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Dini Leuwarden war jung, hübsch und verzweifelt.

Der Grund ihrer Verzweiflung saß in Form einer älteren Frau vor ihr auf dem Frisierstuhl und warf ihr im Spiegel einen weiteren giftigen Blick zu. Würde dieses Biest nicht jede ihrer Bewegungen verfolgen, Dini hätte ihr schon längst die Schere in den Rücken gerammt. Mehrmals.

„Ach Gott! Nein, nein, nein. Das sieht ja schlimm aus. Junges Fräulein, Ihre Kollegin hat das immer viel, viel besser gemacht als Sie!“

Dini ahnte, was jetzt kam. Sie hatte der Zicke zweimal die Haare färben müssen, weil der erste Braunton nicht so aussah, wie sie es sich vorgestellt hatte. Anschließend musste sie ihr mehrmals die Haare waschen, weil sie behauptete, dass sie ein unangenehmes Gefühl auf der Kopfhaut hätte. Und nun beschwerte sich die Kundin auch noch über den Haarschnitt, obwohl sie Dini kaum freie Hand ließ, sondern ständig Anweisungen gab.

„Sandra ist ja nun mal leider krank“, sagte sie und versuchte, ruhig zu bleiben. „Es tut mir leid, wenn Sie unzufrieden sind.“

„Oh ja, ich bin unzufrieden! Und das zu Recht!“

Beide starrten sich im Spiegel an. Schließlich gab Dini auf und verdrehte die Augen. Sie bemühte sich, nicht zu aufsässig zu klingen. „Also schön, ich werde noch mal nachschneiden.“ Sie legte den Handspiegel beiseite und griff nach der Schere.

„Um Gottes willen, dann machen Sie alles nur noch schlimmer! Sie haben viel zu viel weggenommen, und Sie können wohl kaum die Haare einen Zentimeter länger schneiden!“

Nein, aber ich könnte dich einen Kopf kürzer machen, dachte Dini, damit wäre uns beiden geholfen.

„Los, los, lassen Sie mich bloß raus hier!“, fauchte die Meckerliese und zerrte am Kragen des Umhangs herum. Dini befreite sie und folgte ihr zur Kasse.

„Eigentlich sollte ich Sie verklagen!“ Die Frau wühlte ihre Geldbörse aus der Handtasche hervor. „Ich weiß nicht, ob ich hier noch mal herkomme!“

Damit drehte sie sich um und stolzierte aus der Tür.

„Das klang nicht nach Trinkgeld.“ Tanja stand neben ihr und grinste sie an.

„Nach fünf Minuten hätte ich der Kuh Geld gegeben, wenn sie dann verschwunden wäre.“ Sie sprach leise, damit die wartenden Kunden sie nicht hören konnten.

„Mach dir nix draus. Sandra ist die Einzige, mit der sie kann. Alle anderen versucht sie zum Weinen zu bringen, glaube ich. Blöde Fotze.“

„Tanja! Nicht so laut! Aber du hast recht, sie ist ein Miststück. Naja, ist ja Gott sei Dank bald Feierabend.“

Sie holte den Besen, fegte die abgeschnittenen Haare des fleischgewordenen Alptraums zusammen und kehrte sie zu einer langen, schmalen Öffnung, die sich in Bodenhöhe in der Wand befand. Ein stetiger leichter Luftzug saugte die Haare ein. Dann trat sie zu den wartenden Kunden. Eigentlich wäre ein kleiner Junge als Nächster dran, der neben seiner Mutter in seinem Sessel herumzappelte; aber er schien keine Sekunde stillsitzen zu können, und dafür hatte sie jetzt gerade absolut keine Nerven. Sie wandte sich statt dessen an einen gutaussehenden Mann. Ein gutes Stück älter als sie, aber darauf kam es schließlich nicht an.

„Sie sind der Nächste“, entschied sie, winkte ihn zu sich und führte ihn zu ihrem Platz. Behutsam legte sie ihm den Umhang an. „Wie hätten Sie’s denn gerne?“

„Kürzer.“

Er schien nicht allzu guter Laune zu sein. Die Hoffnung auf ein lockeres Gespräch oder gar einen aufbauenden Flirt konnte sie wohl fahren lassen. Was war heute bloß los mit den Leuten?

„Nur die Spitzen?“

„Nein, richtig kurz. Keine Ahnung. So ungefähr“, sagte der Mann lustlos und deutete auf ein Plakat, auf dem ein männliches Model mit einer Kurzhaarfrisur abgebildet war.

„Oha, so kurz? Sind Sie sicher? Ich frage lieber, denn wenn die Haare erstmal ab sind, dann dauert es Jahre, bis sie wieder diese Länge haben.“

„Mir egal“, antwortete er.

