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KAPITEL SIEBEN

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»Erst wenn wir sie verloren haben, wird uns ihr Wert fühlbar.«

(Schopenhauer)

Wohl eine ganze Stunde lang, vielleicht auch zwei, lagen wir zusammengerollt in unserer eigenen Schande.

Es war schließlich Panther, der sich erhob. Langsam, auf seine bedächtige Art. Ernst und mit einem so tiefen Mitgefühl in der Stimme, dass es mir die Tränen in die Augen trieb, sagte er:

»Lasst uns wenigstens ihre Überreste den ewigen Tunneln übergeben.«

Ich schüttelte den Braunen aus seiner Starre, indem ich so lange an seiner Pfote zerrte, bis er aufstand. Wir stolperten über die Gleise, mein Verstand war voller Nebel und Dunst. Ich fiel mehrmals fast nach vorne hin, doch vermochte nicht, meine Pfoten schützend vor mich zu halten. Der Braune riss mich jedes Mal gerade rechtzeitig wieder zurück, ehe meine Schnauze auf den Steinen aufschlug. Als wollte er an diesem Tag nicht noch jemanden verlieren. Vorsichtig, Schritt für Schritt, drückten wir uns an der Wand entlang. Keiner wollte vorangehen und so tanzten wir umeinander, bis ich schließlich verlor, weil ich so nah an der Ecke der Biegung angekommen war, dass kein anderer mehr dazwischen passte. Ich steckte den Kopf um den Betonpfeiler und kniff vorsichtshalber die Augen zu. Ich wollte nicht sehen, wie sich ihr Fell über die Steine verteilte, wollte nicht in weit aufgerissene Augen schauen, die mich vorwurfsvoll anblickten. Überall würde Füllwatte liegen, wie Spinnenweben weit über die Steine und Hölzer verteilt. Vielleicht hatten sie ihr sogar das Herz herausgerissen. Auch das wollte ich nicht sehen.

Brauner drückte mir die Pfote in den Rücken und schob. Ich wagte es zu blinzeln, damit er mich nicht direkt in die Falle schob, die dort sicher auf uns wartete. Ich blinzelte noch einmal. Dann öffnete ich die Augen und starrte ins Dämmerlicht. Wo ich Hases aufgerissenen Körper vermutet hatte, war nur Leere. Im wirklichen, nicht im philosophischen Sinne. Ich taumelte nach vorne. Keine Ratte stürzte sich auf mich. Ich schnupperte. Es roch nach Ratte. Aber es sah nicht nach Ratte aus. Langsam setzte ich eine Pfote vor die andere.

Ihr Duft traf mich wie ein weiterer Schlag. Überall roch es trotz des Gestanks nach Ammoniak auch nach ihrem lieblichen, blumigen Duft. Ich taumelte voran wie benommen. Wo war sie? Wie im Wahn suchte ich nach einer Zellophantüte und einem kleinen braunen Stück Fell. Dort vorne lag der Knopf, den sie sich mitgenommen hatte. Ich strich mit der Pfote darüber und versuchte, ihn zu polieren. Als könnte ich damit wettmachen, was hier gerade geschehen war. Doch nichts weiter war zu sehen. Der Braune stieß mich fort, brummelte irgendetwas von Spuren und dass ich sie mit meinen ungeschickten Pfoten nur zerstören würde. Wie gelähmt stand ich am Rand des U-Bahn-Gleises. Die Geschichte meines Lebens. Am Ende stand ich immer am Rand.

Der Braune beugte sich nach vorne, stützte sich mit seinem einen Arm schwerfällig am Boden ab und schnupperte. Dann wandte er sich scheinbar planlos an eine andere Stelle, schnupperte auch dort. Ich fragte mich, was wir gerade taten. Wir hatten hilflos mit angehört, wie sie in ihr Unglück lief und nun, da die Gefahr vorüber war, versuchten wir zu ergründen, was geschehen war. Wie Reporter, die nach einer Katastrophe mit ihren Objektiven nicht nah genug herankommen konnten und doch immer neutral blieben. Panther, vor dem blinden Aktionismus des Braunen geflohen, stand neben mir. Sein Blick war getrübt. Dieses Dämmerlicht der Tunnel machte ihm immer zu schaffen. Seine Lippen zuckten, er schluckte und dann brach ein Hustenanfall aus ihm heraus, wie schon seit Jahren nicht mehr. Es schien der Augenblick gekommen zu sein, in dem seine Lungen endgültig entschieden hatten, sich nach außen zu bewegen. Er stütze sich an die Wand, krümmte sich und hustete und hustete. Ich sah, dass er verstohlen rote Watte von der Pfote strich. Ich war mir sicher, dass dieser Anfall der Letzte war. Er stützte sich zitternd an der dreckigen Wand ab. Grauer Staub vereinte sich mit seinem graumelierten Fell. Ich wollte nicht noch jemanden verlieren. Ich legte ihm die Pfote auf den Rücken und wartete. Langsam beruhigte er sich.

Ohne auch nur ein Wort über das Geschehene zu verlieren, setzten wir uns nach einer Weile wieder in Bewegung. Ich fühlte mich, als hätten mir die Traumdealer einen besonders schlechten, ramschigen Traum angedreht. Einen, den plüsch ohne Umschweife zurückgeben würde, wie einen Brownie ohne Schokostückchen. Man würde ihn anschneiden und den Verkäufer rufen, um seiner Empörung Ausdruck zu verleihen. Doch ich konnte nichts reklamieren, nichts zurückbringen. Sonst hätte ich wohl schon damals nach der Sache im Irrlicht alles zurückgegeben und mir von dem Rückgeld einen kurzen, aber dafür sonnigen Traum gekauft. Wie in Trance schlichen wir an einem Gang vorbei, der zur Stadt führte. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass wir alle ausnahmslos zur anderen Seite blickten. Wie Vampire, die das Licht mieden, nur dass wir weder die glitzernden Frauenschwärme waren, noch sonst irgendeine der coolen Eigenschaften hatten, die einem Blutsauger für gewöhnlich zustanden. Uns blieb nur die Rolle des tragischen, lichtscheuen Vampirs übrig, der an seiner eigenen Existenz zu Grunde ging.

Traumdealer am Abstellgleis

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