Читать книгу Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe - Sebastian Miede - Страница 10

2.3 Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache

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Einen erheblichen Einfluss, insbesondere auf den Faktor Mündlichkeit in der gymnasialen Oberstufe, hat die Neustrukturierung des deutschen Bildungssystems als Folge der schwachen Resultate deutscher Schüler/innen in der PISA-Studie im Jahr 2000 (vgl. Baumert 2003). Diese Entwicklungen, die in der Abkehr von dem zuvor etablierten input-orientierten System resultierten und in der Implementierung von neuen Bildungsstandards und einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Oberstufe mündeten, sollen daher an dieser Stelle der Arbeit kurz nachgezeichnet werden.

Schröder, Tesch und Nold (2017: 15) werten die Entwicklung von Bildungsstandards für die Sekundarstufe I an Haupt- und Realschulen (vgl. KMK 2004) als unmittelbare Reaktion auf den PISA-Schock, heben aber hervor, dass es sich dabei nicht um eine spontane Idee gehandelt habe, sondern man vielmehr auf bereits in den 1990er Jahren durch den Europarat, also außerhalb der staatlichen Schulsysteme, entwickelte Erkenntnisse aufgebaut habe. Konkret beziehen sie sich auf den auf teilempirischer Basis entstandenen GeR (vgl. Schröder/Tesch/Nold 2017: ibid.). Man versprach sich durch die Neuausrichtung des Englischunterrichts anhand klar definierbarer und überprüfbarer Kompetenzen eine Steigerung der Unterrichtsqualität und eine gezieltere Förderung der Lernenden. Dies geht auch mit einer Verbesserung der Diagnosekompetenzen der Englischlehrkräfte einher, die sich nun an den Kompetenzbeschreibungen orientieren und zielgerichteter fördern können. (vgl. ibid.) In der BMBF-Expertise zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards wurde zudem der Ansatz der Kompetenzorientierung als Leitziel für die Unterrichtsgestaltung formuliert (Klieme et al. 2003). Zunächst greifen die Reformen in der Sekundarstufe I, auch wenn sich in den Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Englisch/Französisch (KMK 2003) bereits kompetenzorientierte Leitprinzipien auffinden lassen (vgl. Schröder/Tesch/Nold 2017: 16). Es dauert schließlich bis Oktober 2012 bis auch für die Oberstufe vergleichbare Standards verabschiedet werden. Resultat sind die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Französisch) für die allgemeine Hochschulreife, die mit einer Reihe beispielhafter Lern- und Prüfungsaufgaben veröffentlicht wurden und zu Beginn des Schuljahrs 2014/15 verbindlich in Kraft traten.

Als Leitziele definiert die Kultusministerkonferenz die Schaffung von Transparenz schulischer Anforderungen durch gemeinsame Bildungsstandards, die Entwicklung kompetenzorientierten Unterrichts in der Oberstufe voranzutreiben und die Etablierung einer Grundlage für die Überprüfung von Ergebnissen (vgl. KMK 2012: 5). Wörtlich heißt es dort:

Als abschlussbezogene und in allen Ländern verbindliche Zielvorgaben bilden die Bildungsstandards der KMK eine wichtige Grundlage für die Entwicklung und Sicherung von Bildungsqualität in Schulen. Sie sollen schulische Lehr- und Lernprozesse auf eine kumulative und systematisch vernetzte Entwicklung von Kompetenzen orientieren, die auch für zukünftige Bildungsprozesse der Schülerinnen und Schüler bedeutsam sind. Weiterhin sollen sie dazu beitragen, die Durchlässigkeit von Bildungswegen und die Vergleichbarkeit von Abschlüssen sicherzustellen. Flankiert von geeigneten Implementierungs- und Unterstützungsmaßnahmen bilden Bildungsstandards eine Basis für eine systematische Weiterentwicklung des Bildungssystems. (ibid.)

Fremdsprachenunterricht in der Oberstufe soll die Lernenden zum mündlichen und schriftlichen Diskurs befähigen. Diese Diskursfähigkeit „umfasst wichtige interkulturelle Kompetenzen, die im Unterricht zusammen mit den sprachlichen Kompetenzen, im Rahmen einer Auseinandersetzung mit Themen, Texten und Medien integriert erworben werden.“ (KMK 2012: 11) Zentraler Bezugspunkt für ein Kompetenzmodell ist, neben den genannten Komponenten, auch das Kompetenzstrukturmodell der Standards der Sekundarstufe I. Tesch und Schröder führen aus, dass bei der Adaption des Modells auf die Anforderungen der Oberstufe die funktionalen kommunikativen Kompetenzen und die interkulturellen Kompetenzen als zentral erachtet und beibehalten wurden, die methodischen Kompetenzen hingegen aufgrund von Zuordnungsschwierigkeiten abgewandelt wurden1 (vgl. Tesch/Schröder 2017: 26).

