Читать книгу Celeste - Siehst du mich? - Serena S. Murray - Страница 7

Kapitel 2 Edrè

Оглавление

Celeste beobachtete Melina nervös, während sie ihren Adler aus der Hand fütterte. „Ist es die gleiche Spur?“, fragte sie schließlich.

Die Nymphe hockte auf dem Waldboden und starrte Spuren an, die für Celeste kaum wahrnehmbar waren. „Ja, die Waldnymphen sind in Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten hier entlanggereist.“

Das Monster, das Celeste angegriffen hatte, ließen sie gefesselt zurück, in der Hoffnung, dass die Bewohner des Waldes es bald fanden. Sie war nicht bereit, ihre Hände mit dem Tod des Ungetüms zu beschmutzen.

„Wenn sie auf der Flucht sind, hätten sie dann keinem anderen Nymphenstamm Bescheid gesagt?“

Melina schüttelte den Kopf. „Nicht unbedingt. Es kommt darauf an, ob sie denken, dass eine Gefahr nur ortsbezogen besteht oder nicht. Wenn sie überrascht wurden oder ihr Dekan entschieden hat, dass sie sich zurückziehen sollten, weil nur der Wald angegriffen wurde, dann wären sie zuerst geflohen. Alles andere lässt sich regeln, wenn sie in Sicherheit sind.“

Besorgt schaute Celeste in den Himmel. Hunderte Fragen schossen ihr durch den Kopf.

„Überlegst du, ob du umkehrst und den Dunklen Bericht erstattest?“

Celeste seufzte. Ihre Freundin kannte sie anscheinend viel zu gut, wenn sie so einfach zu lesen war. „Ja, ich sollte berichten, was ich gesehen habe.“

„Aber?“

„Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ich zum Tempel reisen muss. Es ist eine leise Ahnung, die ich nicht genau beschreiben kann. Meine Tante genießt keinen allzu glaubwürdigen Ruf. Wenn es stimmt, was sie sagt, muss ich Beweise finden. Ansonsten werden die großen Häuser nicht zuhören.“

„Der Weg durch den Wald dauert noch etwa einen Tag. Ophir wartet an der Grenze des Waldes auf mich.“ Ophir war Melinas geflügelter Berglöwe. „Ich werde dich zum Tempel begleiten.“

Dankbar lächelte Celeste ihre Freundin an. Insgeheim hatte sie gehofft, die Nymphe zu treffen, ehe sie sich überlegen musste, wie sie zum Tempel gelangen konnte, ohne Aufsehen zu erregen.

„Deinem Bruder wird das gar nicht gefallen“, antwortete Celeste lächelnd.

Melina schnaubte abfällig. „Mein Bruder ist zu sehr damit beschäftigt, sich um politische Angelegenheiten zu kümmern. Wenn wir Glück haben, finden wir weitere Spuren der Waldnymphen. So kann ich später wiederkommen. Es muss einen wichtigen Grund geben, warum sie in Gruppen reisten.“

Celeste nickte. Nymphenkrieger waren Einzelgänger. Sie durchstreiften ihr Gebiet und hatten die Gabe, ihren Feind hinterrücks zu überraschen. Nur wenn sie in den Krieg zogen oder zu ihren Familien zurückkehrten, nahmen sie am Gemeinschaftsleben teil. Doch Melina hatte Spuren von mehreren Kriegern gefunden, die eine Gruppe begleitete, die nicht aus Kriegern bestand. Bei der letzten Spur hatten sie ein kleines Stofftier gefunden, das einem Kind gehört haben muss.

Azia hörte die Geräusche zuerst und übermittelte Celeste ein ungutes Gefühl. Als diese alarmiert aufstand, flog der Adler davon, um einen besseren Überblick zu bekommen. Sie folgte ihm mit ihrem Blick, den Körper angespannt und ihren Geist offen haltend. Melina ließ ihr Zeit, doch dann drangen die Geräusche der Zerstörung auch zu ihnen vor.

