Читать книгу Glutheiße Küsse/Verstohlene Leidenschaft - Shirlee Busbee - Страница 16
Оглавление8. KAPITEL
Roxanne war verwirrt. Jeb und ... Ilka? Sie hatte ein ungutes Gefühl, wollte jedoch gar nicht wissen, warum sie seine Bemerkung bedrückte. »Ilka? Was ist mit ihr?«
Jeb lächelte ironisch. »Das wird dich sicher überraschen, aber Ilka und ich sind gute Freunde. Sie hält mich zufällig für einen netten Kerl und mag mich. Wir sind gern zusammen.«
»Es fällt mir schwer, das zu glauben.« Roxanne versuchte die eisige Klammer zu ignorieren, die sich plötzlich um ihr Herz zu legen schien. Wenn Jeb jetzt sagte, dass Ilka und er ein Liebespaar waren, würde sie auf der Stelle unter den Tisch rutschen. »Ich kann mir nicht vorstellen, was sie in dir sieht.«
»Vielleicht schätzt sie ja mein freundliches Wesen«, erwiderte Jeb gedehnt. Das Gespräch machte ihm plötzlich Spaß, und es gefiel ihm, Roxannes lebhaftes Mienenspiel zu beobachten, das Funkeln in ihren Augen, die Farbe in ihren Wangen. Ja. Er genoss es, Roxanne zu betrachten, das konnte er nicht abstreiten. Noch lieber allerdings, das musste er zugeben, wäre es ihm gewesen, ihr den überheblichen Ausdruck von den Lippen zu küssen.
»Freundlich? Das bezweifle ich. Jedenfalls habe ich noch nie eine Spur Freundlichkeit an dir entdecken können.« Sie war nicht ganz aufrichtig, das wusste sie. »Na gut«, meinte sie einschränkend. »Das stimmt nicht ganz. Es war freundlich, dass du Dawg und Boss adoptiert hast. Das zumindest spricht für dich.«
»Herzlichen Dank«, erwiderte Jeb trocken.
Roxanne spielte mit ihrem Suppenlöffel herum. »Weswegen wolltest du mit mir über Ilka reden?«
Jeb schaute auf seinen Kaffee. Seine Miene war traurig und gleichzeitig verärgert. Roxanne blieb beinahe das Herz stehen und sie schickte ein inniges Stoßgebet gen Himmel. Mein Gott, nicht! Lass ihn sich nicht schon wieder für das entschuldigen, was zwischen uns passiert ist. Und bitte, bitte, verhindere, dass er mir erzählt, er und Ilka lieben sich.
Jeb antwortete ohne den Blick von seiner Kaffeetasse zu heben. »Wusstest du, dass ich einer der ersten am Unfallort war, als Delmer seinen Pick-up gegen den Baum gefahren hatte?«
Roxanne fuhr zusammen. »Nein, das wusste ich nicht.« Sie schluckte. »Es muss schrecklich gewesen sein.«
»Das war es. Ich habe deswegen nach wie vor Albträume. Vor allem von dem Moment, als ich die beiden Babys gefunden habe ...« Er schüttelte sich und sah sie an. Seine dunklen Augen glühten finster. »Weißt du ...« Er sprach mit einer beinahe unheimlichen Ruhe weiter, die Roxanne erschreckte. »Ich bin ganz froh, dass Delmer auf der Stelle tot war. In Gedanken habe ich ihn ein Dutzend Mal mit bloßen Händen erwürgt. Ich rede mir gern ein, dass meine Ausbildung und mein Pflichtbewusstsein mich wahrscheinlich davon abgehalten hätten, ihm das Genick zu brechen, wenn er noch am Leben gewesen wäre, als ich das Wrack erreichte.«
Instinktiv legte Roxanne ihre Hand auf seine. Sie sahen sich an. »Du hättest dich richtig verhalten«, sagte sie leise und zuversichtlich. Sie lächelte wehmütig. »Leute wie du tun stets das Richtige.« Ihre Miene verfinsterte sich. »Wenn ich allerdings als Erste da gewesen wäre ...«
Er lächelte. »Ich weiß. In deinen Adern pulsiert dieses Gesetzlosen-Blut. Das hast du vom alten York Ballinger.«
Roxanne hob anzüglich ihre Braue. »Vergiss nicht, dass auch einige Liter davon in deinen Adern fließen. Stammt deine Mutter nicht von einer Verbindung der Ballingers und Grangers ab?«
»In diesem Tal lassen die Leute einen das nicht so schnell vergessen.«
»Wahrscheinlich.« Roxannes Blick fiel auf ihre Hand, die noch auf seiner lag. Sie wollte sie zurückziehen, doch Jeb erwischte sie und hielt sie fest. Eine Kraftprobe würde sie verlieren, also wehrte sie sich nicht. Jedenfalls redete sie sich das ein.
