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Die Genetik unserer inneren Uhr

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Der menschliche Körper besteht aus Millionen von Zellen, die alle – je nach ihrer Position im Körper – spezielle Aufgaben haben: Es gibt Zellen, die jeden Körperteil vom Zeh bis zum Gehirn bilden. Dennoch besitzt jede dieser Millionen von spezialisierten Zellen das gleiche Genom, das alle Erbinformationen enthält, die wir von unseren Eltern bekommen haben. Diese Information ist in unserer DNA verschlüsselt. Die einzelnen Segmente, die diese genetische Information enthalten, werden Gene genannt. Einige Gene drücken sich in sichtbaren Eigenschaften aus und bestimmen beispielsweise die Augenfarbe. Andere wiederum steuern biologische Eigenschaften wie die Blutgruppe, das Risiko für bestimmte Krankheiten sowie Tausende von biochemischen Prozessen, einschließlich unserer inneren Uhr.

Diese Prozesse werden durch verschiedene Arten von Proteinen ausgeführt. Einige Proteine sind Enzyme, die wie Werkzeuge arbeiten (Bohrer, Hammer, Meißel usw.). In jeder Zelle führen Enzyme viele verschiedene Aufgaben durch, beispielsweise die Produktion von Cholesterin und das Aufspalten von Fett. Andere Proteine dienen dem Aufbau, sie sind die Bausteine der Zellen, ähnlich wie einzelne Teile Ihres Zuhauses (Wände, Türen usw.). Einige kleine Proteine sind in Wahrheit Hormone (obwohl nicht alle Hormone kleine Proteine sind) – also chemische Botenstoffe, die die Funktionsweise der Organe steuern. Manche Proteine leben lange, andere nur für kurze Zeit.

Die Gesundheit unserer Organe und das Risiko für bestimmte Krankheiten hängt davon ab, welche Gene wir besitzen und wie sie exprimiert, also ausgedrückt sind, sprich: ob ein bestimmtes Gen ein- oder ausgeschaltet ist und ob es sich um ein normales Gen oder eine Mutation handelt. Sicher ist Ihnen schon aufgefallen, dass manche Menschen essen können, was sie wollen, während andere darüber klagen, dass bestimmte Lebensmittel wie Milchprodukte ihnen Verdauungsprobleme bereiten und Blähungen oder Verstopfung auslösen. Menschen, die unter solchen Problemen leiden, haben eine Mutation in dem Gen, das dafür verantwortlich ist, die in Milch enthaltenen Nährstoffe aufzuspalten und zu verarbeiten.

Durch den Vergleich von mutierten Genen mit normalen lernen wir viel darüber, wie Gene funktionieren sollen und welche Folgen eine Mutation hat. In meinem Fachgebiet lernten Forscher, unsere innere Uhr zu verstehen, indem sie nach mutierten Organismen suchten, deren Uhren entweder zu schnell oder zu langsam liefen. Im Jahr 1971 hielten am California Institute of Technology der Genetiker und Fruchtfliegenspezialist Professor Seymour Benzer und sein Doktorand Ron Konopka Tausende von Fruchtfliegen bei konstanter Dunkelheit. Junge Fliegen sind zumeist in der Morgen- und Abenddämmerung aktiv, nehmen tagsüber eine Auszeit und schlafen in der Nacht. Die Fruchtfliegen behielten diesen rund 24 Stunden umfassenden Rhythmus auch bei ständiger Dunkelheit bei. Benzer und Konopka entwickelten einige geniale Methoden, um festzustellen, wann Baby-Fruchtfliegen einschliefen und aufwachten, und das bei kompletter Dunkelheit. Nachdem sie Tausende von Fruchtfliegen beobachtet hatten, fanden sie drei Arten von Mutanten: Fliegen, die früher oder später einschliefen und solche, die gar keinem Muster folgten.1 Sie stellten auch fest, dass die Nachkommen dieser Fruchtfliegen die anormalen inneren Rhythmen erbten oder beibehielten: Das war die genetische Komponente. Die gleiche Mutation verlagerte auch die Zeit, wann die Fruchtfliegen schlüpften, was den Rückschluss zuließ, dass Fruchtfliegen nur über eine einzige innere Uhr verfügen. Benzer und Konopka nannten das entsprechende Gen Periodengen, oder abgekürzt Per-Gen.

