Читать книгу Traumdealer am Abstellgleis - Selina Haritz - Страница 11
KAPITEL FÜNF
ОглавлениеDie nachfolgende Ruhe hatte wenig mit der von mir so geliebten philosophischen Stille gemein. Deprimiert schlürften wir unsere letzten Reste der Schok und wischten den Boden der Tassen mit einem Marshmallow aus.
Der Braune klopfte vernehmlich mit einer leeren Schachtel Zigs auf den Tisch. Ich verstand die Zeichen sofort. Auch ich hatte einen flauen Magen und zu viele Worte im Kopf.
»Ach, und dann gibt es so eine Art demokratische Regierung bei Euch?«, fragte Hase aller eindeutigen Zeichen zum Trotz weiter. Ich war erstaunt, dass sie ohne einleitende Worte gleich zu so einem hochbrisanten Thema schwenkte. Sehr gewagt. Panther war mit Husten beschäftigt, und so war es an mir, zu antworten:
»Wir haben einen Bürgermeister.«
»Wann gibt es Wahlen?«
»Auf dem Markt glaubt niemand an höhere Plüschs«, stellte der Braune mit einem etwas abgewandelten Nietzsche ihre Frage in Frage. Ich musste ihn davon abhalten, gleich auch noch Schopenhauer zu zitieren. Er war gerade in seiner genervt-aggressiven Laune. Er würde nicht eher aufhören, bis er auch noch den dritten großen Alten zu Wort hatte kommen lassen.
»Kommt, wir gehen zu ihr«, unterbrach ich also das Gespräch. Panther nickte knapp und ich deutete es als Dankbarkeit, dass ich rechtzeitig eingeschritten war.
»Und eine gewählte Regierung ist keine höhere Macht? So ein Unfug.« Ich fuhr innerlich zusammen. Sie hatte wirklich keine Ahnung, was sie gerade auslöste. Es war, als spielte sie mit einer offenen Tube Klebstoff! Natürlich ließ sich der Braune diese Vorlage nicht entgehen und holte, wie vorhergesehen, den zweiten großen Alten hinzu: »Zum Denken sind wenige Plüschs geneigt, obwohl alle zum Rechthaben. Klammer auf: Schopenhauer, Klammer zu.«
Hase verschränkte die Arme. »Ist das nicht etwas kurzsichtig?« Panther vergaß vor Schreck das Husten, und auch ich beeilte mich einzuschreiten, bevor der dritte große Alte ins Rennen der Argumentation; in die Arena der kämpfenden Worte gesendet wurde.
»Ja, wie auch immer. Wir brechen auf, Candy mag es nicht, wenn wir zu spät kommen,« intervenierte ich.
»Ach, ihr habt eine Verabredung, warum sagt ihr das nicht gleich?« Ich stöhnte vernehmlich. Konnte sie nicht einfach die Klappe halten? Panther und der Braune erhoben sich zügiger als sonst.
»Haben wir eine?«, fragte der Braune sichtlich gereizt darüber, dass ich seine Argumentationskette zerrissen hatte. Hase stürzte sich auf ein neues noch glänzendes Thema. Eines, das noch nicht so abgegriffen war wie die philosophische Diskussion über eine Regierungsform.
»Mit wem?«
»Candy«, knurrte der Braune und damit war alles gesagt. Candy musste man nicht beschreiben. Jeder kannte sie. Wer sie nicht kannte, lernte sie kennen und wen sie nicht mochte, der lernte ihre Babes kennen. Und niemand wollte ihre Babes treffen – wir schon gar nicht. Ich fragte mich, ob es eine gute Idee war, Hase mit zu Candy zu nehmen. Solche wie Hase verspeiste Candy zum Frühstück. Als Snack zwischen zwei Mahlzeiten, und sie würde dabei nicht einmal kauen. Aber Hase alleine in unserer Bude zu lassen, erschien mir falsch. Sie hätte dann Zeit, über ihre Lage nachzudenken, sah womöglich sogar unsere recht große Sammlung alter Zigschachteln, die wir einfach in einen Spalt im Beton gestopft hatten. Mir war das peinlich, und irgendwie wollte ich auch noch ein wenig in ihrer Nähe sein. Ihre Ohren dabei beobachten, wie sie um ihren Kopf flogen und ihr süße Stimme hören. Und ich konnte mir vorstellen, dass es, wenn sie die Grundlagen des philosophischen Diskurses gelernt hatte, sehr erfrischend sein könnte, mit ihr zu debattieren.
