Читать книгу Glutheiße Küsse/Verstohlene Leidenschaft - Shirlee Busbee - Страница 15
Оглавление7. KAPITEL
Trotz einiger kleiner Hindernisse ging der Umbau von Roxannes Haus zügig voran. Nur die wiederholten Einbrüche und Zerstörungen konnte sie einfach nicht begreifen. Es war schwer vorstellbar, warum Kinder, und Roxanne war wie der Sheriff davon überzeugt, dass heranwachsende Halbstarke die Täter waren, immer wieder alles zerstörten. Nachdem sie zu ihren Eltern gezogen war, hatte es drei weitere Einbrüche gegeben. Wände und Böden waren weiter aufgerissen worden, und selbst die alten Schränke und der Tresen waren in ihre Einzelteile zerlegt worden. Zwei Wochen nach Beginn der Bauarbeiten hatte dieser Vandalismus jedoch aufgehört. Ob der Deputy sich geirrt hatte? Er nahm an, es wären Kinder gewesen und schloss die Mitarbeiter der Baufirmen als Täter aus. Dabei arbeiteten mehrere Firmen gleichzeitig an dem Haus. Doch in ihrem tiefsten Inneren musste Roxanne zugeben, dass sich ihr Verdacht auf Milo Scott konzentrierte. Jebs diesbezügliche Andeutungen hatte sie beinahe automatisch beiseite geschoben. Was wusste dieser ungehobelte Kerl denn schon? Aber ihre eigenen Erfahrungen mit Scott und die Skepsis ihres Vaters, als sie erwähnte, dass Scott das Fundament ihres Hauses goss, nährten ihre Bedenken, ob es klug gewesen war, ihm den Auftrag zu geben. Noch beunruhigender war ihre wachsende Mutmaßung, ob er nicht doch hinter diesem Vandalismus steckte. Am ersten Tag der Bauarbeiten hatten sie Sam Tindale gegenüber ihre Befürchtungen geäußert, ohne allerdings ihren Verdacht die Einbrüche betreffend auszusprechen. Tindale hatte jedoch für die Firma »Scott-Bau« gebürgt.
»Ich weiß, dass er einen schlechten Ruf hat«, hatte Sam ernst erwidert. »Aber glauben Sie mir, ich habe auf anderen Baustellen mit ihm zusammengearbeitet. Scott ist zumindest in dieser Hinsicht verlässlich und arbeitet tadellos.«
Wenn Tindale Scott vertraute, wollte Roxanne ihm ebenfalls trauen. Was Zement betraf. Und als es mit dem Fundament losging, musste sie zugeben, dass Scott und seine Leute sehr professionell vorgingen. Nachdem sie einige Tage beobachtet hatte, wie Scott seine Männer beaufsichtigte, war deutlich geworden, dass er viel von Beton verstand. Doch Roxanne schoss durch den Kopf, auf welche Art und Weise er sich dieses Wissen angeeignet haben könnte. Zum Beispiel, indem er Betonstiefel für die Opfer der Drogenmafia herstellte, oder Leichen darin verschwinden ließ. Vielleicht, dachte sie, ist es gar nicht so gut, dass er so gut mit Beton umzugehen weiß.
Allmählich wurden die Tage kürzer, der September verstrich, der Oktober kam und wurde vom November abgelöst. Roxanne verfolgte mit wachsender Faszination den Wetterbericht. Es hatte einige Schauer gegeben und auch einige verregnete Tage, doch von starken Stürmen waren sie bisher verschont geblieben. Ihr war jedoch klar, dass früher oder später die Regengüsse auf sie niederprasseln würden.
Vorläufig jedoch spielte das Wetter mit. Ende November stand der Rohbau des Hauses, verhüllt von schützenden Planen, und das neue, dunkelgrüne Zinkdach war ebenfalls fertig. Selbst die Schieferterrassen vor und hinter dem Haus waren verlegt, und auch der Vorraum mit der Waschküche war fertig. So wurde wenigstens verhindert, dass alle den Schlamm ins Haus schleppten, den der Dezember mit Sicherheit bringen würde.
Die zweite Dezemberwoche brach an, und mit ihr fegte der erste ernsthafte Wintersturm heran. Die Vorhersagen hatten zwei oder drei Regentage prophezeit, doch das beunruhigte Roxanne nicht mehr. Es gab noch viel zu tun, aber bis auf die Anlage des Gartens und einige kleinere Außenarbeiten hatte jetzt der Innenausbau des Hauses höchste Priorität. Über die neue Scheune, das neue Brunnenhaus und die Garage konnte sie sich noch im Frühling genügend Gedanken machen.
Am Dienstagmorgen parkte sie ihren Wagen auf dem mit frischem Schotter bestreuten Parkplatz, stellte den Motor ab und betrachtete durch die grauen Regenschleier ihr neues Haus. Von hier aus wirkte es echt gelungen. Die sanft ansteigenden Hügel im Westen machten Sonnenkollektoren auf der Frontseite des Daches überflüssig. Was Roxanne freute. Wenn sie die Augen etwas zusammenkniff und die Kollektoren auf der Südseite ignorierte, bekam ihr Haus ein altersloses Aussehen. Das steinerne Fundament und die altmodischen Doppelfenster verliehen dem Haus zusammen mit dem steilen Dach das Flair eines alpinen Chalets. Genau darauf hatte sie abgezielt. Ein hübscher, mit Steinen ausgelegter Fußweg, der von grauen, blassgrünen, rotbraunen und weißen Felsbrocken gesäumt war, schlängelte sich zu der breiten Terrasse an der Vorderseite des Hauses. Einige unregelmäßig geformte Blumenbeete fassten den Fußweg ein, und davor waren einige immergrüne Büsche gepflanzt worden, damit die Front nicht so roh und unfertig wirkte. Roxanne hatte im Herbst stundenlang Pflanzenkataloge gewälzt und Anfang November die Beete mit Zwiebeln von Narzissen, Hyazinthen und Tulpen gespickt. Sie wartete ungeduldig auf den Frühling, damit sie die Früchte ihrer Arbeit bewundern konnte.
