Читать книгу Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe - Sebastian Miede - Страница 9
2.2 Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen
ОглавлениеDer Gemeinsame europäische Referenzrahmen1 für Sprachen setzt sich zum Ziel, das Lehren, Lernen und Beurteilen von Sprachverwendung umfassend, transparent und kohärent zu gestalten (Europarat 2001: 14). Ihm liegt ein handlungsorientierter Ansatz zugrunde, der Sprachenlerner als sozial Handelnde begreift, die befähigt werden sollen, in realweltlichen Handlungsfeldern kommunikative Aufgaben zu bewältigen. Im Referenzrahmen selbst wird Sprachverwendung wie folgt definiert:
Sprachverwendung – und dies schließt auch das Lernen einer Sprache mit ein – umfasst die Handlungen von Menschen, die als Individuen und als gesellschaftlich Handelnde eine Vielzahl von Kompetenzen entwickeln, und zwar allgemeine, besonders aber kommunikative Sprachkompetenzen. Sie greifen in verschiedenen Kontexten und unter verschiedenen Bedingungen und Beschränkungen auf diese Kompetenzen zurück, wenn sie sprachliche Aktivitäten ausführen, an denen (wiederum) Sprachprozesse beteiligt sind, um Texte über bestimmte Themen aus verschiedenen Lebensbereichen (Domänen) zu produzieren und/oder zu rezipieren. Dabei setzen sie Strategien ein, die für die Ausführung dieser Aufgaben am geeignetsten erscheinen. Die Erfahrungen, die Teilnehmer in solchen kommunikativen Aktivitäten machen, können zur Verstärkung oder zur Veränderung der Kompetenzen führen. (Europarat 2001: 21)2
Der zentrale Aspekt dieser Definition ist der Kompetenzbegriff. Sprachverwendung wird als Zusammenspiel verschiedener Kompetenzen verstanden, Kompetenzen selbst definiert der GeR als „Summe des (deklarativen) Wissens, der (prozeduralen) Fertigkeiten und der persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen und allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, die es einem Menschen erlauben, Handlungen auszuführen“ (Europarat 2001: 21). Fremdsprachenlernen erschöpft sich nicht in der Verfügbarkeit sprachlichen Wissens und produktiver wie rezeptiver Fertigkeiten, sondern umfasst auch soziale und motivationale Faktoren.3
Eine wesentliche Grundlage für den Erwerb und Ausbau fremdsprachlicher Kompetenzen stellt der Kontext der Sprachverwendung dar, der sich wiederum in verschiedene Domänen aufgliedern lässt (vgl. Europarat 2011: 52). Im GeR wird explizit darauf verwiesen, dass die Benutzer des Dokuments Kenntnis über die Lebensbereiche und Situationen in denen die Lernenden die Zielsprache verwenden sollen, benötigen und entsprechend antizipieren sollen, welche sprachlichen, sozialen und kognitiven Anforderungen sich daraus ableiten lassen (ibid.). Es lassen sich dort auch vier beispielhafte Domänen finden (privat, öffentlich, beruflich, Bildung), die sich aber auch teilweise überlagern können und für die weitere situative Kategorien ausgeführt werden, die als Grundlage für Themenfelder und Aufgabenkonzeption nutzbar sind.
Auch was unter einer kommunikativen Aufgabe zu verstehen ist, wird im Referenzrahmen exemplifiziert.