Abb. 1:

Adaptiertes Kompetenzstrukturmodell (KMK 2012: 12)

Die Anordnung der Kompetenzen im finalen Modell zeigt deren zentrale Position und deren Verwobenheit. Text- und Medienkompetenzen zählen ebenfalls zu den zentralen Kompetenzen, wohingegen die beiden neuen Bereiche Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz lateral angeordnet sind, um zu signalisieren, dass sie in Wechselwirkung mit den zentralen Kompetenzen stehen und deren Ausbildung unterstützen (vgl. KMK 2012: 12).

Die im Fokus der vorliegenden Studie stehende Sprechkompetenz wird unter den funktionalen kommunikativen Kompetenzen subsumiert, ist jedoch nicht von den anderen zentralen Kompetenzen zu trennen. Im Bereich des Sprechens greifen die Standards die aus dem GeR bekannte Differenzierung in dialogisches Sprechen (hier: An Gesprächen teilnehmen) und zusammenhängendes monologisches Sprechen auf. Unter der Fähigkeit „an Gesprächen teilzunehmen“ (KMK 2012: 16) wird Folgendes verstanden:

Die Schülerinnen und Schüler können sich weitgehend flüssig, sprachlich korrekt und adressatengerecht sowie situationsangemessen an Gesprächen beteiligen. Sie sind bereit und in der Lage, in einer gegebenen Sprechsituation zu interagieren, auch wenn abstrakte und in einzelnen Fällen weniger vertraute Themen behandelt werden. (KMK 2012: 16)

Sowohl im grundlegenden als auch im gehobenen Niveau setzt dialogisches Sprechen metalinguistisches Wissen voraus. Des Weiteren wird in den Bildungsstandards gefordert, dass Lernende geeignete Strategien für den Umgang mit Missverständnissen entwickeln sollen und auch die formellen und informellen Situationen erkennen, in denen sie die Fremdsprache in Gesprächen verwenden (2012: 17). Hier ist eine Analogie zu den beschriebenen Domänen des GeR zu erkennen. Die Klarheit der Deskriptoren unterscheidet sich allerdings in diesem Bereich stark. Burwitz-Melzer (2014: 20) kritisiert beispielsweise den Deskriptor:

Die Schülerinnen und Schüler können in informellen und formellen Situationen persönliche Meinungen unter Beachtung kultureller Gesprächskonventionen ausdrücken und begründen. (KMK 2012: 17)

Es bleibe offen, was unter kulturellen Gesprächskonventionen zu verstehen sei und wie Lerner diese konkret umsetzen bzw. Lehrkräfte sie vermitteln und später beurteilen sollen. Andere Deskriptoren hingegen, so zum Beispiel „Die SuS können sich zu vertrauten Themen aktiv an Diskussionen beteiligen sowie eigene Positionen vertreten“ (ibid.), sind klarer formuliert.

Der angestrebte Kompetenzstand im Bereich „zusammenhängendes monologisches Sprechen“ (ibid.) wird hingegen wie folgt gefasst:

Die Schülerinnen und Schüler können klare und detaillierte Darstellungen geben, ihren Standpunkt vertreten und erläutern sowie Vor- und Nachteile verschiedener Optionen angeben“ (ibid.).

Auch hier kommt es also zu einer Mischung von recht vagen Formulierungen mit transparenteren. So sollen Lernende im grundlegenden Niveau „für Meinungen, Pläne oder Handlungen klare Begründungen bzw. Erklärungen geben“ (ibid.); ein, mit Ausnahme des Adjektivs „klare“, recht verständlicher Deskriptor. In einem weiteren der Deskriptoren fordern die Standards allerdings, dass Lernende literarische und nicht-literarische Texte „sprachlich angemessen und kohärent“ (ibid.) beurteilen sollen. Dabei bleibt offen, was die Autoren in diesem Zusammenhang unter einem sprachlich angemessenen Umgang mit diesen Texten verstehen (vgl. Burwitz-Melzer 2014: 20). Aus einem anderen Grund erscheint dieser Deskriptor allerdings äußerst relevant, schlägt er doch die Brücke zwischen der Fertigkeit Sprechen und der Inhaltsebene im Unterricht (vgl. ibid.: 21). Betrachtet man also das Sprechen im unterrichtlichen Kontext, so muss die Inhaltsebene gleichermaßen beachtet werden. Eine ebensolche ergibt sich entweder aus einer konkreten Aufgabenstellung oder einem Unterrichtsgegenstand (z.B. ein Text) über den im Unterricht gesprochen wird. Dies wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels nochmals aufgegriffen.

