Читать книгу Die Sonne über Seynako - Sheyla McLane - Страница 8
ОглавлениеKapitel 5
„Die dunkle Macht, er teilt sie gern, drum huldigt unserem neuen Herrn.“, wiederholte Darius fassungslos, was die Alte im Kerker voller Euphorie gesungen hatte, bevor sie verendet war. „Unserem neuen Herrn! Kannst du dir das vorstellen? Das klingt gerade so, als ob er schon hier wäre!“
„Beruhigt Euch, mein König.“, versuchte Allan, ihn zu beschwichtigen. „Noch ist nichts verloren.“
Darius empörte sich: „Wie soll ich mich beruhigen, wenn das Einzige, was du mir anbieten kannst, dieses stumme Weib ist? Nur, weil die blaues Haar auf dem Kopf trägt, heißt das lange nicht, dass sie imstande ist, unser Land zu schützen. Ich meine… sowas kann durch Zufall passieren. Manche Kälber sind schneeweiß und haben rote Augen. Äußerlich sind sie missgebildet, deswegen müssen sie aber nicht über besondere Fähigkeiten verfügen.“
„Aber das sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge, Majestät.“, sagte Allan. „Ich habe nicht vorhergesagt, dass ein weißes Kalb kommen wird, um uns zu beschützen, sondern dieses Mädchen und ich habe bis jetzt immer Recht behalten.“ Ein wenig ärgerte ihn der Zweifel des Königs. Er nahm sich vor, ihn bei Gelegenheit daran zu erinnern, wie er vor ein paar Jahren ein hartnäckiges Geschwür an Darius‘ linkem Fuß geheilt hatte. Und den Tod seiner Frau im Wochenbett hatte er auch vorausgesehen – wobei er diese Erinnerung lieber unangetastet ließ. Mit einem beleidigen Grummeln trat er ans Fenster. Er hatte auch gewusst, dass der junge Prinz Azur nicht fliehen lassen würde. Es war dem Mädchen nicht bestimmt, vor seiner Aufgabe davonzurennen.
Doch all das waren trübe Ahnungen im Vergleich zu der Vorhersehung, die Sol ihm damals vor dreizehn Jahren geschenkt hatte. Seither waren ihm nie mehr die klaren Eingebungen, die von jener unzweifelhaften Gewissheit begleitet waren, zuteil geworden. Von der Euphorie, welche damals in seinen Adern prickelte, war nurmehr die Erinnerung übrig. Jedem anderen hätte er unter diesen Voraussetzungen das Recht abgesprochen, sich Seher nennen zu dürfen. Seine schwächliche Begabung hätte nicht einmal für das Amt einer Priesterin gereicht, so er denn eine Frau gewesen wäre. Dem war sich Allan bewusst, aber er schwieg und schaute noch immer so gewichtig drein, wie er es früher getan hatte, als der Sonnengott ihn noch liebte. Ihm allein war die Ehre zuteil geworden, die Prophezeiung zu empfangen. Es war sein Verdienst gewesen, den ihm nun niemand mehr streitig machen konnte, selbst wenn seine Kräfte nachgelassen hatten.
„Was geschieht jetzt?“, fragte Darius, der noch immer auf seinem Thron verweilte
„Uns bleibt nichts übrig, als abzuwarten.“, gab Allan zu, in der Gewissheit, dass seine Antwort dem König missfallen würde. Noch bevor dieser etwas Hitziges erwidern konnte, warf er ein: „Aber wir müssen die Zeit, die uns bleibt, nicht vergeuden. Erlaubt mir, Azur einigen Tests zu unterziehen, um herauszufinden, was das für eine Gabe ist, die sie besitzt.“
Darius schnaubte. „Warum hast du es nicht einfach vorausgesagt?“
„Meister. Dieser Mann war wieder hier und begehrte, Euch zu sprechen.“, zischte die raue Stimme des Gargoyles, als Alefes den Raum verließ.