Von ihrem Standort aus fügte sich das Haus ganz natürlich in die Landschaft ein. Niemand würde auf die Idee kommen, dass es nur eine leere, hallende Hülle war, in deren Räumen man die Balken sehen konnte, und deren Böden aus einfachem Sperrholz bestanden. Ganz allmählich nahm es jedoch Gestalt an. Die Elektriker und Installateure würden bald fertig sein. Die Küchenschränke sollten Ende der Woche geliefert werden, danach wurde der geflieste Tresen aufgestellt, und die Elektrogeräte kamen, sobald der Boden verlegt war.
Der Gedanke, dass sie bald eine richtige Küche haben würde, entlockte Roxanne trotz des Regens ein Lächeln. Beschwingt ging sie zur Haustür, eine große, braune Papiertüte mit Lebensmitteln in den Armen. Es war erst halb acht morgens, aber sie konnte sich einfach nicht von ihrem Haus fern halten. Sie schloss die schwere Holztür auf, öffnete den einen der beiden Flügel und trat ein. Bevor sie am Abend zuvor gegangen war, hatte sie den Kamin hinter der Sicherheitsscheibe mit viel Holz gefüllt und angezündet. Sowie die Heizung auf kleinster Stufe eingeschaltet war, empfing sie jetzt eine wohlige Wärme in der dämmrigen Eingangshalle. Der Duft von frischem Holz und Farbe stieg ihr in die Nase. Sie sog die Luft tief ein. Sie liebte sogar den Geruch dieses Hauses! Rasch durchquerte sie den Flur und ging zum anderen Ende des Kaminzimmers. Das gedämpfte Licht, das durch die beiden Glasschiebetüren am hinteren Ende und die Bogenfenster über den Türen in das Zimmer fiel, spendete gerade genug Helligkeit. Sie stocherte in dem neuen Kamin, umrahmt von Bronze und Messing, herum und legte einen Arm voll Holzscheite nach. Dann beobachtete sie, wie die Flammen die Scheite emporzüngelten. Der Kamin lag in einer Ecke des saalartigen Raumes. Sein Abzug und die Wand dahinter war mit sorgfältig ausgewählten Flusskieseln verkleidet worden. Der Kamin war ein echter Blickfang und sah genau so aus, wie sie ihn sich vorgestellt hatte.
Als das Feuer zu ihrer Zufriedenheit brannte, ging sie summend durch das Esszimmer, das zurzeit noch kahl und leer war, zur Küche auf der Rückseite des Hauses. Dort hatte sie einen provisorischen Tresen errichtet, auf dem sich eine Kochplatte und eine Kaffeemaschine befanden. Daneben stand der Kühlschrank. Ein kleiner Generator erzeugte genügend Strom für die wenigen Elektrogeräte. Kurz darauf brodelte die Kaffeemaschine. Roxanne packte die braune Papiertüte aus, räumte die Lebensmittel in den Kühlschrank, und den Rest ihres Einkaufs stellte sie neben die Kaffeemaschine. Das Aroma des Kaffees vermischte sich mit den anderen Gerüchen des Hauses. Es war einfach perfekt. Für Roxanne war es das beste Parfum der Welt: frisch gebrühter Kaffee und der Duft frisch gesägten Holzes.
Einige Minuten später hängte sie ihre Regenjacke an den Haken im Vorraum. Der und die Waschküche waren bis auf den Boden und einige Wasser- und Elektroinstallationen beinahe fertig. Mit einem Becher Kaffee in der Hand schlenderte Roxanne durch das Haus und stellte sich vor, wie es aussehen würde, wenn es endlich fertig war. Es hatte sie verblüfft, wie schnell der Rohbau errichtet worden war. Deshalb hatte sie den Warnungen ihres Bauleiters Theo Draper zunächst nicht glauben mögen, der gemeint hatte, der Innenausbau würde nicht so rasch fortschreiten. Leider hatte er Recht gehabt. Woher hätte Roxanne auch wissen sollen, dass es so viel Zeit kostete, elektrische Leitungen, Heizung, Wasserleitungen, Isolierungen und Felsverkleidungen zu verlegen? Dabei waren die Anschlüsse, die Putz- und Streicharbeiten und die Täfelungen nicht einmal mitgerechnet, ganz zu schweigen von den Lichtschaltern und Küchen- und Badezimmerarmaturen. Oder gar die Teppiche und die Bodenbeläge. Manchmal fürchtete sie, das Haus würde niemals fertig werden.
Heute war sie jedoch nicht verzagt, obwohl es ständig passieren konnte, dass sich etwas verzögerte oder jemand den Zeitplan nicht einhielt. Doch Roxanne wollte sich jetzt nicht den Kopf darüber zerbrechen und ging mit dem Kaffeebecher in der Hand zum anderen Ende des Hauses.
