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Das Schnitzel im Wiener

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MANFRED REBHANDL

Eine Reise zum Wiener Schnitzel und seinen Adepten in die Vorstadtwirtshäuser von Wien

„A Schnitzerl?“ Nirgendwo sonst klingt diese hingeworfene Frage vertrauter und selbstverständlicher als in der Wiener Vorstadt, denn „die Wiener essen halt gern Paniertes, und am liebsten essen sie ihren Klassiker, das Schnitzerl.“ Das weißt der Sous-Chef im Schutzhaus auf der Schmelz, das im tiefsten 15. Bezirk liegt, und das mit dem Panierten und dem Schnitzerl gilt natürlich erst recht für die Wiener aus der Vorstadt. Dort kriegt der Freddy seinen weißen Spritzer samt Schweinswiener ungefragt auf das karierte Tischtuch gestellt, sobald er sich zum Beispiel im Gasthaus Mader, ebenfalls tiefster 15. Bezirk, an den Stammtisch setzt. Die wichtigen Dinge des Lebens werden irgendwann nämlich zur wohligen Routine, und was wäre wichtiger als ein gutes Schnitzerl? Variiert wird dann höchstens noch der Salat: „GeSa oder Erdäpfel?“ GeSa nennen sie hier den gemischten.

Die Kellner, die hier Josef oder Hansi heißen und ihre übrigen Bestellungen noch mit Bleistift und Kuli aufnehmen, tragen vorschriftsmäßig speckige, schwarze Hosen zu weißem Hemd und speckigem, schwarzem Gilet. Und das „Auuuufpassen, biiiite! Voooorsicht, bittte!“ kommt ihnen mit einem Hauch Böhmisch-Mährisch in der Sprachfärbung über die Lippen, wenn sie mit dem Tablett durch die holzgetäfelte Gaststube tänzeln. Darauf balancieren sie sieben oder acht Portionen der Leibspeise samt Salat im Schüsserl, bevor sie diese mit einer Eleganz servieren, die sie auch zum Tennislehrer befähigen würde oder zum Turniertänzer.

Das gilt erst recht für die Uschi im Gasthaus Kopp, tiefster 20. Bezirk, die ihre Sonntagmittagsfrage verniedlichend vorbringt: „A Schnitzi?“ „Aber freilich!“ Und wenn der Riesenfleck dann kommt, packt sie einem mit charmantem Lächeln den Teil ein, den man gerade wegen zu großer Sommerhitze nicht geschafft hat, trotz ehrlichen Bemühens. „Damit du zuhause auch noch was zum an mich denken hast“, sagt sie dabei und zwinkert einem freundlich zu, und ja, man ertappt sich daheim wirklich dabei, wie man an die Uschi denkt, während man den Tag mit dem Rest seines Schnitzels beendet.


Das Schnitzel samt seinen näheren und weiteren Verwandten spielt auf der Speisekarte des Lands eine Hauptrolle – hier z.B. im Schutzhaus zur Zukunft in Wien-Fünfhaus.

Wenn in der Vorstadt Schnitzel auf der Menükarte steht, mit Supperl vorher, dann werden die Portionen im Halbminutentakt aus den Vorstadtwirtshausküchen zur Schank durchgereicht, von wo aus irgendwer, der Chef meistens oder die Chefin, die den Betrieb in dieser und jener Generation führt, das Klopfen des Fleisches und das Brutzeln der Panier in der Küche ebenso überwacht wie das Verteilen der Menüs in der Wirtsstube. Im Gasthaus Mader steht dort sogar noch eine Telefonzelle mit Münzeinwurf, von der aus man die Polizei anrufen könnte, wenn man gerade in Schwierigkeiten wäre, „Herr Inspektor, mir hams meine goldene Panier gestohlen!“ Die Schnitzelpanier, diese wichtigste Panier überhaupt, sie ist vielleicht wirklich das Gold der Wiener, mit der es respektvoll umzugehen gilt, aber keine Sorge: Zu Mittag kommen die Kieberer ohnehin von allein dorthin, notfalls auch mit Blaulicht, um sich ihr eigenes Gold auf ihren Schnitzerl-to-go einpacken zu lassen.

Eine Gemeinschaft Büroangestellter verbringt hier jede ihrer Mittagspausen, und in fast jeder essen sie ein Schnitzerl, zur Abwechslung gibt es höchstens mal ein Gordon. „Es gibt halt nix Besseres!“, loben sie übereinstimmend das geliebte Schweinswiener, und wenn man sich ihre beeindruckenden Bäuche unter den Polohemden anschaut, dann glaubt man ihnen aufs Wort. Neulich aber, erzählt einer mit Unverständnis, wäre ein Kollege ins Ausland gegangen, und während sie die letzten Panierfuzzerl, die goldenen, auf ihren Tellern verputzen, fragen sie sich besorgt, was denn der im Ausland nun wohl zum Essen kriegen wird? Kann ja sein, dass er mehr verdienen wird und sich jetzt Kaviar leisten kann und Sushi und solche Sachen, aber so ein Schnitzel wie hier wird er ganz sicher nicht kriegen, von dem auch noch das letzte Tropferl Fett aus der Panier mit dem letzten Stück Fleisch vom Teller aufgewischt und den beeindruckenden Bäuchen zugeführt wird.

