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B. Innovationserheblichkeit digitaler Plattformen

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In der Rechtspraxis der letzten Jahre haben digitale Plattformen und damit besonders verbunden datengetriebene Geschäftsmodelle ein zunehmend bedeutenderes Gewicht in der kartellrechtlichen Dogmatik gewonnen.32 Eine einheitliche rechtliche Bewertung oder ein dieser vorausgehendes Verständnis fehlt bislang noch. Evans/Schmalensee sehen die Besonderheiten der Plattform-Wirtschaft in den technischen Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien in Form eines zunehmend kommerziell offeneren Internets seit den mittleren 1990er Jahren sowie dem zusätzlichen Ausbau mobiler Breitbandnetze und damit verbundenen gesunkenen Transaktionskosten.33 Diese Besonderheiten rücken digitale Plattformen in eine besondere Nähe zu innovationsbezogenen Technologien, indem sie diese einerseits als Vehikel für ihren wirtschaftlichen Erfolg nutzen, andererseits das Begriffspaar Innovation und Wettbewerb durch ständig sich wandelnde Geschäftsmodelle und ihre enge Verzahnung untereinander in neue Verhältnisse untereinander bringen, die mit dieser Untersuchung beleuchtet werden sollen.34 Plattformen umschreiben also innovationserhebliche Sachverhalte. Datengetrieben meint dabei, dass diese Plattformen in besonderer Weise mit dem gestiegenen Interesse an einem Austausch an Informationen und Daten in einem weiteren Sinne verbunden werden können.35 Plattformen machen sich die technologischen wie wirtschaftlichen und wettbewerblichen Vorteile der Entwicklungen in der Internetwirtschaft zu eigen.

Plattformen sind als solche keine völlig neue Erscheinungsform.36 Bereits vor dem sogenannten „digitalen Zeitalter“ gab es Unternehmen, die Netzwerkeffekte für sich ausnutzten und verschiedene Nutzergruppen mit unterschiedlichen Interessen miteinander verbanden, zum Beispiel im Zusammenhang mit Software, Medienportalen, Zeitschriften und Zahlungsdiensten.37 Mit zunehmender Digitalisierung und größerer Wertschöpfung in der Online- und Digitalwirtschaft gewinnen Plattformen ebenso weitere wie neue Bedeutungen.38 Dies liegt an den mit dem Internet verbundenen Vorteilen, insbesondere den noch aufzuzeigenden Kostenvorteilen, besserer Verteilung nachgefragter Produkte und Vermittlung von Informationen und damit Wissen, sowie einer schnellen Erschließung nächster Kapitalisierungsmöglichkeiten.39 Besonders stark zeigt sich dies in technischer Hinsicht darin, dass die neuen Technologien vor allem auf eine schnellere und wirtschaftlichere Verarbeitung von Informationen ausgerichtet sind, weshalb digitale Plattformen als besonderes soziales Phänomen des sogenannten „Informationszeitalters“ angesehen werden können. Eine besondere Bedeutung haben hier zudem Netzwerkeffekte, die in Zusammenhang mit den Entscheidungen einzelner Individuen einer bestimmten Nutzergruppe und deren Auswirkungen auf andere Individuen derselben oder einer anderen Nutzergruppe stehen. Die beiden wesentlichen Herausforderungen für Plattform-Anbieter liegen hier einerseits darin, verschiedene Nutzergruppen zu adressieren und Nutzerbeziehungen zu generieren, und andererseits in einem hiermit einhergehenden Henne-Ei-Paradoxon hinsichtlich der zuerst präsenten Nutzergruppe.40 Dabei kann der Zusatz „digital“ ebenso wenig wie bereits der Plattformbegriff fest definiert werden, sondern dient vielmehr einer ersten Annäherung an den Untersuchungsgegenstand und seiner Eingrenzung, um daraus die für eine rechtliche Bewertung erheblichen Besonderheiten herauszuarbeiten.

