Читать книгу Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe - Sebastian Miede - Страница 11
2.4 Ausgestaltung der Vorgaben in den Bundesländern: Kerncurricula Englisch für die Oberstufe in Hessen und Niedersachsen
ОглавлениеDas Kerncurriculum gymnasiale Oberstufe Englisch des Landes Hessen liegt seit 2016 in der aktuellen Fassung vor und
nimmt zum einen die Vorgaben der Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung (EPA) und den Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 18.10.2012 zu den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife (…) auf. Zum anderen setzt sich in Anlage und Aufbau des Kerncurriculums die Kompetenzorientierung, wie bereits im Kerncurriculum für die Sekundarstufe I umgesetzt, konsequent fort – modifiziert in Darstellungsformat und Präzisionsgrad der verbindlichen inhaltlichen Vorgaben gemäß den Anforderungen der gymnasialen Oberstufe und mit Blick auf die Abiturprüfung. (HKM 2016: 6)
Es versteht sich somit als eine auf den hessischen Oberstufenunterricht angepasste Weiterentwicklung der bestehenden KMK-Standards und kennzeichnet sich insbesondere dadurch, dass es auch Themen- und Inhaltsfelder aufnimmt. In den vorangestellten Ausführungen zum Bildungsbeitrag des Faches Englisch postuliert es die Begegnung mit verschiedenen Kulturen der anglophonen Welt als zentral und versucht diese – im Sinne eines erweiterten Textbegriffs – über schriftliche, mündliche oder medial vermittelte authentische Kulturprodukte herzustellen (HKM 2016: 11). Dabei stehen Lebensweltbezug und gesellschaftliche Relevanz im Vordergrund und diese sollen „vielfältige Sprechanlässe unter geeigneten Themenstellungen“ (ibid.) eröffnen. Der Charakter des Englischen als lingua franca, die über die Grenzen englischsprachiger Länder hinaus Politik, Wirtschaft und Kulturen geprägt hat, macht das Beherrschen der Sprache zu einer kulturellen Praktik von hohem Bildungswert. Entsprechend stellt auch das Kerncurriculum heraus, dass kompetenzorientierter Englischunterricht Lernende auf die „Teilnahme an der internationalen Sprachgemeinschaft“ (ibid.) vorbereiten soll und von kommunikativer Natur ist.
Die Orientierung des Kerncurriculums an den obligatorischen KMK-Dokumenten zeigt sich strukturell in der wörtlichen Übernahme der Kompetenzbereiche und Einzelstandards und deren Zuordnungen zu grundlegenden und erhöhten Niveaustufen für Grund- und Leistungskurse. Dass es sich bei dem Kerncurriculum aber in Teilen in der Tat um eine Weiterentwicklung handelt, spiegelt sich in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Referenzdokumenten. So stellen die Autoren des Kerncurriculums ebenfalls fest, dass die Bildungsstandards die funktionalen kommunikativen Kompetenzen getrennt aufführen, diese jedoch in der konkreten Sprachverwendung „vorwiegend integrativ zum Tragen kommen“ (HKM 2016: 13). Ein genauerer Blick in das Kerncurriculum offenbart aber, dass es bei der kritischen Anmerkung bleibt. Auch in diesem Dokument bemühen sich die Autoren nicht um eine konkrete Alternative (beispielsweise durch Formulierung zusätzlicher Teilstandards), sondern übernehmen lediglich die bereits bestehenden Formulierungen.
