Читать книгу Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe - Sebastian Miede - Страница 8
2 Sprechkompetenz im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe in Bildungspolitik und Forschung 2.1 Historischer Abriss: Von der Grammatik-Übersetzungs-Methode zu kommunikativer Kompetenz
ОглавлениеMündlichkeit meint das Verstehen und Produzieren von sprachlichen Äußerungen und bezeichnet in einem schulischen Kontext hauptsächlich ein – häufig spontanes – situationsgebundenes Mitteilen in der Zielsprache, das an einen oder mehrere Zuhörer gerichtet ist (vgl. Ahrens 2014: 9). Der Stellenwert der mündlichen Sprachverwendung im Englischunterricht unterliegt, historisch betrachtet, einem starken Wandel. Diese Entwicklungsprozesse spiegeln sich in den Methoden wider, die den Weg in den Unterricht finden und diesen determinieren. Es soll zunächst ein Einblick in diese Entwicklungen gewährt werden, bevor die aktuelle Unterrichtspraxis in den Blick genommen wird.
Noch im 19. Jahrhundert ist Englischunterricht stark von deduktiven Ansätzen bestimmt. Ausgerichtet an der Methodik des Vermittelns alter Sprachen wie Latein oder Altgriechisch wird auch Englisch sehr grammatikorientiert gelehrt. Die sogenannte Grammatik-Übersetzungsmethode ist gängige Unterrichtspraxis und fordert die Lernenden dazu auf, Texte aus der Zielsprache unter korrekter Anwendung von Regelhaftigkeiten in die Muttersprache zu übersetzen und auf diese Weise die Zielsprache zu durchdringen (vgl. Larsen-Freeman 2007: 11). Gegen diese Art der Gestaltung fremdsprachlichen Unterrichts regt sich noch vor Beginn des 20. Jahrhunderts Widerstand. Vor allem Viëtor spricht sich gegen eine Überbetonung deduktiven Grammatikunterrichts aus und fordert eine Umkehr des Fremdsprachenunterrichts, welche eine zielsprachliche Unterrichtsführung sowie eine Fokussierung von mündlichen Elementen wie Aussprache und Betonung einschließt (vgl. Gnutzmann/Salden 2010: 18, Gnutzmann 2014: 51). Gnutzmann (2014) betont, dass sich eine solche Forderung lange nicht durchsetzen konnte und dass eine Orientierung zu mehr Mündlichkeit erst mit der Einführung der audiolingualen Methode in den 1960er Jahren vollzogen wird (vgl. ibid.: 51). Die audiolinguale Methode ist ein Resultat behavioristischer Ansätze zur Vermittlung von Fremdsprachen und fußt auf der Annahme, eine Fremdsprache lasse sich auf ähnliche Weise erlernen wie anderes menschliches Verhalten (vgl. Larsen-Freeman 2007: 35, Lightbown/Spada 2013, Ellis/Shintani 2014). Es wird auf Methoden der operanten Konditionierung zurückgegriffen, mit dem Ziel, korrekte Sprachverwendung als positives Verhalten zu habitualisieren. Durch entsprechende Stimuli werden Reaktionen der Lernenden hervorgerufen; der Lehrer dient als Sprachmodell und verwendet zudem negative Verstärkung im Falle eines falschen Sprachgebrauches, um die Memorisierung falscher Sprachstrukturen zu verhindern.