„Ein weiteres Monster?“

Celeste nickte, als Azia Melinas Verdacht bestätigte. „Ja.“ Während sie die Bilder ihres Adlers empfing, stockte ihr der Atem. In einer einzigen fließenden Bewegung ergriff sie ihre Habseligkeiten und sprintete los. Ihre Verletzungen schmerzten noch immer, doch Melinas Salbe half bei der schnellen Heilung.

Ihre Freundin folgte ihr, ohne eine Frage zu stellen. In halsbrecherischem Tempo jagten sie durch das Unterholz, während die Kampfgeräusche immer lauter wurden. Und Celeste betete, dass sie nicht zu spät kamen.

Als sie den ersten Waldnymphenkrieger sah, musste sie sich auch schon vor einer riesigen Klaue ducken, die wild um sich schlug. Das zweite Monster, das ihr in diesem Wald begegnete, war fast doppelt so groß wie das erste und noch viel hässlicher. Der Kopf war kahl und ganze vier Augen waren rundherum verteilt. Der massige Körper zerschlug Jahrtausende alte Bäume, als wären sie kleine Streichhölzer.

Doch was Celeste das Blut in den Adern gefrieren ließ, waren die drei toten Krieger am Boden und eine Gruppe von Frauen und Kindern der Waldnymphen, die sich ängstlich in einem Flussbach zusammenkauerten.

Sowohl Melina als auch Celeste zückten ihre Schwerter und kamen den verbliebenden Kämpfenden zu Hilfe. Der Wind trug den Geruch nach Eisen zu ihnen, was den beiden Frauen verriet, dass schon zu viel Blut geflossen war. Sie riskierte einen kurzen Blickwechsel mit einem der Krieger, dann konzentrierte sie sich ganz und gar auf das Monster. Ohne ihre eigenen Kräfte fühlte sich Celeste fast hilflos. Ihr Schwert schlug immer wieder auf das Monster ein, während ihr der Schweiß über die Stirn und den Rücken hinunterlief.

Als sie es endlich schaffte, in den rechten Fuß des Viehs zu stechen, brachte Melina es durch einen tiefen Schnitt auf der anderen Seite in Höhe des Knies zu Fall. Die Krieger und die beiden Frauen beeilten sich, das Ungetüm mit Seilen am Boden festzubinden, ehe einer der Krieger den letzten Schwerthieb ausführte. Der gesamte Körper zuckte noch einen Augenblick, dann war außer dem schweren Atmen der Kämpfenden und dem Weinen der Kinder nichts mehr zu hören.

Von den Waldnymphenkriegern waren noch zwei übrig geblieben. Neben ihnen stand ein Mann, der anders gekleidet und auch größer und kräftiger war als die Bewohner des Waldes. Celeste versuchte gerade wieder zu Atem zu kommen, als einer der beiden jungen Männer vortrat und ihr und Melina einen scharfen Blick zuwarf.

„Was macht ihr in unserem Territorium?“

„Wie kannst du es …“ Zu mehr kam Melina nicht, denn Celeste ergriff die Bergnymphenprinzessin an der Hüfte und verhinderte so, dass der Krieger Bekanntschaft mit ihrer Klinge machte. Waldnymphen sahen mitunter wunderschön und arglos aus, aber sie waren gnadenlos und rachsüchtig, wenn es darauf ankam.

„Mein Name ist Celeste, ich bin eine Dunkle. Meine Freundin begleitet mich auf dem Weg zum Tempel. Wir haben bemerkt, dass ihr in Schwierigkeiten steckt, und sind daher zu Hilfe gekommen.“

Sie sah, wie der Krieger, der zuvor das Wort an sie gerichtet hatte, merklich mit den Zähnen knirschte. Doch der andere, der noch ein paar Jahre jünger aussah als die anderen, legte ihm eine Hand auf die Schulter. Diese Geste wirkte anscheinend, denn beide Krieger neigten den Kopf zum Zeichen der Dankbarkeit.