„Blair? Was wollte er?“
„Es schien wichtig zu sein, doch ich habe Euren Befehl befolgt und ihn nicht eingelassen, Meister.“
Er tätschelte dem Monster seinen eiskalten Kopf mit den kreisrund geschwungenen Hörnern. Was für ein nützliches Haustier. „Ich erwarte ihn zum Nachtmahl. Es wäre empfehlenswert für ihn, mich nicht allzu lange warten zu lassen.“, sagte Alefes, bevor er mit wehendem Umhang das Speisezimmer aufsuchte.
Kaum zehn Minuten später saß Blair von Donovon vor ihm. Er schwitzte und atmete schwer. Offenbar war er schnell gelaufen. Oder lag es an den vielen Treppen und verwinkelten Gängen der Burg, an die ein Mensch sich nur schwer gewöhnte, dass er erschöpft war. „Bringt ihm einen Teller und einen Becher Wein.“, befahl Alefes und die Bediensteten setzten sich ohne Verzug in Bewegung. „Was auf der Welt kann so wichtig sein, dass du mich mitten in der Nacht bei meinen Studien störst?“
Der Ritter vermochte Alefes‘ Tonfall nicht zu deuten. Er hätte amüsiert oder auch verärgert sein können. Oder gleichgültig. Vor ihm tauchten ein großer Silberteller und ein Kelch auf, den ein Dienstmädchen mit Wein füllte. Die Speisen dufteten köstlich und sein Magen knurrte, doch er wusste, er durfte nichts nehmen, bevor er nicht dazu aufgefordert wurde.
„Du siehst müde aus, Blair. Und du stinkst. Kein Zustand für einen Mann deiner Stellung.“
Blair biss die Zähne zusammen und überging die Beleidigung. „Meister, es gibt wichtige Neuigkeiten aus Seynako.“
„Etwas, das ich noch nicht weiß?“
„Davon gehe ich aus, Herr. Habt Ihr jemals von der Prophezeiung gehört?“
Alefes schüttelte desinteressiert den Kopf. „Du solltest dir etwas Besseres einfallen lassen, wenn du versuchst, mir den Appetit zu verderben.“ Prophezeiungen waren etwas für abergläubische Narren, passten also hervorragend ins Reich der Sonne.
„Das würde mir nie einfallen, Meister.“, beeilte sich Blair zu versichern, während er die Worte abwog, mit denen er zu beginnen gedachte. Er atmete den Duft der frisch zubereiteten Köstlichkeiten ein, die vor ihm auf dem Tisch standen und ihm das Denken auf diese Weise nicht erleichterten. „Ein Seher aus Seynako hat vor dreizehn Jahren prophezeit, dass ein Übel das Land heimsuchen wird. Eine gesichtslose Gefahr, der Schwerter nichts anhaben können. Und er hat ein Mädchen zur Retterin des Landes erhoben, das eine geheime Waffe besitzen soll.“
Alefes genoss den lieblichen Wein auf seiner Zunge. Der Winzer, von dem er stammte, hatte schon lange das Zeitliche gesegnet, so alt war das Getränk. Er schätzte den Geschmack von Vergänglichkeit und das Gefühl, wie sie Schluck für Schluck durch seine Kehle rann. Der Halbgott ließ sich nachschenken und Blair, der ihn die ganze Zeit prüfend beobachtete, um die Heftigkeit seiner Reaktion abzuwägen, bezweifelte langsam, dass er ihm zuhörte. „Meister, habt Ihr mich verstanden?“
„Woher hast du diese Information, Blair?“
„Kennan hat es mir berichtet.“
„Tatsächlich. Und wie hat er davon erfahren?“
Ratlos schwieg er.
