Читать книгу Glutheiße Küsse/Verstohlene Leidenschaft - Shirlee Busbee - Страница 17
Оглавление9. KAPITEL
Wenn Roxanne später an diese erste Nacht in ihrem neuen Zuhause dachte, war sie froh darüber, dass sie ihrem Gefühl nachgegeben und Sam und Ilka eingeladen hatte. Sie hatten ein richtiges Fest gefeiert, Wein getrunken, Brezeln, Cracker und Käse geknabbert, die sie von zu Hause mitgebracht hatten. Sie hatten auf Roxannes Matratze auf dem Boden des Schlafzimmers gehockt, gelacht und gekichert und sich bis in die frühen Morgenstunden alte Geschichten erzählt. Leicht beschwipst hatten sie an den Schiebetüren des Kaminzimmers gestanden und den Anblick der glitzernden Lichter im Tal bestaunt. Später waren sie durch das Haus gerannt und hatten gekreischt vor Lachen, einfach so, ohne jeden Grund. Es hatte ihre Bande gefestigt. Es war eine »Weißt-du-noch-da-mals?«-Geschichte für die Zukunft.
Roxanne genoss die Weihnachtstage mit ihrer Familie. Es war das erste Mal seit fast einem Jahrzehnt, dass sie zu Hause feierte, und deshalb hatte es eine besondere Bedeutung. Sie hatte sich sogar erweichen lassen und sich aus »Roxys Nest«, wie Ilka und Sam ihr Haus getauft hatten, locken lassen. Den Heiligen Abend hatte sie auf dem Familiensitz verbracht. Wie in ihrer Familie üblich, hatten sich an diesem Abend alle nur kleine Geschenke gemacht. Die teuren Präsente waren für den ersten Weihnachtstag reserviert. Roxanne hatte hübsche, handgefertigte Ohrringe aus wunderbar miteinander verschlungenen Goldfäden aus New York mitgebracht, und für die Männer ebenfalls handgefertigte Bolo-Krawatten aus Silber und Pferdehaar. Es rührte Roxanne fast zu Tränen, dass ihre Familie zusammengelegt hatte und ihr eine große, rote Schubkarre und ein ganzes Sortiment an Gartengeräten geschenkt hatte. Schaufeln, Rechen und zwei verschiedene Astscheren. Ihre Stimme war belegt, als sie in die strahlenden Gesichter blickte. »Ich werde«, drohte sie, »euch alle bei der Gartenarbeit einspannen, und zwar ausgiebig.« Sie lächelte mit bebenden Lippen. »Danke. Ihr hättet mir nichts Schöneres schenken können.«
Am ersten Weihnachtstag kamen Sloan und Shelly von ihrem Haus in den Bergen herunter. Zum ersten Mal seit vielen Jahren konnte Mark die gesamte Familie unter einem Dach versammeln. Nur seine unermüdliche, siebenundachtzigjährige Mutter fehlte, die, wie er sagte, »zurzeit gerade Europa heimsucht, ehm, besucht, meine ich natürlich.« Er strahlte wie das sprichwörtliche Honigkuchenpferd.
Am Anfang war es ihm schwer gefallen, Shelly in seiner Familie willkommen zu heißen. Immerhin war sie eine Granger. Sloan hatte ihn jedoch beiseite genommen und ihm erklärt, dass Mark allein von Shelly ein Enkelkind seines ältesten Sohnes kriegen würde. Und sollte er Shelly auch nur einmal schief ansehen, würde Sloan seinen Fuß nie wieder über diese Schwelle setzen. Zögernd hatte Mark seine Vorurteile auf Eis gelegt. Hilfreich war, dass sein Ältester seine neue Frau offenkundig sehr liebte, und dass Shelly Sloans Gefühle sichtlich erwiderte. Shellys Charme und ihre Herzlichkeit taten ein Übriges, Marks Vorurteile gegen die Granger-Familie zu beseitigen. Zudem war Shelly ja keine Granger mehr, sie war eine Ballinger. Und die beiden umgab ein Strahlen, das nur ein hartherziger Mann hätte zerstören wollen. Und das war Mark Ballinger wahrhaftig nicht. Solange Sloan glücklich war, würde Mark es mit allem aufnehmen, selbst mit einer Granger als Schwiegertochter.
Kurz vor Silvester war Roxannes Haus bis auf einige Kleinigkeiten fertig. Sogar ihre persönlichen Habseligkeiten, die sie sich aus New York hatte nachsenden lassen, waren schon ausgepackt. Die Möbel standen, und die Küche war eingerichtet und funktionierte. Roxanne hatte sich bereits weitgehend eingelebt. Sie liebte die Ruhe, den Platz und das Alleinsein.
An diesem Dezembermorgen trank sie ihren Kaffee, schaute aus ihrem Küchenfenster und stellte sich vor, wie der Garten in einigen Monaten aussehen würde. Die harten, grünen Blätter der Blumenzwiebeln lugten bereits aus der feuchten Erde, und Roxanne konnte es kaum erwarten, bis sich die ersten gelben Narzissen zeigten. Ebenso ungeduldig sehnte sie den Baubeginn der Scheune herbei. Und des neuen Brunnenhauses. Und der Garage. Sie hatte alle Umbauten im Kopf und hielt es vor Ungeduld kaum aus. Wann war endlich Frühling?