32 Vgl. allein: Bundeskartellamt, Digitale Ökonomie – Internetplattformen zwischen Wettbewerbsrecht, Privatsphäre und Verbraucherschutz v. 1.10.2015, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Diskussions_Hintergrundpapier/AK_Kartellrecht_2015_Digitale_Oekonomie.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen 14.12.2019), S. 8ff.; zur Übersicht Telle, in: Blocher/Heckmann/Zech, DGRI Jahrbuch 2016, 2017, S. 143 (143); aus der Rechtspraxis der EU-Kommission vgl. exemplarisch Kommission, Entsch. v. 18.7.2018 – AT.40099 (Google Android); Kommission, Entsch. v. 27.6.2017 – AT.39740 (Google Search (Shopping)), http://ec.europa.eu/competition/antitrust/cases/dec_docs/39740/39740_14996_3.pdf (abgerufen 29.11.2018); Kommission, Entsch. v. 6.12.2016 – COMP/M.8124 (Microsoft/LinkedIn), http://ec.europa.eu/competition/mergers/cases/decisions/m8124_1349_5.pdf (abgerufen 29.11.2018); Kommission, Entsch. v. 3.10.2014 – COMP/M.7217 (Facebook/WhatsApp), ABl. C 417, 4; aus der Rechtspraxis des Bundeskartellamts vgl exemplarisch BKartA, Beschl. v. 6.2.2019 – B6-22/16 (Facebook), BeckRS 2019, 4895; BKartA, Beschl. v. 22.12.2015 – B9-121/13 (Meistbegünstigungsklauseln bei Booking.com), BeckRS 2016, 4449; BKartA, Beschl. v. 22.10.2015 – B6-57/15 (Online-Datingplattformen), BeckRS 2016, 1137; BKartA, Beschl. v. 26.8.2015 – B2-98/11 (Asics), BeckRS 2016, 9244; aus der europäischen Rechtsprechung siehe allein EuGH, Urt. v. 6.12.2017 – C-230/16 (Coty Germany), ECLI:EU:C:2017:941, MMR 2018, 77 (m. Anm. v. Hoeren) = NZKart 2018, 36 = GRUR 2018, 211 (m. Anm. v. Funke/Neubauer) = ZVertriebsR 2018, 52; EuGH, Urt. v. 21.1.2016 – C-74/14 (Eturas), ECLI:EU:C:2016:42, NZ-Kart 2016, 133; EuG, Urt. v. 17.9.2007 – T-201/04 (Microsoft), ECLI:EU:T:2007:289, Slg. 2007, II-03601 = BeckRS 2007, 70806; in der deutschen Rechtsprechung BGH, Beschl. v. 21.6.2018 – I ZR 40/17 (Ersatzteilinformation), GRUR 2018, 955; BGH, Urt. v. 12.12.2017 – KZR 50/15 (Rimowa), NZKart 2018, 134. 33 Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016, S. 19. 34 Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 185; Bundeskartellamt, Arbeitspapier – Marktmacht von Plattformen und Netzwerken v. 9.6.2016, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Berichte/Think-Tank-Bericht.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen 14.12.2019), S. 84; bereits Boehme-Neßler, ZÖR 2009, S. 145 (149). 35 Telle, in: Blocher/Heckmann/Zech, DGRI Jahrbuch 2016, 2017, S. 143; Graef, EU competition law, data protection and online platforms, 2016; Drexl, JIPITEC 2017, S. 257; König, in: Hennemann/Sattler, Immaterialgüter und Digitalisierung, 2017, S. 89; Louven, NZKart 2018, S. 217; Schweitzer, GRUR 2019, S. 569; die Bedeutung und weitere Einzelaspekte dazu auch darstellend Kaben, in: Körber/Immenga, Daten und Wettbewerb in der digitalen Ökonomie, 2016, S. 123; Mayer-Schönberger/Ramge, Das Digital, 2017; Richter/Slowinski, IIC 2019, S. 4; Sattler, in: Sassenberg/Faber, Rechtshandbuch Industrie 4.0 und Internet of Things, § 2; Schweitzer/Peitz, NJW 2018, S. 275; Körber, NZKart 2016, S. 303; Körber, NZKart 2016, S. 348. 36 Vgl. zu dieser Aussage kritisch Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2015, S. 8. 37 Rochet/Tirole, JEEA 2003, S. 990 (990); Rochet/Tirole, RJE 2006, S. 645 (646); Dewenter/Rösch/Terschüren, NZKart 2014, S. 387 (388). 38 Einführend dazu Henseler-Unger, in: Sassenberg/Faber, Rechtshandbuch Industrie 4.0 und Internet of Things, § 1, Rn. 6ff.; Scheer, IS 2016, S. 275 (277); Nach Körber, ZUM 2017, S. 93 (94) sind mehrseitige Geschäftsmodelle wie Plattformen „im Internet“ die Regel und nicht die Ausnahme. 39 Rochet/Tirole, JEEA 2003, S. 990 (990). 40 Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2015, S. 4f; Blaschczok, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015, S. 111ff.; dies zurückführend auf die Untersuchungen ausgehend von Rochet/Tirole, JEEA 2003, S. 990 (990).

Kartellrechtliche Innovationstheorie für digitale Plattformen

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