Hase schien tatsächlich über ein gewisses Maß an Empathie zu verfügen, denn sie fragte nicht weiter. Sie fragte zumindest nicht weiter, wer Candy sei, sondern suchte nach anderen Landminen:
»Was machen wir da?«
Der Braune warf mir einen Blick zu, der sagte: Das ist dein Fundstück, dein Problem. Dann ging er voran und sein Arm hing dabei steif herab. Er schien sich wirklich zu ärgern.
»Wir …«, stammelte ich also etwas unschlüssig.
»… kaufen ein«, ergänzte Panther und hielt ihr die Tür des Benedikts auf. Ich war dankbar, dass er eine so einfache Erklärung gefunden hatte. Ich hätte wohl noch ein wenig nach Worten gesucht.
»Was denn?«
»Zigs …« der Rest seiner Antwort ging in einem Hustenanfall unter.
»Willst Du nicht hier warten, Panther?«, fragte ich vorsichtig. Es war ja nun wenig hilfreich, wenn er auf den Gleisen zusammenbrach und wir ihn nach Hause tragen mussten. Aber natürlich hatte ich ihn da wieder an seinem wunden Punkt gepackt. Er straffte die moosbewachsenen Schultern und ging mit einem Knurren nun etwas schneller voran – was immer noch bemerkenswert langsam war und Hase somit die Möglichkeit gab, weitere unangenehme Fragen zu stellen. Ich kam mir vor wie im Jungplüschgarten.
»Was sind denn Zigs?«
»Schokoladenzigaretten«, knurrte der Braune. Seine Pfote legte sich schützend über die Tasche, wo er seine letzten Schätze aufbewahrte.
»Ach«, banalisierte Hase: »Für das wohlige Gefühl im Bauch.«
»Nein«, korrigierte ich, und ehe Hase die nächste Frage stellen konnte, fügte ich an: »Zigs haben mehr Prozente. Härteres Zeug. Kriegst Du nicht überall.«
»Und nicht für Umme«, knurrte der Braune leise.
»Und was bringt das? Bessere Laune wohl kaum.« Hase musterte uns einer nach dem anderen. Ihr Blick hatte ein wenig von einem Laserstrahl, der sengende Wunden hinterließ.
»Ist eine sichere Eintrittskarte ins Traumland«, Panther hatte aufgeholt. »Ein Abo für einen Traum deiner Wahl.«
Hases Ohrenspitzen senkten sich nach hinten. Dann hielt sie an. Ich seufzte, der Braune knurrte und Panther nutzte die Chance, um mal wieder so richtig kräftig zu husten.
»Das klingt …«, Hase schaute uns an, betrachtete den dunklen Schacht und verstummte dann.
»Ach nichts. Ich glaub für mich wär‘ das nichts. Ich mag mich von den Traumdealern überraschen lassen.«
Damit war das Thema vom Tisch. Ich war Hase dankbar, dass sie ihre Gedanken nicht weiter ausgeführt hatte. Natürlich war so ein Traumabo gefährlich. Und wir waren meilenweit davon entfernt, nicht abhängig zu sein. Aber andererseits war es schön, immer wieder in seinen Traum zurück zu können. Ich hatte mein Haus am Honigsee sehr liebgewonnen mit der Zeit.
Auch Hase war nun zumindest bis zur nächsten U-Bahn still. Stattdessen sammelte sie einen großen Holzknopf vom Boden auf und wischte ihn an ihrem Fell sauber.