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Eine kurze Geschichte des Lichts

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Die gesamte Menschheitsgeschichte lässt sich zusammenfassen als Wettlauf gegen die Zeit. Wir versuchten immer wieder neue Ur-Rhythmen zu entwickeln, um Veränderungen der Umwelt vorherzusehen und auf sie zu reagieren. Wenn wir verstehen wollen, auf welche Weise Licht unser Verhalten beeinflusst, müssen wir unser Augenmerk auf die Evolutionsbiologie lenken. Sie verfolgt unsere Entstehungsgeschichte rund zwei Millionen Jahre zurück und beschäftigt sich mit den Anpassungsmechanismen, die wir entwickelt haben, um in jeder Umgebung zu überleben. Auch heute noch spielt die Evolution eine Rolle, weil unsere Physiologie – unsere elementare Funktionsweise – sich in den letzten zwei Millionen Jahren kaum verändert hat. Wir sind immer noch darauf ausgelegt, nachts zu schlafen und am Tag zu essen und zu arbeiten, basierend auf einem Zyklus, den unsere innere Uhr vorgibt.

Wir wissen, dass die Entwicklung des modernen Menschen größtenteils auf Höhe des Äquators stattfand und dass sein Tagesablauf durch die Sonne und einen entsprechend starken zirkadianen Rhythmus bestimmt wurde. Urzeitmenschen mussten vor Sonnenaufgang wach werden, um erfolgreich zu jagen, denn ihre Strategie bestand darin, Tiere auf dem Weg zu einem Wasserloch zu erlegen. Wenn Jagen nicht möglich war, hatten unsere Vorfahren viel Zeit, um die Gegend zu erkunden und Beeren und Früchte zu sammeln. Nahrung zu finden und zu essen, nahm viel Zeit in Anspruch, vor allem, wenn man sich dabei vor Raubtieren vorsehen musste.

Die Menschen der Urzeit benötigten am späten Nachmittag auch einen ausreichenden Muskeltonus, um nach der Nahrungssuche den oft kilometerlangen Rückweg zu ihrer Höhle oder ihrem Unterschlupf antreten zu können. Anthropologen gehen davon aus, dass die ersten Menschen ihre letzte Mahlzeit in der Abenddämmerung zu sich nahmen, sodass vor Einbruch der Nacht genügend Zeit blieb, um einen sicheren Schlafplatz zu finden. Die nächtliche Ruhezeit betrug 12 bis 15 Stunden, die meiste Zeit davon diente dem Schlaf. Das nächtliche Fasten muss dabei geholfen haben, den Darm zu reinigen, sodass sie sich am Morgen leicht und erholt wieder auf die Nahrungssuche machen konnten.

Menschen besitzen die einzigartige Fähigkeit, ihr Leben vom Tag in die Nacht zu verlegen und wenn nötig sogar die ganze Nacht wach zu bleiben, was unseren zirkadianen Rhythmus verändert und herausfordert. Wir sind in der Lage, unsere innere Uhr anzupassen, weil große Tiere eine Bedrohung darstellten. Wir mussten also einen Weg finden, um nachts, im Dunklen, wach zu bleiben, und sei es nur für einige Minuten. Einzelne blieben auf und wachten über die Gemeinschaft, während der Rest schlief – der erste Schichtarbeiter war geboren.

Die Nacht für sich zu erobern, sicherte nicht nur das Überleben, sondern führte langfristig auch zu Wohlstand und Reichtum. Viele Jäger lernten, die nächtliche Jagd jener bei Tag vorzuziehen. Diese Schichtarbeiter wurden zu einem wichtigen Teil der menschlichen Gemeinschaft. Im Laufe der Zeit kamen Entdecker und Eroberer, die ihren Weg durch die Nacht finden und Überraschungsangriffe gegen ihre Gegner durchführen konnten, zu Wohlstand und Reichtum, indem sie ihr Gebiet erweiterten und neues Ackerland, Mineralien, Edelsteine und andere Rohstoffe und Bodenschätze für sich erschlossen.

Feuer war das erste Werkzeug, das Menschen in ihrem Kampf gegen die innere Uhr einsetzten. Die Fähigkeit, Feuer zu machen und zu kontrollieren, verschaffte dem Menschen zwei Vorteile. Zum einen das Licht selbst, dank dessen wir einige Stunden länger und notfalls auch die ganze Nacht lang wach sein konnten. Das flackernde Licht glühenden Holzes war schwach und reichte gerade aus, damit man im Dunkeln den Weg finden, große Raubtiere fernhalten und sich warmhalten konnte. Zum anderen wurde das Licht zur machtvollen Waffe. Tausende Jahre lang war es die einzige Waffe, die wir Menschen hatten und viele moderne Waffen basieren auch heute noch auf der Kraft des Feuers.

