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Kapitel 3 Edrè

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Celeste beugte sich gerade über Melina, als die Felswand vor ihr einfach zerbröckelte, bis nur noch grauer Sand auf dem Boden lag.

„Melina, wach auf. Komm schon, du machst mir Sorgen“, sagte sie drängend, während sie Melinas Körper in eine sitzende Position brachte. Die Luft war stickig in dem Gang und Celeste zitterten noch immer die Beine. Im Grunde genommen konnten sie froh sein, dass Hades sie wirklich hatte gehen lassen.

Endlich hörte sie von Melina ein Stöhnen, was Ophir gleich dazu brachte, sich an Celeste vorbeizudrängen und der Nymphe einmal quer über das Gesicht zu lecken.

„Ophir, lass das“, murmelte Melina müde.

Das brachte Celeste endlich zum Lächeln. „Komm, wir sollten weitergehen. Ich habe keine Lust, noch einmal in eine Falle zu geraten. Das nächste Mal fallen wir vielleicht in den Tartaros.“

Das brachte Melina endlich dazu, ihre Augen zu öffnen. Irritiert sah sie sich um. „Wir leben noch, oder?“

„Ja“, stieß Celeste lachend aus. Dann half sie ihrer Freundin beim Aufstehen, doch auch Melinas Beine wollten nicht so recht mitspielen.

„Pass auf, ich heb dich auf Ophirs Rücken. Festhalten musst du dich aber selber.“

Celeste unterdrückte ein Schnaufen, als sie der größeren Frau auf den Rücken des Löwen half. Zum Glück hatte Ophir verstanden, was sie vorhatte, denn er legte sich auf den Boden, sodass sie es schaffte. Doch auch so hatte er noch eine beachtliche Größe. Als Melina endlich sicher verstaut war, ging Celeste voran, während Azia auf ihrer Schulter saß und Ophir ihr folgte.

„Glaubst du, Hades’ Geschichte stimmt?“, hörte sie Melina hinter sich fragen. Doch bevor Celeste antwortete, legte sie eine Hand auf eine Falle in der Wand. Mit ihrer Magie machte sie den Mechanismus unschädlich.

„Ja. Ich weiß nur nicht, ob er nun etwas mit dem nahenden Unheil zu tun hat oder nicht.“

„Aber warum hätte er uns dann ziehen lassen?“

„Weil er ein Gott ist und es ihm Spaß macht, seine Spiele mit uns zu treiben?“, antwortete Celeste.

„Ich habe das Gefühl, dass mehr hinter dieser ganzen Sache steckt. Deine Tante glaubt, dass eine Helle zurück in ihr altes Leben möchte und dass sie dadurch unsere Welt zerstören würde.“ Je mehr Melina sprach, desto fester wurde ihre Stimme.

„Wenn es jemanden gibt, der ihr hilft, muss er oder sie einen Grund dafür haben. Hades hat uns mit seiner Geschichte einen Anhaltspunkt geliefert, warum er es sein könnte. Immerhin hat er seit der Entstehung Edrès keine Aufgabe mehr. Und die anderen beiden Götter, Thanatos und Ker, verschwinden langsam. Auch sie hätten einen Grund“, führte die Nymphe ihre Überlegung weiter aus.

Endlich erreichten sie den Ausgang. Als sie ins Licht der Sonne traten, mussten sie zuerst ihre Augen abschirmen, so weh tat die Helligkeit in ihren Augen. In einiger Entfernung konnten sie bereits den Tempel sehen. Hinter den Steinsäulen waren weitere Bergspitzen zu sehen, die von Schnee bedeckt waren.

Celeste atmete die frische Bergluft begierig ein und auch Azia erhob sich mit einem glücklichen Schrei von ihren Schultern. Melina war wieder kräftig genug, um von Ophirs Rücken zu steigen. Nymphen waren schon immer stolze Wesen gewesen, die vor anderen nur selten Schwächen zugaben. Deshalb bestand Celeste auch nicht darauf, dass sie auch den Rest des Weges ritt. Sie wusste, wie Melina reagieren würde, wenn sie ihr etwas in dieser Richtung vorgeschlagen hätte. Also liefen sie langsam das letzte Stück des Weges hinauf.

„Kommt dir auch etwas merkwürdig vor?“, fragte Melina besorgt. Und doch war Celeste froh, die alte Stärke in der Stimme ihrer Freundin vorzufinden.

„Ja. Normalerweise hätte uns schon einer der Weisen aufgehalten, die hier Wache halten.“

Auch Ophir und Azia wurden nervös. Celestes Adler kreiste in der Luft, noch unterhalb der magischen Barriere, die es Besuchern untersagte, aus der Luft den Tempel zu erreichen. Celeste atmete die frische Bergluft ein, konnte diesmal aber zum Glück keinen Geruch nach Rauch und Tod wahrnehmen.

Als sie die höchste Stelle auf dem Bergkamm erreichten, wurde die Stille noch unangenehmer. Der heilige Tempel bestand aus zwei Säulen, die einen Querträger aus Stein hielten. In den Säulen selbst waren heilige Zeichen eingraviert, die weder Celeste noch Melina lesen konnten.