Roxanne war glücklich und zufrieden. Fast. Nicht zum ersten Mal bedauerte sie, dass Roman nach New Orleans zurückgekehrt war. Zur allgemeinen Überraschung war er Anfang Oktober nach Louisiana geflogen. Allerdings hatte er versprochen, Anfang des Jahres zurückzukommen. Er war fast fünf Monate in Oak Valley geblieben und hatte alle notwendigen Entscheidungen über Telefon und Faxgerät getroffen. Doch jetzt, so sagte er, wurde es Zeit, wieder einmal persönlich vor Ort aufzutauchen. Er hatte sich im Tal sehr gut eingelebt, und alle waren schockiert, als sie merkten, dass Romans Leben ja nicht im Tal verwurzelt war, sondern eine Familie und ein eigenes Leben im Süden auf ihn warteten. Roxanne vermisste ihn mehr, als sie gedacht hätte. Nicht auf eine romantische Art und Weise, doch sie mochte Roman einfach. Er brachte sie zum Lachen, sie genoss seine Gegenwart, und sie hätte gern seine Meinung über das Haus und was sie damit vorhatte eingeholt. Natürlich hätte das ihre Pläne nicht geändert. Trotzdem wäre es interessant gewesen, seine Anregungen und seine Kritik zu hören.
Das Haus dominierte nach wie vor Roxannes Gedanken. Es fehlte der letzte Schliff, und es fühlte sich noch neu und etwas fremd an. Manchmal fand sie in ihrer Küche oder im Bad nicht einmal die normalsten Dinge, doch das störte sie nicht. Die Einsamkeit genoss sie, und wenn ihr nach Gesellschaft war, wartete nur einige Meilen entfernt im Tal ihre Familie. Sie war rundum zufrieden, beinahe. Und dieses »Beinahe« beschäftigte sie. Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. Manchmal ertappte sie sich bei der Vorstellung, wie schön es wäre, jemand zu haben, jemand anderen als Freunde oder Familienangehörige, mit dem sie ihre Pläne besprechen oder ihren Stolz über das Haus teilen konnte. Das war lächerlich! Sie brauchte niemanden. Sie runzelte die Stirn. Schon gar keinen Mann.
Roxanne verbrachte den Rest des Tages damit, Bilder aufzuhängen und verschiedene Aufstellungen der Möbel auszuprobieren. Bevor sie New York verließ, hatte sie fast ihre gesamte Einrichtung verkauft, und seit ihrer Ankunft in Oak Valley noch nicht die Zeit gefunden, sich Neues anzuschaffen. Wenigstens verfügte sie über eine Grundausstattung und hatte sich einige besonders schöne Dinge zugelegt, denen sie nicht hatte widerstehen können. Zum Beispiel das große Fernsehgerät im Wohnzimmer und die massive, mit Schnitzereien verzierte Kirschholzkommode, die zu ihrem breiten Himmelbett und den Nachttischen passte. Später würde sie noch einen kleinen Tisch mit passenden Stühlen für den Platz vor dem Fenster kaufen, vielleicht sogar einen Sekretär und einen Schreibtischstuhl für ihr Schlafzimmer. Aber fürs Erste war sie zufrieden. Natürlich mussten auch die Gästeschlafzimmer, das Esszimmer und das Kaminzimmer möbliert werden, aber das hatte keine Eile. Bis jetzt genügte ihr vollkommen das stille Vergnügen, ihr eigenes Heim genießen zu können. Noch nie hatte sie eine Wohnung, ganz gleich wie elegant und teuer sie gewesen sein mochte, mit demselben Besitzerstolz erfüllt. Sie liebte ihr Haus.
Roxannes Miene verfinsterte sich. Und sie hasste alles, was sie dort herausriss. Wie zum Beispiel Sloans und Shellys Silvesterparty morgen Abend. Sie seufzte. Sie hatte sich so darauf gefreut, das Neue Jahr genüsslich und allein begehen zu können. Sie hatte schon den roten Seidenpyjama ausgesucht, den sie tragen wollte, sogar das dazu passende Parfum: »Red«. Sie hatte eine schöne CD auflegen, eine Flasche exzellenten, natürlich roten Weines aufmachen, einen Artischockenauflauf backen und auf dem Boden vor ihrem Kamin sitzen und ihr Alleinsein genießen wollen. Wenn sie dann die Lichter ihres Nachbarn von gegenüber sah, hätte sie ihm oder ihr zugeprostet. Sie wäre zwar allein gewesen, aber nicht einsam. Das war ein großer Unterschied. Sie hatte sich ausgemalt, wie sie am Neujahrsmorgen in ihrem eigenen Schlafzimmer aufwachte und eine Tasse Kaffee trank. Wenn es nicht regnete oder schneite, wie vorhergesagt, wäre sie auf die halb fertige Terrasse auf der Rückseite des Hauses hinausgetreten und hätte auf das Tal hinuntergesehen. Sie wollte den Moment auskosten, wenn sie dort auf ihrer eigenen Terrasse stand und St. Galen’s wie ein Spielzeugdorf vor ihr ausgebreitet lag. Dabei hätte sie darüber nachdenken können, was sie in den letzten Monaten erreicht hatte, und was sie sich für das nächste Jahr vorgenommen hatte.