Durch die geschwungenen Fenster und die Glasschiebetüren drang gedämpftes Licht in den breiten Flur, der zu ihrem Schlafzimmer führte. Sie blieb stehen und bewunderte die nebelverhangenen Berge am anderen Ende des Tales. Dann ging sie an den Eingängen zu den Gästeapartments vorbei und blieb vor dem zu ihrer Zimmerflucht stehen.
Roxanne stieß die breite, mit Schnitzereien verzierte Eichentür auf und seufzte vor Behagen. Der Rest des Hauses mochte sich noch im Bau befinden, aber diese Suite war fertig.
Es war ein großes Zimmer, Schlaf- und Wohnraum in einem. Davon gingen zwei Türen ab. Die eine führte in ein schönes Badezimmer, die andere zu einem geräumigen begehbaren Kleiderschrank. Trotz des verhangenen Himmels war es hell in dem Raum. Die Wand nach Osten mit Blick auf das Gebirge war vollkommen verglast. Zwei Glasschiebetüren fügten sich in die Reihe der zimmerhohen Fenster ein. Dunkelrote Brokatvorhänge umrahmten sie. Roxanne lächelte. Vermutlich war das reine Verschwendung, denn sie würde sie wohl nie vorziehen. Ein glänzender, dunkelblau emaillierter Kamin stand an der gegenüberliegenden Wand. Die Esse und die Rückseite waren mit großen, hellrosa Kacheln ausgelegt. Die offene Decke ließ den Blick auf die hohen Dachbalken frei. Ihr Holz bildete einen hinreißenden Kontrast zu dem sanften Weiß, das sie für die Wände ausgesucht hatte. Beim Bodenbelag hatte sie sich schwer getan, bis sie schließlich Theo Drapers Rat gefolgt war und sich für einen Laminatboden in Eichenoptik entschieden hatte.
Sie hatte ihre Räume unbedingt beziehen wollen, und da noch keine Elektrizität verlegt war, begnügte sie sich mit einem kleinen Generator und einer gasbetriebenen Warmwassertherme. Sie schaltete den Generator an und drückte auf den Lichtschalter. Die Lampenschienen an den Wänden flammten auf, und ein zweiter Schalter aktivierte die beiden geschmackvollen Lampen aus Chrom und Glas in der Mitte der Decke. Roxanne lauschte einen Moment dem leisen Tuckern des Generators in seiner geräuschdämmenden Verschalung, die den Lärm beinah völlig schluckte. Lächelnd genoss Roxanne die Helligkeit und die Ruhe.
Sie ging an den gestapelten Kisten und dem zusammengerollten Teppich in der Mitte des Zimmers vorbei ins Bad. Sie drehte den Hahn auf und sah erfreut, wie das heiße Wasser heraussprudelte. Als sie die Toilettenspülung betätigte, musste sie lachen, weil der Anblick des rauschenden Wassers sie so entzückte. Wer hätte gedacht, dass der Anblick einer funktionierenden Toilette sie einmal so erfreuen würde? Oder das Wasser, das aus dem halben Dutzend Düsen der mit blassblauen, mandelfarbenen und rosa Glasfliesen verkleideten Duschkabine zischte. Das waren die einfachen Vergnügen des Landlebens.
Als sie einen Wagen kommen hörte, beendete sie ihre Inspektion, löschte das Licht, schaltete den Generator aus und ging rasch in das Kaminzimmer zurück.
Sie hörte, wie jemand eintrat und in der Eingangshalle mit den Füßen stampfte. Sie lächelte, als ein paar Sekunden später Theo Draper, ihr Bauleiter, hereinkam. Überrascht blieb er stehen und schüttelte den Kopf.
»Ich war mir sicher, dass ich dir bei diesem ekligen Wetter zuvorkommen würde.« Seine Stimme klang angenehm sonor. Dann schnupperte er. »Und der Kaffee ist auch schon fertig.«
Roxanne mochte Theo. Er machte zwar ein Geheimnis aus seinem Alter, doch sein dichtes weißes Haar und sein von der Sonne verwittertes Gesicht verrieten deutlich, dass er kein jugendlicher Spring-ins-Feld mehr war. Wohlwollende Schätzungen seines Alters beliefen sich auf fünfundsechzig, realistischere Zeitgenossen tippten eher auf achtzig. Draper war ein kleiner, ruhiger Mann mit einer drahtigen Figur. Er arbeitete schwer und war schier unermüdlich. Was Roxanne aus eigener, leidvoller Erfahrung bestätigen konnte. Sie hatte zugesehen, wie er Männer, die halb so alt waren wie er, in Grund und Boden geschuftet hatte, und ihr selbst war das mehr als einmal ebenfalls passiert. Am meisten beeindruckte sie, dass er am nächsten Tag, wenn sie noch müde umherschlich, bereits voller Tatendrang erneut an der Arbeit war. Und sie hatte ihn noch nie hektisch erlebt. Er arbeitete morgens wie abends mit derselben, stetigen Gelassenheit. Seit Beginn der Bauarbeiten war Roxanne beinahe jeden Tag auf der Baustelle gewesen und hatte sich mit Theo über die Monate angefreundet. Seine Frau Jan war vor fünf Jahren verstorben. Sie stammte aus dem Tal und war eine Verwandte der Mc-Guires. Es hatte Roxanne überrascht, wie gut sich Theo in Oak Valley auskannte. »Wir hatten sogar vor, uns hier zur Ruhe zu setzen«, erklärte er ihr einmal traurig: »Doch dann ist Jan gestorben, und mir fehlte der Antrieb zu diesem Schritt. Trotzdem besitze ich das Grundstück noch. Wer weiß, vielleicht habe ich es eines Tages satt, in Ukiah zu leben, baue mir hier ein Haus und ziehe ins Tal. Ich fühle mich in Oak Valley ebenso zu Hause wie in der Stadt. Jans Verwandte bestürmen mich schon lange, endlich herzuziehen.«