Und versuchte gleichzeitig, das angenehme Kribbeln zu unterdrücken, das seine warme Haut auf ihrer auslöste. »Also erzähl mir von dir und Ilka.«
Er seufzte. »In dieser tragischen Nacht habe ich sie aus dem Pick-up gezogen, kurz bevor er explodiert ist. Ich musste ihr die Nachricht überbringen, dass Bram und Ruby tot waren.« Er schaute zur Seite. »Der Krankenwagen war angekommen. Die Sanitäter versuchten, Ilka zu beruhigen und ihre Blutungen zu stoppen, aber sie wehrte sich und schrie nach ihren Kindern. Wir konnten sie nur unter Kontrolle bekommen, indem wir ihr die Wahrheit sagten. Sie waren tot.« Er schüttelte den Kopf. »Damals waren Sicherheitsgurte für Kinder auf dem Rücksitz noch keine Pflicht.« Er schluckte. »Sie sind durch die Fensterscheibe geflogen. Nach den beiden zu suchen, war das Schlimmste, was ich je im Leben tun musste. Ich werde es niemals vergessen. Nie.«
Seine Worte rührten Roxanne an. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass sich hinter dem großen, arroganten, harten und gut aussehenden Jeb Delaney weit mehr verbarg, als die meisten Leute glaubten. Er war wirklich warmherzig. Sie runzelte die Stirn. Zumindest, wenn er sich nicht gerade wie ein herrischer Trottel benahm.
Jeb trank einen Schluck Kaffee. »Jedenfalls haben die Ereignisse dieser Nacht eine Art Band zwischen uns geknüpft. Vermutlich lag das an der Dramatik und Tragödie des Geschehens. Ich habe Ilka mehrmals besucht, als sie sich im Krankenhaus erholte. Nachdem sie entlassen wurde, haben wir weiter Kontakt gehalten. Deine Mom hat mir verraten, dass Ilka bessere Laune zu haben schien, wenn ich da gewesen war. Außerdem war ich einer der wenigen Menschen, mit denen sie über den Unfall sprechen konnte.« Verlegen hielt er inne. »Irgendwie sind wir Freunde geworden. Gute Freunde. Ich betrachte Ilka sogar als einen meiner besten Freunde.«
Freunde. Das war gut. Freunde klang nicht so schlimm. Auch wenn Ilka sein bester »Freund« war. Selbst wenn die beiden Busenfreunde waren, wäre das noch erheblich besser, als wenn sie ein Liebespaar gewesen wären. Roxanne überlegte, warum es sie so interessierte, wie die Beziehung zwischen Jeb und Ilka aussah. Schließlich mochte sie Jeb Delaney doch gar nicht. Oder?
Sie räusperte sich. »Seitdem seid ihr beiden also gute Freunde, dicke Freunde, ja?«
Er nickte. »Deshalb unterhalten wir uns natürlich auch über viele Dinge.« Er kratzte sich das Kinn. »In letzter Zeit erzählt sie ständig von den Ausflügen, die ihr beiden unternommen habt ...«
Roxanne versteifte sich unmerklich. »Ach ja? Was hat sie dir erzählt?«
Jeb lächelte. »Vor allem, dass sie diese Wochenendtrips sehr genossen hat. Einschließlich der Verabredung mit diesem gut aussehenden Burschen, die du eingefädelt hast. Sie meinte, es macht ihr Spaß, ihre berühmte Schwester allmählich besser kennen zu lernen. Sie mag dich, und sie bewundert dich. Das . hat sie schon von klein auf getan.« Seine Augen glänzten. »Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, warum eigentlich.«
Roxanne sog vernehmlich die Luft ein, und Jeb lachte. »Sie glaubt, dass du erheblich mehr Tiefgang hast, als den meisten Menschen klar ist. In letzter Zeit allerdings spricht sie häufiger davon, dass sie hofft, du würdest bald jemanden anderen finden, den du retten kannst. Damit sie sich wieder entspannen und ihr normales Leben weiterführen kann.«
Roxanne fand es demütigend, Gegenstand von intimen Gesprächen zwischen Ilka und Jeb zu sein. Sie war verletzt und wütend und zog unvermittelt ihre Hand aus seiner zurück. »Ist das so?«, fragte sie frostig.
»Ich fürchte ja, Prinzessin«, antwortete er sanft.
»Hat sie dich etwa gebeten, mir das zu sagen?«, fauchte Roxanne. Ihre Augen funkelten vor Wut.
Jeb fühlte sich unbehaglich. Ihm dämmerte, dass er möglicherweise seinen Mund besser gehalten hätte. Vermutlich hatte er nicht nur Roxanne beleidigt, sondern wahrscheinlich würde auch Ilka fuchsteufelswild werden, wenn sie erfuhr, was er angestellt hatte. Ich hätte weiterfahren sollen, sagte er sich verdrossen. Ich hätte nicht anhalten sollen. Und ein privates Gespräch mit Ilka hätte ich schon gar nicht ausplaudern sollen. Jetzt stecke ich in der Klemme. Die beiden würden sich darum streiten, wer ihm den Skalp abziehen durfte. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Er wusste es doch besser.
Normalerweise war er kein Plappermaul und konnte Geheimnisse bewahren. Das hatte er schon zur Genüge bewiesen. Doch kaum hatte er Roxannes Jeep draußen parken sehen, hatte er nach dem erstbesten Vorwand gegriffen, der ihm erlaubte, sie zu sehen. Und nun stellte es sich als die gruseligste Mission heraus, auf die er sich jemals begeben hatte.
»Hat sie dich darum gebeten?«, wiederholte Roxanne.
»Nein«, gab er zu.