Ein besonderes Augenmerk legen die Autoren der Kerncurricula auf die Unterfütterung der Standards mit konkreten Fachinhalten und Themenfeldern. Hierin besteht der größte Unterschied zu den allgemein gehaltenen Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache und den Operatoren des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens. In dem Kerncurriculum unterscheiden die Autoren zwischen dem Unterricht in der Einführungsphase, der zur Festigung von Wissen und Können diene, Kompensation anstrebe und auf die Wahl von Grund- und Leistungsfächern vorbereite und dem der Qualifikationsphase, der der Bearbeitung komplexer Frage- und Problemstellungen diene, eigenverantwortliches Lernen fördere und Kommunikationsfertigkeiten vertiefe (vgl. HKM 2016: 30). Dabei werden, mit Blick auf die Abiturprüfung, verschiedene „Aufgabenformate“ verbindlich gemacht. Bei diesen handelt es sich allerdings eher um Textsorten mündlicher1 und schriftlicher2 Art. Eher befremdlich erscheint in diesem Zusammenhang die Zuordnung von Dialogen zu den „kreativen Schreibaufträgen.“ (HKM 2016: 31) Es wirkt so, als hielten die Autoren des hessischen Kerncurriculums Dialoge für authentische Schreibprodukte und als wollten sie die Lernenden darauf vorbereiten, beispielsweise in der Abiturprüfung, eine solche Textsorte zu verfassen. Ein derart ausgerichteter Unterricht stünde jedoch eher im Kontrast zur Kompetenzorientierung, die authentische Sprachverwendung anstrebt. In der Textrezeption wird dieses Problem nicht deutlich. Hier halten die Autoren die verbindlichen Vorgaben eher abstrakt und lassen der Lehrkraft Spielraum für die Auswahl von beispielsweise „komplexen authentischen Texten im Sinne eines erweiterten Textbegriffs“ (HKM 2016: 32). Es wird allerdings darauf verwiesen, dass über das Kerncurriculum hinaus durch Erlass verbindlich zu behandelnde Werke konkretisiert werden können (vgl. ibid.). Die verbindlichen Themenfelder, die im Kerncurriculum aufgeführt werden, fungieren als inhaltliche Rahmung des Unterrichts. Die folgende Tabelle3 stellt diese Themenfelder übersichtlich dar:
Es scheint, als sei in dem Kerncurriculum der Versuch unternommen worden, die vorwiegend inhaltlich orientierten Lehrpläne, die den gymnasialen Englischunterricht in der Oberstufe maßgeblich bestimmt haben, unter dem Deckmantel der Kompetenzorientierung neu aufzulegen. Die Themenfelder wirken sehr vertraut und entsprechen weitgehend denen, die bereits aus den alten Lehrplänen bekannt sind. Ein Blick in das Kerncurriculum Oberstufe des Landes Niedersachsen für das Fach Englisch soll es ermöglichen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen und ist an dieser Stelle unabdingbar, da ein nicht unerheblicher Teil der empirisch gewonnenen Daten dieser Studie aus niedersächsischen Schulen stammt.
Den Bildungsbeitrag des Faches stellt das niedersächsische Kerncurriculum in vergleichbarer Weise heraus wie dies auch im hessischen Dokument der Fall ist und in diesem Unterkapitel bereits ausgeführt wurde. Dabei wird sehr konkret auf die Rolle des Englischunterrichts eingegangen:
Damit die Schülerinnen und Schüler im internationalen Kontext bestehen und aktiv die Zukunft mitgestalten können, hat der Englischunterricht die Aufgabe, auf die sprachlichen Herausforderungen in Studium, Beruf und Gesellschaft vorzubereiten und ihnen so eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Demzufolge werden der funktionalen kommunikativen Kompetenz, insbesondere der Mündlichkeit, sowie der interkulturellen kommunikativen Kompetenz ein hoher Stellenwert beigemessen. (NiBiS 2017: 5)
Deutlich detaillierter setzt sich das niedersächsische Kerncurriculum allerdings mit dem bildungspolitischen Leitziel der Etablierung von Kompetenzorientierung auseinander. Übergeordnet wird dort gefordert, dass die Lernenden, ausgehend vom Ziel der sprachlichen und interkulturellen Handlungsfähigkeit, im Unterricht Kompetenzen erwerben, „die es ihnen ermöglichen, komplexe Kommunikationssituationen der heutigen Lebenswelt sicher zu bewältigen.“ (NiBiS 2017: 7). Dies umfasst, den Autoren zufolge, die Fähigkeit zur Rezeption, Produktion und Interaktion. (vgl. ibid.) In Analogie zu den KMK-Standards, schließt auch das niedersächsische Kerncurriculum an die Kompetenzprofile der Lernenden aus der Sekundarstufe I an und begreift den weiteren Aufbau von Kompetenzen als systematisch, kumulativ und handlungsorientiert (vgl. ibid.).
