Читать книгу Skalpjäger - Saven van Dorf - Страница 7
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ОглавлениеInga und Mika konnten kaum glücklicher sein. Hand in Hand spazierten sie durch die nächtlichen Straßen. Ihnen war es egal, ob sie unterwegs jemandem begegneten, sie ließen nicht sofort die Hand des anderen los. Ihre Herzen schlugen nicht schneller, nur weil man sie zusammen sah. Hier mussten sie sich nicht verstecken.
Beide stammten aus Ymnarupuunki, derselben finnischen Kleinstadt, in der ihre Väter ihre Fleischereien betrieben. Und hier lag das einzige Problem ihrer jungen Liebe: Ihre Väter hassten sich bis aufs Blut. Die kleine Stadt bot nicht mehr genug Mäuler zu stopfen, seit immer mehr Bürger in Großstädte abgewandert waren. Ein einzelnes Geschäft hätte noch guten Gewinn abwerfen können, aber zwei kamen nur mehr schlecht als recht über die Runden. Starrsinnig weigerten sich beide Männer, die Stadt zu verlassen, und kämpften um jeden Kunden. Ihren Kindern verboten sie den Umgang mit denen des anderen. Als gute Söhne und Töchter richteten sie sich danach und bemühten sich, der Familie des Widersachers so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Doch mit der Zeit ertappte sich Mika, dass er immer öfter nach Inga, der ältesten Tochter des Feindes, Ausschau hielt. Und eines Tages, als er ihr auf einen ihrer Spaziergänge in den Wald folgte, um ihr dort aus dem Weg zu gehen, versteckte sie sich hinter einem Baum, lauerte ihm auf und stellte ihn freundlich lächelnd zur Rede. Wie sich herausstellte, war sie der seltsamen Meinung, dass sie mit den beruflichen Problemen ihrer Väter nichts zu tun hatten. Ihre blauen Augen wirkten auf Mika sehr überzeugend.
Aus ihnen wurde ein Paar.
Allerdings nur im Geheimen, um den Familienfrieden zu wahren. Zumindest solange, bis sie auf eigenen Füßen stehen konnten. Sie waren beide noch in der Ausbildung, jedoch erlernte keiner von ihnen das Fleischerhandwerk, was vor allem in Mikas Familie für zusätzlichen Unmut sorgte. So war es eine gewagte Aktion, zur selben Zeit Urlaub zu machen, obwohl sie ihren Familien natürlich verschiedene Reiseziele genannt hatten. Aber das Versteckspiel ging schon viel zu lange, und in einem Jahr wollten sie sowieso in eine gemeinsame Wohnung in Turku ziehen, weit genug entfernt vom Dorf ihrer Väter.
In den ersten zwei Tagen hatten sie kaum ihr Hotelzimmer verlassen; es gab zu viel nachzuholen. Heute waren sie zum ersten Mal ausgiebig durch die Stadt spaziert und hatten sich im Kino eine romantische Komödie angesehen, ohne ein Wort zu verstehen. Es war die Spätvorstellung gewesen, und sie hatten in der letzten Reihe gesessen und ein wenig gefummelt. Das Leben ist schön an Orten, an denen einen niemand kennt.
Nun konnten sie es nicht erwarten, wieder ins Hotel zu kommen, und prompt verliefen sie sich. Mika holte die Straßenkarte aus seinem Rucksack und versuchte, ihre Position auszumachen.
„Da“, sagte er und deutete auf einen Punkt der Karte. „Hier sind wir jetzt. Das heißt, wir gehen am besten hier entlang, dann quer durch den Stadtpark, dann sind wir schon fast wieder beim Hotel.“
„Au ja, der Stadtpark! Wie romantisch!“
Händchenhaltend schlenderten sie weiter und betraten den Park. In der warmen Sommerluft meinte man, jeden einzelnen Grashalm riechen zu können. Nach kurzer Zeit hatten sie die spärlichen Geräusche der nächtlichen Stadt hinter sich gelassen und kamen sich vor wie in der ländlichen Idylle ihrer Heimat. Tief sog Inga die Luft ein.
