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Kapitel 7

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In Seynako

Der Bulle kehrte die Strohreste zusammen und widmete der frisch gefegten Stallgasse einen letzten kritischen Blick, bevor er den Besen beiseitestellte und sich gestattete, die Arbeit für heute ruhen zu lassen. Das Leder der Sättel und Zäume war eingefettet, vier Pferde neu beschlagen und Ronan – ja, wo steckte Ronan? Er hatte eigentlich einen Korb voll Äpfel holen sollen. Wie lange brauchte einer vom Stall bis in den Garten?

Auch die Pferde waren in Abendstimmung. Die gedämpften Geräusche aus ihren Boxen, das Rascheln des Heus und ihr gleichmäßig mahlendes Kauen, hier und da ein Schnaufen, all das entspannte ihn. Wenn er länger blieb, drohte er, in sentimentale Stimmung zu geraten, und das war das letzte, was einen Mann wie ihn weiterbrachte. Obwohl es nicht zu seinen Aufgaben gehörte, teilte sich der Bulle gern hier und da die Stallarbeit mit Ronan. Er brauchte keinen Schmuck und alberne Blockabsätze unter den Fersen, sehnte sich so wenig nach der Politik und gekünstelten Tischgesprächen wie nach Fußpilz.

Nachdem sie von ihrer Reise aus dem Feoras-Gebirge zurückgekehrt und Alefes‘ Hinrichtung möglich gemacht hatten, waren die Gefährten die gefeierten Helden des Volkes. Keiner von ihnen hätte jemals wieder zu einem Werkzeug greifen müssen, um sein Brot zu verdienen, denn Schloss Cian stand ihnen mit all seinen Annehmlichkeiten offen wie das Tor zum Paradies. Aber Ronan und er waren beide nicht mit einem goldenen Löffel im Hintern zur Welt gekommen. Dem höfischen Leben vermochten sie nichts abzugewinnen und so gestattete es ihnen König Neal, am Hof ihrem Handwerk nachzugehen und ein bescheidenes, wenn auch sorgenfreies Leben zu führen.

König Neal, dieser Titel erheiterte den Bullen noch heute. Damals, als sie Seite an Seite losgezogen waren, um Alefes die Herrschaft über die Sonne abzuringen, hatte keiner von ihnen die Herkunft des vorlauten jungen Mannes auch nur erahnt. Er selbst war in dem Glauben aufgewachsen, der Sohn eines einfachen Kaufmanns zu sein. Erst bei seiner Rückkehr hatte er davon erfahren, dass König Darius noch vor Prinz Alecs Geburt in Neals Mutter verliebt gewesen war und er dem Gesetz nach als rechtmäßiger Thronfolger galt.

Alec, der seinem unerwartet auftauchenden Halbbruder den Vortritt lassen musste, hatte nie dagegen aufbegehrt, was der Bulle ihm hoch anrechnete. Gleichsam bestätigte es ihn in seiner Ansicht, dass niemand, dessen Herz am rechten Fleck saß, sich um Macht und Ansehen schlug. Einen Besen und einen Schmiedehammer konnte man beiseitelegen, das Gewicht einer Krone aber fesselte den König an seinen Thron.

„Ach sieh, er hat sogar schon gekehrt.“ Ronan duckte sich beim Eintreten, damit Kena, die grinsend auf seinen Schultern saß, nicht mit dem Kopf gegen den Türrahmen stieß. Zusätzlich zu ihrem Gewicht trug er einen vollen Korb mit Äpfeln vor sich her.

Als Kena den Bullen erblickte, wich ihr vergnügtes Lachen einer verlegenen Röte.

„So, absteigen bitte, meine kleine Amazone“, sagte Ronan, aber sie nuschelte: „Nenn mich nicht so.“

„Früher hattest du den Namen gern.“ Ronan zog einen Schmollmund wie ein Braunbär, der eben realisierte, dass seine Pfote zu groß für das Astloch mit dem honigträchtigen Bienenstock geworden war.