Roxanne verzog unwillig die Lippen. Daraus wurde nichts. Jedenfalls nicht dieses Jahr. Wie schon in ihrer ersten Nacht in ihrem Haus hatten auch jetzt wieder die Familienbande ihre Pläne für den Neujahrsfeiertag vereitelt. Shelly und Sloan wären tief enttäuscht gewesen, wenn sie sich geweigert hätte, ihre erste gemeinsame Neujahrseinladung auszuschlagen. Da Roxanne das nicht übers Herz brachte, hatte sie ihre eigene Planung seufzend über Bord geworfen. Nur den Artischockenauflauf würde sie backen und mit auf die Party nehmen. Immerhin war sie nicht zuletzt wegen ihrer Familie ins Tal zurückgekehrt. Sie schüttelte den Kopf. All die Jahre in New York hatte sie bedenken müssen, in denen sie selbst hatte tun und lassen können, was sie wollte, ohne auf andere Rücksicht nehmen zu müssen. Es war merkwürdig, wie sehr Zuneigung in das Leben eingreifen und es verändern konnte. Natürlich bedeutete das nicht, sie hätte ihrer Familie beim leisesten Wink zur Verfügung gestanden. So selbstlos war sie nun auch wieder nicht. Roxanne lächelte. Außerdem, wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie sich vermutlich bei Sloan und Shelly gut amüsieren würde. Zudem warteten noch andere Neujahrsmorgende auf sie, die sie so feiern konnte, wie sie es sich vorgenommen hatte. Und niemand konnte wissen, ob sie nächstes Jahr um diese Zeit nicht schon jemanden Besonderen an ihrer Seite hatte, mit dem sie feiern würde. Roxanne zog ihre schmale Nase kraus. Nein, das würde nicht passieren! Sie war schon viel zu lange eine selbstständige Frau.
Sie wurde erst um sechs bei Sloan und Shelly erwartet, doch Roxanne gab sich viel Zeit und fuhr bereits kurz nach fünf von zu Hause los. Die ersten Schatten krochen schon um die Gebäude und Bäume, und sie genoss die beinahe unheimliche Fahrt hinab zur Talsohle. Fasziniert beobachtete sie, wie das Licht der Scheinwerfer ganz gewöhnliche Dinge wie Sträucher und Büsche in Kobolde verwandelte. Jedenfalls für jemanden mit meiner lebhaften Fantasie, dachte sie und lachte leise über sich selbst.
Sloan und Shelly wohnten nur fünfzehn Meilen von ihr entfernt. Doch die schroffe Landschaft gestaltete die Fahrt dorthin schwierig. Das Haus der beiden lag etwa zehn Meilen von der Tilda Road entfernt, in den Bergen am nördlichen Ende des Tales. Von Roxannes Haus bis zur Tilda Road waren es gut fünf Meilen, und auf der asphaltierten Straße der Talsohle kam sie gut voran. Bis sie die Tilda Road erreichte und der Asphalt aufhörte. Die Straße stieg in einer Reihe von engen Serpentinen steil empor. Roxanne ächzte, als sie durch ein Schlagloch rumpelte, das den Jeep gewaltig durchschüttelte. Von hier aus musste sie vorsichtig weiterfahren. Die grobe, mit Schotter bedeckte Tilda Road wies jede Menge Schlaglöcher auf. Einige waren Sloan zufolge fast so groß wie Delaware, und forderten die Stoßdämpfer jedes Wagens bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Die Straße nach Oak Valley wirkte dagegen wie ein vierspuriger Highway. Das alles macht den Charme des Tales aus, redete Roxanne sich ein, während ihr Jeep protestierend quietschend durch eines der Schlaglöcher schaukelte, das tatsächlich die Größe von Delaware zu haben schien.
Roxanne war erst drei Meilen gefahren, als es plötzlich anfing zu schneien. Die Flocken klatschten gegen die Scheibe und taumelten durch die Luft. Dieses eine Mal haben die Wetterfrösche Recht behalten, dachte sie und lächelte grimmig. Dann seufzte sie. Wie gern säße sie jetzt in eine warme Decke gekuschelt in ihrem Haus und sähe dem Schneetreiben zu. Stattdessen war sie unterwegs zu ihrem Bruder. Was tun wir nicht alles aus Liebe!, dachte sie mit einem Anflug von Bedauern.
Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als der Motor des Jeeps hustete, der Wagen sich kurz schüttelte und dann ausrollte. Er blieb einfach stehen. Die Scheinwerfer leuchteten noch, die Armaturenbeleuchtung brannte, aber der Motor war abgestorben.
Verwirrt drehte Roxanne den Zündschlüssel herum, aber nichts passierte. Sie versuchte noch einmal, den Wagen zu starten, ohne Erfolg. Sie schaute auf die Anzeigen, und ihr sank der Mut, als ihr Blick auf die Benzinnadel fiel. Sie stand auf leer.
Roxanne stieß einen deftigen Fluch aus, der einem Hafenarbeiter die Röte ins Gesicht getrieben hätte, und starrte finster auf die Nadel. Wie konnte das sein? Sie hatte doch neulich erst ... O nein! Wann hatte sie das letzte Mal getankt? Sie konnte sich nicht daran erinnern.
Anklagend schaute sie auf die Benzinanzeige und dachte über ihre Lage nach. Die war alles andere als rosig. Sie warf einen Blick nach draußen. Ihre Scheinwerfer stachen in die Dunkelheit, und Schneeflocken tanzten in ihrem Schein. Sie dachte an die Batterie und schaltete die Scheinwerfer aus. Schlagartig wurde es dunkel.