„Ich wünschte, es könnte immer so sein“, sagte sie.
„Das wird es. Du wirst sehen, in einem Jahr sind wir endgültig zusammen, jeden Tag.“ Er legte den Arm um sie und zog sie an sich, während sie weitergingen.
„Jeden Tag? Versprochen?“
„Ja. Wenn dir das nicht zu viel ist.“
„Von dir kriege ich nie genug.“ Um ihrer Aussage einen gewissen Nachdruck zu verleihen, griff sie an seinen Hintern.
„Ich von dir auch nicht. Und in fünf Minuten sind wir endlich wieder im Hotel.“
„Das glaube ich nicht“, sagte sie, nahm seine Hand und zog ihn vom Weg auf den Rasen.
„He, was wird das denn?“
„Eine Entführung!“
Er folgte ihr zu einem kleinen Hügel mit Bäumen und Büschen, ahnend, was sie vorhatte. „Wenn jetzt jemand kommt?“, flüsterte er und sah sich um.
„Da kommt schon niemand. Und wenn schon. Ist doch spannend.“
Rasch bahnten sie sich einen Weg durch die Büsche, bis sie unter einem Baum ein geeignetes Fleckchen gefunden hatten. Nebeneinander legten sie sich ins Gras. Sie rollte sich auf ihn, stützte die Hände neben seinem Kopf auf den Boden und küsste ihn mit geschlossenen Augen. Sie fühlte seinen warmen Körper unter sich. Seine Hand, mit der er ihre rechte Brust hielt. Seine andere Hand, die auf ihrem Hintern lag. Und seine andere Hand, die sich auf ihrem Rücken unter ihr T-Shirt schob.
Irgendein Teil ihres Gehirns wollte ihr etwas mitteilen, während sie die leichte, sanfte Berührung genoss, die ihrem Rückgrat folgte, bis hoch zu ihrem Nacken. Leicht wie eine Feder. Nein, keine Feder, wie ein Stück Fell. Im Haus ihrer Eltern gab es ein paar Fuchsfelle, und genau so fühlte sich es an. Als würde Mika ihr mit einem Fuchsschwanz über den Rücken fahren, damit ihren Nacken streicheln, während er immer noch ihre Brust hielt und seine andere Hand auf ihrem Hintern lag. Plötzlich wurde Inga klar, was nicht stimmte.
Sie riss die Augen auf. Entweder hatte ihr Freund plötzlich drei Hände, von denen eine außergewöhnlich behaart war, oder irgendein pelziges Tier war ihr unter das T-Shirt gekrabbelt und schmiegte sich nun von hinten um ihren Hals wie eine Manschette! Sie wollte den Kuss lösen und schreien, doch was immer es war, es zog sich sofort zusammen und schnürte ihr die Luft ab. Es war stark, sie konnte den Kopf kaum bewegen. Auch ihre Hände ließen sich keinen Millimeter vom Boden heben, etwas hielt sie an ihren Handgelenken fest. Verzweifelt versuchte sie, sich zu befreien.
Mika, der die Augen geschlossen hielt, wurde immer erregter. Sex im Freien war immer etwas gewesen, wofür sich Inga begeisterte, aber diesmal ging die Leidenschaft richtig mit ihr durch. Ihre Zunge fuhr wie wild in seinem Mund hin und her. Ihr Kopf bewegte sich leicht mal zur einen, mal zur anderen Seite, er fühlte ihre langen blonden Haare an seinem Hals. Sie rieb ihren Körper wie verrückt an seinem. Er knetete ihre Brust etwas heftiger, genauso ihren Hintern. Offensichtlich wollte sie es heute härter, das konnte sie haben. Er presste seine Erektion gegen ihr zuckendes Becken, was sie mit einem erstickten Stöhnen in seinem Mund quittierte. Er nahm die Hand von ihrem Hintern, zwängte sie zwischen ihre beiden Körper und fasste ihr von vorne zwischen die Beine. Sie zitterte kurz und lag dann still.