(Kommunikative) Aufgabe wird definiert als jede zielgerichtete Handlung, die eine Person für notwendig hält, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Dies kann ein Problem sein, das es zu lösen gilt, aber auch eine Verpflichtung, der man nachkommen muss, oder irgendein anderes Ziel, das man sich gesetzt hat. Die Definition trifft auf eine Vielzahl von Handlungen zu, wie zum Beispiel: Einen Schrank umstellen, ein Buch schreiben, bei Vertragsverhandlungen bestimmte Bedingungen aushandeln, Karten spielen, im Restaurant eine Mahlzeit bestellen, einen fremdsprachlichen Text übersetzen oder in Gruppenarbeit eine Klassenzeitung erstellen. (Europarat 2001: 22)4
Der handlungsorientierte Charakter des GeR offenbart sich auch in dem dargelegten Verständnis (kommunikativer) Aufgaben, schließlich müssen sprachliche Strategien und Handlungen immer abhängig von der jeweiligen Situation bzw. Aufgabe geplant und durchgeführt werden. Es ist entsprechend möglich, dass Lernende auf vielfältige Weise, unter Einbeziehung ihrer individuellen Voraussetzungen, zu einer Aufgabenlösung gelangen.
Für den Kontext dieser Studie relevant ist, wie im GeR Sprechkompetenz spezifiert wird. Zunächst muss grob unterschieden werden zwischen mündlicher Produktion und mündlicher Interaktion. Während ersteres die Produktion von einem „gesprochenen Text, der von einem oder mehreren Zuhören empfangen wird“ (Europarat 2001: 63) meint, inkludiert zweiteres abwechselnd Rezeptions- und Produktionsstrategien, die das gemeinsame Aushandeln von Bedeutung zum Ziel haben (vgl. Europarat 2001: 78). Es wird also im Referenzrahmen zwischen monologischen und dialogischen Sprechsituationen unterschieden. Für beide Bereiche stehen wiederum Beispielskalen bereit, die es gestatten, sprachliches Handeln der Lernenden näher zu klassifizieren. Der Bereich mündliche Produktion gliedert sich in fünf Subkategorien (mündliche Produktion allgemein, zusammenhängendes monologisches Sprechen: Erfahrungen beschreiben, zusammenhängendes monologisches Sprechen: Argumentieren, öffentliche Ankündigungen/Durchsagen machen und vor Publikum sprechen). Jede diese Subkategorien schlüsselt sprachliche Handlungen in positiv formulierte „Kann-Beschreibungen“ – so genannte Deskriptoren – auf, die in einem sechsstufigen Diagnosesystem den Niveaustufen A (Elementare Sprachverwendung mit den Unterscheidungen A1: Breakthrough und A2: Waystage), B (Selbstständige Sprachverwendung mit den Unterscheidungen B1: Threshold und B2: Vantage) und C (Kompetente Sprachverwendung mit den Unterscheidungen C1: Effective Operational Proficiency und C2: Mastery) zugeordnet werden. Nicht immer sind diese trennscharf, insbesondere, weil das Festlegen von Niveaugrenzen ein subjektives Verfahren darstellt. Dieses Umstands sind sich die Herausgeber des Referenzrahmens allerdings bewusst und schlagen, auf Basis empirischer Erkenntnisse, vor, bei Unsicherheiten auf Zwischenstufen wie beispielsweise B1+ zurückzugreifen (vgl. Europarat 2001: 40). Es kann an dieser Stelle nicht auf alle Beispielskalen der beiden Kategorien der Sprechkompetenz detailliert eingegangen werden, daher wird exemplarisch vorgegangen.