Roxanne kaute an ihrer Unterlippe, während sie nachdachte. Die Tilda Road war nicht gerade stark befahren. Die Gegend war eher spärlich besiedelt, und das war noch geschmeichelt. Hier draußen lebten zwar einige Menschen, aber die meisten wohnten meilenweit von der Straße entfernt und genauso meilenweit vom nächsten Nachbarn weg. Es würde wohl kaum passieren, dass der gute Nachbar Uncle Sam gleich mit einem Benzinkanister in der Hand auftauchen würde, oder dass sie nur eine gepflegte Auffahrt hinaufzuschlendern brauchte, wo sie Schutz, ein Telefon und einen beflissenen Hausbesitzer finden würde. Roxanne stöhnte. Superschlau, wie sie war, hatte sie auch noch ihr Handy zu Hause liegen lassen. Es war ja nur eine kurze Fahrt zu ihrem Bruder, was sollte sie da mit ihrem Handy? Ha! Und jetzt saß sie fest, mitten im Nichts, im Dunkeln, im Schnee, und die einzigen Kreaturen, denen sie begegnen würde, außer vielleicht anderen Partygästen, waren Berglöwen, Bären, Füchse und Skunks. Und das an Silvester!
Sie beäugte skeptisch ihre hautenge schwarze Wildlederjeans, die passende Weste und die weiße, in sich gemusterte Designerbluse. Große silberne Kreolen baumelten an ihren Ohren, eine fein gearbeitete silberne Panzerkette schmückte ihren Hals, und elegante Stiefel aus feinstem, schwarzem Wildleder mit flachen Absätzen vervollständigten ihre Garderobe. Das war kaum die angemessene Garderobe, um durch den Schnee und die Wildnis draußen vor den Fenstern ihres Jeeps zu stapfen. Wenigstens war sie nicht ganz hilflos. Da sie wie die meisten anderen über Nacht hatte bleiben wollen, hatte sie sich frische Kleidung eingepackt. Dicke Socken, derbe Stiefel, Jeans, eine Bluse, Pullover und eine Jacke. Sie freute sich zwar nicht gerade darauf, sich umziehen zu müssen, aber ohne Benzin funktionierte logischerweise die Heizung des Jeeps nicht.
Sie könnte alles anziehen, was sie mitgenommen hatte. Dadurch würde sie zumindest nicht erfrieren. Sie schaltete kurz das Licht an, um sich zu orientieren und überlegte, ob sie doch zu Fuß nach Hilfe suchen sollte.
Die Tilda Road war nicht zweispurig angelegt. Sie war zwar breit genug, dass man an den meisten Stellen haarscharf aneinander vorbeifahren konnte, vorausgesetzt allerdings, die entgegenkommenden Fahrzeuge fuhren sofort äußerst rechts heran. Weil die Straße so schmal war, fuhren alle üblicherweise möglichst in der Mitte. Bis man jemandem begegnete. Roxanne hatte es ebenso gemacht, und deshalb stand Roxannes Jeep jetzt beinahe auf der Fahrbahnmitte. Das einzig Gute an ihrer Lage war, dass ihr auf einer der wenigen geraden Abschnitte der Sprit ausgegangen war. Also würde jeder, der sich ihr näherte, sie früh genug sehen können, und nicht um eine unübersichtliche Kurve biegen und ihr ins Heck rauschen. Roxanne erinnerte sich an die Warnleuchte hinter den Rücksitzen, und krabbelte nach hinten, um sie zu suchen. Als sie die Lampe gefunden hatte, sprang sie ungeachtet des eisigen Wetters aus dem Jeep, schaltete die Lampe an und stellte sie auf den Boden hinter den Jeep.
Sie bibberte, als sie wieder in das einigermaßen warme Fahrzeuginnere stieg. Dann zog sie ihre Reisetasche auf den Vordersitz. Wärme war jetzt das Wichtigste. Zehn Minuten später hatte sie eine Jeans über ihre Wildlederjeans gezogen, noch eine Bluse und zwei Pullover übergestreift, und ein paar dicke Socken und ihre Wanderschuhe angezogen. Jetzt war sie so bereit, wie sie nur sein konnte. Ihre schwere Lederjacke lag neben ihr auf dem Beifahrersitz. Die sparte sie sich für den Moment auf, wenn es wirklich kalt wurde. Das würde so gegen zwei Uhr morgens der Fall sein.
Roxanne schlang die Arme fest um sich und schaute in die Finsternis hinaus. Sollte sie nicht lieber Hilfe suchen, bevor es noch später wurde? Und kälter, und das Schneetreiben sich verstärkte? Sie biss sich auf die Lippe. Es verlockte sie nicht sonderlich, ihren sicheren Jeep zu verlassen, und außerdem kannte sie sich in der Gegend nicht besonders gut aus. Sie war zwar im Tal aufgewachsen, aber das lag schon zwanzig Jahre zurück. In der Zwischenzeit hatte sie an einem Ort gelebt, wo man nur zu telefonieren brauchte, wenn man ausgehen wollte, wo Neonlichter bei Einbruch der Dämmerung eingeschaltet wurden, und wo es überall von Menschen wimmelte.
Wenigstens würde man sie vermissen, was sie tröstete. Außerdem bestand durchaus die Chance, dass ein anderer Partygast ihr zu Hilfe kommen würde. Ihre Laune besserte sich. Natürlich. Sie konnte unmöglich die Letzte sein, die zu Sloan und Shelly unterwegs gewesen war. Ilka oder Ross oder Nick oder ein anderer Gast würde jede Minute hier auftauchen.
Kaum hatte sie das gedacht, als hinter ihr Scheinwerfer aufleuchteten und das leise Brummen eines Motors bis zu ihr in den Jeep drang. Sie war erleichtert. Die ersehnte Hilfe war da, und das, bevor sie ernstlich Angst bekam oder fror. Wenn sie kein Glückskind war, wer dann?