Einen Moment lang fragte Mika sich, ob sie schon gekommen war oder er etwas falsch gemacht hatte. Versuchsweise legte er die Hand zurück auf ihren Hintern und knetete weiter, um zu sehen, ob sie wieder leidenschaftlicher wurde. Nichts. Auch ihre Zunge bewegte sich nicht, sondern hing schlaff zwischen seinen Lippen.
Er öffnete die Lider und sah nur das Weiße in Ingas verdrehten Augen, als ihm klarwurde, dass sie nicht mehr atmete. Gedanken an künstliche Beatmung und Herzmassage kamen ihm. Er musste sie retten!
Doch als er panisch aufspringen wollte, zog sich das, was er für Ingas Haare an seinem Hals gehalten hatte, zusammen. Etwas schlang sich blitzschnell um seine Hände, hielt ihn in festem Griff, und er kämpfte nun um sein eigenes Leben. Verzweifelt versuchte er, sich zu befreien, zu atmen, aber er schaffte beides nicht.
Das ist nicht fair, dachte er noch, dann verengte sich die Schlinge um seinen Nacken mit einem kräftigen Ruck und brach sein Genick.
*
Stunden später, in der beginnenden Morgendämmerung, lief ein Jogger mit seinem Hund durch den Park. In den taufeuchten Büschen abseits des Weges schien der Labrador etwas zu wittern und jagte darauf zu. Aufgeregt hechelnd verschwand er im Gestrüpp. Er hatte immer seinen Spaß daran, ein paar Karnickel über die Wiesen zu scheuchen. Heute schien ihm dieses Vergnügen jedoch verwehrt zu bleiben, denn kein kleines Fellbündel kam hakenschlagend aus den Büschen geschossen.
Nach ein paar Minuten geduldigen Hin-und-her-Trabens rief der Mann seinen Hund, bekam aber nur ein kurzes Bellen zur Antwort. Schließlich ging er nachsehen. Er fand ihn an den kahlen Köpfen zweier Leichen leckend und übergab sich. Da er zuvor lediglich ein kleines Frühstück zu sich genommen hatte, konnte er bereits kurz darauf die Polizei verständigen. Eine halbe Stunde später wimmelte es am Tatort von verschlafenen Beamten.
„Ein Serienkiller“, stellte Ferdinand fest.
„Ein durchgeknallter Serienkiller“, ergänzte Alex. „Ich meine, was soll denn das mit den Haaren? Das ist doch krank.“
„Einfach nur durch die Gegend laufen und Leute umbringen hältst du also für gesund?“
„Kommt auf die Leute an.“
Sie bogen vorsichtig ein paar Zweige zurück, um einen besseren Blick auf die Leichen zu werfen.
„Glaubst du im Ernst, diese Dini hätte das getan?“ Ferdinand nickte zu den Toten, neben denen zwei von Beckmanns Mitarbeitern in ihren weißen Tyvekanzügen den Boden absuchten.
„Hm? Ach, die Friseuse. Weiß nicht, ob sie dabei war, aber das sieht für mich fast nach mehreren Tätern aus. Der Junge wirkt ziemlich kräftig. Ein einzelner Mann hätte sicher Schwierigkeiten, die beiden zu überwältigen, ganz zu schweigen von einer einzelnen Frau. Es sei denn, sie wurden mit Waffengewalt gefügig gemacht, gefesselt und begannen erst, sich zu wehren, als ihnen klar wurde, dass man sie töten würde.“
„Wie die Leichen aufeinander liegen. Damit will uns der Täter doch irgendwas sagen.“
„Vielleicht ist er sexuell frustriert?“
„Wer weiß. Warten wir mal ab, ob das Mädchen vergewaltigt wurde.“
„Hilde ist auch nicht vergewaltigt worden.“
„Dazu hätte man auch extrem frustriert sein müssen.“
„Wir suchen also einen höchstens mäßig frustrierten Serienkiller, der einen Haarfetisch hat.“
Beckmanns Assistent kam heran, murmelte etwas hinter seinem Mundschutz und reichte Ferdinand zwei weinrote Dokumente, aufgeschlagen, in jeweils einem durchsichtigen Plastikbeutel. Der Kommissar warf einen Blick darauf, ignorierte das Alter der Opfer so gut es ging und stöhnte.