Wissenschaftliche Forschung lässt sich mit dem Lösen eines Kriminalfalls vergleichen. Aus den vorhandenen Hinweisen lässt sich das Profil eines Täters erstellen, aber es kann Monate oder gar Jahre dauern, bis man den Verdächtigen findet und ihm das Verbrechen nachweisen kann. In diesem Fall bedurfte es eines Zeitraums von 13 Jahren und der Arbeit zweier unabhängig voneinander operierender Forscherteams, um herauszufinden, wie das Per-Gen bei Fruchtfliegen tatsächlich aussieht. Und es gingen weitere Jahre ins Land, bis wir wussten, wie dieses Gen eine innere Uhr aufbaut.

Heute wissen wir, dass das Per-Gen in jeder Zelle Befehle gibt, ein Protein zu bilden, das sich langsam aufbaut und nach 24 Stunden zerfällt. Dies gilt für jedes Lebewesen: Es gibt drei Gene, die die innere Uhr von Schwimmschlamm steuern und mehr als ein Dutzend bei Menschen und Tieren. Und so funktioniert es: Nehmen wir einmal an, ein Protein sei ein in Ihrem Eisschrank produzierter Eiswürfel. Das Per-Gen ist die Eismaschine im Kühlschrank und kontrolliert die genaue Menge an Eiswürfeln, die hergestellt wird. Der Kühlschrank produziert immer nur einen Eiswürfel, lässt ihn in einen Behälter fallen und produziert dann den nächsten. Nach einer gewissen Zeit ist der Behälter schwer genug. Die Maschine schaltet sich ab und produziert kein weiteres Eis mehr. Auf die gleiche Weise schaltet sich das Per-Gen ab, sobald genügend Per-Protein hergestellt wurde.

Jeden Tag nehmen wir alle Eiswürfel aus dem Behälter und machen Smoothies für die ganze Familie. Dann stellen wir den Behälter wieder in den Kühlschrank und die Eismaschine beginnt erneut, Eiswürfel zu produzieren, bis der Behälter voll ist. Und da das „Per-Gen“ der Maschine sich nicht verändert, stellt sie jeden Tag die gleiche Menge an Eiswürfeln her. Die Zeit, die die Maschine für die Eiswürfel benötigt und wir für das Leeren des Behälters, ist immer gleich. Diesen Zeitraum kann man als einen Zyklus ansehen. Wenn dieser Zyklus einen Zeitraum von etwa 24 Stunden umfasst, wird er als zirkadiane Uhr betrachtet.

Wenn nun jeder Eiszubereiter jederzeit perfekt arbeiten würde, hätten wir alle jeden Tag identische Rhythmen. Das Problem liegt darin, dass die Art und Weise, wie Sie mit Ihrem Eisbereiter umgehen, seine Funktionsweise verändert. Wenn Sie jeden Tag nur wenige Eiswürfel entnehmen, nimmt der Prozess der Herstellung eines ganzen Behälters voller Eiswürfel einen geringeren Zeitraum in Anspruch. Wenn Sie den Behälter am Abend, während der Eisbereiter noch dabei ist, frische Eiswürfel herzustellen, erneut leeren, um einige Cocktails zu machen, bleiben der Maschine nicht mehr genügend Stunden, um den Eisbehälter bis zum Morgen wieder komplett zu füllen. Auf vergleichbare Weise unterbrechen Sie Ihre zirkadianen Rhythmen, wenn Sie bei hellem Licht wach bleiben oder bis mittags schlafen.

Ein weiteres Problem stellt sich ein, wenn Sie von Anfang an eine Maschine haben, die schlecht funktioniert, etwa in Form einer Mutation. Wenn das „Per-Gen“ der Eismaschine eine Mutation aufweist, stellt sie das Eis eventuell zu schnell oder zu langsam her. Es könnte auch sein, dass der Sensor, der der Maschine signalisiert, die Eisherstellung zu unterbrechen, defekt ist, sodass sie die Eisproduktion einstellt, obwohl der Behälter erst halb voll ist oder wenn er schon überquillt. Die Fehlfunktion der Maschine beeinflusst, wie lange sie benötigt, um eine Ladung Eiswürfel zu produzieren und den Behälter komplett zu füllen.

Der Zirkadian-Code

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