Das Leben rund um die Feuerstelle förderte auch das Entstehen der menschlichen Zivilisation. Feuer war entscheidend für das Kochen von Wasser und die Nahrungszubereitung, sodass der Speiseplan sich erweiterte. Kochen macht Nahrung weicher und lindert starke Aromen. Das Essen wird genießbarer und Krankheitserreger werden abgetötet.25 Der Kochvorgang macht Nahrung auch leichter verdaulich, sodass wir aus den gleichen Zutaten mehr Kalorien gewinnen können. Aus diesem Grund kann das Essen von Rohkost eine Strategie sein, um Gewicht zu verlieren, während das Kochen der Zutaten vor dem Essen keine so große Auswirkung auf das Gewicht hat.26 Durch das Kochen verringerte sich auch die Zeit, die wir mit der Nahrungssuche verbrachten, weil wir nun doppelt so viel Energie aus dem Essen ziehen konnten wie zuvor. Gleichzeitig stieg die Auswahl, denn viele Lebensmittel wurden essbar, die in rohem Zustand nicht verdaut werden konnten.

Da das Feuer in kalten Nächte Wärme spendete, konnten die ersten Menschen die Äquatorregion verlassen und sich in höhere Breitengrade in Nordeuropa, Asien und Nordamerika bewegen. Die nördlichen Breitengrade wurden erst relativ spät besiedelt, vor etwa 30 000 bis 40 000 Jahren. Im Sommer fiel es nicht allzu schwer, sich an lange Tage mit manchmal mehr als 20 Tagesstunden zu gewöhnen, weil die Sommer nicht so heiß waren und die Menschen in dunklen Höhlen oder Hütten genügend Schlaf bekamen. Aber die langen Winternächte und kurzen Tage hätten das Gehirn ohne das Feuerlicht sicherlich durcheinandergebracht. Selbst heute können sich viele Menschen nur schlecht an die langen dunklen Nächte in nördlichen Breitengraden gewöhnen und entwickeln jahreszeitlich bedingte Depressionen, sogenannte „Winterdepressionen“. Der Anteil sowohl an Depressionen als auch an Selbstmordversuchen steigt in diesen Gegenden im Winter regelmäßig an, was mittlerweile mit einer Störung der inneren Uhr in Verbindung gebracht wird. Man könnte Menschen, die unter Winterdepressionen leiden, mit Schichtarbeitern vergleichen, die mehrere Wochen oder Monate lang die Nachtschicht übernehmen müssen.

Feuer hatte, unabhängig davon, wo die Menschen der Frühzeit lebten, auch einen besonderen Einfluss auf das Leben am Abend. Während die Männer am Tag auf die Jagd gingen, blieben die Frauen und Kinder meist vor Ort und kümmerten sich um Haustiere oder das Trocknen und Verarbeiten von Nahrung für Regentage oder für den Winter. An der abendlichen Feuerstelle kamen dann alle wieder zusammen – eine Zeit für Unterhaltung und Entspannung. Geschichten wurden erzählt, Pläne für die Zukunft geschmiedet und es wurde „herumgesponnen“, sodass neue wissenschaftliche, kulturelle und handwerkliche Ideen entstehen konnten. Gespräche rund ums Feuer sind die Wiege von Kunst, Kultur, Wissenschaft und Philosophie – von allem, was unser Menschsein ausmacht.27 Dieses abendliche Gesellschaftsleben rund um das Feuer ist fest in unserer Lebensweise verankert.

Doch diese abendliche Zeit am Feuer war auf eine oder zwei Stunden beschränkt, da es nicht leicht war, das Feuer aufrechtzuerhalten, und es am Ende auch zu viel Brennmaterial kostete. Selbst zu Beginn der Industrialisierung waren Feuer und der Zugang zu Licht ein seltenes Gut. Nachdem die Menschheit Waltran, Bienenwachs und Talg als bessere Brennstoffe entdeckt hatte, wurde häufig ein Unterschied gemacht zwischen dem Kochfeuer und dem Feuer, das der Beleuchtung diente. Brennstoffe ausschließlich für die Erzeugung von Licht zu verwenden, war für den Durchschnittsbürger nicht bezahlbar. In heutiger Währung würde es zwischen 1 000 und 1 500 US-Dollar kosten, ein für das 19. Jahrhundert typisches Haus für einige Stunden pro Abend zu beleuchten.28 Da helles Licht in den Abendstunden im 19. Jahrhundert selten war, wurden die meisten Menschen müde und gingen wenige Stunden nach Sonnenuntergang zu Bett. Es gibt Eingeborenenstämme in Afrika, Südamerika, Australien und Indien, die eine landwirtschaftlich geprägte Lebensweise pflegen oder Jäger und Sammler sind, und die noch so leben wie vor 200 oder 300 Jahren. In diesen Gemeinschaften, die kaum Zugang zu elektrischem Strom haben, gehen die Menschen früh zu Bett und wachen bei Tagesanbruch auf.29,30,31

