Читать книгу Traumdealer am Abstellgleis - Selina Haritz - Страница 10
KAPITEL VIER
ОглавлениеSicher, wir hätten mit Hase auch in eines der plüschigen kleinen Cafés, die lieblich nach Vanillearoma rochen, gehen können. Diese sogenannten Wohlfühloasen, neben den Zuckerstäbchenläden, die alleine vom Anblick der Ladenschrift schon das Fell verklebten und Glück in allen Farben verhießen. Aber wir waren zu abgebrannt, um dort aufzuschlagen. Panthers muffiger Geruch hätte die anderen Gäste vertrieben; das Genörgel des Braunen über die hohen Preise meine Laune. Ich wollte nicht mit anderen Plüschs auf zu weichen Sesseln sitzen, aus zu kleinen Tässchen meine heiße Schok trinken, die auch in den einfachen Humpen der Randkneipen gut genug schmeckte. Also waren wir im Benedikt abgestiegen, hinter dessen Tresen ein dicklicher Bernhardiner mit tiefhängenden Tränensäcken stand. Hier reichten unsere restlichen Kronkorken gerade aus, um unsere hungrigen Mägen mit heißer Schok und billigem Mäusespeck zu füllen. Und vor allem würden wir hier wir keine unnötigen Fragen zu Hase und dem Woher, Warum und Wieso beantworten müssen. So eine Schwarzfahrerei war ein herber Schlag. Eben noch wähnte Hase sich bald in den Händen eines glückseligen Empfängers, einem Leben zwischen Teepartys, Luxuspuppenhäusern und weichen Federbetten, nur um in nächsten Moment hart auf den Schienen der Realität aufzuschlagen. Zu viel quietschbunte Fröhlichkeit würde da sicher nicht gut tun.
All diese Erklärungen waren, genau genommen, Blödsinn. Ich war einfach feige; ich fürchtete, dass sie das schöne Leben sehen und sich von uns abwenden würde. Denn warum sollte sie bei uns bleiben, wenn wir neben den hellen Farben der Stadt im diesigen Grau der Tunnel verblassten?
Der Bernhardiner beugte sich zu mir hinüber: »Was denn, kein Gin heute?«
Er zählte die Kronkorken zweimal nach und rollte den letzten in seiner Pfote hin und her, während er uns betrachtete. Besonders Hase nahm er ins Visier.
»Ist noch was?«, fuhr ich ihn so heftig an, dass ich selbst davor erschrak.
»Nein, nein. Alles Tutti!« Der Dicke verschwand hinter seiner Zapfanlage und nahm sich ganz stereotyp ein Handtuch, um den Tresen sauber zu wischen.
Der Braune stieß mich mit seinem Arm unter dem Tisch an und rümpfte fragend die Nase. Ich zuckte nur mit den Schultern und beobachtete heimlich, wie sie den Krug mit beiden Pfoten umschloss, ihn an ihren kleinen Kopf hob und dann fast ganz dahinter verschwand. Ob sie wusste, dass ihre Ohrenspitzen leicht zuckten, während sie die Ohren abklappte? Um mich abzulenken, nahm ich auch einen großen Schluck und verbrannte mir fast die Schnauze an der heißen Plörre. Bei dem Versuch, sie nicht über den Tisch zu spucken, verschluckte ich mich heftig und hustete. Scheinbar durch mich angesteckt begann auch Panther wieder damit, sich die Watte aus der Lunge zu pressen.
»Wie funktioniert das hier« fragte Hase in einer kurzen Hustenpause, was nicht einfach abzupassen war.
»Hm?« der Braune übernahm die Konversation. Umständlich stellte er seinen Becher ab, griff nach einem Marshmallow und tunkte ihn in die Schok. Früher, vor der Sache im Irrlicht, war er ein eleganter, geschickter Bär gewesen, doch mit dem fehlenden Arm waren seine Bewegungen kantig und ungeschickt geworden. Ich wusste, wie sehr ihn das ärgerte, und konnte seine Wut förmlich spüren.
»Das mit dem Bezahlen und so. Gibt es auch Märkte, um seinen hungrigen Magen zu füllen?« Hase setzte ebenfalls den Becher ab und lauschte dem Braunen fast andächtig.
»Wir bezahlen mit Kronkorken. Entweder du musst sie draußen sammeln oder du verdienst sie dir.«
»Wo kommt denn alles her?« Den Humpen nicht loslassend, nahm sie sich ein Marshmallow aus dem Korb und biss ein winziges Stück davon ab.
»Es gibt Großhändler. Die besorgen das bei den Felllosen. Es gibt Schmuggelrouten und organisierte Gruppen. Sie bringen die Ware über die U-Bahn rein«, ergänzte Panther in einer seiner Hustenpausen.
»Und wovon leben die?«
»Sie behalten einen Teil der Beute, bekommen vieles umsonst und naja, … sind ziemlich angesehen in der Gesellschaft.« Wir hatten kurz überlegt, auch Sammler zu werden, ehe wir ins Abstellgleis zogen. Doch die Aussicht, durch dunkle Gänge zu schleichen, immer auf der Flucht vor den Ratten, erschien uns wenig glorreich.
»Vermissen die Felllosen die Sachen denn nicht? Was, wenn jemand ihnen folgt und hier auftaucht?«
»Mädchen«, jetzt war es der Braune, der seinen ‚Jetzt erzähle ich dir mal was von der Welt‘-Ton drauf hatte, »die Felllosen haben von dem Zeug so viel, dass sie nicht mal merken würden, wenn eine ganze U-Bahn damit vollgestopft würde. Die brauchen das überhaupt nicht zum Leben. Für die ist das nur Zeug.«
»Oh…« Ausnahmsweise wusste sie darauf keine Antwort. Ich stellte mich auf die nun normalerweise folgende entspannende Leere ein, wenn Plüschs einfach nebeneinandersaßen, eine heiße Schok in den Pfoten hielten und die Zeit genossen.
»Und vermissen die uns nicht?«
Wie ein kleiner Meißel bohrte sich ihre Frage in die Stille.
Panther legte ihr die moosbewachsene Pfote auf den Arm und schaute sie mitfühlend an: »Nein. Sie werfen uns weg, wenn sie ein gewisses Alter erreichen oder wir nicht mehr so flauschig sind wie früher. Wenn wir nicht mehr vollständig sind, mögen sie uns nicht mehr. Sie achten nicht auf uns, wenn wir aus Taschen rutschen, noch suchen sie nach uns. Sie vergessen uns auf Dachböden, unter Autos und in der U-Bahn. Glaub mir, sie weinen uns keine Träne nach. Wir sind einfach nur Zeug.«