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GELEITWORT

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Der sog. „Aktionskreis Halle“ gehört zur Geschichte der Katholischen Kirche in der DDR. Es handelt sich um eine locker miteinander verbundene Gruppe katholischer Christen, die es wagte, trotz des Repressionsapparates des Ideologie-Staates DDR zu wichtigen Fragen der Zeit eigenständige Meinungen zu haben und diese untereinander und mit anderen zu diskutieren. Das ärgerte die Staatspartei, weil sie mit einem gewissen Recht argwöhnte, dass sich in diesem später so genannten „Aktionskreis Halle“ ein latenter Unruheherd formierte und betätigte, der weiter um sich greifen und so für die DDR destabilisierend wirken könnte.

Dazu kam, dass dieser Kreis auch Themen aufgriff, die besonders durch das 2. Vatikanische Konzil (1962-1965) innerhalb der Katholischen Kirche zunehmend an Bedeutung gewannen. Gerade etwa im 2. Teil des Konzilsdokumentes „Kirche in der Welt von heute“ wurden konkrete Aufgabenbereiche angesprochen, bei denen es um die Mitgestaltung einer gerechten, menschenwürdigen Gesellschaft aus der Kraft des christlichen Glaubens heraus ging – in diesem Text natürlich grundsätzlich und aus einer weltweiten Perspektive heraus formuliert. Auch grundlegende Fragen nach dem Selbstverständnis der Kirche, ihrem Wesen und Auftrag wurden in diesem Konzil thematisiert und überkommene Antworten der Theologie in einen neuen Horizont des Verstehens gestellt.

Es war das Anliegen der Konzilsväter, dass die Texte und die davon ausgehenden Impulse des Konzils weltweit in den Ortskirchen weiter bedacht und vor allem auf mögliche Konsequenzen für die einzelnen Teilkirchen in ihren z.T. ja recht unterschiedlichen Situationen hin geprüft werden sollten. In vielen Ländern fanden in der Folge des Konzils lokale Synoden statt, in der Bundesrepublik Deutschland etwa die Würzburger Synode aller dortigen Bistümer (1971-1975) und (im Beginn leicht zeitversetzt) in der DDR die Pastoralsynode in Dresden (1973-1975). Beide dienten letztlich dem Anliegen der Konzilsrezeption. Man versteht freilich den Verlauf und die Ergebnisse dieser beiden Synoden nur, wenn man bedenkt, in welchem gesellschaftlichen Kontext sie stattfanden.

Es ist kein Geheimnis, dass Kardinal Alfred Bengsch als Vorsitzender der Berliner Ordinarienkonferenz hier seine speziellen Sorgen hatte. Er sah die Gefahr einer möglichen Vereinnahmung, ja Gleichschaltung der Katholischen Kirche durch die kommunistische Partei, wie sie ja teilweise in manchen Ländern des damaligen Ostblocks erfolgt war. Sollte das nun mit Hilfe des „trojanischen Pferdes“ falsch verstandener bzw. missbräuchlich benutzter Schlagworte des Konzils (etwa „Friedensdienst“, „politisches Engagement der Christen“, „Dialog mit dem Atheismus“; vgl. schon vorher die politisch von den DDR-Machthabern instrumentalisierte Enzyklika von Johannes XXIII. „Pacem in terris“) weiter vorangetrieben werden? Das erklärt neben anderen Gründen (etwa das angebliche Fehlen einer Kreuzestheologie) seine Ablehnung gerade des genannten Konzilsdokuments „Kirche in der Welt von heute“. Er sah nur im Kurs einer klaren Distanz zwischen Kirche und Partei - sprich: DDR-Staat - die Identität und Eigenständigkeit kirchlich-katholischen Lebens gewahrt. Dafür warb Kardinal Bengsch. Dies hatte auch gerade im Blick auf die Situation der Kirche im Ostblock eine gewisse Evidenz. Aber das war damals schon unter einzelnen Katholiken, darunter auch Priestern, nicht zuletzt auch aus theologischen Gründen umstritten.

In dieser spannungsvollen Situation fanden sich die Protagonisten des Hallenser Gesprächskreises zusammen, um bewusst als gläubige katholische Christen, aber in einer gewissen Distanz zur kirchlichen Hierarchie, eine eigenständige Konzilsrezeption voranzutreiben. Dahinter stand natürlich auch eine Kirchenvision, die weniger „hierarchisch“ dachte als die vom „kirchlichen Berlin“ vorgegebene offizielle Marschroute. Das führte zu nicht unerheblichen Spannungen innerhalb der Katholischen Kirche in der DDR, nicht nur im Magdeburger Jurisdiktionsbezirk, wobei natürlich noch andere Ereignisse und Problemfelder der damaligen Zeit eine Rolle spielten. Nicht zu vergessen sind auch die revolutionären kulturellen Veränderungen der sog. 68er Jahre, deren Nachwirkungen via Fernsehen und Literatur (übrigens auch kirchlicher!) selbst in der DDR zu spüren waren.

Es ist vom Verfasser der vorliegenden Studie verdienstlich und mutig zugleich, sich in einer gründlichen und ausführlichen Untersuchung dieses delikaten Themas anzunehmen, auch angesichts der Tatsache, dass manche der damals handelnden Personen noch leben. Es geht ihm dabei auch um die Klärung der Frage, inwieweit es zu einer unbeabsichtigten oder gar beabsichtigten „Unheiligen Allianz“ zwischen der damaligen Kirchenleitung und dem DDR-Staat bei der „kirchlichen Domestizierung“ des Hallenser Kreises gekommen ist. Sehr präzise und m.E. objektiv werden die vorliegenden Quellen geprüft und in ihrer Eigenart und jeweiligen Tendenz gewürdigt, wie überhaupt dieser Studie zu bescheinigen ist, dass sie viele für das Thema wichtige kirchliche und staatliche Archive gesichtet und die vorliegenden Befunde umfassend und gründlich ausgewertet hat. So ist der Leser in der Lage, zu einer nachprüfbaren und ausgewogenen Beurteilung der damaligen Geschehnisse zu kommen, bei denen sich, das sei durchaus zugegeben, wie meist in der Geschichte, Licht und Schatten gegenseitig durchdringen.

Ich bin gewiss, dass diese Studie viele aufmerksame, vielleicht auch anders als der Verfasser urteilende Leser finden wird. Es wäre mein Wunsch, dass aus dem Rückblick auf einen spannungsvollen Wegabschnitt unserer Kirche damals Licht auf den heutigen Weg der Kirche in einer nicht minder spannungsvollen Zeit fällt. Meine Lernfrucht aus diesem hier vorgelegten Rückblick ist: Es kann in der Kirche nie genug an Transparenz, an gemeinsamem Gespräch und gegenseitigem Austausch geben. Und vor allem: Wir sollen uns innerkirchlich nicht gegenseitig vorschnell etikettieren und durch Feindbilder fixieren, sondern – in aller Unterschiedlichkeit der jeweiligen Prägungen und Denkweisen – uns auf die Hauptaufgabe einlassen, zu der Kirche zu allen Zeiten und unter allen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gerufen ist: auskunftsfähig für das Evangelium zu werden. Ich gebe zu: Nicht jeder ist berufen, Märtyrer zu werden. Aber wir alle sind berufen, Zeugen für den Ostersieg unseres Herrn zu sein.

Erfurt, im Juni 2013

Dr. Joachim Wanke

Bischof emeritus

Der Aktionskreis Halle

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