„Wo sind nur deine Weisen hin?“, fragte Melina leise.

Noch ehe Celeste antworten konnten, brachte ein Fauchen hinter ihnen sie dazu, sich blitzschnell umzudrehen.

„Eigentlich hatte ich erst einmal genug vom Kämpfen“, sagte Celeste laut.

Vor den beiden Frauen standen mit einem Mal fünf Jugendliche und vier Kinder, die nicht älter als sieben oder acht sein konnten. Ihre Kleidung war schmutzig und zerrissen, doch dafür sahen sie ansonsten wie wunderschöne Wesen aus. Alle hatten etwa den gleichen gebräunten Hautton, ebenmäßige Wangenknochen und Augen, die entfernt an die der Nymphen erinnerte. Und doch konnte Celeste deutlich die tödliche Bedrohung in ihnen erkennen.

„Das sind Lamien“, stieß Melina angewidert aus.

Die Kinder und Jugendlichen beobachteten sie, griffen aber nicht an. Während Celeste ihr Schwert zog und Azia befahl, in Reichweite zu bleiben, fragte sie: „Was sind Lamien?“

„Als Lamia sich in ein Ungeheuer verwandelte, raubte sie die Kinder der Sterblichen. In den Legenden heißt es, sie tötet alle. Doch mein Bruder fand vor Kurzem alte Schriften, in denen beschrieben wird, dass kurz nach der Entstehung Edrès Monster entdeckt wurden, die aussahen wie Kinder. Sie waren wunderschön und lockten Bewohner ganzer Dörfer in die Wälder. Anschließend tranken sie ihr Blut und töteten sie so.“

Celeste lief es eiskalt über den Rücken. Diese wunderschön aussehenden Wesen sollten solch schreckliche Dinge tun? Als ob sie ihre Gedanken lesen konnten, fingen alle Kinder gleichzeitig an zu lächeln. Sie sahen so unschuldig aus, dass man die Mordlust in ihren Augen beinahe übersehen konnte.

„Celeste?“, sagte Melina ruhig.

„Ja?“

„Sie werden uns angreifen und sie werden uns töten, wenn wir nicht bereit sind, gegen Kinder zu kämpfen.“

„Ich weiß.“

„Bist du dazu bereit?“

Celeste war sich nicht sicher, aber ihr blieb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn mit einem Mal stürzten allesamt auf die beiden Frauen zu. Erneut kämpfte Celeste um ihr Leben. Die zwei Frauen erhielten aber Hilfe von Melinas geflügeltem Löwen und Celestes Adler.

Die Luft füllte sich mit den Geräuschen des Angriffs und der Abwehr. Schwertklingen trafen auf Krallen, die den Kindern wuchsen. Schweiß lief ihr in die Augen, doch noch immer zögerte sie, einen tödlichen Schwerthieb auszuführen. Mochte sie nach außen hin kühl und unnahbar erscheinen, was nicht zuletzt an ihrem Gesicht und ihren blonden langen Haaren lag, war es ihr nicht wirklich egal, dass sie gegen Kinder kämpfte.

Doch spätestens als einer der Jungen in ihren Arm biss und merklich Blut aus ihren Körper in seinen sog, war für Celeste die Zeit des Ausweichens vorbei. Mit aller Härte schwang sie ihr Schwert, was sich zeitweise auch wieder in den Dolch zurückverwandelte, um ein paar schmerzhafte Wunden zu hinterlassen.

Trotz allem waren die Kinder in der Überzahl und die Verletzungen, die die jungen Körper zierten, brachten nicht den erhofften Erfolg. Stattdessen kämpften die Lamien immer wütender und immer kräftezehrender. Hätte Celeste nicht bereits gegen zwei Monster gekämpft, hätte sie sich nicht zurückdrängen lassen. Doch jetzt musste sie überlegen, wie sie die Kinder ausschalten konnte. Was bedeutete, dass sie ihre Kräfte schonen musste.

Rückwärts, das Schwert schwingend und Tritte austeilend, bewegte sie sich auf die zwei steinernen Torbögen zu, die sich auf der höchsten Stelle des Berges befanden. Die Lamien schrien und fauchten, doch sie kamen nicht nah genug an Celeste heran, um sie tödlich zu verletzen.

Auch Melina machte es den kindlichen Monstern nicht leicht. Die Magie der Nymphe prallte wirkungslos an den kleinen Körpern ab, was dazu führte, dass sie als einzige Verteidigung ihr Schwert und ihre Pfeile hatte. Sie bewegte sich so schnell, dass die Augen der Lamien ihr nur schwer folgen konnten.

Als Celeste über einen Stein stolperte, rettete ihr genau dies das Leben. Einer der Jungen hätte sie ansonsten mit seinen langen Krallen direkt am Hals erwischt. In einer einzigen fließenden Bewegung stand sie wieder auf, während Azia ein Mädchen attackierte, das zum Sprung auf die Dunkle ansetzte. Ophir hatte weniger Skrupel als sie und biss gerade einem der älteren Kinder in den Arm.