Der andere Mann hatte bisher noch kein Wort gesprochen, ließ sie aber nicht aus den Augen. Doch zu Celestes Erstaunen liefen die beiden Krieger nun zu den Frauen und Kindern, sprachen ein paar leise Worte mit ihnen, ehe sie prall gefüllte Taschen schulterten.

„Was ist mit euren toten Kriegern?“, fragte sie aus einem Reflex heraus. Sie hatte noch nie erlebt, dass eine Nymphe, auch Nymphenkrieger, ihre Verstorbenen zurückließen.

„Wir haben keine Zeit. Unser Auftrag lautet, den Wald zu evakuieren und die letzten Bewohner in die Baumfestung zu bringen“, antwortete der jüngere Krieger.

Die Baumfestung war das Refugium des Königs und seiner Leibgarde. Celeste war nicht bekannt, dass er jemals sein Volk zu sich gerufen hatte, und genau dieser Gedanke verursachte ihr regelrecht Magenschmerzen.

„Ihr seid Feiglinge“, spie Melina hocherhobenen Hauptes aus. Die Augen der Krieger sprühten Feuer, doch die Frauen flüsterten das Wort Prinzessin, sodass sich die Männer an die Etikette erinnern mussten.

„Auf allen Kontinenten gehen die Nachrichten von vermehrten Monsterangriffen umher, doch ihr versteckt euch lieber, anstatt euer Wissen mit euren Brüdern und Schwestern zu teilen. Stattdessen missachtet ihr das Opfer eurer gefallenen Krieger. Allein, dass euch ein Chimäre begleitet, sagt mir, dass ihr schon Söldner anheuert, weil eure Angst euch dazu zwingt, euren Stolz zu vergessen.“

Celeste wartete mit angehaltenem Atem auf die Antwort der Waldnymphen, doch sie sahen Melina nur voller Verachtung an, ehe sie einfach an ihnen vorbeigingen. Dabei konnte sie etliche Verletzungen erkennen, die eigentlich hätten versorgt werden müssen. Der Chimäre, den Melina zu kennen schien, blieb noch stehen und beobachtete alles um sie herum ganz genau. Seine Augen waren von einem strahlenden Gelb, wobei seine etwas zu langen Haare so dunkel wie die Baumrinde hinter ihm waren.

„Elhan?“, sagte Melina leise, so dass die Krieger sie nicht hören konnten.

Doch der Mann schwieg und sah Melina nur durchdringend an. Als die kleine Gruppe nicht mehr zu sehen war, verschwand auch er im Dickicht des Waldes. Melina sah ihm mit gerunzelter Stirn hinterher. Celeste ließ sich ächzend auf einen umgefallenen Baumstamm sinken, was ihr Melinas Aufmerksamkeit zurückbrachte.

„Wie geht es dir?“

„So weit ganz gut. Diesmal habe ich nichts abbekommen.“ Nachdenklich schaute sie auf die Leichen der drei Krieger hinunter.

„Wir können sie nicht einfach so hier liegen lassen“, sagte Celeste, während sich ihre Freundin neben sie setzte.

„Nein, das können wir nicht.“

Celeste warf Melina einen fragenden Seitenblick zu, ehe sie fragte: „Woher kennst du diesen Elhan. Ich hätte nicht sagen können, dass er ein Chimäre ist. Diese Mischwesen wissen, wie sie sich unauffällig verhalten können. Es ist das erste Mal, dass ich die legendäre Kampfkunst dieser Wesen aus erster Hand sehen konnte.“

Melina seufzte laut auf. „Das ist eine lange Geschichte. Er ist mir einmal zu Hilfe gekommen, als ich in einen Hinterhalt geraten bin. Er verwandelt sich in einen Bären, doch nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Ich schulde ihm etwas, das ist der Grund, warum es ihm erlaubt ist, sich in unserem Gebiet aufzuhalten. Doch wenn er von den Waldnymphen angeheuert wurde, dann bedeutet das nichts Gutes.“

