, war Christopher Jones von der University of Utah, der zunächst auch glaubte, dass Bettys Schlafroutine kein Problem darstelle, bis sie ihm berichtete, dass mehrere ihrer Familienmitglieder genau das gleiche Muster aufwiesen. Jones kam sofort auf die Idee, dass es sich hier um eine genetische Mutation innerhalb der Familie handeln könnte. Er erzählte dem Molekularbiologen Louis Ptacek und seiner Frau Ying-Hui Fu, ebenfalls Molekularbiologin, Bettys Geschichte und beide nahmen sich des Falls an. In den nächsten Jahren fanden Ptacek und Fu eine einzige Veränderung an Bettys Per-Gen – dem gleichen Gen, das bei den Fruchtfliegenexperimenten von Seymour Benzer und Ron Konopka verändert worden war. Zum ersten Mal konnte die Mutation eines einzigen Gens bei einem Menschen eindeutig mit einer Veränderung des Schlaf-Wach-Rhythmus oder zirkadianen Rhythmus in Verbindung gebracht werden.6

Diese einzige und äußerst selten vorkommende Mutation bewirkte, dass Bettys Uhr schneller lief als normal und dies auch nicht zu ändern war. Am Morgen beginnt unsere Gehirnuhr ab dem ersten Sonnenlicht die Stunden zu zählen, die wir wach sind. Meist stößt sie uns nach 12 Wachstunden an, uns langsam aufs Schlafengehen vorzubereiten. Nachdem wir dann 16 Stunden am Stück wach waren, wollen die meisten von uns schlafen. Aber Bettys Uhr lief schneller. Für ihr Gehirn entsprachen 12 Stunden Wachsein bereits 14 Stunden und wenn sie 14 Stunden wach war, glaubte ihr Gehirn, es seien 16 Stunden. Deshalb war es für sie nahezu unmöglich, wach zu bleiben.

Einige Jahre später entdeckte Fu eine Familie, die eine andere Mutation des Gens Dec2 aufwies, die potenziell zu einem reduzierten Schlafbedürfnis führte. Menschen mit dieser Mutation wachen bereits nach fünf Stunden Schlaf erholt auf und sind in ihrer Leistungsfähigkeit in keinerlei Hinsicht eingeschränkt.7

Doch selbst wenn Sie mit solchen Genproblemen zu kämpfen haben, können gesunde Gewohnheiten die schädlichen Auswirkungen aufheben. Obwohl es Betty schwerfiel, bis spät am Abend wach zu bleiben und Freunde zu treffen, nutzen andere Betroffene diese Verschiebung aus, indem sie eher mit der Arbeit beginnen und so früher nach Hause gehen können. Doch die meisten Menschen, vor allem Langschläfer, haben nicht mit Gendefekten zu kämpfen, sondern eher mit Gewohnheiten, die ihrem Zirkadian-Code zuwiderlaufen.

Ich kam einmal mit einem erfolgreichen Geschäftsmann ins Gespräch, der mir erzählte, wie schwer es ihm fiel, nachts einzuschlafen und mehrere Stunden am Stück zu schlafen. Er war davon überzeugt, „schlechte Schlafgene“ zu besitzen. Aber nachdem ich mich mit ihm für einige Minuten über seine täglichen Gewohnheiten und Essenszeiten unterhalten hatte, wurde mir klar, dass sein Schlafproblem durch die drei Tassen starken Kaffee verursacht wurde, die er jeden Tag zwischen dem späten Nachmittag und seiner Bettgehzeit trank. Sobald er damit aufhörte, nachmittags Kaffee zu trinken, begann er um 22 Uhr einzuschlafen und ganze sieben Stunden durchzuschlafen.

Ein weiteres Beispiel dafür, dass schlechte Gewohnheiten der Grund sind, dass wir uns für Morgenmenschen oder Nachteulen halten, liefert das Experiment von Ken Wright Jr. an der University of Colorado in Boulder. Er leitete einen Campingausflug für Menschen, die sich selbst dem gemäßigten Spektrum der Nachteulen zuordneten: Sie gingen spät zu Bett und wurden morgens spät wach. Vor dem Ausflug überwachten alle Teilnehmer ihre Schlafmuster und nahmen Speichelproben, um herauszufinden, zu welchem Zeitpunkt ihr Körper die größte Menge des Schlafhormons Melatonin produzierte. Wright fand heraus, dass bei vielen der Nachteulen die Melatoninproduktion verspätet einsetzte. Ihr Schlafhormonspiegel stieg nicht vor 22 Uhr an und erreichte seinen Höhepunkt erst nach Mitternacht.

Nachdem die Gruppe zwei Tage in der Wildnis gecampt hatte, wurden erneut Speicheltests gemacht. Zur Überraschung aller hatte sich bei den Nachteulen der Melatoninrhythmus normalisiert, der nun – im Vergleich zur Zeit vor dem Ausflug – entsprechend früher am Abend einsetzte. Die Teilnehmer konnten jetzt vor 22 Uhr schlafen gehen. Ihr Melatoninspiegel stieg bereits gegen 19 oder 20 Uhr an, anstatt erst zwei bis drei Stunden später, und sie konnten nicht mehr so lange wach bleiben.8 Die Veränderung hing nicht mit unbequemen Schlafgelegenheiten zusammen, sondern mit dem Fehlen von hellem Licht am Abend und dem Auslassen anderer schlechten Angewohnheiten, etwa dem Arbeiten bis in die Nacht hinein und Koffein am späten Abend. Durch das Fehlen von hellem Licht bei Nacht konnten diese Menschen wieder ihren normalen zirkadianen Rhythmus aufnehmen.

Dieses Experiment ist einer der Gründe, warum ich glaube, dass wir unsere Gesundheit selbst in der Hand haben. Gewohnheiten zu korrigieren, ist der Schlüssel zur Verbesserung unseres Zirkadian-Codes. Ich habe den Effekt am eigenen Leib erlebt. Als ich mit einigen Kollegen im Masai-Mara-Nationalpark in Kenia zeltete – ohne elektrisches Licht und umgeben von wilden Tieren –, hatten wir keine Veranlassung, bis spät in die Nacht wach zu bleiben. So gut wie dort hatte ich schon seit Jahren nicht mehr geschlafen und ich wachte mehrere Tage lang rund eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang erfrischt auf. Als ich nach San Diego zurückkehrte, stellte sich mein altes Schlafmuster wieder ein – ich ging spät nachts ins Bett und versuchte, eine Stunde nach Sonnenaufgang wach zu werden. Als ich mit meinen Kollegen darüber sprach, zeigten sie mir die vielen Unterschiede zwischen dem Leben in San Diego und dem im Masai-Mara-Nationalpark auf: In Kenia war ich am Tag jeder Menge Licht ausgesetzt, während es nachts fehlte. Auch war es stiller, die Temperaturen sanken bei Nacht und ich hatte früher zu Abend gegessen. All diese Faktoren hatten zu besserem Schlaf beigetragen.

Der Zirkadian-Code

Подняться наверх