Früher, dachte der Bulle bei sich, lag schon ein Weilchen zurück. Inzwischen war die kleine Amazone dreizehn und hörte es gar nicht gern, wenn Ronan in der Gegenwart anderer ihren Kosenamen gebrauchte. Sie passte nur deshalb noch auf seine Schultern, weil er ein kräftiger Riese und sie ein zierlicher Vogel war. Und weil sie entgegen der höfischen Etikette Hosen trug. Ihre unbedarfte Art gefiel dem Bullen, gleichzeitig überforderten ihn die widersprüchlichen Anwandlungen, die anscheinend zum Wesen heranwachsender Mädchen gehörten.

„Die Äpfel müssen sortiert werden“, sagte Ronan. „Der Koch stopft mir die Dinger ins Maul und serviert mich auf einem goldenen Tablett, wenn ich diesmal wieder alle an die Pferde verfüttere. Die guten gehören in die Küche, nur die mit großen Druckstellen oder Wurmlöchern bleiben hier.“ Er lud den Korb neben den Futtersäcken voll Getreide ab und brachte einen leeren Eimer. „Was Neues von Rian gehört?“, fragte er beiläufig.

„Nein.“ Der Bulle zog sich einen Schemel heran und half Ronan, jene Äpfel aus dem Korb zu suchen, die sie als Futter verwenden konnten.

„Wahrscheinlich sitzt er wieder in irgendeinem Wirtshaus fest. Wie letztes Mal, als er seine Spielschulden nicht begleichen konnte und sie ihn in den Keller steckten, bis Neal einen Boten mit der nötigen Summe vorbeischickte“, meinte Kena ungerührt.

Im Gegensatz zu seinen früheren Kameraden sonnte Rian sich ausführlich in seinem Ruhm und Neal sprang jedes Mal wieder in die Bresche, wenn es darum ging, ihn aus seinem finanziellen Sumpf zu ziehen, in den er sich immer aufs Neue hineinmanövrierte.

„Na ja, der König ist ihm dankbar“, sagte Ronan.

„Aber Rian ist der einzige, der es ausnutzt“, erwiderte Kena. „Ihr habt alle euer Leben aufs Spiel gesetzt, nicht er allein.“

„Er hat es schwerer als wir anderen. Denk nur daran, was mit seinem Gesicht geschehen ist.“

Sie schwiegen. Einer von ihnen war in Peiramos getötet worden, von Alefes‘ eigener Hand, und diese Gewissheit hing wie Schwefeldunst zwischen ihnen in der Luft, obwohl niemand seinen Namen erwähnte. Colin, Azurs Bruder, war für ein Kind gestorben, das er nicht einmal gekannt hatte. Es musste heute beinahe so alt sein wie Kena, vielleicht etwas jünger, überlegte Ronan, denn damals war es noch ein Säugling gewesen.

Zeitgleich mit Kena griff der Bulle in den Korb. Als ihre Hände sich berührten, zog sie ihre hastig zurück und gab vor, eingehend einen Apfel zu begutachten.

Natürlich, wie hätte sie sonst reagieren sollen? Die Stummel an seiner Linken, wo drei Finger fehlten, waren in der Tat kein schöner Anblick. Unwillkürlich verhärtete sich sein Kiefer. Über die Ursache seiner Verletzung schwieg er eisern und weil er seine Arbeit als Schmied tadellos erledigen konnte, trotz dem ihm links nur Daumen und Zeigefinger (und immerhin ein halber Mittelfinger) geblieben waren, ging niemand ihm deswegen auf den Geist.

In gewisser Weise verband ihn das mit Rian. Beide waren sie gezeichnet. Krüppel, die angestarrt und gefürchtet wurden.