Im Jahr 1972 prägt Hymes den Begriff der communicative competence als Reaktion auf strukturalistische Kompetenzmodelle, die ihm zu limitiert erscheinen. Kommunikative Kompetenz in ihrer ersten Definition von 1972 bezeichnet die Fähigkeit zur interpersonalen Übermittlung und Interpretation von Meinungen in sozialen Kontexten (vgl. Hymes 1972; Brown 2007; Steininger 2014). Eine erste Modellierung kommunikativer Kompetenz nehmen Canale und Swain (1980) vor; sie umfasst vier Kategorien: grammatical competence, discourse competence, sociolinguistic competence und strategic competence (vgl. Canale und Swain 1980: 29-31). In diesen Kategorien werden sowohl sprachliche als auch soziale Komponenten der mündlichen Kommunikation abgedeckt. Es zeichnet sich ein neues Verständnis von Sprechkompetenz ab, was sich auch in den Leitzielen der Fremdsprachendidaktik spiegelt. Viel stärker als zuvor werden Ansätze zur Ausbildung fremdsprachlicher Diskurskompetenz gefordert. Im deutschsprachigen Raum gilt Hans-Eberhard Piepho als Initiator der ‚kommunikativen Wende‘, die jene soziolinguistischen Fragestellungen, mit denen der britische und angloamerikanische Forschungsdiskurs sich auseinandersetzt, auf den Englischunterricht in Deutschland überträgt.
Im Fremdsprachenunterricht, der auf kommunikative Kompetenz ausgerichtet ist, sind diskursive und kursive Faktoren stets gekoppelt. Ein nur imitativ-mechanisches Sprechen und automatisierte Verhaltensweisen bleiben, Piepho zufolge, selbst in schlichten Verständigungen wirkungslos und nicht verfügbar, wenn der Schüler nicht auch eine distanzierte Kenntnis der Verständigungsvorgänge überhaupt erworben hat (Piepho 1974: 14). Weitere Forderungen Piephos in diesem Zusammenhang betreffen eine notwendig werdende neue Methodik zur Vermittlung der englischen Sprache. Diese soll an dieser Stelle kurz thesenartig zusammengefasst werden (vgl. Piepho 1974: 14-21):
1 Lernziele müssen konkretisiert werden und die Lernenden müssen lernen, das eigensprachliche Diskursverhalten kritisch zu reflektieren im Lichte kontrastiver Regelhaftigkeiten im Verhaltens- und Diskurssystem von Gesprächspartnern anderer Sprach- und Kulturkreise.
2 Die erfolgreiche Umsetzung einer Sprechabsicht sollte im Unterricht höher gewichtet werden als die korrekte Verwendung sprachlicher Mittel.
3 Statt einer Schulgrammatik sollten die Lernenden eine Grammatik kommunikativer Absichten, Register und Ausdrucksqualitäten aufbauen und diese stets reflektieren.
4 Lernende sollen nicht Mustertexte für ideale Kommunikation lernen, sondern stattdessen Räume für den angstfreien Gebrauch der Fremdsprache erhalten.
Ansätze zur Umsetzung der Erkenntnisse über die Wichtigkeit von Mündlichkeit im Fremdsprachenunterricht entwickeln sich vor allem in den 1980er Jahren. Communicative Language Teaching (CLT) ist ein solcher Ansatz, der hauptsächlich die Ausbildung kommunikativer Kompetenz zum Ziel hat und nicht auf grammatikalische oder sprachliche Strukturen beschränkt ist. Brown (2007) gibt eine prägnante Zusammenfassung der didaktischen Ausrichtung von CLT:
Classroom goals are focused on all components of CC and not restricted to grammatical or linguistic competence. Language techniques are designed to engage learners in the pragmatic, authentic, functional use of language for meaningful purposes. Organizational language forms are not the central focus but rather aspects of language that enable the learner to accomplish those purposes. Fluency and accuracy are seen as complementary communicative techniques. At times fluency may have to take on more importance than accuracy in order to keep learners meaningfully engaged in language use. In the communicative classroom, students ultimately have to use the language, productively and receptively, in unrehearsed contexts. (Brown 2007: 241)