Ebenfalls hoch interessant erscheint der folgende Deskriptor im Bereich des zusammenhängenden monologischen Sprechens:

Die Schülerinnen und Schüler können im Kontext komplexer Aufgabenstellungen eigene mündliche Textproduktionen, z.B. Vorträge, Reden, Teile von Reportagen und Kommentare, planen, adressatengerecht vortragen und dabei geeignete Vortrags- und Präsentationsstrategien nutzen (KMK 2012: 18).

Erstmals wird in den Bildungsstandards selbst auf die Rolle des Sprechens innerhalb komplexer Aufgabenstellungen eingegangen. Lernende sollen nämlich dazu in der Lage sein, im Rahmen ebensolcher Aufgaben, eigene mündliche Texte zu planen und angemessen vorzutragen. Es wird deutlich, dass Sprechkompetenz nicht nur isoliert und imitativ entwickelt werden kann, sondern vor allem in komplexen Aufgaben, die mehrere Kompetenzen verknüpfen, gefördert werden muss. Eine in diesem Zusammenhang zu nennende Kompetenz ist die des Hörverstehens bzw. des Hörsehverstehens.

Auch wenn die Bildungsstandards die Fertigkeiten Hörverstehen/Hörsehverstehen und Sprechen trennen, bedingen diese einander vor allem im Bereich des dialogischen Sprechens maßgeblich. Meißner (2011) stellt heraus, dass Kommunikationsfähigkeit Hörverstehkompetenz ebenso impliziere wie Sprechkompetenz:

Wer „Kommunikation“2 sagt, meint zumeist Mündlichkeit und damit Hörverstehen. Es handelt sich dabei um eine besondere Kompetenz und das aus mehreren Gründen: 1. Sprache als „Spreche“ ist ohne Hören nur schwer erwerbbar. 2. Eine operable Sprechfähigkeit ist ohne Hörverstehen nur schwer ausbildbar. 3. Erst das Hörverstehen verleiht Lautketten ihre semantische Dimension und macht verbal mitgeteilte Inhalte behaltbar. (…) Im (mündlichen) Gespräch tritt Hörverstehen im Wechsel mit dem Sprechen auf; man bezeichnet es in diesem Sinne auch als Teil einer integrativen Kompetenz. Schon dies zeigt: Kommunikation ist ohne Hörkompetenz nur eingeschränkt möglich; weshalb auch das Fremdsprachenlernen auf das Hörverstehen keineswegs verzichten kann, solange es auf Kommunikationsfähigkeit abhebt (Meißner 2011: 72).

In den Bildungssstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012) wird die Zusammengehörigkeit der beiden Kompetenzen Sprechen und Hörverstehen nicht hinreichend deutlich. Zwar wird beiden eine wichtige Rolle beigemessen, allerdings betrachtet man sie in einem anderen Maße voneinander isoliert als es zum Beispiel der GeR vermag. Im Bereich des Hörverstehens sollen Lernende am Ende der gymnasialen Oberstufe folgende Fähigkeiten besitzen:

Die Schülerinnen und Schüler können authentische Hör- und Hörsehtexte verstehen, sofern repräsentative Varietäten der Zielsprache gesprochen werden. Sie können dabei Hauptaussagen und Einzelinformationen entnehmen und diese Informationen in thematische Zusammenhänge einordnen. (KMK 2012: 15)

In dieser, wie auch in den näheren Beschreibungen der zu erreichenden Teilkompetenzen, beschränken sich die Bildungsstandards auf die Hörverstehenskompetenz als solche – es fehlt ein Abschnitt, der diese mit der produktiven Komponente vernetzt. Dies ist besonders prekär, weil das Hörverstehen/Hörsehverstehen in der Sekundarstufe II bisher „stiefmütterlich behandelt“ (Rossa/Meißner 2017: 84) wird und die Fähigkeit für das Bewältigen kommunikativer Situationen unabdingbar ist.