Roxanne lächelte böse. »Verstehe. Es war also deine eigene allwissende Entscheidung. Du hast dich nicht einmal vorher überzeugt, ob Ilka wollte, dass du deinen großen Mund aufreißt und mir das alles an den Kopf wirfst?«
»Ehm ... Nein.«
Roxanne stand hoheitsvoll auf. » Vielen Dank!«, zischte sie verächtlich. »Ich weiß das sehr zu schätzen. Und Ilka bestimmt auch. Ich kann kaum erwarten, ihr zu erzählen, wie freundlich du dich für sie eingesetzt hast.«
Als Roxanne an Jeb vorbeirauschte, traf es ihn wie ein eisiger Hauch. Er zuckte zusammen, als die Tür mit einem heftigen Knall hinter ihr zuschlug. Er klatschte sich vergrämt eine Hand vor die Stirn. Jetzt würden sich gleich zwei Frauen auf die Jagd nach seiner Haut machen. Zwei Ballinger-Frauen. Und er konnte es den beiden nicht einmal verübeln. Er war erledigt. Restlos erledigt.
Hank trat an seinen Tisch. »Ich nehme an«, sagte er trocken zu Jeb, »du bezahlst die Rechnung der Lady?«
Jeb hob den Kopf und sah ihn traurig an. »Ich denke schon.«
Hank setzte sich auf Roxannes Platz und schlug die Beine übereinander. »Liebeshändel?«
»Bist du verrückt? Roxanne und ich? He, ich würde mich eher mit einer Grizzlybärin samt neugeborenem Baby einlassen als mit diesem Ladykracher.«
Hank lachte. »Sie war ganz schön wütend, was? Einen Moment fürchtete ich schon, sie würde dir die Suppe über den Kopf kippen. Was hast du denn zu ihr gesagt?«
»Du weißt doch, dass ein Gentleman niemals über so etwas spricht, Hank.« Jeb wusste sowieso, dass er seinen Mund effektiv einmal zu oft aufgemacht hatte.
»Stimmt.« Hank stand auf. »Aber wer hätte denn je behauptet, du wärst ein Gentleman?«
Jeb lachte, stand auf, nahm seinen Kaffeebecher und ging zu dem Tisch, an dem Mingo und die anderen saßen. Sie begrüßten sich, und Jeb setzte sich mit dem Rücken zum Kamin. Die Hitze fühlte sich gut an, und der frische Kaffee, den Hank ihm einschenkte, schmeckte ausgezeichnet.
Er nahm die Frotzeleien der Jungs über Roxannes dramatischen Abgang gelassen hin, ebenso wie die spöttischen Bemerkungen, dass er sich überhaupt an ihren Tisch gesetzt hatte. Da zwei Männer aus der Gruppe an ihrem Haus arbeiteten, wendeten sich die Gespräche schließlich ihrer Baustelle zu.
Bis auf Hank waren alle am Tisch im Tal aufgewachsen. Don Bean hatte mit seinen schweren Maschinen die Erdarbeiten an Roxannes Baustelle beendet. Don war ein kräftiger Mann mit einer tonnenförmigen Brust, nur wenige Zentimeter kleiner als Jeb und zwei Jahre älter. Er trug eine verschlissene, fettverschmierte Jeans und ein gestreiftes, langärmliges Chambray-Hemd, hatte ein rundes, freundliches Gesicht, und seine hammerartigen Hände wiesen frische Narben und Schürfwunden auf. Sie verrieten, was er war. Ein schwer arbeitender und guter Kumpel.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass Roxanne tatsächlich da oben leben will«, erklärte Don. »Sicher, es wird ein großes Haus, ein schönes Haus, aber es ist kein richtiges Anwesen. Jedenfalls nicht so eine Villa, die man bei jemand Berühmtem eigentlich erwartet. Sie hat weder einen Weinkeller noch einen Swimming-Pool. Und keine Dienstbotenwohnung. Das Haus ist gar nicht so groß. Es ist ziemlich geräumig, klar, aber es ist keines von diesen übertriebenen Traumhäusern, die sich der so genannte Jet-Set ständig bauen lässt. Es gibt weder vergoldete Wasserhähne noch Marmorintarsien aus Italien oder solche Sachen. Es ist alles ganz hübsch, aber nichts Auffallendes.« Er lächelte. »Irgendwie hat mich das enttäuscht. Ich hatte eigentlich gehofft, einen Haufen halb nackter Models dort herumlaufen zu sehen, und dass all die anderen Dinge passierten, die ich aus den Magazinen kenne.« Er schüttelte den Kopf. »Und soll ich dir noch was sagen? Sie will nächstes Frühjahr sogar eine Scheune bauen, weil sie ein paar Pferde und Hühner halten möchte. Ehrlich, könnt ihr euch allen Ernstes vorstellen, wie Roxanne Hühner füttert, Eier sammelt und Pferdemist aufsammelt?«
Dons Worte rüttelten Jeb auf. Er hatte genau wie alle anderen erwartet, dass Roxanne sich eine Villa bauen würde, die mehr nach Beverly Hills als nach Oak Valley passen würde. Eine Scheune mit Pferden konnte er sich bei ihr schon vorstellen. Vorausgesetzt, sie beschäftigte einen Stallburschen, der die Drecksarbeit erledigte. Dann würde sie ab und zu in den Stall gehen, wenn ihr danach war, und ihr Pferd fertig geputzt und gesattelt vorfinden.
Aber Jeb hatte Schwierigkeiten, sich vorzustellen, wie sie die Hühner lockte, sie fütterte und dann die Eier aus den Nestern sammelte. Wenn er jedoch Don glaubte, hatte er sich geirrt. Er runzelte die Stirn. Hatte er sich womöglich noch in anderen Punkten geirrt, was Roxanne anging? Es irritierte ihn, dass er sich so sehr darauf konzentriert haben könnte, sie nicht zu mögen, dass er die wahre Roxanne gar nicht gesehen hatte.