Inmitten der kommunikativen Ansätze bilden sich in den 1980er Jahren ebenfalls aufgabenorientierte Herangehensweisen an die Vermittlung von Fremdsprachen heraus. Besonders erwachsene Lerner finden ihre Interessen im fremdsprachlichen Unterricht schlecht vertreten. Sie erwarten, die Befähigung zum Gebrauch der Fremdsprache außerhalb des Klassenzimmers zu erwerben, müssen aber feststellen, dass die Aktivitäten, mit denen sie im Unterricht konfrontiert werden, sich zumeist stark von denjenigen Aufgaben unterscheiden, für die sie im alltäglichen Umgang mit der Fremdsprache gewappnet sein sollen (vgl. Müller-Hartmann/Schocker v.-Ditfurth 2005: 2). Es bedarf neuer Ansätze und vor allem neuer Aufgaben, die sich an denen orientierten, die die Lerner auch außerhalb des Klassenzimmers in der Fremdsprache bewältigen müssen. Viele Publikationen befassen sich mit der Genese eines, dem Gegenstandsbereich Fremdsprachendidaktik angemessenen, Aufgabenbegriffes (vgl. Long 1985; Prabhu 1987; Nunan 1989), wohingegen spätere Veröffentlichungen sich mit einer praktikablen Methodik (vgl. Willis 1996, Skehan 1998, Nunan 2004, Willis und Willis 2005, Long 2015) beschäftigen. Die Charakteristika einer Aufgabe stellt Ellis (2003: 3) komprimiert zusammen und kombiniert dabei theoretische und methodische Ansätze:
1 Reichweite: Eine Aufgabe ist ein Arbeitsplan.
2 Perspektive: Eine Aufgabe legt ihren Schwerpunkt auf den Inhalt einer Äußerung, nicht auf eine sprachliche Form.
3 Authentizität: Eine Aufgabe ermöglicht eine realitätsbezogene Sprachverwendung.
4 Sprachliche Fertigkeiten: Eine Aufgabe kann sich auf alle sprachlichen Fertigkeiten beziehen, beinhaltet jedoch im Idealfall einen interaktiven Teil und einen oder mehrere Adressaten.
5 Kognitive Prozesse: Eine Aufgabe löst bei den Lernern kognitive Prozesse aus.
6 Ergebnisse: Eine Aufgabe hat ein klar definiertes kommunikatives Ergebnis. (vgl. ibid.)
An den aufgezeigten Eigenschaften einer Aufgabe im fremdsprachendidaktischen Kontext lassen sich auch Erkenntnisse bezüglich der Förderung von Mündlichkeit im Unterricht ableiten. Aufgaben zielen auf einen realweltlichen Sprachgebrauch ab und verknüpfen Form- und Inhaltsorientierung. Sie initiieren kognitive Prozesse und somit auch Kompetenzzuwachs, zudem haben sie zwar ein klar definiertes kommunikatives Ziel, jedoch ist dieses derart formuliert und offen gestaltet, dass es den Lernern, die sich durch ihre Heterogenität im Kompetenzstand kennzeichnen, ermöglicht wird, dieses individuell zu erreichen (vgl. Müller-Hartmann/Schocker/Pant 2013: 37; Hallet 2012: 91-147). Abschließend zeichnet sich aufgabenorientierter Unterricht durch eine Abkehr von der häufig kritisierten Lehrerzentrierung aus (vgl. Taubenböck 2007). Dies wird in Kapitel 2.3.2 noch vertieft. Die Tendenz zur Aufgabenorientierung spiegelt sich auch in den aktuellen bildungspolitischen Richtlinien für die Gestaltung kommunikativen Fremdsprachenunterrichts. Ein in diesem Zusammenhang bedeutendes Dokument ist der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen, der vom Europarat im Jahr 2001 veröffentlicht wurde. Im folgenden Unterkapitel soll dieser daher näher betrachtet werden. Ziel ist es, zunächst einen kondensierten Einblick in die Gestaltung und Ausrichtung dieses Dokuments zu geben und dann konkret herauszustellen, welche Auswirkungen sich für die Förderung des Sprechens und das Verständnis von Sprechkompetenz ableiten lassen.