„Wir haben eine Gemeinsamkeit gefunden. Das Mädchen hatte die Reisepässe der beiden in der Handtasche. Sieh dir die Namen der Toten an.“ Er reichte Alex die Pässe. „Das kann man ja nun wirklich nicht mehr aussprechen.“
„Inga Mäntyluoto und Mika Uusikaarlepyy aus Ymana... Ymapu... Finnland.“
„Ein mäßig frustrierter Serienkiller mit Haarfetisch, der gezielt Leute mit komplizierten Nachnamen umbringt. Klasse. Das muss echt am Wetter liegen.“
„Deine Theorie, dass die Morde etwas mit den Namen der Opfer zu tun haben, klingt doch arg an den Haaren herbeigezogen.“
„Und deine Wortspiele sind haarsträubend.“
Alex sah auf die Uhr. „Wir sollten uns wieder auf den Weg machen. In einer Stunde kommt deine kleine Freundin zu Besuch, du möchtest doch bestimmt vorher noch das Büro aufräumen.“
„Langsam, langsam. Erstmal muss ich rausfinden, ob unsere Beziehung eine echte Chance hat oder ob ich sie nur auf ihren Freigängen sehen kann.“
„Gib’s doch zu, du willst sie festnehmen.“
„Auf jeden Fall lieber als sie verhaften.“
„Das kann dann ja notfalls ich machen.“
Sie traten beiseite, als die Leichen abtransportiert wurden. Ferdinand sah ihnen hinterher und scharrte mit den Füßen im Gras.
„Es wäre nicht schlecht, wenn wir ein paar Daten hätten, bevor wir die Kleine verhören. Beckmann sollte mittlerweile im Labor sein. Ruf ihn doch mal an und sag ihm, wir brauchen einen ersten Bericht in spätestens einer Stunde.“
„Warum sagst du ihm das nicht selbst?“
„Weil wir den Bericht in spätestens einer Stunde brauchen.“
*
Dini tat in der Nacht kaum ein Auge zu. Nach Feierabend war sie mit Tanja in ihrer Lieblingsbar gewesen, mit dem festen Vorsatz, sich zu betrinken. Unter Mordverdacht zu stehen, hatte sie für einen mehr als angemessenen Grund gehalten; obwohl der Bulle sie ja beruhigt hatte, das sei mehr oder weniger ein Scherz gewesen. Besonders feinfühlig schien er nicht zu sein, und was sollte das bedeuten: Mehr oder weniger? Es war alles so verwirrend. Dieser Kommissar schien ein harter Kerl zu sein, oder er spielte es verdammt gut. Sie würde aufpassen müssen, was sie sagte. Ihre große Klappe hatte sie schon des Öfteren in Schwierigkeiten gebracht.
Das war dann auch der Grund gewesen, sich bei den Drinks letztlich doch zurückzuhalten. Bevor sie sich am nächsten Tag unter Restalkoholeinfluss noch tiefer in die Scheiße reiten würde, hatte sie sich von Tanja nach Hause bringen lassen und war zu Bett gegangen.
Nach einigen schlaflosen Stunden biss sie fluchend ins Kopfkissen. Draußen war es bereits unangenehm hell. Hätte sie doch bloß ein paar Cocktails mehr getrunken, dann würde ihr das Einschlafen leichter fallen!