Ebenfalls von maßgeblicher Bedeutung für die Ausbildung von Sprechkompetenz ist das Verfügen über sprachliche Mittel. Sprachliche Mittel, zu denen Wortschatz, Grammatik, Aussprache, Prosodie und Orthografie zu zählen sind, gelten in den Standards, analog zur Sekundarstufe I, als funktionale Bestandteile des sprachlichen Systems und der Kommunikation (vgl. KMK 2012: 18). Hervorzuheben ist, dass diese Mittel eine „dienende Funktion“ (ibid.) insofern haben, als sie zur Realisierung der kommunikativen Absicht unverzichtbar sind. Ziel kompetenzorientierten Unterrichts ist es daher nicht, diese ins Zentrum zu rücken, sondern sie in möglichst vielfältigen Anwendungssituationen zu schulen, so dass sie von den Lernenden kumulativ angeeignet werden. Dies geschieht in Analogie zum (Erst-)Spracherwerb.

Die im Strukturmodell zentral und oben verortete interkulturelle kommunikative Kompetenz wird in den Oberstufenstandards, einerseits durch ihre Position und andererseits durch eine systematischere und differenziertere Ausgestaltung in Deskriptoren, aufgewertet und zudem wird ihre Verankerung mit den funktional kommunikativen Kompetenzen transparenter (vgl. Caspari/Burwitz-Melzer 2017a: 38). Sie ist gerichtet „auf Verstehen und Handeln in Kontexten, in denen die Fremdsprache verwendet wird.“ (KMK 2012: 19) und meint konkreter die Fähigkeit der Lernenden zur Erschließung der in fremdsprachlichen und fremdkulturellen Texten enthaltenen Informationen, Sinnangeboten und Handlungsaufforderungen sowie der Reflexion dieser vor dem Hintergrund ihres eigenen kulturellen und gesellschaftlichen Kontexts3 (ibid.). Die angedeutete Verankerung mit den funktional kommunikativen Kompetenzen zeigt sich darin, dass Lernende zur Erschließung auf rezeptive Kompetenzen angewiesen sind und zur Problemlösung auf produktive Kompetenzen zurückgreifen müssen. Interkulturelle kommunikative Kompetenz setzt aber auch emotionale Bereitschaft (Einstellungen) voraus, sich auf das Fremde einzulassen und diesem offen und respektvoll, wenn angebracht aber auch kritisch, entgegenzutreten. In diesem Zusammenhang sind auch die Text- und Medienkompetenzen zu erwähnen, da fremdkulturelle Texte „Repräsentationen von Diskursen in fremdsprachigen Kulturen“ (Hallet 2010: 128) darstellen und somit als Türöffner für interkulturelles Lernen und die Ausbildung von interkultureller kommunikativer Kompetenz dienen können. Dies resümieren auch Caspari und Burwitz-Melzer und plädieren für ein vernetzendes Lernen, wenn es darum geht, die Bildungsstandards in die Praxis umzusetzen:

Schülerinnen und Schülern bietet ein solches vernetzendes Lernen die Möglichkeit, ihre interkulturellen und kulturellen Wissensbestände und ihre Emotionen in den Fremdsprachenunterricht in angemessener Weise einzubringen. Lehrerinnen und Lehrer sollten lernen, sich solche Wissensbestände und Emotionen zu erschließen bzw. zu evozieren und in angemessener Form in den Unterricht einzubeziehen. (Caspari/Burwitz-Melzer 2017b: 59)

Als kurzes Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (KMK 2012) den Oberstufenunterricht mit Blick auf die Förderung des Sprechens und die allgemeine Bedeutung von Mündlichkeit verändern können. Stärker als zuvor werden mündliche Kompetenzen gefordert und auch wenn die Standards, insbesondere bezogen auf die Transparenz einiger Deskriptoren und die nicht im gleichen Maße wie im GeR bedachte Integration produktiver und rezeptiver Fertigkeiten, nicht immer einfach umzusetzen sind, so können sie als Referenzdokumente die Unterrichtsqualität langfristig maßgeblich verbessern. Dazu bedarf es allerdings empirischer Forschung zur Gestaltung standardorientierten Fremdsprachenunterrichts, um diesen beschreiben und reflektieren zu können und auf lange Sicht auch auf die Lehrerbildung rückwirken zu können. Einen Beitrag in diesem Zusammenhang will die vorliegende Studie leisten. Im nächsten Unterkapitel soll es aber zunächst darum gehen, die Rolle des Sprechens im Englischunterricht an gymnasialen Oberstufen noch genauer nachzuvollziehen. Dazu werden die Kerncurricula Englisch für die Oberstufe genauer betrachtet.

Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe

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