Der Kompetenzbereich der „mündlichen Produktion allgemein“ enthält, als Deskriptor für das Niveau A1, folgende Beschreibung: „Kann sich mit einfachen, überwiegend isolierten Wendungen über Menschen und Orte äußern“ (Europarat 2001: 64). In höheren Niveaustufen bleiben die Operatoren in ihrer Formulierung zwar einerseits recht allgemein, modifizieren aber andererseits die A1-Beschreibung immer weiter. Dies ist zur Verdeutlichung in einer Tabelle aufgeführt:
An diesem Vergleich lässt sich erkennen, dass sich mit zunehmender Niveaustufe die Operatoren in ihrem Detailgrad verändern. In der A2-Beschreibung ist noch klar umrissen, worüber sich der Lernende auf diesem Niveau äußern kann und in welcher sprachlichen Form er dies tut (listenhaft, kurz). Der B2-Operator ist hingegen thematisch weiter gefasst. Es wird von einer Bandbreite an Themen gesprochen und allgemein von Sachverhalten, die beschrieben und dargestellt werden können. Die sprachliche Form ist weniger genau festgelegt als in den niedrigeren Niveaustufen, aber es werden Aussagen darüber gemacht, welche Kriterien die sprachlichen Äußerungen erfüllen sollen (untergeordnete Punkte, klare und detaillierte Beschreibungen, relevante Beispiele, stützende Details, klar und systematisch, angemessen). Die Operatoren des C-Niveaus werden wieder knapper gefasst, weil sie hauptsächlich auf den unteren Stufen aufbauen. Bei C1 ist von komplexen Sachverhalten die Rede und im C2-Niveau fällt eine Spezifikation des sprachlichen Genres ganz weg. Im Vergleich der weiteren Beispielskalen aus der Kategorie der mündlichen Produktion fällt auf, dass gerade zwischen C1 und C2 die Nuancen, die die Niveaus voneinander unterscheiden, so gering sind, dass eine Einstufung auf subjektiven Einschätzungen der Nutzer des Referenzrahmens beruht. Exemplarisch hier der Vergleich für den Komplex „zusammenhängendes monologisches Sprechen: Erfahrungen beschreiben“:
Anhand verschiedener Vergleiche der Deskriptoren in den Beispielskalen des Referenzrahmens lässt sich festmachen, dass eine Operationalisierung sprachlicher Kompetenzen, wie sie im GeR vorgenommen wird, für die Nutzer, seien es Lehrende bei der Unterrichtskonzeption oder Diagnose oder Lernende bei der Selbsteinschätzung, überfordernd wirken kann. Quetz äußert sich entsprechend kritisch über den Referenzrahmen und betont, dass er daher nur „denjenigen bei der Arbeit helfe, die sich ohnehin ständig mit der Gradierung von Sprachmaterial für Curricula, Lehrwerke oder Tests befassen“ (Quetz 2003: 153).
Im Bereich der mündlichen Interaktion unterscheidet der GeR in neun Subskalen, diese beinhalten produktive und rezeptive Strategien. Der Operator „mündliche Interaktion allgemein“ konzentriert sich auf Faktoren wie Idiomatik und Konnotationen. Er bezieht sich hauptsächlich auf den Wortschatz und die verschiedenen Graduierungsmittel zur Formulierung von Gedanken im jeweiligen situativen Kontext, allerdings geht es auch um die Fähigkeit zur Kompensation von Ausdrucksschwierigkeiten. Auch für den Bereich „Interaktion“ wird eine Beispielskala geliefert. Kompetente Sprecher kennzeichnen sich, laut GeR, durch die Fähigkeit Gespräche zu initiieren, aufrecht zu erhalten und dabei auf Gesagtes angemessen reagieren zu können. Je nach Niveaustufe werden Lernende zunehmend flexibler im Gebrauch der Sprache für soziale Zwecke und können auch komplexere Gedanken adäquat kommunizieren. Es wird für das B2-Niveau explizit darauf verwiesen, dass auch Diskussionen mit Muttersprachlern geführt werden können in welchen diese nicht dazu veranlasst werden, sich anders zu verhalten als bei Gesprächen mit anderen Muttersprachlern (z.B. langsamer sprechen, einfacher Wortschatz, einfache Satzstrukturen). Interessant ist auch, dass der Referenzrahmen thematisch in informelle und formelle Diskussion unterscheidet und für beide Situationen Skalen anbietet. Für den schulischen Kontext von besonderer Bedeutung ist die Subskala zur „zielorientierten Kooperation“. Hiermit lässt sich einschätzen, wie sicher Lernende zum Fortgang einer Aufgabe sprachlich beitragen können und wie sich diese Zielorientierung sprachlich manifestiert. Für das C-Niveau liegen keine differenzierten Deskriptoren in diesem Bereich vor, sondern es wird darauf verwiesen, dass Sprecher auf B2-Niveau bereits das angestrebte Kompetenzziel erreichen. Selbiges gilt für die Bereiche „Transaktionen: Dienstleistungsgespräche“ und „Informationsaustausch.“ Die Skala „muttersprachliche Gesprächspartner verstehen“ wird, obwohl sie auch in den Bereich der rezeptiven Fertigkeiten eingeordnet werden könnte, im Sinne eines Verständnisses des Sprechens als integrative Kompetenz, bei der Interaktion aufgeführt.