Das andere Fahrzeug bremste, und eine Tür schlug zu. Eine große, männliche Gestalt tauchte neben ihrem Fenster auf und klopfte ungeduldig gegen das Glas.
Roxanne rollte die Scheibe herunter und lächelte strahlend in das Gesicht von ... Jeb Delaney. Sie war extrem glücklich, ihn zu sehen. Eine sichere Zuflucht im Sturm, dachte sie.
Jeb allerdings schien über ihren Anblick alles andere als erfreut zu sein. »Was zum Teufel hast du hier mitten auf der Straße verloren?«, knurrte er. Er warf einen Blick auf die Warnblinklampe. »Wenigstens warst du klug genug, eine Warnlampe aufzustellen.«
Roxanne lächelte, obwohl es ihr schwer fiel. Sehr schwer. »Kein Benzin«, erwiderte sie höflich.
Er runzelte die Stirn und schaute sie finster an. »Willst du mir sagen«, knurrte er, »dass dir das Benzin ausgegangen ist?«
Roxanne lächelte noch strahlender. »Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, mein Großer. Ratzekahl leer. Knochentrocken. Es ist kein Tröpfchen mehr im Tank.«
» Es dürfte wohl wenig nützen, wenn ich dich daran erinnere, dass wir hier nicht in New York sind, und es hier nicht viele Tankstellen gibt und auch nicht an jeder Ecke Hilfe wartet?«
Sie schaute ihn erstaunt an und lächelte noch strahlender. »Meine Güte, das ist mir bisher völlig entgangen.« Sie fuhr sich gespielt affektiert durchs Haar. »Ich kleines Dummerchen, ich.«
»Hör auf damit!«, schnauzte er. »Du hättest in Schwierigkeiten kommen können. In ernsthafte Schwierigkeiten, wenn ich nicht gekommen wäre.«
Sie reckte kampflustig ihr Kinn. »Es wäre sicher ungemütlich geworden, und ich wäre nicht begeistert über meine Lage gewesen, aber ich war nicht in Gefahr. Im schlimmsten Fall hätte ich eine kalte, unangenehme Nacht in meinem Jeep verbringen müssen.« Ihre Augen glühten wie goldenes Feuer. »Warum verziehst du dich also nicht einfach? Ich warte lieber auf einen freundlicheren Retter.«
» Genau, darauf wollte ich noch zu sprechen kommen.« Jeb wollte nicht nachgeben. Schneeflocken legten sich wie Puderzucker auf seinen schwarzen Hut und die Schultern seiner schwarzen Lederjacke. »Du hättest nicht einfach so deine Scheibe herunterrollen sollen. Bei uns laufen vielleicht nicht so viele Verrückte herum wie in der großen Stadt, aber auch hier gibt es Kerle, denen du in einer Nacht wie dieser lieber nicht allein begegnen möchtest. Es war ziemlich dumm von dir, einfach so zutraulich das Fenster aufzumachen.«
»Allerdings!«, fuhr sie ihn an und rollte es wieder hoch.
Jeb stemmte die Hände in die Hüften und schaute sie finster an. Ihm wurde mit jeder Sekunde kälter. Roxanne erwiderte seinen Blick ebenso grimmig und streckte ihr Kinn auf diese Art vor, die ihn verrückt machte.
Es war eine klassische Pattsituation. Jeb fluchte leise und klopfte an die Scheibe. »Mach auf!«, formte er mit den Lippen. Roxanne blickte ihn finster an und hob als Antwort nur ihr Kinn einen Zentimeter höher.
Jeb schloss die Augen und zählte bis zehn. Irgendwann würde er sie noch erwürgen! Er holte tief Luft. Gut, vielleicht war er ein bisschen grob mit ihr umgesprungen. Aber es hatte ihm einen eisigen Schrecken eingejagt, als er um die Kurve gebogen war und ihren bunt lackierten Jeep so verloren mitten auf der Straße hatte stehen sehen. Natürlich hatte er ihn sofort erkannt, und die Angst, die ihm bei diesem Anblick durch Mark und Bein geschossen war, wollte er so schnell nicht wieder erleben. In seiner Fantasie hatte er sich ausgemalt, dass Roxanne verletzt sein könnte, oder schlimmer noch, gar nicht mehr in ihrem Wagen saß. Wie ein Blitz war er aus seinem Van gesprungen. Und vor Erleichterung, dass Roxanne unverletzt schien, hatte er zugegebenermaßen ein bisschen brummig reagiert.
Jeb öffnete die Augen wieder und betrachtete Roxannes Profil, das wie versteinert wirkte. Er atmete einmal durch und klopfte erneut an die Scheibe. »Ich entschuldige mich!«, rief er. »Können wir noch mal von vorn anfangen?«
Sie betrachtete ihn abschätzend und rollte langsam die Scheibe hinunter.
Jeb bückte sich und legte die Hände fest auf das offene Fenster der Tür, für alle Fälle. »Dir ist der Sprit ausgegangen? Das ist Pech. Warst du unterwegs zu Sloan und Shelly?«
Roxanne nickte. Sie hatte nicht vor, ihm seine Entschuldigung zu erleichtern.