Mingo lächelte und warf seinem Bruder einen wissenden Blick zu. »Ich kann mir vieles vorstellen, was sie tut, aber Hühnermist und Pferdeäpfel zu entsorgen gehört nicht dazu.«
Einige grinsten, und zwei Männer lachten, aber es hatte nichts Anzügliches oder Unfreundliches an sich. Das Tal war stolz auf Roxanne, und es gab nicht einen Mann am Tisch, der hingenommen hätte, wenn sie beleidigt worden wäre. Ein bisschen auf den Arm nehmen durfte man sie, sicher, aber nicht beleidigen. Ganz gleich, was sie von ihrem Lebensstil hielten. Roxanne war im Tal geboren und aufgewachsen, mehr gab es dazu nicht zu sagen. Das bedeutete allerdings nicht, dass sie nicht gern darüber spekulierten. Schließlich waren sie Männer.
»Das kann ich mir auch nicht denken«, meinte Don. »Ich erledige die Erdarbeiten für ihre Scheune, und Roxanne hat mich gebeten, im Frühling einige Teiche anzulegen und Wege aufzuschütten, damit sie auf ihrem Grundstück herumfahren kann.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte erwartet, dass jemand wie sie lieber irgendwo in Glanz und Gloria leben würde, in San Francisco zum Beispiel, oder in Marin County, vielleicht sogar in Sonoma County. Aber doch nicht in Oak Valley!« Seine blauen Augen sprühten Funken. »Sie erschüttert mein Bild von ihr, wenn sie hier wie ein ganz normaler Mensch lebt.«
»Das kannst du wohl sagen.« Monty Hicks Gesicht leuchtete vor Bewunderung. Er war noch neu im Tal. Vor sechs oder sieben Jahren hatte er einen Freund besucht, den er auf dem Junior College in Santa Rosa kennen gelernt hatte. Dabei hatte er sich in ein Mädchen aus dem Tal verliebt und war nie wieder weggezogen. Seit fünf Jahren war er mit Gloria Adams verheiratet, Vater zweier lebhafter Jungs und war herzlich im Tal aufgenommen worden. Eine Weile hatte er bei McGuire’s Market gejobbt und arbeitete seit vier Jahren bei Western Auto. Sie boten ihm bessere Arbeitszeiten und bessere Bezahlung. Er war zum Notfallsanitäter ausgebildet und in die Freiwillige Feuerwehr eingetreten. Mit seinen achtundzwanzig Jahren war er der Jüngste am Tisch, und sein blonder Stoppelschnitt und sein zierlicher Körperbau ließen ihn noch jünger wirken.
»Als sie das erste Mal ins Geschäft kam, glaubte ich, ich würde eine Halluzination erleben«, fuhr er fort. Seine Stimme klang genauso ehrfürchtig, wie seine Miene aussah. »Dann wurde mir klar, dass tatsächlich Roxanne leibhaftig vor mir stand, und ich hätte beinahe einen Herzschlag bekommen. Sie war echt nett, und benahm sich ganz normal.« Er wirkte reumütig. »Als ich abends Gloria ganz aufgeregt davon erzählt habe, hat die mich nur verständnislos angeguckt. Ihre ältere Schwester Sandy war mit Roxanne zur Schule gegangen. Für sie war das keine große Sache.« Er schüttelte den Kopf. »Für mich schon. Ich konnte einfach nicht darüber hinwegkommen, wie freundlich und natürlich sie sich gegeben hat.«
Jeb war ärgerlich. »Roxanne ist ein ganz normaler Mensch, Monty. Nur weil sie ein berühmtes Model ist, muss sie deshalb nicht anders sein als wir.«
»Nur gottverdammt viel hübscher«, mischte sich Lästermaul Deegan ein. Mit Hank und Hugh Nutter, der bereits seine siebzig überschritten hatte, war er der Älteste aus der Gruppe. Er war Ende fünfzig und für drei Dinge berühmt: Er schuftete schwer und nahm jeden Job an. Er konnte anscheinend keinen Satz bilden, ohne wenigstens eine Gotteslästerung darin unterzubringen. Und das dritte waren seine T-Shirts. Heute trug er ein schwarzes T-Shirt mit einer großen orangefarbenen Aufschrift: »Rette ein Pferd! Reite einen Cowboy!« Jetzt sah sich Lästermaul herausfordernd um, ob jemand ihm zu widersprechen wagte. Als alle nickten, fuhr er fort. »Und sie ist verteufelt viel netter als die meisten anderen Weiber in diesem verdammten Tal! Scheiße, ich habe für einige gearbeitet und würde lieber in der Hölle schmoren, bevor ich das noch mal mache. Roxy dagegen...« Sein wettergegerbtes Gesicht wurde weicher. Es war ein komischer Anblick, denn er trug einen grau melierten Vollbart, dessen Haare unter Strom zu stehen schienen und nach allen Richtungen abstanden. »Das eine sage ich euch: Sie ist eine verflucht nette Person. Als ich Don bei den Arbeiten auf ihrem Grundstück geholfen hatte und wir diese Hitzwelle hatten und höchstens noch ein verdammtes Grad davon entfernt waren, geröstet zu werden, da kam Roxy. Sie wagte sich in diese höllische Hitze heraus, lächelte ihr verteufelt süßes Lächeln und brachte uns gekühlten Eistee oder Cola oder Wasser. Eine nette Lady, eine verdammt nette Lady.« Er sah sich wütend um. »Und wenn ich rauskriege, welche gottverdammten Hundesöhne in ihr Haus eingebrochen sind und es auseinander genommen haben, stecke ich ihnen ihre dreckigen Nasen zwischen die Arschbacken. Ihr werdet schon sehen!«
