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Kapitel 6

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In Peiramos

Ladas Füße schmerzten in den eng geschnürten Schuhen. Leider waren ihre Zehen nicht so zierlich, wie sie es sich wünschte, doch wie die Ritter Meister des Kampfes waren, beherrschte Lada die Kunst, jeden noch so kleinen Makel entweder zu kaschieren oder ihn so hervorzuheben, dass er sich in einen interessanten Vorzug verwandelte. Das war das Geheimnis ihrer strahlenden Erscheinung und die billigen Freudenmädchen beneideten sie darum.

Jene verächtlichen Blicke, mit denen sie Lada bedachten, während sie an ihnen vorbeischritt, bezeugten, wie wenig sie ihr gewachsen waren. Sie hatten sich um den Springbrunnen versammelt. Bei Klatsch und Tratsch wuschen sie den Gestank der Freier aus ihren Sachen. Im Gegensatz zu Lada mussten sie sich mit den Knechten und Pagen abgeben, sogar mit den Bauern aus den umliegenden Dörfern. Die würden es nie wagen, an Ladas Tür zu klopfen.

Erhobenen Hauptes stolzierte sie über den Platz, vorbei an den tuschelnden Huren und der grässlichen Frauenskulptur, deren aufgerissenes Maul das Wasser in Fontänen ausspie. Beflissen eilte ihr Diener Perim, der ihren Sonnenschirm hielt, hinterdrein, als sie ihre Schritte beschleunigte. Zwar lachte der grau bedeckte Himmel sie dafür aus, aber Lada verzichtete nie auf den Schirmträger.

Obwohl sie gestern bis spät in die Nacht getanzt und danach die Säuberung des Saales überwacht hatte, fand sich kein Anzeichen von Müdigkeit in ihrem Gesicht. Auch sah man ihr nicht an, wie sehr ihre Fußsohlen und Fesselgelenke brannten. Sie hatte den Morgen mit Gesichtsmasken aus Gewürzen und Schneckenschleim sowie Fußbädern aus einem Aufguss junger Eichenrinde verbracht und die Haare etwas straffer binden müssen, um ihre Stirn zu glätten. Aber hier war sie, in der Mitte der Bühne, und es gab nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie die Hauptrolle spielte. Noch.

Sie ließ den Brunnenplatz hinter sich und schlug den Weg zu Blairs Wohnsitz ein. Auf dem Dach saß ein Rabe und beäugte sie von Weitem. Ansonsten schien das Haus verlassen. Hinter den Fenstern blieb alles dunkel und unbewegt, als sie anklopfte. Nur der Rabe schrie jäh auf, was Lada erschaudern ließ.

Niemand, den sie kannte, machte einen Hehl aus seinem Argwohn gegen Estana. Was immer sie mit den Raben verband, normal konnte es nicht sein. Aber die Kleine war und blieb Blairs Tochter. Darum, wenn es sein musste, würde Lada dem unheimlichen Kind Gutenachtlieder singen. Sie würde die Raben, die es auf der Schulter trug, mit Fleisch von ihrem eigenen Teller bewirten – oder gar aus ihren eigenen Rippen, wenn sie nur Blair damit für sich gewinnen könnte.

Eben war Lada im Gehen begriffen, da öffnete die Haustür sich einen Spalt breit.

Sie erschrak über seinen Anblick. War das derselbe Mann, den sie nur Stunden zuvor zum Tanz gedrängt hatte? Ein Dutzend Schatten hatten sich auf seinem Gesicht eingenistet, obgleich sie nur ein Drittel davon sah.

„Blair“, grüßte sie, ihren Schreck verbergend. „Verzeih, dass ich mein Kommen nicht angekündigt habe.“

„Was willst du, Lada?“

„Ich möchte dir meinen Dank erweisen. Gestern hast du mir eine große Peinlichkeit erspart, indem du dich Urden entgegenstelltest.“

„Schon vergessen.“

„Für mich aber nicht.“ Sie trat näher und senkte die Stimme. „Willst du mich nicht hineinbitten?“

„Nicht heute. Estana ist krank, du könntest dich anstecken.“

„Oh weh, was fehlt ihr? Ich werde sofort Medizin für sie bringen lassen.“

„Nein.“ Es kam etwas nachdrücklicher, als höflich gewesen wäre. „Sie braucht nur Ruhe, sonst nichts. Du musst dich nicht um uns sorgen.“

„Mich nicht sorgen? Vieles kannst du von mir verlangen, aber das wird mir nicht gelingen. Blair, ich bin dir wirklich sehr dankbar. Bitte nimm meine Hilfe an.“

„Sei so gut und geh. Und suche mich nicht wieder auf. Ich werde nach dir schicken lassen, wenn ich deiner bedarf.“

„Habe ich etwas Falsches gesagt? Womit habe ich dich gekränkt?“

„Das hast du nicht.“ Blair musste seine Ungeduld merklich zügeln. „Bitte. So hilfst du Estana und mir im Moment am meisten.“ Sein Gesicht verschwand und die Tür fiel ins Schloss.

Bestürzt darüber, wie harsch er sie abgefertigt hatte, brauchte Lada einige Atemzüge, um sich zu sammeln, bevor sie den Brunnenplatz ebenso selbstsicher überqueren konnte wie vorhin. Klug wie sie war, hätte es ihr nicht schwerfallen sollen, zu erraten, dass Blair von Donovon in Schwierigkeiten steckte. Doch stattdessen schwirrten ihre Gedanken um die Frage, mit welchem Fehltritt sie ihn verärgert haben mochte. Sie ließ den Abend Revue passieren, rief sich jedes Wort ins Gedächtnis, das sie zu ihm gesagt und jede Geste, die sie ihm zugedacht hatte.

Lag es am Ende daran, dass sie ihm nicht mehr gefiel?

Als sie daheim den Mantel ablegte, war sie erhitzt und roch ihren eigenen Schweiß. Er mischte sich mit ihrem Parfum, blumig und frisch, doch plötzlich meinte sie, der Gestank des Alters habe sie befallen und sei Blair in die Nase gefahren. Sie starrte auf ihr Spiegelbild, panisch auf der Suche nach etwas, das ihn abgestoßen haben könnte. Sollte sie den Nussschalensud, mit dem sie ihr Haar färbte, künftig länger einwirken lassen? Hektisch raufte sie ihre Frisur auf der Suche nach einer übersehenen grauen Strähne.

Ihr Diener trat ein. Sie schrie ihn an, der Kamm sei voller Haar. Ab jetzt habe er für jedes einzelne Haar, das er seiner Herrin beim Kämmen raube, einen Schlag zu erwarten. Er verneigte sich und machte sich daran, den Kamm zu säubern. Es zerriss Lada beinahe, dabeizustehen und sich auszumalen, dass ihre dunkle Pracht ausfallen oder ergrauen würde oder beides. Erst wurde sie weiß, dann kahl, und ihre Brüste würden eigene Gesichter bekommen, runzlig und schlaff wie ihres. Kein Mann, am wenigsten Blair, würde dann noch zugeben, sie gekannt zu haben.

Sie nahm Perim den Kamm aus der Hand und versetzte ihm damit einen Hieb, der blutige Striemen auf seiner Wange hinterließ.

Die Rache des Mondes

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