Doch dann lächelte Jeb. Roxannes Herz schlug einige Takte bedenklich unregelmäßig, während sie beobachtete, wie er an ihrem Auto lehnte, die Schneeflocken sanft auf ihn heruntersanken und seine Zähne weiß unter seinem dichten, schwarzen Schnurrbart glänzten. Um seine Augenwinkel und unter seinen langen Wimpern kräuselten sich attraktive Fältchen, und Roxanne hatte das Gefühl, als sähe sie Jeb zum ersten Mal wirklich an. Er sieht echt gut aus, schoss es ihr durch den Kopf, während ihr Blick über sein markantes, unregelmäßiges Gesicht glitt. Er sieht sogar sehr, sehr gut aus. Ihr Blick blieb an seinen Lippen hängen, und ihr fiel ein, wie sie sich auf ihrem Mund angefühlt hatten. Sie atmete schwerer und schluckte. Oh, oh, Jeb hatte Recht gehabt, sie steckte in Schwierigkeiten. Und zwar in sehr massiven Schwierigkeiten.
Sie räusperte sich. »Ja ... Ich meine, ich war unterwegs zu Sloan und Shelly.« Sie richtete ihren Blick fest auf den obersten Knopf seiner Lederjacke. »Willst du auch dorthin?«
»Ja.« Er sah sich um. »Ziemlich kalt heute Nacht, hm? Gut, dass ich vorbeigekommen bin, oder?«
Sie lächelte schwach. »Ja. Das war gut.«
»Okay. Bevor ich mir meinen Mannesstolz abfriere ...«, er grinste anzüglich, »... sollten wir deinen Wagen von der Straße schieben und dein Zeug in meinen Van laden. Wir werden schließlich auf einer Party erwartet. Um den Jeep können wir uns morgen kümmern.«
Roxanne fiel kein Gegenargument ein. Kurz darauf schob Jeb mit seinem Van ihren Jeep vorsichtig zu einer breiteren Stelle der Straße, und sie konnte ihn an der Seite abstellen. Eine Minute später lag ihre Reisetasche auf dem Rücksitz des Vans. Die Kühltruhe mit dem eingefrorenen Artischockenauflauf ebenfalls. Und Roxanne selbst saß neben Jeb im Warmen.
»Ich will keinen Streit vom Zaun brechen«, sagte Jeb, als sie losfuhren, »aber du solltest es wahrhaftig besser wissen, Roxanne.« Er schüttelte den Kopf. »Kein Benzin, also ehrlich.«
Als er ihren Blick bemerkte, klappte er seinen Mund zu und schaute stur geradeaus. Doch Roxanne merkte, dass er lächelte. Sie unterhielten sich während der ersten Meile mit ausgesuchter Höflichkeit, plauderten über das Wetter, Weihnachten und das bevorstehende neue Jahr.
Doch bald wurde es Roxanne in dem Van zu warm und sie begann, sich auszuziehen. Jeb versuchte, nicht hinzusehen, was alles andere als einfach war. Immerhin saß eine der schönsten Frauen der Welt neben ihm und zog sich aus.
Er enthielt sich jedes Kommentars, während sie die Pullover herunterstreifte, Stiefel und Socken auszog und sie in der Reisetasche verstaute. Doch als sie anfing, ihre Jeans aufzuknöpfen, räusperte er sich. »Wa ... was ... was hast du vor?«, erkundigte er sich mit belegter Stimme.
Roxanne lächelte unschuldig. »Ich ziehe nur die zusätzliche Kleidung aus. Ich habe sie angezogen, weil ich erwartet hatte, die Nacht im Jeep verbringen zu müssen.«
Als sie die weichen Wildlederstiefel anzog, beschwor das in Jebs Kopf höchst lüsterne Bilder hervor. In seiner Fantasie trug sie zum Beispiel nichts anderes als diese Stiefel. Er atmete schwer und hielt den Blick starr auf die Straße gerichtet. Zum Glück hatten die Stiefel nicht auch noch hochhackige Absätze. »Diese zusätzliche Kleidung ...«, brachte er schließlich heraus, »das war eine gute Idee.«
»Vielen Dank, Mr. Delaney. Wenn ich mich nicht irre, hast du mir soeben zum ersten Mal ein Kompliment gemacht.«
»Das stimmt nicht!«, protestierte er. »Ich habe schon vorher nette Dinge über dich gesagt.«
Nachdem Roxanne Jeans, Pullover und Bluse in die Reisetasche gepackt hatte, schielte sie Jeb von der Seite her an. »Nenn mir eines.«
»Ehm, ja ... tja ...«
Roxanne lachte leise. Es war ein heiseres, herzliches Lachen, und es hatte eine verheerende Wirkung auf sein Zwerchfell, und auch auf tiefere Regionen. Er fühlte, wie seine Erregung wuchs und rutschte unbehaglich auf dem Sitz hin und her. Seit er ihr Gesicht durch die Fensterscheibe gesehen hatte, war er erregt gewesen. Und dass sie jetzt zum Greifen nah neben ihm saß und ihm ihr verführerisches Parfum in die Nase stieg, beruhigte seine aufgewühlten Hormone genauso wenig wie die Intimität des Innenraumes, die durch die Nacht um sie herum noch gesteigert wurde.
Roxanne hatte selten erlebt, dass Jeb sprachlos war, und sie schüttelte amüsiert den Kopf. Er ist eigentlich gar kein so übler Kerl, dachte sie, während sie ihr Make-up ausbesserte. Während der Van über die Straße holperte, kämmte sie ihr Haar und frischte mit Hilfe des beleuchteten Spiegels in der Sonnenblende auf der Beifahrerseite ihren Puder auf. Zufrieden schnippte sie gegen ihre silbernen Kreolenohrringe. So, sie sah wieder genauso gut aus wie zu dem Zeitpunkt, als sie das Haus verlassen hatte.