»Auf meine Hilfe kannst du zählen«, knurrte Don. »Ihr hättet das Haus sehen sollen. Wir hatten am Montag die Arbeiten vorbereitet. Am nächsten Tag sahen wir, dass jemand eingebrochen war. Sie hatten die Wände aufgestemmt und sogar die Schränke von der Küchenwand gerissen.«
Jeb runzelte die Stirn. »Wann ist das passiert? Oder meint ihr diese Verwüstungen vom Sommer?«
Danny Haskell, der Deputy von St. Galen’s, mischte sich ein. »Nein, die letzten Einbrüche sind im September passiert.«
Jeb schaute Danny finster an. »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
Danny schien überrascht. »He, sie hat es nicht angezeigt, okay? Ich habe es von den Jungs hier gehört.« Neugierig fragte er: »Seit wann muss ich dir Bericht erstatten? Soweit ich weiß, bist du Detective. Raub und Vandalismus fallen in mein Ressort.«
Jeb zuckte mit den Schultern und warf Danny einen entschuldigenden Blick zu. »Tut mir Leid, du hast Recht. Manchmal vergesse ich, dass ich keine Uniform mehr trage.«
Zum Glück war Danny ein gutmütiger Junge. Jeb verbesserte sich sofort. Ein Junge ist er nicht mehr, dachte er. Immerhin hatte er mit Danny im September dessen fünfunddreißigsten Geburtstag gefeiert. Aber es fiel Jeb schwer, das nicht zu vergessen. Er war älter und kannte Danny noch als übermütigen, leichtsinnigen Teenager mit dem albernen Grinsen, als Jeb selbst schon Deputy gewesen war. Er schüttelte den Kopf. Manchmal fühlte er sich wirklich alt.
»Gab es seitdem wieder Ärger?« Er schaute Don und Lästermaul an.
»Nein«, erwiderte Don. »Theo war stinksauer deswegen. Nach den Vorfällen hat er einen seiner jüngeren Arbeiter in einem Campingwagen auf der Baustelle übernachten lassen. Die Einbrüche haben ihn echt wütend gemacht, aber da das Innere des Hauses ohnehin entkernt werden sollte, ist er drüber weggekommen. Er hat sich wohl Sorgen wegen der Geräte und Maschinen gemacht, die dort herumstanden. Und er wollte nicht, dass diese Halbstarken den Neubau beschädigen könnten. Danach gab es keinen Ärger mehr.«
»Gab es irgendwelche Schwierigkeiten mit Scott und seiner Baufirma?«, erkundigte sich Jeb.
Don grinste. Alle wussten, was Jeb von Scott hielt. »Ich sage es nicht gern, Jeb, aber er hat ordentliche Arbeit abgeliefert.« Spöttisch fügte er hinzu: »Er ist allerdings auch häufig aufgetaucht, nachdem der Job beendet war. Bis Theo ihm sagte, er solle gefälligst verschwinden, wenn er dort nichts mehr zu tun hätte.«
»Wann verhaftet ihr diesen Kerl eigentlich?«, meldete sich Hugh Nutter zu Wort. Er war ein kahlköpfiger Mann von etwa einssechzig, und beinahe ebenso breit wie hoch. Er stammte aus einer alten Familie im Tal und hatte im Holzgeschäft gearbeitet. Auch wenn er kein Vermögen angehäuft hatte, konnte er recht bequem von seiner Rente leben. Jetzt saß er oft im Blue Goose herum und im Sommer manchmal im The Burger Place schräg gegenüber. Falls er nicht der Gemeinde ehrenamtlich half. Seit seine sechs Kinder erwachsen und aus dem Haus waren, widmeten er und seine Frau Agnes sich den Aufgaben der Gemeinde. Er fixierte Jeb eindringlich. »Ihr könntet euch ruhig etwas mehr anstrengen, diesen Abschaum von den Straßen zu holen.«
Danny grinste Jeb unbekümmert an. Seine schwarzen Augen, die er von seiner indianischen Großmutter geerbt hatte, funkelten. »Ja, wann verhaftest du ihn endlich?«
Jeb schüttelte den Kopf. »Das ist nicht meine Zuständigkeit. Scott hat sehr gute Beziehungen nach ganz oben. Die Leute halten ihn offenbar an der langen Leine. Außerdem haben wir ihm niemals etwas anhängen können. Er hat es regelmäßig geschafft, sich herauszuwinden.«
Die Männer nickten, und das Gespräch wendete sich anderen Themen zu.
Einige Minuten später klappten Autotüren vor dem Restaurant und kündigten neue Gäste an. Hank schaute auf die Wanduhr und sprang auf. »Jetzt habt ihr Jungs mich abgelenkt! Wir sollten längst geschlossen haben.« Er rief Megan zu: »Tut mir Leid, Meggie! Wir bleiben heute ein bisschen länger geöffnet als gewöhnlich.«
Megan warf ihm einen genervten Blick zu. »Ich weiß«, meinte Hank schuldbewusst. »Ich schließe hinter ihnen sofort zu.«
Er empfing die beiden Neuankömmlinge an der Tür, wo sie den Regen von Jacken und Hüten schüttelten.