„Ich werde mir die Mühe machen, es dir zu erklären, mein Freund.“, sagte Alefes. „Wie du dir denken kannst, beobachte ich Seynako schon seit Jahrzehnten. Ich habe Späher. Raben, die mir Bericht über jede halbwegs interessante Begebenheit erstatten, die sich im Süden abspielt. Von dieser lächerlichen Prophezeiung wusste ich bereits, als das Mädchen, von dem du sprichst, noch in ihr Bett genässt hat. Kennan hat vor kurzem davon erfahren, weil er für mich einen Käfig mit Raben von einem Züchter holen sollte. Diese Leute sind nicht besser als ihre Vögel. Schwatzhaft, gierig und vorlaut.“
Es gab nur sehr wenige Züchter in Peiramos, weil dieser Beruf die Gabe voraussetzte, mit den Raben zu kommunizieren. Sie mussten sie aufziehen, die begabtesten unter ihnen abrichten und sie zum Gehorsam gegenüber Alefes, ihrem künftigen Herrn, erziehen. Eine Aufgabe, die kein normaler Mensch hätte erfüllen können. Blair hatte nie verstanden, wie es möglich sein konnte, mit einem Tier zu sprechen. Dennoch schien es wenige zu geben, denen diese Begabung angeboren war.
„Kennan hat aufgeschnappt, was die Raben sich untereinander erzählen. Eine unbedeutende Einzelheit ist ihm aber entgangen.“ Alefes nahm einen ausgedehnten Schluck Wein, bevor er seine letzte Karte ausspielte. „Das Mädchen ist bereits auf Schloss Cian, in Gesellschaft des Königs und des armseligen Sehers, dessen Erfindung die Prophezeiung ist.“
Blair hielt den Atem an. Er hatte sich nicht nur bloßgestellt, indem er etwas vermeintlich Neues hatte berichten wollen. Er hatte Alefes belästigt, obwohl er wusste, dass er niemanden empfing, wenn er sich hinter die bewachte Tür am Ende des Geheimganges zurückzog. Er hatte ihm die Zeit gestohlen – obwohl es natürlich nicht seine Schuld war und der Halbgott im Gegensatz zu ihm selbst nicht an der Vergänglichkeit des Fleisches krankte.
Der Clan war zu Alefes’ Marionettentheater geworden, das er einsetzte, um sich nicht mit seinem Volk befassen zu müssen. Er verbrachte Jahr ein, Jahr aus damit, den Angriff auf Seynako vorzubereiten und einige der Ritter begannen hinter vorgehaltener Hand daran zu zweifeln, dass er den großen Feldzug je in die Tat umsetzen würde.
Alefes betrachtete den Ritter und schüttelte geringschätzig den Kopf. Egal, ob einer arm oder reich war, Lumpen oder eine Rüstung trug, es veränderte nicht seine menschliche und damit bemitleidenswerte Veranlagung, dem Stärkeren in den Hintern zu kriechen. Die Unterwürfigkeit derer, die ihn umgaben, langweilte ihn. Er sehnte sich nach einem ebenbürtigen Gegner.
Plötzlich begannen Blairs Schläfen zu pochen. Als habe jemand das Blut in seinen Adern gegen siedendes Wasser ausgetauscht, brannten seine Eingeweide, unter seiner Haut floss Lava und seine Augen verwehrten ihm die Sicht auf den währenddessen vollkommen unbeeindruckt speisenden Halbgott. „Meister…“, röchelte er.
„Spar dir deine Worte, Blair.“
„Ich… wollte nicht… vergebt…“ Eine unsichtbare Klaue schloss sich um seine Kehle und erstickte jeden weiteren Laut. Er hätte schreien mögen vor Schmerz, doch selbst diese winzige Erleichterung verwehrte ihm Alefes. Seine Sinne versagten, er war allein mit sich und dem Brennen, bis sein Meister zu der Ansicht gelangt war, er sei nun angemessen für seine Unbedachtheit bestraft worden.
Sobald er wieder sehen konnte, gewahrte er, dass beide Teller vor ihm leergegessen waren. Und er war sicher, Alefes hatte sich dabei alle Zeit genommen, die ihm in seinem verfluchten, unauslöschlichen Leben zur Verfügung stand.