Zu den funktionalen kommunikativen Kompetenzen werden, sowohl für das grundlegende als auch für das erhöhte Anforderungsniveau, Teilstandards in Gestalt von Kann-Beschreibungen gelistet. Es fällt auf, dass hier rezeptive und produktive Kompetenzen zwar ebenfalls voneinander getrennt aufgeführt werden, deren Verwobenheit jedoch in den Einzelstandards teilweise aufgegriffen wird. So gibt es für den Bereich des Hör-/Hörsehverstehens einen Deskriptor, der sich auf die Stimmungen und Einstellungen der Sprechenden bezieht und so auf Teilbereiche der Kommunikation, die als Zusammenspiel von Produktion und Rezeption gesehen wird, abhebt (vgl. NiBiS 2017: 12). Noch deutlicher wird dies jedoch in den Deskriptoren zum Sprechen, genauer im Teilbereich „an Gesprächen teilnehmen.“ Zu den dort gelisteten Kompetenzen zählen das Eingehen auf Gegenargumente, die Verknüpfung der eigenen Standpunkte mit denen anderer Personen und der flexible und adäquate Umgang mit den fremdinitiierten Wendungen innerhalb eines Gesprächs. (vgl. NiBiS 2017: 14)
Auch in Niedersachsen enthält das Kerncurriculum einen Abschnitt zu Themenfeldern und Grundsätzen bei der Auswahl von Lerninhalten. Es wird darauf verwiesen, dass die Unterrichtsinhalte „weder beliebig noch unverbindlich“ (NiBiS 2017: 24) sein können und sich an den folgenden Leitlinien orientieren sollen:
Die Lernenden müssen sich mit Themen auseinandersetzen, die
eine aktive Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Texten, Medien und Perspektiven erfordern
kulturell, interkulturell und in der Erfahrungswelt der Lernenden relevant sind und sich nicht ohne Verstehensanstrengung und -leistung erschließen
Probleme aufweisen, die fremdsprachliche diskursive Aushandlungsprozesse erfordern
Reflexionen und Selbstreflexionen auslösen können, die wiederum Impulse zu diskursiven Handlungen geben
sich an authentische fremdkulturelle Diskurse anschließen
es den Schülerinnen und Schülern durch exemplarisches Lernen ermöglichen, das verfügbare Wissen und die erworbenen Kompetenzen auf neue Anwendungssituationen zu transferieren. (NiBiS 2017: ibid.)
Die auf dieser Grundlage festgelegten verbindlichen Themenfelder sind in der nachfolgenden Tabelle5 zusammengefasst:
Die Themenfelder erinnern auch in Niedersachsen an die aus den Lehrplänen bereits bekannten Inhalte, allerdings nehmen sie weitaus weniger Raum innerhalb des Dokuments ein und werden immer in Verbindung mit der Förderung von Kompetenzen genannt. Im niedersächsischen Kerncurriculum heißt es: „Alle Themenfelder müssen in der Qualfikationsphase behandelt werden. Dabei muss eine angemessene Medien- und Textsortenvielfalt berücksichtigt werden.“ (NiBiS 2017: 25) Einzelne Textsorten (Roman, Drama, Short Stories, Gedichte und Filme bzw. TV-Produktionen) werden festgeschrieben, in der Wahl der Texte bleibt der Lehrer aber frei, solange sie den Themenfeldern zuzuordnen sind. Ein Werk von Shakespeare ist für Kurse mit erhöhtem Niveau allerdings verpflichtend.
Dass das Ziel der Kompetenzorientierung auch auf die Durchführung von Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung zurückwirkt, spiegelt sich in dem niedersächsichen Kerncurriculum in besonderem Maße. Dort wird zwischen Lern- und Leistungssituationen unterschieden. Fehler werden aus Schülersicht als Erkenntnismittel und aus Lehrersicht als Hinweis für die Unterrichtsplanung verstanden (vgl. NiBiS 2017: 27). Weiter heißt es dort:
Kompetenzorientierter Unterricht bietet den Schülerinnen und Schülern durch geeignete Aufgaben einerseits ausreichend Gelegenheiten, Problemlösungen zu erproben, andererseits fordert er den Kompetenznachweis in anspruchsvollen Leistungssituationen ein. Leistungs- und Überprüfungssituationen sollen die Verfügbarkeit der erwarteten Kompetenzen nachweisen. (ibid.)
Insgesamt lässt sich resümieren, dass sich die länderspezifischen Kerncurricula in leicht unterschiedlichen Stadien auf dem Weg von der Inhalts- zur Kompetenzorientierung befinden. Empirische Unterrichtsforschung kann in diesem Zusammenhang einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, den Ist-Stand der unterrichtlichen Implementierung des Leitziels der Kompetenzorientierung aufzuzeigen. Bislang gibt es diesbezüglich, gerade mit Blick auf die Oberstufe, einige Desiderate. Darauf wird in den Folgeabschnitten noch genauer eingegangen, da auch die vorliegende Studie sich in diesem Setting verortet.