»Verdammt, ist das nass draußen!«, meinte Morgan Courtland.
»Das kannst du laut sagen«, erwiderte sein Zwillingsbruder Jason.
Hank begrüßte die beiden erfreut. Die Courtland-Zwillinge waren immer zu Scherzen aufgelegt. Er deutete auf die Uhr. »Tut mir Leid, Jungs, ihr kommt zu spät. Es ist schon nach zwei. Wir haben geschlossen.«
Morgan grinste und seine blauen Augen funkelten in seinem braun gebrannten Gesicht. Er deutete auf die Leuchtreklame im Fenster. »Das Ding sagt, ihr habt noch geöffnet.«
»Komm schon, Hank, sei nicht gemein«, fügte Jason lächelnd hinzu. Er schaute zu den Männern an dem großen Tisch. »Außerdem hockt das halbe Tal noch hier.« Dann schaute er zu Megan, die hinter dem Tresen vor dem großen, schwarzen Grillofen stand. »He, Megan, sprich du mit deinem Bruder. Er will uns rauswerfen.«
Megan lächelte. »Glaubt ihr wirklich, Hank würde euch beiden das antun?«
Sie schauten Hank unschuldig an, der laut lachte. »Nun geht schon, ihr beiden. Sagt Megan, was ihr essen wollt.« Während sie zum Tresen gingen und bestellten, schaltete Hank das »Geöffnet«-Schild aus, drehte das »Geschlossen«-Schild an der Tür um und schloss sie umständlich ab.
Die Männer an dem großen Tisch rückten für die Zwillinge zusammen. Nachdem sich alle mit lautem Hallo begrüßt hatten, schälten sie sich aus ihren Jacken, nahmen ihre Hüte ab und setzten sich vor ihren Kaffee, den Hank bereits aufgetischt hatte. »Ist das zu glauben, dass in zwei Wochen schon Weihnachten ist?«, fragte Jason. »Glaubt ihr, dass wir dieses Jahr Schnee bekommen?«
»Meine Kinder hoffen es jedenfalls«, erwiderte Monty. »Obwohl ich glaube, mein Jüngster versteht gar nicht, was all die Aufregung deswegen soll.«
Hugh lachte. »Warte bis zum nächsten Jahr. Dann ist er drei, richtig?« Als Monty nickte, fuhr Hugh fort. »Mein jüngster Enkel ist drei, und glaub mir, er weiß ganz genau, worum es da geht.«
Jasons smaragdgrüne Augen funkelten, als er Jeb anschaute. »Na ja, ich kenne jemanden, der dieses Jahr zu Weihnachten eine Gerte und einen Sack Kohlen bekommt, falls meine Kusine Roxy ein Wörtchen bei Santa Claus für ihn einlegen kann.«
Morgan lachte und hätte sich beinahe an seinem Kaffee verschluckt. Dann sah er Jeb an. »Was hast du ihr bloß an den Kopf geworfen? Sam und Ross sind auf Urlaub zu Hause, und wir sind vorbeigefahren, um Hallo zu sagen. Gerade als wir aufbrechen wollten, ist Roxy durch die Hintertür hereingestürmt. Sie hat förmlich Feuer gespuckt. Dein Name kam recht häufig vor, zusammen mit Schimpfwörtern, die ich in der Öffentlichkeit besser nicht wiederholen möchte.«
Für diese Bemerkung erntete er schallendes Gelächter.
»Tatsächlich? Jeb lächelte. »Ich kann mir nicht vorstellen, weshalb sie wütend über mich sein sollte. Jeder weiß, dass ich die Personifizierung eines Gentlemans bin.«
Mingo und Danny johlten, die Zwillinge grinsten, und Hank und die anderen bogen sich vor Lachen.
»Ihr hättet sie sehen sollen, als sie hier abgerauscht ist«, meinte Hank amüsiert. »Sie war wirklich sauer. Ich dachte schon, sie würde ihm die Suppe über den Kopf kippen. Und sie hat ihn mit ihrer Zeche sitzen lassen.«
»Was hast du getan?«, erkundigte sich Morgan. »Hast du ihr in den Hintern gekniffen? Oder ihr ein obszönes Angebot gemacht? Ich sage dir, Jeb, sie war echt stinksauer!«
Jeb mochte die Courtland-Zwillinge, was nicht weiter schwierig war. Sie waren charmant und liebenswürdig. Er wünschte nur, sie würden aufhören, von Roxanne zu reden. Die Courtlands waren mit den Ballingers verwandt und stammten aus einer alten Familie des Tales. Helen, Roxannes Mutter, war die älteste Schwester von Morgan und Jasons Vater. Ihr Großvater war Rinderzüchter gewesen, und die Familie besaß viel Ländereien im Tal. Ihr Vater Steve hatte Oak Valley als junger Mann verlassen und in Hollywood ein Vermögen gemacht. Er hatte sogar ein berühmtes Starlet geheiratet. Nachdem er eine Weile geschauspielert hatte, meist in kleineren Rollen, war er ein erfolgreicher Produzent geworden. Die Zwillinge waren in Hollywood aufgewachsen, hatten jedoch die Sommer und so viele Schulferien wie möglich bei ihren Großeltern im Tal verbracht. Als sie erwachsen wurden, hatten sie das glamouröse Leben ihrer Eltern in Hollywood verschmäht und waren ins Tal zurückgekehrt. Morgan besaß eine Immobilienfirma und handelte mit Versicherungen. Außerdem hielt er sich eine kleine Rinderherde auf dem Familienland. Jason hatte eine künstlerische Laufbahn eingeschlagen. Er war weltweit für seine kostbaren, handgearbeiteten Möbel bekannt. Es gab eine lange Liste mit eingeschworenen Courtland-Kunden, die bis zu zwei Jahre auf einen Tisch oder eine Kommode von ihm warteten. Die beiden waren sechsunddreißig, unverheiratet und neben Jeb und Mingo die begehrtesten Junggesellen im Tal.