Roxanne deutete in die Küche. »Dahinten wartet ein Becher mit frischem Kaffee auf dich. Ich habe sogar gestern Abend bei meinen Eltern noch Zimtbrötchen gebacken.«
Seine Augen funkelten. »Du weißt ja, dass du mich für jeden anderen Job verdirbst«, meinte er, während er zur Küche steuerte. »Nachdem ich für dich gearbeitet habe, erwarte ich in Zukunft ganz selbstverständlich, mit Kaffee und Zimtbrötchen versorgt zu werden.« Er schüttelte den Kopf, aber seine Augen strahlten. »Meine Leute auch, das ist das eigentliche Problem.«
»Das Leben kann elend hart sein«, alberte Roxanne, während sie ihm folgte. »Nimm es wie ein Mann.«
Theo schenkte sich einen Becher Kaffee ein, nahm ein Zimtbrötchen und biss herzhaft hinein. Dann schloss er genüsslich die Augen und kaute. Nachdem er den Bissen heruntergeschluckt hatte, lächelte er. »Ja, Madam«, sagte er. »Ich glaube, in meinem nächsten Vertrag werde ich mir diese Aufmerksamkeiten garantieren lassen, sonst muss ich den Auftrag leider ablehnen.«
Die anderen Männer trafen ein, und kurz darauf drängten sich ein halbes Dutzend Arbeiter in der Küche. Zehn Minuten später war der Teller mit den zwei Dutzend Zimtbrötchen ratzekahl leer gegessen, eine zweite Kanne Kaffee war ausgetrunken worden, und die Männer hatten sich an die Arbeit gemacht. Roxanne war in ihrem Schlafzimmer verschwunden.
Sie verbrachte den Morgen damit, die Kartons auszupacken und den Teppich auszurollen. Zuerst räumte sie Kleidungsstücke, Handtücher, Laken und Decken ein und stellte die Toilettenartikel ins Badezimmer. Die leeren Kartons stapelte sie zusammengeklappt im Flur und verlegte dann den Teppich. Es war ein wertvoller Orientteppich mit einem Muster aus warmen, dezenten Farben. Roxanne spreizte ihre nackten Zehen auf dem dichten, beinah samtigen Material, und sah sich in dem Raum um. Wie würde er möbliert wirken? Die Einrichtung des Schlafzimmers wurde Ende der Woche geliefert, nur die Matratze und der Lattenrost sollten bereits heute Nachmittag eintreffen. Sie schaute hinaus in den Regen und seufzte. Allerdings hatte sie diesen Termin vor dem Sturm vereinbart. Falls sich die Lieferung verzögerte, musste sie eine weitere Nacht bei ihren Eltern verbringen. Das würde sie nicht umbringen.
Roxanne liebte ihre Eltern und war ihnen auch für ihre großzügige Gastfreundschaft dankbar, aber es war schon lange her, dass sie mit jemandem zusammengewohnt hatte oder bei ihren Plänen Rücksicht auf andere Leute hatte nehmen müssen. Ihre Eltern waren weder neugierig noch mischten sie sich in ihr Leben ein. Jedenfalls nicht sehr. Sie stellten auch keine übertriebenen Forderungen. Trotzdem fühlte sie sich manchmal wie ein Teenager und informierte ihre Eltern darüber, wo sie mit wem hinging und wann sie wieder zu Hause sein würde. Natürlich gebot es schon die Höflichkeit, sie über ihr Kommen und Gehen zu informieren, aber es fiel Roxanne schwer, nachdem sie so viele Jahren nur sich selbst hatte Rechenschaft ablegen müssen. Sie wollte endlich wieder eigene vier Wände um sich haben. Ein eigenes Leben in ihrem eigenen Zuhause führen zu können, besaß höchste Priorität für sie. Sie liebte ihre Eltern sehr. Trotzdem konnte sie es kaum erwarten, von ihnen wegzukommen. Und von Ilka. Roxanne seufzte. Sie und Ilka hatten Frieden geschlossen. Mehr oder weniger.
Nach der Diskussion neulich war das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern ein wenig schwieriger geworden, aber Helen hatte Recht behalten. Nachdem der Jahrestag der Tragödie verstrichen war, reagierte Ilka nicht mehr so empfindlich. Trotzdem ärgerte es Roxanne, dass ihre Schwester keinen Versuch unternahm, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie konnte nicht verstehen, wie Ilka damit zufrieden schien, bei ihren Eltern zu wohnen, so wundervoll die auch sein mochten. Natürlich hatte Roxanne ihren vorlauten Mund nicht halten können. Was geht es mich eigentlich an, wenn sich Ilka zu Hause verstecken will und so gereizt wie eine alte Jungfer wird?, dachte sie.