Auf der Schmelz im Schutzhaus putzt der Willi drei Mal in der Woche das Schweinskarree, reinigt es von Knochen und Sehnen und schneidet es im „Schmetterlingsschnitt“ zurecht. „Wiener Schnitzel vom Schwein“ heißt dann die korrekte Bezeichnung auf der Speisekarte, die von Kellner Didi, der einen auch mal umarmt, wenn ihm danach ist, sofort an jeden der zahllosen Tische in diesem wunderschönen, riesigen Gastgarten unter alten Kastanienbäumen gebracht wird, sobald man irgendwo einen Platz gefunden hat. Hier treten Wiener Unterhaltungsgrößen wie Horst Chmela auf oder das Hans Ecker Trio oder Die Hinischen oder auch Harry Prünster, der mal eine große Nummer im TV war, und wenn sie spielen, dann gibt es Schnitzel.

Wie viele davon kann man in einem Leben eigentlich verdrücken? Viele! Das bestätigt jene 80-jährige Dame, die zusammen mit ihrem auch schon über 80-jährigen Gatten, passionierte Schachspieler, am Rand des Gartens Platz genommen hat, mit der Speisekarten in der Hand. € 9,50 kostet hier sowohl das Schweinswiener als auch das Hühnerschnitzel, und die Leute bestellen es im Verhältnis 60:40, sagt der Sous-Chef. 15 bis 16 Euro für eine Speise, mehr könne er seinen Gästen einfach nicht zumuten, darum gäbe es hier auch kein Kalbswiener, weil das unter 20 Euro nicht angeboten werden kann.

„Heute g’freit’s uns nicht zum Kochen daheim!“, meinen die beiden Frohnaturen, die während der zusammen gerechnet über 160 Jahre, die sie nun bereits über die Erde wandeln, „schon sehr, sehr viele Schnitzel gegessen haben.“ Und obwohl sie, die rüstige Gattin, in der häuslichen Zubereitung der Speise natürlich unübertroffen ist, beherrscht der Gatte sie auch perfekt, was ihm die Gattin ohne falschen Hausfrauenstolz neidlos zugesteht, im Schach würde man sagen: Remis. Alle Variationen des Schnitzels kamen dabei in den vielen Jahren auf ihre Teller, und jedes einzelne schmeckte hervorragend, wobei sich bei ihm aber über die Jahre eine gewisse gaumenfreudige Hinwendung zum Surschnitzel ausgebildet hat – „Schmeckt irgendwie würziger!“, von dem er sich jetzt eines bestellt.

Das wird ihm der Willi zubereiten, während in seiner Küche „It´s not easy“ aus dem Radio zu hören ist, aber ein perfektes Schnitzel zu backen ist für ihn längst keine große Sache mehr, auch nicht die Schritte der Vorbereitung, es ist im Gegenteil natürlich längt total „easy“ für ihn, auch wenn man sich immer wieder von neuem bemühen muss. Dem imposanten Hackstock hat er mit dem Klopfer in den letzten Jahren eine ordentliche Delle verpasst, dort schneidet er jeweils 22 Gramm vom Schweinskarree ab und 24 Gramm wiegt das Hühnerfilet, wenn es ins Öl kommt. Er hat sein Handwerk im Gartenhotel Altmannsdorf gelernt, das der SPÖ gehörte, die mittlerweile ihre eigenen Probleme mit der Vorstadt hat, aber schon Kanzler Vranitzky war außerordentlich zufrieden mit Willis Schnitzeln, und hier sind es die Gäste erst recht.

Bis zu fünfzehn Kilo vom feinen Erdäpfelsalat gehen an sehr guten Tagen weg, dann laufen fünf oder sechs Kellner durch ihre „Stationen“ und servieren je 50 bis 80 Schnitzel. Es kommt also vor, dass der Willi am Tag 400 Schnitzel macht, manchmal die Panier „ein bisserl heller“ und manchmal „ein bisserl dunkler“, das sind ungefähr die Sonderwünsche, mit denen er es hier zu tun hat. Wenn richtig viele Schnitzel bestellt werden, dann braucht jeder Kellner einen eigenen Träger, der die Tabletts für ihn durch die Tische balanciert, oder durch den Festsaal und über die Veranda. Aber 11 Uhr tauchen die Gäste in der Regel auf, am häufigsten in den Monaten Mai und Juni, aber auch in den heißen Monaten Juli und August steht den Vorstädtern der Gusto nach „was Paniertem“. „Zu heiß“, sagt der Willi, „also nein wirklich, zu heiß für ein Schnitzel kann es nicht sein!“ Da wird dann halt noch ein Bier bestellt, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen, oder notfalls die klassische Salatmarinade ausgetrunken. Und der eine, der ins Ausland gegangen ist, wird sich in langen Nächten oft fragen, warum er nicht in der Vorstadt geblieben ist, wo er jeden Tag mit den Kollegen sein Schnitzerl essen könnte.


Ein klassisches Wiener Vorstadt-Wirtshaus: das Schutzhaus zur Zukunft in Wien-Fünfhaus

„Zu heiß, also nein wirklich, zu heiß für ein Schnitzel kann es nicht sein!“

KÜCHENCHEF WILLI

IM SCHUTZHAUS ZUR ZUKUNFT,

1150 WIEN

The Wiener Schnitzel Love Book!

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