Er erhob sich. „Den Rest schafft ihr allein?“

„Sicher“, sagte Ronan. „Gute Nacht, alter Freund.“

Wortlos betrat der Bulle den Korridor, der von den Ställen aus einerseits in die Küche und in anderer Richtung zurück ins Schloss führte. Der kürzere Weg in seine Kammer wäre der über den Schlosshof und durch die Hauptpforte gewesen, doch er hatte sich die Gepflogenheiten des Dienstpersonals angeeignet und ging, wo es am unwahrscheinlichsten war, einem der Höflinge zu begegnen.

Graues Dämmerlicht fiel durch die Fenster auf den Steinboden, die Luft war hier kühl und roch nach Heu und Gewürzen. Zwar hätte der Bulle eine Mahlzeit vertragen können, aber jetzt zog er einen knurrenden Magen der Gesellschaft der schwatzhaften Mägde und des andauernd gereizten Kochs vor.

Im Gang schlichen ihm leise Stimmen entgegen, die deutlicher wurden, je näher er kam. Er hielt sich im Schatten, darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Einsamkeit seiner Kammer lockte ihn wie die Reize eines schönen Weibes – obgleich beides weiter voneinander entfernt war als Seynako von Peiramos, denn er würde keiner Frau je gestatten, sein Reich zu betreten und die Ruhe zu zerstören, die darin wohnte.

Auf einmal, ohne dass der Bulle den Anlass dafür hätte benennen können, spannte sich etwas in ihm, stichelte ihn zu Kampfbereitschaft an. Er hielt inne, lauschte.

„Dann wollt Ihr ihn nicht einweihen?“

„Noch nicht. Ich weiß sehr gut, wie loyal er zu seinem Halbbruder steht. Er ist zu stolz, als dass wir ihn für unsere Sache gewinnen könnten.“

Es war offenkundig, dass diese Unterredung ohne Zeugen bleiben sollte. Die Männer sprachen mit gesenkten Stimmen. Wahrscheinlich standen sie nur wenige Schritte von dem Bullen entfernt hinter der Ecke des abzweigenden Flurs.

„Mein lieber Freund, bedenkt nur! Ein ganzes Jahrzehnt musste er zusehen, wie ein anderer auf dem Thron sitzt, den er bereits bestiegen hatte. So weit, wie er sein Ehrgefühl jetzt nach außen kehrt, so plötzlich wird es verschwinden, wenn sich ihm die Gelegenheit bietet.“

Etwas am selbstgefälligen Tonfall des Mannes ließ dem Bullen seine kurzgeschorenen Haare zu Berge stehen und Furcht sickerte durch seine Poren in ihn hinein, nagend und schwül.

„Aber sollte es so kommen, wie Ihr sagt, und er ist nicht bereit, für unsere Sache einzutreten, dann bleibt uns immer noch ein Ausweg.“

„Ihr meint…?“

„Wollt Ihr mir weismachen, Ihr wärt nicht bereits von selbst darauf gekommen?“

„Ich stopfe Euch Euren Hohn in den Rachen zurück!“

Kleidung raschelte und eine Sohle rieb hektisch über den Steinboden. Dann ein unterdrücktes Lachen.

„Stellt Euch nicht dumm. Ihr könnt mir den Schädel einschlagen, wenn es Euch danach gelüstet, aber wozu? Um etwas wie Bescheidenheit vorzutäuschen? Ihr wusstet schon, bevor ich es ansprach, dass diese Aufgabe Euch zufallen würde.“

Der Mann, der seinen Mitverschwörer am Kragen gepackt oder gegen die Wand geworfen hatte – der Bulle konnte anhand der Geräusche nur mutmaßen, was zwischen ihnen vor sich ging – wandte sich ab und floh mit großen, wütenden Schritten.

Wenn einer der Männer ihm durch den Gang entgegengekommen wäre, hätte er den Bullen unweigerlich entdecken müssen.

Einen Moment blieb noch der Atem des Selbstgefälligen zurück. Vielleicht ordnete er seine Gedanken, bevor er in die entgegengesetzte Richtung davonging. Seine Schritte verhallten, eine Tür wurde zugezogen und der Bulle blieb allein mit seinem hämmernden Herzen.

Die Rache des Mondes

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