Es ging sie zwar nichts an, nichtsdestotrotz ging es ihr gegen den Strich. Ilka hatte so viele Vorzüge. Sie war klug, komisch, herzlich, liebevoll. Roxannes Miene wurde weich. Ilka war eine großartige Mutter gewesen. Nachdem Bram geboren worden war, war Roxanne nach Hause geflogen, um ihre Schwester und das Baby zu besuchen. Sie erinnerte sich noch sehr genau an Ilkas Gesichtsausdruck, mit dem sie ihren Sohn betrachtet hatte. Ilka hatte sich vielleicht Delmer gegenüber nicht durchsetzen können, doch niemand würde anzweifeln, dass Ilka ihre Kinder geliebt und alles für sie getan hatte. Roxanne erwartete ja nicht, dass Ilka sich nun aufmachte, heiratete und weitere Kinder zeugte. Obwohl Ilka die Rolle als Ehefrau und Mutter wie auf den Leib geschneidert war ... Roxanne wollte nur, dass ihre Schwester wieder anfing zu leben. Und sich endlich von ihren Eltern löste. Und sei es, indem sie Zwergschnauzer züchtete und mit ihnen zu Ausstellungen reiste, wie Sam es tat. Sie lächelte, als sie sich die Reaktion ihrer Eltern ausmalte. Sie liebten Tiere, aber Roxanne konnte sich nicht vorstellen, dass sie begeistert wären, wenn eine Rotte übermütiger, frecher Zwergschnauzer zwischen ihren Füßen herumtobte. Ihr Lächeln verflog, und ihr Blick verhärtete sich. Ganz gleich, ob es sie etwas anging oder nicht, sie würde Ilka aus ihrer Muschel herausschütteln.
Während Roxanne ihr Schlafzimmer aufräumte, dachte sie weiter über ihre Schwester nach. Sie hatte sie schon mehrmals eingeladen, sich die Fortschritte anzusehen, die der Hausbau machte. Insgeheim hatte sie gehofft, damit bei Ilka den Funken für den Wunsch nach einem eigenen Heim zu entzünden. Fehlanzeige. Roxanne hatte sich schließlich schweren Herzens dafür entschieden, zweimal mit Ilka nach San Francisco zu fahren. Dort hatten sie in Sausalito, auf der anderen Seite der Bucht, übernachtet. Roxanne hatte zwei Models, die sie kannte, eingeladen, mit ihnen zu essen. Charles Blackman war total von Ilka hingerissen gewesen. Doch die zeigte nicht das geringste Interesse an diesem charmanten, gut aussehenden und umworbenen Junggesellen. Der arme Charly, dachte Roxanne. Er hatte danach mehrmals versucht, sich mit Ilka zu treffen, aber sie hatte hartnäckig abgelehnt, höflich, aber bestimmt.
Bei ihrem nächsten Ausflug hatten sie in einem Luxushotel in San Francisco selbst übernachtet, und Roxanne hatte Ilka die Sehenswürdigkeiten gezeigt. Ilka machte alles mit, wirkte jedoch seltsam unbeteiligt. Ratlos hatte Roxanne ein Wochenende im Napa Valley vorgeschlagen. Ilka begleitete sie pflichtschuldigst, doch am glücklichsten schien sie auf der Heimfahrt gewesen zu sein.
Roxanne hatte nicht erwartet, dass eine dieser Unternehmungen Ilka aufrütteln würde. Sie versuchte nur, einen Zugang zu ihrer Schwester zu finden und sie besser zu verstehen. Es musste doch etwas geben, was Ilka mehr interessierte, als sich im Haus ihrer Eltern zu verstecken. Roxanne hatte gehofft, durch ihre Aktivitäten einen Funken in Ilka zu entzünden, etwas, was sie begeisterte. Doch das war nicht passiert. Ilka schien zufrieden damit, bei Mom und Dad zu wohnen und ihr Leben um das ihrer Eltern herum zu organisieren. Das machte Roxanne schier wahnsinnig, aber nun wusste sie auch nicht mehr weiter.
Ihr Magen knurrte und riss Roxanne aus ihren trüben Gedanken. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war lange nach Mittag, fast zwei. Sie musterte prüfend ihr Schlafzimmer und kam zu dem Schluss, dass sie momentan nicht mehr tun konnte.
Sie warf sich ihre Jacke über und ging zu Theo, der die letzten Felssteine im Kaminzimmer anbrachte. »Ich verschwinde für heute. Am Nachmittag kommen die Möbel. Die Packer sollen die Matratze und den Lattenrost in mein Schlafzimmer bringen. Die anderen Sachen können sie fürs Erste in einem der Gästezimmer abstellen.«
»Gemacht.« Theo sah sie fragend an. »Willst du tatsächlich heute hier übernachten?«
»Ja. Matratze hin oder her. Wenn es nicht anders geht, schlafe ich auf dem Boden. Noch eine Nacht zu Hause halte ich nicht mehr aus.«
Er lachte leise. »Du kennst ja das alte Sprichwort: Man kann nie wieder nach Hause zurück.«
Roxanne schüttelte den Kopf. »O nein, man kann sehr wohl nach Hause zurückkehren. Dafür bin ich der beste Beweis. Man kann nur nicht zu seinen Eltern zurückkehren.«
Sein Lachen klang ihr noch in den Ohren, als sie aus dem Haus trat und zu ihrem Jeep lief. Einige Minuten später parkte sie vor dem Blue Goose . Als sie damals das Tal verlassen hatte, hieß das Restaurant noch The Stone Inn und war ziemlich heruntergekommen. Vor etwa sechs Jahren hatten dann Hank O’Hara und seine Schwester Megan das Gasthaus gekauft und es renoviert. Jetzt servierten sie hier Frühstück und Lunch.