Am Morgen befand sie sich dementsprechend in einem seltsamen Zustand von nervöser Müdigkeit oder auch müder Nervosität. Mehrmals wechselte sie die Kleidung und fragte den Spiegel um Rat. Sollte sie wirklich in den üblichen aufreizenden Klamotten bei der Polizei erscheinen? Irgendwie schien ihr das unpassend. Andererseits hatte der Bulle, Krüger hieß er, sie im Friseursalon gesehen. Wenn sie sich jetzt betont unauffällig kleiden würde, könnte er denken, sie verstellte sich absichtlich, um unschuldig zu wirken. Das wäre doch erst recht verdächtig, oder? Sie hatte keine Ahnung, wie man sich als Mordverdächtige korrekt verhielt. In keiner ihrer Frauenzeitschriften hatte sie jemals etwas darüber gelesen.
Schließlich zog sie sich an wie sonst auch: eine enge Jeans, ein gerade so bauchbedeckendes Top, Turnschuhe. Ihre blonden Locken band sie zu einem Pferdeschwanz, um wenigstens ein klein wenig züchtiger zu erscheinen. Mit einem Seufzen betrachtete sie sich ein letztes Mal. Dann sah sie auf die Uhr, stellte fest, dass sie schon viel zu spät dran war, und rannte aus der Wohnung.
Als sie auf dem Revier ankam, blieb ihr noch ein Moment Zeit, wieder zu Atem zu kommen, bevor man sie in das Büro des Kommissars führte. Mit einer Art Lächeln wies er ihr einen Stuhl vor seinem Schreibtisch zu.
„Nehmen Sie Platz, Fräulein Leuwarden.“
Beinahe hätte sie protestiert und auf der Anrede „Frau“ bestanden, immerhin war sie schon 23 und kein Schulmädchen mehr. Wortlos setzte sie sich. Krüger schien immer noch an seinem Lächeln zu arbeiten, bis er es schließlich aufgab. Sein Kollege, der neben dem Schreibtisch an der Wand lehnte, grinste sowieso für zwei. Sie fragte sich, warum sich der Typ so amüsierte, und funkelte ihn wütend an. Zumindest versuchte sie es; ihre Augen fühlten sich entsetzlich müde. Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie in der Eile ganz vergessen hatte, sich zu schminken. Und gerade heute hätte sie es wahrscheinlich nötig gehabt. Sie bemühte sich, nicht vor Peinlichkeit zu erröten, obwohl das vielleicht den Mangel an Rouge wettgemacht hätte.
„Der Sonnenschein da an der Wand ist mein Kollege Alex Bather“, sagte Krüger. „Wir arbeiten zusammen an diesem Fall.“
Der grinsende Mann nahm eine Hand aus der Hosentasche, winkte kurz und ließ sie dann wieder verschwinden. „Na, Schätzchen, ’ne lange Nacht gehabt?“
Das reichte.
„Was fällt Ihnen ein?“, brauste sie auf. „Wenn Sie mich noch einmal Schätzchen nennen, können Sie was erleben! Ich beschwer mich, echt! Und es geht Sie gar nichts an, wie ich meine Nächte verbringe!“
Die Männer sahen sich an. Nun grinsten beide, Krüger allerdings nur für eine Schrecksekunde. Ernst blickte er ihr wieder ins Gesicht, direkt in die Augen, ohne zu blinzeln. Sie bekam eine Gänsehaut und rieb sich ärgerlich die Unterarme.
„Ich fürchte, genau das geht uns etwas an. Das ist sogar der einzige Grund für Ihre Anwesenheit heute. Nämlich zu klären, wo Sie zur Tatzeit waren.“
„Das habe ich Ihnen doch schon gesagt! Ich war zu Hause. Allein. Aber ich habe die … diese Frau … nicht umgebracht.“
Krüger nickte. „Zur Kenntnis genommen.“ Er lehnte sich zurück. „Erzählen Sie uns etwas über sich. Sie sind sehr temperamentvoll, stimmt’s?“
„Er meint, ob Sie leicht erregbar sind“, mischte sich sein Kollege ein.