Unter den sogenannten linguistischen Kompetenzen listet der GeR noch die Subskala zum „Spektrum sprachlicher Mittel“ auf. Die für die Kommunikation ebenfalls relevanten nonverbalen Faktoren wie Mimik und Gestik werden zwar angeführt, jedoch nicht näher operationalisiert.
Auch als Diagnose- und Beurteilungsgrundlage für mündliche Leistungen kann der GeR eingesetzt werden. Die Autoren führen aus, dass eine valide Beurteilung „ein Sampling eines Spektrums relevanter Diskurstypen einfordert“ (Europarat 2001: 173) und verweisen auf verschiedene Formate, die in Sprachtests gemischt zur Anwendung kommen können und die monologische und interaktive Phasen beinhalten. Ebenfalls stellen sie dar, dass die Deskriptoren für kommunikative Aktivitäten auf drei Weisen gebraucht werden können: zur Aufgabenerstellung, für lernzielorientierte Rückmeldungen an Lernende und zur Selbst- und Fremdbeurteilung einer sprachlichen Leistung (vgl. Europarat 2001: 175). Hinsichtlich der Beurteilung von Performanz weisen die Autoren jedoch darauf hin, dass Deskriptoren zwar einen gemeinsamen Bezugsrahmen für eine objektive Rückmeldung schaffen können (vgl. ibid.) insbesondere aber bei der Beurteilung von Lernenden im Rahmen kommunikativer Aufgaben mit dem Ziel der Einstufung in eines der Kompetenzniveaus darauf geachtet werden sollte, dass die exemplarische Performanz innerhalb eines bestimmten Aufgabenformats lediglich einen Anhaltspunkt für die Beurteilung liefern kann.
Dieser Einblick in den GeR im Allgemeinen, und die Ausgestaltung des Dokuments mit Blick auf den Faktor Sprechkompetenz im Speziellen, hat einige Stärken und Schwächen aufgezeigt. Zwar sind manche Kompetenzbeschreibungen eher vage und die Bedeutungsnuancen an den Übergängen zwischen den Niveaustufen nicht immer eindeutig definierbar, allerdings vermag es der Referenzrahmen durch seine positiv formulierten Kann-Beschreibungen „Fremdsprachenniveaus auf eine zuvor noch nie da gewesene Weise“ (Schröder/Tesch/Nold 2017: 16) zu präzisieren, ein Bewusstsein und einen Rahmen für kompetenz- und handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht zu schaffen und durch klare Evaluationskriterien für Sprechleistungen auch mündliche Sprachproduktion überprüfen zu können. Burwitz-Melzer hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass gerade die im GeR vorgenommene Aufschlüsselung der hochkomplexen Sprechkompetenz positive Auswirkungen auf Unterrichtsforschung wie auch Unterrichtsgestaltung haben kann, weil Sie Lehrkräften wie auch Forschern aufzeigt, dass Förderung und Überprüfung ebendieser Kompetenz von Beginn an sorgfältig geplant werden müssen (vgl. Burwitz-Melzer 2014: 18-20). Im Folgeabschnitt wird der Blick nun auf die Bildungsstandards gerichtet, welche vom GeR maßgeblich beeinflusst sind.