Roxanne stieg aus ihrem Jeep und sprintete durch den Wolkenbruch zur Eingangstür. Der Regen hatte ein paar Gäste mehr als sonst hereingespült, so dass das Restaurant gut besucht war. Roxanne hatte ein paar Fahrzeuge auf dem Parkplatz erkannt. Ihre Besitzer saßen an dem großen runden Tisch vor dem Kamin auf einer Seite des Gastraumes. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als ihr Blick den großen, dunkelhaarigen Mann zwischen den anderen streifte. Doch dann beruhigte sich ihr Herzschlag wieder. Es war Mingo Delaney, nicht Jeb. Zum Glück.
Bisher war es Roxanne erfolgreich gelungen, Jeb Delaney aus dem Weg zu gehen. Allerdings bezweifelte sie, dass es nur an ihr lag, dass sie sich seit diesem Morgen in ihrer Küche nicht mehr begegnet waren. Jeb hatte ganz bestimmt das Seine dazu beigetragen. Oak Valley und vor allem St. Galen’s waren zwar nicht besonders groß, aber da sie sich meistens auf ihrer Baustelle oder bei ihren Eltern aufhielt und Jeb häufig außerhalb des Tales zu tun hatte, war es nicht so schwierig, einen Bogen umeinanders zu machen. Trotzdem wusste sie nie, ob sich ihre Wege nicht doch kreuzten, und hatte sich angewöhnt, alle Fahrzeuge zu kontrollieren, bevor sie bei Heather-Mary-Marie’s oder in McGuire’s Market einkehrte, oder einen der anderen Orte aufsuchte, an dem sie Jeb antreffen könnte. Bis heute hatte sie Glück gehabt, aber Mingos Anblick hatte ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt.
Sie setzte sich an einen freien Tisch neben dem Fenster und winkte Mingo und Don Bean zu, der die Erdarbeiten an ihrem Haus erledigt hatte. Lästermaul Deegan grüßte sie ebenfalls. Er arbeitete manchmal für Don. Neben ihm saß Danny Haskell, der örtliche Deputy. Die drei anderen Männer am Tisch kannte sie ebenfalls. Monty Hicks gehörte zur Freiwilligen Feuerwehr. Der zweite war Hugh Nutter, ein pensionierter Holzfäller, der mit ihren Eltern befreundet war. Der letzte Mann in der Runde war schon an seiner obligatorischen Baseballkappe zu erkennen. Es war Hank O’Hara.
Als sich Roxanne setzte, sprang Hank auf, ein breites Lächeln auf seinem freundlichen, offenen Gesicht. »Bin schon unterwegs, Darling!«, rief er, schnappte sich eine Speisekarte und kam zu ihr an den Tisch.
Roxanne lächelte ihn an. »Meinetwegen brauchst du deine Freunde nicht im Stich zu lassen«, erklärte sie.
»Darling, wieso sollte ich wohl mit einer Bande zotiger Kerle herumhängen, wenn ich deine Gesellschaft genießen kann?«
Am Tisch dieser so geschimpften »zotigen Kerle« brandete Gelächter und Gejohle auf. Hank lachte. »Ignoriere sie einfach. Was darf ich dir an diesem kalten, regnerischen Tag bringen?«
»Was hast du denn Gutes anzubieten?«
Hank zupfte an seinem grauen Ziegenbart. »Megan hat eine wunderbare, würzige Kartoffelsuppe gekocht. Und einen herzhaften Eintopf mit jeder Menge Fleisch und Gemüse.«
»Die Suppe klingt wunderbar. Dazu hätte ich gern einen grünen Salat mit Knoblauch. Und einen Kaffee.«
Megan kam aus dem Hinterzimmer. Als Roxanne Hanks Schwester sah, winkte sie ihr durch die Glasscheibe zu, welche die Küche von dem Gastraum trennte. »Wie geht es dir?«
»Gut. Ich bin froh, dass es endlich regnet. Den haben wir dringend gebraucht.«
Megan nickte. Sie war einige Jahre jünger als ihr Bruder, klein und trug ihr blondes Haar kurz und ordentlich geschnitten. Sie musste um die vierzig sein. Hank, ein großer, schlanker Mann mit lachenden braunen Augen, hatte die sechzig bestimmt schon lange überschritten. Roxanne mochte die beiden. Sie führten das Blue Goose wirklich großartig. Das Essen war ausgezeichnet und die Einrichtung gemütlich.
Für die angenehme Atmosphäre und die wohlige Wärme sorgte ein schwarzer Kamin am Ende des Raumes. In dem Gastraum standen etwa zehn Tische verschiedener Größe und Formen, an denen etwa vierzig Gäste Platz fanden. Die Tische bestanden aus dicken Rotholzplatten, und auf dem Boden lag ein leuchtend blauer Teppich. Die Wände waren weiß gestrichen, und vor den Fenstern hingen weiße Vorhänge. Knapp unter der Decke lief eine Bordüre über die Tapete, auf der fette blaue Gänse marschierten. Und die Speisen standen dieser Einrichtung in nichts nach. Fand Roxanne wenigstens.