Sie wusste genau, dass die Bemerkung absichtlich zweideutig formuliert worden war, und kochte innerlich. Aber sie versuchte, sich zu beherrschen. Die beiden wollten sie aus der Reserve locken. Das war vermutlich dieses Guter-Bulle-Böser-Bulle-Spiel, von dem sie in den Krimis immer sprachen. Misstrauisch musterte sie die Polizisten. Nun grinsten beide. Das sah eher nach Alberner-Bulle-Noch-Albernerer-Bulle aus, und davon hatte sie noch nie etwas gehört. Ob das eine geheime Polizeitaktik war? Sie beschloss, sich nicht weiter provozieren zu lassen.
„Ich habe das schon verstanden. Und ich rege mich nur auf, wenn man mich ärgert.“
„Hat Frau“, Krüger sah auf ein Blatt Papier, „Waszciewski Sie geärgert?“
„Nein. Sie ist eine sehr ungeduldige, launische Kundin gewesen. Das ist alles.“
„Haben Sie eine intime Beziehung?“
„Ich mit dieser Frau?“, fragte sie verwirrt. Der Mann an der Wand gab ein unterdrücktes prustendes Geräusch von sich.
„Nein“, grinste Krüger, „mit einem Mann. Oder einer Frau, was auch immer. Sie sind ledig, gut. Aber haben Sie einen festen Freund oder sonst jemanden, der Ihnen ähnlich nahesteht?“
„Warum? Sind Sie einsam?“
„Uh“, machte der Mann an der Wand. Sie ignorierte ihn. Krüger schien dasselbe mit ihrer Frage zu machen. Ihr Herz schlug wie wild. Ob man ihr diesen Ton durchgehen lassen würde? Aber sie hatte nicht die Absicht, sich von den beiden hier verarschen zu lassen. Sie reckte ihr Näschen etwas höher in die Luft.
„Nein, ich habe zurzeit keinen festen Freund. Ich hatte einen, aber wir haben vor drei Wochen Schluss gemacht. Brauchen Sie noch mehr Details?“
„Namen und Adresse, bitte.“ Krüger schob ihr einen Notizblock mit Kugelschreiber herüber. Als sie sich wieder zurücklehnte, fuhr er fort: „Wo waren Sie in der Nacht von gestern auf heute?“
„Mit einer Freundin unterwegs.“
Er deutete erneut auf den Block, und sie gehorchte.
„Und wie lief der Abend ab?“
„Wir haben etwas getrunken. So gegen Mitternacht bin ich nach Hause und dann habe ich geschlafen. Allein. Ohne Zeugen. Obwohl ich es mittlerweile doch wohl besser wissen müsste.“ Sie konnte sich einen patzigen Ton nicht verkneifen.
Die beiden Männer sahen sich an. Krüger beugte sich vor. Plötzlich lag Spannung in der Luft. Sie rutschte in ihrem Stuhl ein Stück zurück.
„Wie meinen Sie das? Dass Sie es besser wissen müssten? Woher hätten Sie wissen können, dass Sie wieder ein Alibi brauchen würden?“
Beunruhigt stellte sie fest, dass ein seltsamer Glanz in den Augen des Polizisten lag. Beinahe fürchtete sie, er käme mit einem Satz über seinen Schreibtisch gesprungen und risse sie Boden. „Wieso? Hallo, das war Sarkasmus! Wieso sollte ich wieder ein Alibi brauchen?“ Sie sah von einem zum anderen und langsam dämmerte es ihr. „Wollen Sie etwa sagen, dass wieder … dass Sie mir wieder etwas anhängen wollen? Etwas anderes?“
„Nein, nichts wirklich anderes. Im Grunde genau dasselbe wie vorher: Mord.“
Plötzlich fühlte sie sich schrecklich schwach und hilflos. Das Ganze war ein Alptraum. Vielleicht lag sie noch in ihrem Bett und träumte das alles? Sie krallte ihre Hände um die Armlehnen ihres Stuhls.