Nach etwas über zwanzig Minuten war Peter Schoh seine letzte Nacht, seine letzte vertane Chance auf ein Leben mit Carola los. Natürlich konnte er die Ereignisse nicht aus seinem Gedächtnis schneiden, aber nun wurde er zumindest nicht bei jedem Blick in den Spiegel daran erinnert. Er sah nun ganz anders aus. Besser. Anders. Das war wieder einmal gleichbedeutend für ihn. Er verließ den Friseursalon mit dem trotzigen, flauen Gefühl einer letzten siegreichen Schlacht in einem längst verlorenen Krieg.

Dini sah ihm etwas länger als nötig nach. Das Haar dieses Mannes war wunderbar voll und kräftig, so kräftig, dass selbst ihre schärfste Schere ihre liebe Not mit dem Durchtrennen gehabt hatte. Außerdem sprangen die Haare immer wieder zurück in ihre Form, jedenfalls bis sie geschnitten waren. Danach ließen sie sich problemlos in eine Frisur wie bei dem Vorbild auf dem Poster formen, sie hatte weder Gel noch Schaumfestiger benutzen müssen. Sie hätte den Typen fragen sollen, ob er etwas Spezielles benutzte, ein Shampoo oder so was. Solche Haare hätte sie auch gerne.

*

Dem kleinen Flittchen werde ich’s schon noch zeigen, dachte Hildegard Waszciewski noch Stunden später, während sie sich ärgerlich im Spiegel betrachtete. Die Frisur ließ sie alt aussehen und ihr Gesicht feist wirken. Sie war tatsächlich alt und hatte ein feistes Gesicht, aber es war der Job dieser kleinen Schlampe gewesen, das zu vertuschen. Wie sie schon rumgelaufen war, mit diesem Minirock und dem viel zu engen T-Shirt. Vermutlich hatte sie bis in die Morgenstunden in irgendwelchen zwielichtigen Tanzlokalen mit Kerlen rumgemacht.

Hildegard würde sich rächen. Sie wusste zwar nicht, wo diese Schickse wohnte, aber sie wusste, wo sie arbeitete.

„Wir gehen“, sagte sie zu Nestor, der bereits sehnsüchtig an der Tür wartete.

Als tierlieb konnte sie sich nicht bezeichnen; doch nach dem Tod ihres Mannes hatte sie jemand anderen zum Herumkommandieren gebraucht. Heute Abend hatte der kleine Yorkshireterrier die dreifache Portion Hundefutter essen müssen. Immer wieder hatte sie sich gezwungen gesehen, sein kleines Schnäuzchen in den Napf zu drücken, bis er alles hinuntergewürgt hatte. Schließlich sollte er gleich einen richtig großen Haufen machen, direkt vor die Eingangstür dieses miserablen Friseursalons. Sie malte sich aus, wie diese kleine Nutte, die für ihre Frisur verantwortlich war, den Haufen dann morgen früh wegmachen musste. Vielleicht würde sie sogar mit ihren modischen Luderschuhen mitten hineintreten, wenn sie zur Arbeit kam. Der Gedanke ließ Hildegard selig lächeln.

Seit fast einer Stunde winselte Nestor schon an der Tür, aber erst jetzt bot die einsetzende Dunkelheit ausreichend Schutz. Zwar lag der Salon in einer ruhigen Straße, ein Risiko wollte sie dennoch nicht eingehen. Schließlich musste sie auf ihren Ruf achten.

Unterwegs versuchte Nestor bei jedem Baum erfolglos, sein Geschäft zu verrichten. Jedes Mal zischte Hildegard: „Hier nicht!“, und riss abrupt an der Leine. Sie konnte ihr Ziel schon sehen, zum Greifen nah. Doch kurz bevor sie die Eingangstür des Ladens erreichte, trat ein Pärchen aus einem weiter hinten gelegenen Haus und schlenderte ihr entgegen.

Innerlich fluchend ging sie weiter, an der Tür vorbei. Dem jungen Paar warf sie einen missgünstigen Blick zu, dann bog sie in die kleine Seitengasse neben dem Friseurgeschäft. Sie würde einen Moment warten, bis die beiden verschwunden waren, und anschließend zurückkehren, um ihren Racheplan in die Tat umzusetzen. Heftig rüttelte sie an der Leine, damit Nestor nicht auf den Gedanken kam, sich hier Erleichterung zu verschaffen, und zählte in Gedanken langsam bis zehn.