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreiteten sich Elektrizität und elektrisches Licht in der westlichen Welt, aber es gab immer noch nicht viele Gründe, wach zu bleiben und nachts zu arbeiten. Gas- und Elektroherde sorgten dafür, dass Wärme nicht länger mit einem traditionellen Holzfeuer gekoppelt war. Die Küche wanderte von draußen in das Herz des modernen Heims und wir konnten Nahrung nun sicher und zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit zubereiten. Techniken zum Verarbeiten, Konservieren und Kühlen von Lebensmitteln machten Nahrung jederzeit zugänglich. Und damit ging der ganze Ärger so richtig los.

Die frühe Industrialisierung führte zu einer Steigerung der Lebensmittelproduktion, auch der Bergbau und die Produktion von Gütern nahmen zu. Sowohl im Beruf als auch zu Hause fiel weniger körperliche Arbeit an. Die gesteigerte Produktion überschritt schnell die Nachfrage vor Ort, was den Bau von Infrastruktur förderte. Es entstanden Straßen und Zugstrecken, Gebäude und Lagerhäuser. Wiederum sank der Bedarf an körperlicher Arbeit. Erhalt und Bau dieser modernen Infrastruktur erforderte auch eine neue Sorte von Arbeitern, die wach bleiben und nachts arbeiten konnten. Heutzutage sind in Industrieländern nahezu 20 bis 25 Prozent aller Vollzeitkräfte im Schichtdienst tätig.

Die Mechanisierung der Landwirtschaft im frühen 20. Jahrhundert steigerte Ernten und Erträge, wobei Pflanzenzüchter unbewusst Pflanzen wählten, die ihre inneren Uhren von Natur aus optimiert hatten. Diese „Mutationen“ mussten nicht die korrekte Tageslänge berechnen, um zu wissen, ob Sommer oder Winter war. Anstatt darauf beschränkt zu sein, an langen Sommer- oder kurzen Wintertagen zu blühen, konnten diese Nutzpflanzen zu jeder Jahreszeit blühen oder, wie Tomaten, in Gewächshäusern wachsen. Bauern konnten so auf derselben Fläche die zwei- oder dreifache Erntemenge pro Jahr erzielen, was die Produktion weiter steigerte.

Mit der Mechanisierung der Nahrungsmittelproduktion mussten die Arbeiter nicht mehr den ganzen Tag im Freien verbringen. Auch elektrisches Licht wurde langsam erschwinglich. Spulen wir vor zur Mitte des 20. Jahrhunderts: Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit fortschreitender Industrialisierung begannen nahezu alle Bewohner der Industrieländer unter Störungen ihrer inneren Uhr zu leiden. Weniger Schlaf bedeutete auch eine längere Zeit, die der Mensch bei hellem Licht verbrachte, speziell am Abend, wenn das Gehirn diese Lichtstimulation nicht erwartet. Und während der Wachzeit tagsüber blieben viele Menschen im Haus und bekamen zu wenig helles Sonnenlicht ab. Beide Faktoren verwirren die innere Uhr.

Telefone, Radios und Fernseher begannen, uns bis spät in die Nacht hinein zu unterhalten. Der Computer hat das Abendgespräch am Feuer ersetzt und es in ein zwar reales, aber virtuell funktionierendes, globales Chat-Gespräch verwandelt, bei dem Sie jedes Thema mit jedem Menschen an jedem Ort der Welt diskutieren können. Und mit Nachrichten und Entertainment rund um die Uhr und Milliarden von Rechnern rund um die Welt – wer kann es sich da leisten, nicht ans Netz angeschlossen zu sein?

Doch all diese Geräte, die frühere Technologien ersetzen und unser Leben verbessern sollen, haben zunehmend negative Auswirkungen auf unseren zirkadianen Rhythmus. Unsere innere Uhr wird immer noch durch helles Licht am Abend und begrenztem Zugang zu natürlichem Licht am Tag gestört. Wir sind evolutionstechnisch noch nicht so weit, dass sich unsere inneren Uhren an die Realität der modernen Welt angepasst hätten, und leiden daher wie unsere im extremen Norden lebenden Vorväter oder unsere heutigen nordischen Verwandten. Unabhängig davon, ob wir wirklich Schichtarbeit leisten oder einfach nur wie Schichtarbeiter leben, kann die ständige Lichtbelastung am Abend zu Störungen der inneren Uhr führen, die uns am Schlafen hindern und Hungergefühle wecken.

Der Zirkadian-Code

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