Celeste lachte trocken auf. „Du hast die Krieger ganz schön gereizt. Normalerweise hättet ihr euch bis aufs Blut bekämpft. Ich hätte vorher nicht gedacht, dass es mir mal mehr Angst macht, wenn ihr es nicht tut.“

„Das war meine Absicht. Ich wollte sehen, ob sie darauf eingehen. Und trotzdem sind meine Worte wahr. Sie sind Feiglinge, die lieber zuerst sich in Sicherheit bringen, ohne den anderen Stämmen Bescheid zu geben.“

„Lass uns am besten die Krieger beerdigen, und dann sollten wir weiterziehen.“

Melina nickte, sagte aber: „Wir können sie nicht einfach so unter die Erde bringen. Sie sind Geschöpfte des Waldes.“

Schweigend sah Celeste zu, wie sich die Bergnymphe auf den Boden setzte, ihre Beine übereinanderschlug und die Augen schloss. Normalweise würde eine Nymphe solch ein Ritual vor den Augen eines Menschen oder eines Dunklen nie durchführen. Wieder einmal verspürte Celeste eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass Melina sie an so etwas teilhaben ließ. Die Seelen der Krieger waren bereits aus den Körpern gefahren. Was übrig blieb, war eine leere Hülle. Es gab unter den Dunklen eine Eliteeinheit, die sich um die Seelen derer kümmerten, die in dieser Welt starben. Sie würden dafür sorgen, dass die Krieger wiedergeboren werden konnten.

Celeste spürte, wie Wind aufkam und die Blätter um sie herum zum Rascheln brachte. In der Luft waren die leisen Töne einer Harfe zu hören. Melinas Macht entfaltete sich. Auch wenn sie nicht als Waldnymphe geboren wurde, konnte sie doch an uralte Rituale anknüpfen.

Leises Lachen drang an ihre Ohren. Durch die herabfallenden Sonnenstrahlen sah der Moment noch magischer aus, als sich Wesen aus den Bäumen lösten. Auch wenn Celeste noch keine Dryade gesehen hatte, wusste sie, dass es diese Baumgeister gab. Sie waren mit den Nymphen verwandt, doch zogen sie es vor, lieber im Verborgenen zu leben.

Drei Frauen lösten sich von den Bäumen. Statt Händen wiesen sie Wurzeln auf, mit denen jede der Dryaden einen der gefallenen Krieger umschlang. Langsam zogen sie die reglosen Körper über den Boden, ehe sie sie fast schon liebevoll in die Arme schlossen.

Melina hielt noch immer ihre Augen geschlossen, doch Celeste sog den Anblick regelrecht in sich ein. Rückwärts bewegten sich die magischen Wesen zu ihren Bäumen zurück, aus denen sie gekommen waren. Nach und nach verschmolzen sie wieder mit den Stämmen, wobei die Krieger zusammen mit ihnen verschwanden. Sie waren schon nicht mehr zu sehen, da erklang noch einmal das glockenhelle Lachen, dann war es wieder ruhig. Melina beendete ihre Magie, dann öffnete sie ihre Augen.

Wie gebannt starrte Celeste ihre Freundin an. Das Blau ihrer Augen war nun noch dunkler und sie hätte schwören können, dass sie Sterne in ihnen erkannte. Eine bleierne Müdigkeit ergriff von ihr Besitz. Mit den Händen hielt sie sich an dem Baumstamm fest, auf dem sie saß.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Melina besorgt.

„Ich bin auf einmal so müde“, antwortete Celeste mit schwerer Zunge. Es war, als ob sich ein Nebel über ihre Gedanken legte. Sie merkte kaum, wie Melina ihren Körper auffing, ehe er auf dem Boden aufschlug.

„Ist schon gut, schlaf ein bisschen. Wenn du aufwachst, wird es dir besser gehen.“

Celeste verstand die Worte kaum noch, da versank sie auch schon in seliger Dunkelheit. Ihr Körper entspannte sich, während ihr Atem immer langsamer wurde.

Celeste - Siehst du mich?

Подняться наверх