Kaum damit fertig, den Fuß bereits zum Gehen gehoben, ließ sie ein leises Geräusch zusammenfahren. Sie fasste die Leine fester. Im Falle eines Angriffs wollte sie Nestor, der alles andere als ein Kampfhund war, an seiner Leine wie ein Lasso über ihrem Kopf schwingen und mit ihm auf den Bösewicht einprügeln. Ausgemalt hatte sie sich ein solches Szenario schon des Öfteren. Sie war vorbereitet.

Blitzartig wirbelte sie herum.

Doch hinter ihr stand niemand. Sie kniff die Augen zusammen. Im trüben Licht, das von einer verschmutzten Lampe über dem Hinterausgang des Friseursalons kam, waren lediglich drei Müllcontainer zu sehen. Die Klappe des letzten zitterte leicht, als sich das Geräusch wiederholte.

Es raschelte.

Ratten!, dachte sie erfreut. Das sind Ratten!

Sie kannte keine Angst vor Ratten, Spinnen, Schlangen und ähnlichem Getier, ganz im Gegenteil, sie war dankbar, wenn sie den Weg dieses Ungeziefers kreuzte. Wann immer sich ihr die Gelegenheit bot, ein solches Wesen vor seinen Schöpfer zu schicken, nutzte sie diese. Und in diesem speziellen Fall konnte sie den Friseurladen vielleicht wegen Hygienemängeln anzeigen! Das wäre ja fast noch besser als ihr ursprünglicher Plan!

Sie musterte den Container prüfend, öffnete den Deckel einen Spalt und blinzelte hinein. Es war viel zu dunkel darin, um etwas zu erkennen.

Nestor nutzte die Pause, um endlich seinen Darm zu erleichtern. Stolz beschnupperte er seinen Haufen, während sein Frauchen mit der freien Hand den Deckel hob, bis er an der Hauswand lehnte.

Hildegard sah nun ebenfalls einen Haufen. Einen großen Haufen Haare.

Und zwar einen, der sich plötzlich bewegte. Nicht so, als huschte ein kleines Tier unter dem Haarberg herum – der Haufen Haare bewegte sich als Ganzes.

Ein Hund! Einer von diesen Hunden, bei denen man vor lauter Fell nicht weiß, wo vorne und hinten ist, wie heißen die noch gleich? Bobtail! Da hat jemand einen lebenden Bobtail weggeworfen!

Sie verwarf den Gedanken sofort als Blödsinn. Das Vieh war vermutlich auf der Suche nach etwas Essbarem in den Müllcontainer geklettert und nicht mehr herausgekommen. Also würde sie einfach den Deckel wieder schließen und den Hundefänger rufen.

„Und wenn du kein Halsband hast, war’s das für dich“, sagte sie.

Das Ding in der Tonne änderte seine Form. Verblüfft sah sie zu, wie sich ein Arm aus der Mitte des Haarhaufens formte. Ein Tentakel aus Fell, das sich aufrecht vor ihr erhob, bis es ungefähr auf Augenhöhe vor ihrem Gesicht schwebte. Wie eine Kobra, die sich zu den Tönen eines Schlangenbeschwörers aus ihrem Korb gehoben hatte. Sie kannte das aus dem Fernsehen.

„Was, äh …“, murmelte sie.

Dann schoss das Tentakel auf sie zu und wickelte sich um eine Strähne ihrer verunstalteten Frisur. Eine Sekunde lang war sie erleichtert, dass es wohl doch Zeugen dieses unerhörten Vorfalls gab. Doch als der heiße Schmerz einsetzte, begriff sie, dass das Blitzlicht eines Fotoapparates nur eine Täuschung, das gleißende Licht nur vor ihrem inneren Auge aufgeblitzt war. Sie jaulte und presste ihre Hand dorthin, wo sich eben noch die Handvoll Haare befunden hatte, die nun von diesem Tentakel gehalten vor ihren Augen baumelte.

Egal, um was es sich bei diesem Vieh handelte, es war bösartig. Sie musste weglaufen und Hilfe holen, und dann würde irgendjemand dafür bezahlen.

Sie machte einen schnellen Schritt zurück und wollte sich umdrehen, doch sie trat in etwas Feuchtes, Weiches und rutschte aus. Rücklings schlug sie auf das Pflaster. Für einen Moment sah sie Sterne, die kalt und teilnahmslos herabschienen, dann kam das Ding aus dem Müll über sie. Letztlich panisch, öffnete sie den Mund um zu schreien, aber der haarige Arm fuhr ihr direkt in die Kehle. Sie griff nach ihm, doch ein Seil wand sich um ihre Hände und Füße und hielt sie fest.

Während sie langsam erstickte, begann es, ihr auch die übrigen Haare auszureißen.

Skalpjäger

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