»Sag es uns ruhig«, drängte Jason Jeb. Er konnte sich das Lachen kaum verkneifen. »Du kannst uns vertrauen. Das weißt du doch.«
Jeb sah ihn gelassen an. »Warum sollte ich das wohl tun?«
»Weil wir dich unbarmherzig verspotten und zu Tode hetzen werden, bis du es tust«, mischte sich Morgan ein.
Jeb grinste. » Glaubt ihr beiden wirklich, dass ihr das schafft?«, fragte er liebenswürdig.
Sie betrachteten ihn, bis Jason grinste. »Wahrscheinlich nicht«, gab er zu. »Aber es hörte sich doch gut an, oder?«
Hank stand auf. »Es ist lustig mit euch, Leute. Trotzdem sollte ich lieber Megan helfen, sonst muss ich heute in der Hundehütte nächtigen.«
Jeb nutzte die Gelegenheit. »Ich muss jetzt auch nach Hause. Wir sehen uns später, Jungs.«
Einige andere folgten Jebs Beispiel. Während er in seinem Pick-up saß und ihnen nachsah, wie sie im Regen verschwanden, spielte er mit dem Gedanken, zum Ballinger-Anwesen zu fahren. Er könnte versuchen, Roxanne davon abzubringen, Ilka von seiner Redseligkeit zu berichten. Er schüttelte den Kopf. Wie hatte er nur so indiskret sein können? Vermutlich musste er zu Kreuze kriechen, aber er glaubte nicht, dass er so schnell begnadigt werden würde. Vielleicht half es ja, wenn er sich bei Ilka entschuldigte. Doch je länger er darüber nachdachte, desto weniger gefiel ihm die Idee. Roxanne war wütend auf ihn, und Ilka würde es ebenfalls bald sein. Nein. Er würde die Sache auf sich beruhen lassen und in Zukunft klüger sein.
Beim Abendessen war Roxanne immer noch empört. Allerdings hatte sie nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass sie nichts gewinnen würde, wenn sie Ilka von Jebs Indiskretionen erzählte. Niemand mochte solchen Klatsch. Es fiel ihr zwar schwer, nichts zu sagen, aber sie war kein Unruhestifter. Wenn sie Ilka berichtete, dass ihr bester Freund geplappert hatte, würde das bestimmt Ärger stiften. Und zwar nicht nur zwischen Ilka und Jeb. Wahrscheinlich war Ilka auch wenig erbaut darüber, dass Roxanne Dinge erfahren hatte, die eigentlich privat hätten bleiben sollen.
Das Schlimmste war jedoch, dass Jebs Worte Roxanne Stoff zum Nachdenken gegeben hatten. Gut, vielleicht setzte sie Ilka ein bisschen zu sehr unter Druck und hatte in ihren Bemühungen, Ilka aus ihrem trägen Leben zu reißen, ein bisschen übertrieben. Verdrießlich stieg Roxanne die Treppe zum Speisezimmer hinunter. Dabei hatte sie doch nur helfen wollen. Sie wollte Ilka glücklich machen. Roxanne seufzte. Die große Schwester zu sein, dachte sie, ist längst nicht so einfach, wie ich dachte.
Zu allem Überfluss musste sie an diesem Abend am Esstisch auch noch Spott über sich ergehen lassen. Alle hatten erlebt, wie aufgebracht sie nach Hause gekommen war, und hatten auch die Verwünschungen mitbekommen, die sie Jeb an den Hals gewünscht hatte. Entsprechend stark war die allgemeine Neugier.
»Ich halte es nicht mehr länger aus. Womit hat Jeb dich so wütend gemacht?«, erkundigte sich Ross. Er saß ihr gegenüber. Er war nach Samantha, dem Nesthäkchen, der Jüngste der Familie. Seine Größe, sein dunkles Haar und seine bernsteinfarbenen Augen wiesen ihn eindeutig als Ballinger aus. Roxanne kannte ihn wie all ihre jüngeren Geschwister nicht besonders gut. Was sie jedoch bei ihren kurzen Besuchen zu Hause und den Telefonaten über ihn erfahren hatte, gefiel ihr.
Sie schob verlegen die Backkartoffel auf ihrem Teller herum. »Das ist privat. Und nicht für Kinderohren geeignet.«
Samantha und Ross sahen sich amüsiert an. »Komm , schon, Roxy«, ermunterte Sam sie. Ihre großen, amberfarbenen Augen funkelten. »Wir sind erwachsen. Mit dieser Kindernummer kommst du nicht mehr durch. Was hat Jeb dir getan?«
»Für mich bleibt ihr ewig meine Kinder«, mischte sich Mark ein und spießte einen Happen gekochten Schwertfisch mit der Gabel auf.