Verstohlen riskierte sie einen Seitenblick auf Jeb. Der sah sie in derselben Sekunde an, und Roxanne erschrak, als sie den merkwürdigen Ausdruck auf seinem Gesicht sah. Der Van wurde langsamer, bis er die schmale Schotterstraße nur noch hinaufkroch. Das einzige Licht im Innenraum spendete die Armaturenbeleuchtung, doch es genügte, um die Umrisse von Roxannes Gesicht zu erhellen, das von ihrer schwarzen Mähne eingerahmt wurde.
»Du bist ehrlich wunderschön.« Jebs Stimme klang beinahe ehrfürchtig. Der Van bewegte sich jetzt lediglich im Schneckentempo vorwärts.
Roxanne war weder besonders eitel noch bildete sie sich etwas auf ihr Aussehen ein. Sie konnte nichts für ihre Gene und wusste nie etwas zu erwidern, wenn die Leute ihr wegen ihrer Schönheit Komplimente machten. Weil sie selbst nichts dafür getan hatte, tat sie für gewöhnlich solche Komplimente ab. Jebs Bemerkung jedoch war ihr wichtig, aus welchem Grund auch immer. Eigentlich sollte ihr Aussehen zwar keine Rolle spielen, sondern ihre Intelligenz und ihr Wesen sollten auffallen, denn darauf legte sie Wert. Doch in diesem Moment war Roxanne froh, dass sie mit Schönheit gesegnet war.
Sie lächelte unsicher, und ihr Pulsschlag beschleunigte sich merklich. »Danke.« Sie schluckte, und Jebs Blick, der unverwandt auf sie gerichtet war, löste ein Kribbeln in ihrem Magen aus. »Das ist jetzt schon das zweite Mal«, fuhr sie nervös fort. Als er sie verständnislos ansah, erklärte sie: »Du machst mir schon zum zweiten Mal ein Kompliment. Wenn das so weitergeht, wird das noch zur Gewohnheit.«
Jeb konnte nur mit Mühe seinen Blick von ihrem faszinierenden Gesicht losreißen. Er schaute auf die Straße und gab Gas. »Ja«, erwiderte er rau. »Und das wollen wir doch nicht, richtig?«
»Weiß nicht ...«, erwiderte sie. »Es könnte mir vielleicht gefallen, aber...«
»Aber was?« Er schoss einen misstrauischen Seitenblick in ihre Richtung ab.
Roxanne konnte ihr Lachen nicht mehr unterdrücken. »Du würdest wahrscheinlich daran ersticken, bevor vierundzwanzig Stunden verstrichen sind.«
Er stimmte in ihr Lachen ein.
Als sie jetzt schwiegen, war alle Befangenheit verflogen, und bevor neue Feindseligkeiten ausbrechen konnten, verließen sie die Tilda Road und bogen auf den letzten Streckenabschnitt ein. Fünf Minuten später sahen sie Lampenschein durch den Wald leuchten, und kurz darauf erreichten sie den geräumigen Schotterparkplatz neben Sloans und Shellys Haus.
Sloan erwartete sie bereits in der Tür seines Hauses. Seine hoch gewachsene Silhouette hob sich vor dem warmen Lichtschein aus dem Inneren des Hauses ab. Jeb stieg aus und schlang sich einen Seesack über die Schulter. Roxanne nahm ihre Reisetasche aus dem Van, und gemeinsam hasteten sie durch den dichten Schneefall hinauf in das Blockhaus.
Wohlige Wärme empfing sie. Roxanne küsste ihren Bruder auf die Wange und umarmte Shelly. »Sagt bloß nicht, wir sind die Ersten«, meinte sie.
Shelly lachte. Sloans Frau war groß, hübsch, hatte rotblondes Haar und smaragdgrüne Augen. Sie war einige Jahre jünger als Roxanne und wie sie im Tal geboren und aufgewachsen. Mit achtzehn war sie nach dem dramatischen Ende einer frühen Liebesbeziehung zu Sloan aus dem Tal nach New York und dann weiter nach New Orleans geflüchtet. Siebzehn Jahre lang war sie nicht mehr nach Oak Valley zurückgekehrt. Deswegen und wegen der Familienfehde, die seit der Zeit des Bürgerkrieges zwischen den Grangers und den Ballingers herrschte, hatten sich Shelly und Roxanne erst kennen gelernt, nachdem Sloan und Shelly ihre Differenzen beigelegt und zur allgemeinen Überraschung geheiratet hatten. Anfangs hatten sich die beiden Frauen skeptisch gegenübergestanden, vor allem Shelly war zurückhaltend gewesen. Während der vergangenen sechs Monate hatten sie sich jedoch immer mehr angefreundet. Während die anderen Ballingers Shelly noch leicht reserviert begegneten, hatte Roxanne sie von Anfang an begeistert als neues Familienmitglied aufgenommen. Sie waren nicht nur Schwägerinnen geworden, sondern auch gute Freundinnen.