„Ich habe aber nichts getan. Ehrlich nicht. Ich habe weder diese Frau Waschineski umgebracht, noch sonst irgendjemanden. Sie können mir doch nicht einfach zwei Morde anhängen!“
„Drei.“
„Drei Morde?“
„Ja. Einmal an Frau … der Mord von gestern, und heute Nacht sind wieder zwei Menschen getötet worden. Und es gibt einen offensichtlichen Zusammenhang.“
„Einen Zusammenhang mit mir?“
„Das versuchen wir gerade herauszufinden. Ach ja, bevor ich‘s vergesse: Nennen Sie mich hoffnungslos romantisch, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir eine Locke Ihres Haares überlassen könnten.“
Sein Mund verzog sich zu einem vermutlich entschuldigend gemeinten Lächeln, aber seine Augen blieben ernst. Und glänzten immer noch. Sie kam sich vor wie ein Kaninchen vor dem Wolf.
Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. Er nahm ab, ohne den Blick von ihr zu wenden.
„Ja, was denn? … Ja, der bin ich … Kein Scheiß? Wo?“ Er schrieb etwas auf einen Notizblock. „Geben Sie mir fünfzehn Minuten. Bis gleich.“ Er legte auf und sah Dini an.
Sie lehnte sich nach vorne und nahm eine Schere von seinem Schreibtisch.
„He, sachte!“, rief Bather und stieß sich von der Wand ab. Krüger machte eine beruhigende Handbewegung in seine Richtung. Dini begriff.
„Oh, ach so, aber ich sollte doch eine Locke abschneiden …“
Krüger lächelte sie an. Diesmal schien es wirklich ehrlich zu sein. „Schon gut, das hat noch Zeit. Legen Sie sie wieder hin – aber ganz langsam! Nur ein Scherz. Danke. Was machen Sie heute noch?“
„Heute? Jetzt? Ich wollte zur Arbeit, und dann … ich weiß nicht. Auf jeden Fall etwas mit vielen Zeugen, denke ich.“
Er stand auf, zog das Sakko von der Rückenlehne seines Stuhles und schlüpfte mit einer geschmeidigen Bewegung hinein. „Wie lange sind Sie auf der Arbeit?“
Dini hatte ihm zugesehen und verspürte den Drang, ihm zu sagen, dass sein Kragen hinten hochstand. „Bis zwanzig Uhr.“
„Gut. Ich werde mich vielleicht im Laufe des Tages noch einmal mit Ihnen in Verbindung setzen. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin sicher, es wird sich alles aufklären.“ Er kam um den Schreibtisch herum und reichte ihr die Hand. Sie stand ebenfalls auf. Er hatte einen festen und überdies trockenen Händedruck, was bei dem warmen Wetter etwas Seltenes war. Beinahe hätte sie ihm selbst den Kragen gerichtet. Was war bloß los, mit ihr und überhaupt?
„Ja dann … bis später“, murmelte sie und versuchte, ebenfalls zu lächeln. Er hielt ihr die Tür auf, als sie das Büro verließ.
Alex schlenderte zu ihm, streckte seinen Kopf auf den Flur hinaus und blickte Dinis Jeans nach, bis sie um die Ecke des Ganges verschwunden war.
„Bist du sicher, dass wir sie einfach so gehen lassen sollten? Für die Zeit nach Mitternacht hat sie kein Alibi, und die Morde geschahen erst später.“
Krüger boxte seinen Kollegen an den Oberarm. „Gute Nachrichten. Es hat wieder einen Mord gegeben.“
„Deine Definition von gut ist ein wenig seltsam, meinst du nicht?“
„Kommt drauf an. Der Mord geschah vor wenigen Minuten, wieder im Park. Das heißt, Dini kann’s nicht gewesen sein. Sie war die ganze Zeit hier.“
„Du scheinst dich ja richtig zu freuen. Aber denk mal nach. So ’n heißer Feger wie die hat wohl kaum Probleme, einen beliebigen Typen für die Drecksarbeit um den Finger zu wickeln. Die Sache stinkt doch. Wieso passiert ein weiterer Mord genau dann, wenn sie gerade mit uns zusammensitzt?“
Ferdinand grinste ihn an. „Das kannst du den Mörder gleich selbst fragen. Sie haben ihn!“