Alle vier stöhnten. »Das wissen wir!«, meinte Roxanne. »Wenn es nach euch ginge, würden wir nach wie vor zu Hause leben, und ihr würdet uns überall hinfahren, wohin wir auch wollten.«
Mark lachte. »Bedauerlicherweise stimmt das vermutlich sogar.«
»Allerdings«, fügte Ross hinzu. »Mom ist es weit besser gelungen, sich von uns abzunabeln als dir.« Er grinste Sam an. »Weißt du noch, wie wir nach Santa Rosa gezogen sind, um dort aufs College zu gehen? Man hätte meinen können, es hätte einen Todesfall in der Familie gegeben.«
»Als ich verkündet habe, dass ich heiraten wollte«, setzte Sam nach, »dachte ich, du würdest das CIA beauftragen, Mikes Vergangenheit zu durchleuchten.«
»Das hätte ich besser getan«, knurrte ihr Vater. »Denning taugte nichts.«
Sam lachte, aber es klang etwas gezwungen. »Hoppla, das war ein falsches Beispiel. Mein Ex-Ehemann ist tatsächlich ein Mistkerl. Trotzdem ...« Sie deutete mit dem Finger auf ihren Vater. »Selbst wenn es Mr. Perfekt gewesen wäre, wärst du unglücklich darüber gewesen, dass ich von zu Hause weggezogen bin.«
Mark warf seiner Frau Helen am anderen Ende des Tisches einen gequälten Blick zu. »Ich könnte ein bisschen Unterstützung gebrauchen, Darling. Sie rotten sich gegen mich zusammen.«
Helen schüttelte ihren Kopf. »Bedauere, Schatz. Ich stehe auf der Seite der Kinder.« Sie lächelte ihn liebevoll an. »Es hat dich wirklich mitgenommen, als sie unser Zuhause verlassen haben. Du wolltest sie in Watte packen und sie vor jedem Schaden bewahren.«
»Es ist halt schwierig, wenn man das achtzehn oder zwanzig Jahre lang getan hat. Plötzlich stehen sie auf eigenen Füßen, und du sollst sie nicht mehr beschützen dürfen«, knurrte Mark.
»Das nennt man erwachsen werden, Dad«, sagte Roxanne und sah ihn liebevoll an.
Er schnitt eine Grimasse. »Ich weiß.« Er sah sich um. »Ihr habt eure Sache gut gemacht. Ich bin stolz auf euch.« Plötzlich nahm seine Miene einen listigen Ausdruck an. »Natürlich könnten einige von euch in die Fußstapfen eures Bruders treten und heiraten. Ein oder zwei Enkelkinder würde ich schon gern noch im Arm schaukeln, bevor ich tot umfalle.«
Roxanne warf ihrer Schwester Ilka, die neben ihr saß, einen besorgten Blick zu. Würden die achtlos hingeworfenen Worte ihres Vaters Ilka verletzen und tragische Erinnerungen wachrufen? Offenbar nicht, denn Ilka stimmte in das Lachen ein, und Roxanne entspannte sich. Vielleicht war sie wirklich etwas zu umsorgend, was Ilka anging.
Das Essen war beendet, und Roxanne hatte gerade ihre Koffer zugeklappt, als Ilka an ihre Zimmertür klopfte und den Kopf hereinsteckte. Sie warf einen Blick auf Roxannes Koffer. »Du willst wahrhaftig heute dort einziehen, ja?«
»Das hatte ich vor«, erwiderte Roxanne vergnügt. »Ich kann es kaum erwarten. Heute übernachte ich unter meinem eigenen Dach, selbst wenn ich auf dem Boden schlafen muss.«
Sams Kopf schob sich neben den von Ilka. Samantha war beinahe das Ebenbild von Roxanne. Sie hatte die gleiche ungestüme schwarze Mähne, die gleichen funkelnden Augen und das gleiche eigensinnige Kinn. Allerdings war Sam einige Zentimeter kleiner, ihre Wangenknochen waren nicht so perfekt geformt, ihre Nase war kürzer und ihre Figur ein wenig kurviger. Trotzdem wurden sie häufig verwechselt, obwohl Sam sieben Jahre jünger war als Roxanne.
»Ich nehme nicht an«, sagte Samantha hoffnungsvoll, »dass du scharf auf Gesellschaft bist?«
Ilka strahlte. »Eine großartige Idee! Wir feiern mit dir. Eine Pyjama-Party. Nur wir drei. Die Ballinger-Schwestern auf der Piste!«
Roxanne schluckte. Sie konnte den beiden nicht gut auf die Nase binden, dass sie es kaum erwarten konnte, endlich ihre Ruhe zu haben. Nicht, dass sie ihre Schwestern nicht liebte oder ihre Gegenwart genoss, aber sie sehnte sich nach der Privatheit und Einsamkeit ihres eigenen Hauses. Darauf hatte sie sich schon den ganzen Tag gefreut und konnte es jetzt kaum erwarten. Sie wollte über ihre Pläne nachdenken und sich um niemanden kümmern. Dabei konnte sie ihre Schwestern überhaupt nicht gebrauchen!
Sie betrachtete deren Gesichter. Beide hatten den rührend eifrigen Ausdruck, der Roxannes Herz erweichte. »Klar.« Sie lächelte. »Schnappt euch eure Sachen, dann geht’s los!«