»Ihr seid tatsächlich die Ersten«, erwiderte Shelly. »Ich erwarte die anderen allerdings jede Minute. M.J. und Tracy dagegen dürften sich etwas verspäten. M.J. muss das Geschäft schließen, und Tracy muss noch ein krankes Kalb versorgen, bevor sie die Stadt verlässt. Sie fahren zusammen, vorausgesetzt, Tracy wird nicht zu einem anderen Notfall gerufen. Ilka, Ross und Sam sollten es ohne Probleme schaffen.«
»Und wir alle wissen ja zur Genüge«, meinte Sloan lächelnd, »dass die Courtland-Zwillinge nichts daran hindern kann, auf eine Party zu gehen.«
»Nur gut, dass du uns angeboten hast, über Nacht zu bleiben«, meinte Jeb, während er Sloan seine Jacke reichte. »So wie es jetzt schneit, würde es mir gar nicht gefallen, um zwei Uhr morgens von hier loszufahren.«
»Ich hoffe nur, dass es auch alle schaffen«, sagte Shelly besorgt. »Nick, Acey und Maria sollten eigentlich früher kommen.« Sie schaute auf die Uhr. »Sie haben sich schon ein bisschen verspätet. Vermutlich hält das Wetter sie auf.« Sie seufzte. »Als wir die Party geplant haben, hatten wir nicht mit Schnee gerechnet.« Ihr Blick fiel auf Roxannes Reisetasche. »Genug geredet. Kommt, ich zeige euch eure Zimmer.«
Während Sloan und Jeb angeregt plauderten, führte Shelly Roxanne zu ihrem Atelier, wo sie die Sachen unterbringen konnte. »Tut mir Leid, dass du auf dem Boden schlafen musst«, meinte Shelly bedauernd, als sie den Raum betraten. »Wenn sich erst M.J., Ilka und die anderen hier drängeln, bekommst du garantiert das Gefühl, in einem Studentenwohnheim zu sein.«
Das Blockhaus war nicht sehr groß. Sloan hatte es für sich allein gebaut, aber nach seiner Heirat mit Shelly im Juni hatte sich alles geändert. Da Shelly eine bekannte Malerin war, musste ein Atelier her. Das war vor einigen Monaten fertig geworden. Es war ein großer, angenehmer lichter Raum mit vielen Fenstern und einem Kamin aus Felssteinen. Die Möblierung war eher spärlich. Eine rotkarierte Couch und vereinzelte Tische mit runden Chinalampen bildeten den Hauptteil der Möbel. Shellys Malutensilien waren in Eichenschränken verstaut, welche eine Wand säumten. Und ihre Staffeleien und Leinwände hatte sie in eine Ecke geräumt. Die Schrankreihe wurde von einem langen Tresen mit einer Spüle unterbrochen. An dessen Ende summte ein kompakter Kühlschrank, und auf dem Tresen stand auf einem Tablett eine Kaffeemaschine. Auf dem Boden waren bereits Matratzen mit Decken und Kopfkissen ausgebreitet. Roxanne sah sich um. Dieses Atelier eignete sich großartig als improvisiertes Schlafzimmer. Es gab sogar ein kleines Bad. Perfekt!
Sie stellte ihre Reisetasche am Fußende einer Matratze ab und lachte. »Mach dir keine Sorgen, Shelly. Wir feiern eine Party. Eine Pyjamaparty für erwachsene Frauen. Was will Frau mehr?« Ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten. » Vielleicht kommen die Jungs ja sogar auf die Idee, einen Überfall in Unterhosen zu starten. Du Ärmste. Du wirst den ganzen Spaß verpassen, während du mit Sloan im Bett kuschelst.«
Shelly lachte. »Das klingt verlockend. Vielleicht leiste ich euch Gesellschaft.« Übermütig fuhr sie fort: »Ob es Sloan wohl gefallen würde, heute mit den Jungs in der Scheune zu nächtigen?«
Sie schauten sich an und platzten gleichzeitig vor Lachen heraus. »Niemals!«, sagten sie unisono.
Roxanne hakte sich bei Shelly ein. »Sehen wir nach, was die Männer während unserer Abwesenheit ausgeheckt haben. Hast du nicht von heißem Rum mit Butter geredet?«
Sie kehrten in den Hauptraum der Blockhütte zurück. Dort saßen Sloan und Jeb vor dem Kamin. Ein kleines schwarzweißes Fellknäuel lag neben ihnen. Als Shelly hereinkam, sprang es auf und hüpfte zu ihr. Der winzige Zwergschnauzer hockte sich vor Shelly auf den Boden und sah sie kläglich an. Seine langen Schnurrbarthaare zitterten. Shelly lachte, bückte sich, hob den Hund hoch und streichelte ihn. »Mit deiner Trauermiene legst du mich nicht herein, Pandora«, schalt sie den Hund mit gespielter Strenge. »Ich weiß genau, was los ist. Du nimmst mich nur zur Kenntnis, weil Sloan dich nicht auf seinen Schoß lässt.«
Hinreißende schwarze Augen unter langen zotteligen Brauen blitzten sie aufmerksam an. Als Pandoras rosa Zunge herausschnellte und Shelly auf die Wange traf, lachte sie. »Trotzdem täuschst du mich nicht. Aber da du alle Register ziehst, darfst du auf meinem Schoß sitzen.«
Roxanne lächelte. »Scheint so, als hätte sie endlich akzeptiert, dass du nicht mehr weggehst.«
Sloan sah zu ihnen hinüber. »Eine Weile fürchtete ich wirklich, ich müsste mich zwischen meiner Frau und meinem Hund entscheiden.« Er zwinkerte Shelly liebevoll zu. »Die Entscheidung wäre mir sehr schwer gefallen.«
Shelly sog empört die Luft ein, doch ihre Augen lächelten. »Red nur so weiter, dann schläfst du mit dem Rest der Jungs in der Scheune.«
»He, ich habe nicht gesagt, dass ich dich nicht gewählt hätte«, protestierte Sloan. Er grinste breit. »Ich habe nur gesagt, es wäre eine schwere Entscheidung gewesen.«
Bevor Shelly etwas erwidern konnte, hörten sie Motorengeräusch. Shelly setzte Pandora auf den Boden. »Da rollt der nächste Besuch an.«