Als Celeste einen weiteren Schritt nach hinten auswich, schoss eine brennende Hitze über ihren Fuß hinauf in ihren Körper. Ein erstickter Schrei entfuhr ihr, der von niemandem außer Azia wahrgenommen wurde. Der Adler flog direkt über Celeste und stieß einen Warnschrei aus. Celeste sah, dass sie nun mitten zwischen den Steinbögen stand.

Auf der Innenseite waren fremde Zeichen eingemeißelt worden, die nun anfingen zu glühen. Aus dem Boden wand sich eine schmale Flamme nach oben. Sie leckte an dem Stein, bis sie die Zeichen ausfüllte und diese so aussahen, als würden sie gerade in das Material gebrannt werden.

Selbst die Lamien hielten mit einem Mal Abstand, was in Celeste ein noch größeres Gefühl der Angst auslöste. Ungebeten kamen ihr die Worte ihres Ausbilders in den Sinn. Nur Schwächlinge haben keine Angst. Dieses Gefühl bringt unseren Körper dazu, ums Überleben zu kämpfen.

Und genau das machte Celeste jetzt. Die Schmerzen in ihrem Körper nahmen mehr und mehr zu, machten sie praktisch bewegungsunfähig.

Melina sah endlich, dass etwas nicht stimmte, doch bevor sie ihrer Freundin helfen konnte, stürmten weitere Lamien aus dem Nichts auf sie zu. Einige waren jetzt sogar mutig genug, einen erneuten Angriff auf Celeste starten zu wollen.

Doch das ließ das Feuer nicht zu. Es schnellte erneut aus dem Boden und verbrannte die Angreifer zu grauer Asche, die durch den Wind in alle Himmelsrichtungen verteilt wurden. Geschockt sah Melina dabei zu, wie sich nun das Feuer an Celestes Körper hinaufschlängelte.

„Lass sie gehen“, donnerte eine männliche Stimme vom Himmel herab.

Die Nymphe wusste instinktiv, dass gerade ein Gott zu ihr gesprochen hatte. Doch alles in ihr schrie danach, Celeste zu helfen. Die Flammen änderten in nur wenigen Sekunden ihre Farben. Von Gelborange bis hin zu Weißblau und ehe Melina noch entscheiden konnte, ob sie dem Befehl Folge leisten sollte, war ihre Freundin verschwunden. Da Azia direkt über Celeste geflogen war, wurde auch sie von den Flammen eingeschlossen und verschwand zusammen mit ihrer Gefährtin.

Zurück blieben nur Melina und Ophir, die sich nun ungefähr zwanzig Lamien gegenübersahen, die sie siegessicher angrinsten und sich bereits die Lippen leckten.

Celeste hörte Azia in ihren Gedanken schreien und wusste, dass sie in Schwierigkeiten steckte. Die weißblauen Flammen nahmen ihr jede Sicht, doch zum Glück hörte das Brennen in ihrem Körper langsam auf. Nach und nach gehorchte ihr Körper ihr wieder. Es kostetet sie all ihre verbliebene Kraft, nicht zurückzuschrecken, als ein paar Schritte vor ihr eine schimmernde Gestalt auftauchte. Sie war etwas größer als Celeste und nur als Schemen wahrnehmbar.

„Sei gegrüßt, Dunkle aus den großen Häusern“, sagte eine dunkle Männerstimme.

„Wer bist du?“

„Das wirst du erfahren, sobald die Zeit dafür reif ist. Ich bin hier, um dir einen Auftrag zu geben.“

„Bist du ein Gott oder ein Monster?“ Celeste biss frustriert die Zähne zusammen, als sie das erheiternde Lachen hörte.

„Manche würden sagen, beides. Edrè ist in Gefahr, aber das weißt du ja bereits. Eine Helle hat das gleiche Tor wie du passiert und ist auf die Erde gereist. Das gesamte Weltgefüge bekommt dadurch immer mehr Risse. Du musst sie finden, einfangen und zurückbringen. Schaffst du das nicht, wird Edrè aufhören zu existieren.“

Celeste ahnte, dass mit diesen drohenden Worten auch gemeint war, dass somit alles Leben in ihrer Welt ausgelöscht werden würde.

„Warum gerade ich?“, entfuhr es ihr verzweifelt. „Warum werde ich geschickt, um die Helle einzufangen? Wie kannst du von mir erwarten, die Last einer ganzen Welt zu tragen?“

Sie spürte ein wenig Wohlwollen in der Luft, als die Gestalt antwortete: „Zweifel niemals an Entscheidungen, die du nicht ändern kannst. Für manch einen ist es ein Spiel, für andere die Nahrung für den eigenen Hass, für andere wiederum ein Anliegen des Herzens, das seit Anbeginn der Zeit existiert.“

Und mit diesen kryptischen Worten verschwand die Gestalt und das Brennen kehrte in Celestes Körper zurück. Wie eine Woge aus reiner Lava rauschte sie durch sie hindurch, bis ihr Körper schließlich kapitulierte und sie in selige Dunkelheit tauchen ließ.

Celeste - Siehst du mich?

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