Ihr Essen kam, und sie achtete kaum auf das Lachen und die Spötteleien von dem runden Tisch, an dem Mingo und die anderen saßen. Während sie aß, schaute sie nachdrücklich nach draußen. Es schüttete wie aus Eimern, und der Himmel wurde zunehmend dunkler. Aber sie würde sich ihre Stimmung davon nicht verderben lassen. Heute würde sie in ihrem eigenen Haus übernachten, wenn nötig auf dem Boden, ungeachtet aller Einwände, die ihre Eltern sicher vorbringen würden. Hoffentlich versuchten sie nicht wieder, sie mit diesem Gesichtsausdruck zu erpressen. Damit signalisierten sie Roxanne, dass sie sich Sorgen machten, weil sie so ganz allein da draußen war. Und dass sie enttäuscht waren, weil sie nicht bei ihnen blieb. Falls sie es doch versuchten, würde sie hart bleiben. Ich werde nicht wie Ilka werden, nahm sich Roxanne fest vor.
Eine Wagentür schlug zu, und jemand trat vernehmlich seine Füße draußen auf der Gummimatte ab. Im nächsten Augenblick flog die Tür des Restaurants auf. Jeb Delaney stand im Rahmen. Der Regen tropfte von seinem schwarzen Cowboyhut, seine braune Fliegerlederjacke war dunkel vom Regen, und seine schwarzen Cowboystiefel schlammverschmiert. Der Raum schien plötzlich kleiner zu werden, als wäre Jeb überlebensgroß. Und er hatte den Sturm mit hineingebracht. Der Geruch von kühler Nässe und vom Winterwind überlagerte die Wärme des Kamins und den Duft der Speisen.
Roxanne erstarrte mitten in der Bewegung, und der Löffel mit Megans köstlicher Suppe schwebte vor ihren Lippen. Sie hatte nur Augen für Jeb. Er sah so attraktiv und so männlich aus, dass ihr Herz trotz aller Vorsätze schneller schlug. Trotzdem ist er ein arroganter, abscheulicher Dickschädel!, rief sie sich hastig ins Gedächtnis. Du magst ihn nicht, hast du das etwa vergessen? Und er mag dich nicht, klar? Alles klar, wir hassen uns ...
Aber warum fühle ich mich dann in seiner Gegenwart so lebendig? Und warum kann ich einfach nicht vergessen, wie großartig es war, mit ihm zu schlafen? Du hattest Sex mit ihm, na und? Das war ein Quickie, nichts weiter! Liebe bedarf des Respektes, der Bewunderung und der Zuneigung und ... und nichts davon empfindest du für ihn. Er ist ein Dummkopf. Ein herrischer Neandertaler. Die Art Mann, die du überhaupt nicht ertragen kannst! Vergiss das gefälligst nie!
Es war gut, dass sie sich das sagte, denn Jebs Blick fixierte sie wie eine Kompassnadel den Norden, und ihr dummes kleines Herz wäre ihr beinah aus dem Hals herausgehüpft. Sie wollte seinem Blick ausweichen, war jedoch wie gebannt. Als er mit seinem ausholenden Schritt und diesem wiegenden, sexy Gang auf sie zukam, klebte ihr Blick förmlich an seiner engen, schwarzen Jeans, die wie eine zweite Haut auf seinen muskulösen Schenkeln saß. Seine dunklen Augen in seinem markanten Gesicht waren starr auf sie gerichtet, und Roxanne wurde augenblicklich feucht zwischen den Beinen. O nein! Sie saß in der Falle! Etwas sehr Merkwürdiges ging hier vor.
Das ist Jeb Delaney, nicht mein Busenfreund, schalt sie sich. Du gehst diesem Kerl seit Monaten aus dem Weg. Weil du dich bei jeder Gelegenheit mit ihm streitest! Aber warum freue ich mich dann so, ihn zu sehen? Langeweile, dachte Roxanne verzweifelt. Ja, genau! Das ist es! Ich langweile mich. Und jetzt ist er da. Vor meiner Nase!
Jeb nickte Roxanne mit ausdrucksloser Miene zu und setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. Er nahm den Hut ab und legte ihn neben sich. »Tag.«
Roxanne war wütend über das Gefühlschaos, das er in ihr angerichtet hatte. Sie ließ den Löffel sinken und lächelte Jeb zuckersüß an. »Wieso kann ich mich bloß nicht daran erinnern, dich an meinen Tisch gebeten zu haben?«
Seine dunklen Augen schimmerten belustigt. »He, Prinzessin, warum bist du so frostig zu mir? Kann sich ein Junge nicht einfach zu einem hübschen Mädchen an den Tisch setzen und mit ihr plaudern?«
Sie schob kriegerisch ihr Kinn vor. »Ich war nie nur ›hübsch‹, und ein ›Mädchen‹ bin ich schon lange nicht mehr.«
»Da hast du Recht. Vermutlich bist du dem tatsächlich entwachsen.« Er sah sie fragend an. »Hast du dich deshalb zur Ruhe gesetzt? Weil dir zu viele jüngere, hübschere, oh, Verzeihung, schönere Frauen im Nacken sitzen?«
Roxanne wartete auf den unvermeidlichen Wutanfall, aber er kam nicht. »Ja«, erwiderte sie offen. Ihre friedliche Antwort überraschte ihn ebenso wie sie selbst. »Genau deshalb habe ich mich ausgeklinkt. Es wurde immer schwieriger, ganz oben zu bleiben. Irgendwann musste ich diesen Kampf sowieso verlieren. Da ich bis dahin einen guten Lauf gehabt habe, wollte ich abdanken, solange ich es noch mit Würde konnte.« Sie lächelte. »Es bekommt dem Ego besser, wenn man abdankt, bevor man gestürzt wird.«
Jeb musterte ihr entzückendes, ausdrucksvolles Gesicht, die vornehmen Wangenkochen, die Adleraugen, und ihre ungebärdige schwarze Haarmähne. Er hatte gewusst, dass sie im Blue Goose war. Er hatte ihren Jeep vor der Tür entdeckt. Statt wie vorgesehen nach Hause zu fahren, hatte er wie ein armer, liebeskranker Simpel angehalten und war hereingekommen, um sie zu suchen. Als er sie an ihrem Tisch sitzen sah, war etwas in ihm passiert. Er hatte plötzlich das Gefühl gehabt, als habe er endlich gefunden, was er sein Leben lang gesucht hatte. Er war weder besonders begeistert noch glücklich darüber. Vermutlich war es sehr klug von ihm gewesen, sich in den letzten Wochen von ihr fern zu halten. Diese Frau, dachte er grimmig, bedeutet nur Ärger. Warum sollte er Ärger suchen? Wieso hatte sie nicht einfach in New York bleiben können. Warum hatte sie ausgerechnet hierher kommen und sein geruhsames, nettes Leben durcheinander wirbeln müssen?
Doch sein Mund schien ein Eigenleben zu haben, denn er äußerte keinen dieser Gedanken laut. Stattdessen hörte sich Jeb zu seinem Entsetzen sagen: »Die müssen verrückt sein, dass sie dich gehen lassen. Du wirst mit sechzig immer noch hinreißender aussehen als jede beliebige Zwanzigjährige ...«
Seine Worte verwirrten Roxanne. Ihr Herz hämmerte wild, und sie betrachtete angelegentlich ihre Suppenschüssel. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte es ihr die Sprache verschlagen. Jeb Delaney fand sie hinreißend! Warum wurde ihr bei seinen Worten so verdammt heiß?
Jeb spielte derweil mit dem Gedanken, sich die Zunge herauszureißen. Er lief rot an und hatte das Gefühl, als würde sein Hemdkragen ihn strangulieren. Was hatte er ihr da für eine Waffe in die Hand gegeben? Sie würde ihm diese unbedachte Bemerkung bei jeder passenden Gelegenheit um die Ohren hauen. Warum hatte er überhaupt angehalten? Jeb holte tief Luft. Es gab durchaus einen Grund, Roxanne aufzusuchen. Und es war keineswegs so, dass er sich nach ihr sehnte. Das war nicht der Grund! Ganz bestimmt nicht!
Hank rettete die Situation. »Sieh an, wen der Sturm da hereingeweht hat.« Hanks braune Augen funkelten, als er an ihren Tisch trat.
Jeb murmelte eine lahme Erwiderung. Er wäre früher mit seiner Arbeit fertig geworden und wollte nach Hause, bevor das Wetter schlechter wurde.
»Das kann ich dir nicht verdenken«, erwiderte Hank. »Es zieht angeblich ein ziemlich heftiger Sturm auf. Wie sieht es denn auf der Straße aus?«
Jeb erholte sich langsam. »Es geht. An der Uferbank sind einige Steinschläge niedergegangen, aber es waren keine großen Brocken darunter. Doch wenn es dunkel wird ...«
Steinschläge bildeten eine ständige Gefahrenquelle auf der langen, kurvigen Straße nach Oak Valley. Und bei stürmischem Wetter vergrößerte sich das Risiko enorm. Der Regen weichte die Erde der Hügelböschung auf, und die Felsbrocken und Steine polterten daraus regelmäßig auf die Straße. Tagsüber war das nicht ganz so schlimm, aber nachts, wenn der Asphalt rutschig war und sich das Licht der Scheinwerfer darin spiegelte, konnte man schnell gegen einen Felsbrocken fahren. Meist waren es glücklicherweise nur kleine Steine, manchmal jedoch ...
»Weiß du noch damals, als nachts dieser Felsen von der Größe eines Volkswagens heruntergekommen ist?«, fragte Hank.
»Ja. Zum Glück ist er nur auf der Straße gelandet und nicht auf einem Wagen. Und niemand hat ihn gerammt. Das wäre schlimm geworden«, meinte Jeb.
Hank nickte zustimmend. » Was darf ich dir bringen?«, erkundigte er sich dann.
»Kaffee und ein Stück von Megans Walnusskuchen.«
Roxanne und Jeb schwiegen, während Hank Jebs Bestellung ausführte. Als Jebs Kaffee und ein dreistöckiges Stück Walnusskuchen vor ihm standen, hatte Roxanne ihre Fassung wieder gefunden.
Sie rührte mit dem Löffel in ihrer Suppenschüssel herum. »Danke für das Kompliment«, sagte sie leise. Sie riskierte einen Blick in sein Gesicht. »Das war doch ein Kompliment, stimmt’s?«
Jeb musste über ihre misstrauische Frage lächeln. »Ja, war es. Aber lass dir das nicht zu Kopf steigen. Mir fallen auch eine Menge weit weniger schmeichelhafter Dinge über dich ein.«
Roxanne lächelte, obwohl es eher aussah, als würde ein Hund seine Lefzen blecken. »Und mir über dich!«
Einen Moment lang aßen und tranken sie schweigend. Dann hielt Roxanne es nicht länger aus. »Warum bist du hier?«, fragte sie. »Sag nicht, dass du nur hereingekommen bist, um mir Komplimente zu machen.«
»Wie du willst. Dann eben nicht«, entgegnete Jeb gelassen. Er zögerte, trank einen Schluck Kaffee und schob lustlos ein Stück Kuchen auf dem Teller herum. Als er merkte, dass Roxanne kurz davor war, ihn zu treten, sah er sie an. »Es geht um Ilka.«