Читать книгу My Siobhan - Shirley Sennewald - Страница 7
Schwarze Tage
Оглавление„Du musst ihn vergessen!“
Seine Worte waren streng und bestimmend und schienen endgültig.
Siobhan weinte bittere Tränen.
„Ich kann ihn nicht vergessen. Als ich einen Körper hatte, konnte ich fühlen, wie mein Herz schlägt - für ihn, Vater.“
„Er ist ein Erdling. Ich befehle dir, ihn zu vergessen!“
Sie hatte sich in ihrer Trauer vergraben. Nicht ein einziges Mal mehr hatte sie getanzt. Ihr farbloser Körper regte sich nicht mehr, sie wirkte unsichtbar, kein Gedanke durchlief sie, kein Gefühl der Trauer und des Schmerzes regte sich in ihr. Ihre pergamentscheinende Hülle wirkte nun wie Glas. Niemand konnte ihren Geist erreichen. Ihre Schwestern machten sich Sorgen.
„Vater, du musst sie gehen lassen!“, Pearls Stimme durchdrang die Ohren des Königs wie ein Pfahl aus Eis.
Ruaidhris Blick ruhte auf dem Haus des Bogners. Er beobachtete ihn unaufhörlich seit jener Nacht. Tief im Innern wusste er, seine Tochter würde ihn bis ans Ende ihrer Tage verachten für seine Sturheit.
„Vater, du musst dich entscheiden.“
„Ich soll sie da runter schicken in dieses Elend?“
Alannah trat hervor, seine Jüngste. Mit sanfter Stimme sprach sie in sein Ohr: „Wir werden sie verlieren.“
„Ich hab sie doch schon verloren“, sprach er mit einem Grollen, das die Kraft seiner Worte unterstützte.
„Sie liebt dich doch.“
„Ist sie nah, ist sie dir fern. Und ist sie fern, wird sie dir nah sein. Du musst dich entscheiden!“
Pearl streifte die Hand ihres Vaters mit ihrer ganzen Wärme: „Gib ihr einen Körper! Nur du kannst das.“
Die Entscheidung war bereits gefallen. Doch versuchte ein letzter Zweifel seine Gedanken zu verlassen.
„Ich soll sie da runter schicken, da wo die Männer sich seit Jahrhunderten auf den Feldern abschlachten wie Vieh, und ihre Frauen verbrennen auf Scheiterhaufen ? Wie könnte ich das tun?“
Clar Cloinne Mhuiris/November 1783:
Seine Verzweiflung ließ das Wetter über dem County unberechenbar werden. In einer Minute schien die Sonne, der Wind wehte gleichmäßig von Westen her, und Sile Ò Ceallaigh hängte ihre Wäsche auf.
In der anderen Minute zogen finstere Wolken auf und der Regen prasselte im 45° Winkel auf Siles frische Wäsche, die sie sogleich wieder abnahm.
Dann schien wieder die Sonne. Sile schaute misstrauisch und hängte nach kurzem Zögern ihre Wäsche wieder auf.
Dann zogen Wolken auf, finsterer noch. Sile schnaubte und riss die Sachen wieder von der Leine. Und so ging das stundenlang.
Währenddessen hockte Ieuan in seinem Haus aus Stein und Lehm, eigentlich war es nur eine Hütte, und er fühlte sich hier schon lange nicht mehr zu Hause. Das Dach musste repariert werden, die Tür schloss nicht mehr richtig. Eines der drei Fenster im vorderen Teil war zu gehangen. Seit Monaten hatte niemand mehr den Boden gefegt oder Staub gewischt. Es war schummerig. Jegliches Gefühl von häuslicher Geborgenheit war im März diesen Jahres mit seiner Mutter gestorben. Ieuan erinnerte sich an diesen furchtbaren Tag und ihre Worte:
„Es ist ein Ende abzusehen, mein Sohn.“
Was sie damit meinte, wusste er damals noch nicht. Máire sagte es jedes mal, wenn sie zu der alten, knochigen Eiche kamen. Der Baum war riesig und wirkte beinah lebendig. Wenn Ieuan unter ihm im dichten Gras lag, schienen seine gewaltigen Äste vom Wind getrieben nach ihm zu greifen.
Ieuan wurde älter, wuchs heran, und mit ihm das Wissen, welches das Geschehen um ihn herum betraf. Es wurde seltener, aber der Geruch, der widerliche Gestank brannte sich in seine Nase. Eigentlich waren die schlimmsten Zeiten der Hexenverfolgung und Verbrennung in Irland bereits vorbei. Und sie hatten noch Glück gehabt. In Mitteleuropa , erinnerte er sich gehört zu haben, gab es Tausende, meist Frauen und auch deren Kinder, die sie auf den Scheiterhaufen verbrannten. Doch es gab auch hier immer irgendeinen von teuflischem Ehrgeiz getriebenen Inquisitor, der einen Grund für eine Anklage fand.
Ieuans Körper spannte sich an, jeder Muskel verhärtete sich. Und im schummerigen Licht der Kerzen konnte man meinen, sein Körper sei in Bronze gegossen. Wie glühende Kohle hatten sich die Worte seiner Cousine von jenem Tag in sein Hirn gebrannt:
"Sie sind hinter mir her. Sie wollen mich töten! Lasst nicht zu, dass sie mir weh tun!"
„Caoimhe, beruhige dich!“
Máire holte sie ins Haus und nahm ihr den durchnässten Umhang ab. Ihr Gesicht war mit Blut und Dreck verschmiert.
Ieuan saß in der Ecke und schnitzte Pfeile für die Jagd. Er war groß gewachsen wie sein Vater. Und er hatte den Schein der Abendsonne im Gesicht, der sich durch die Fensteröffnungen quälte.
Stumm und Anteillos verfolgte er das hastige Gespräch zwischen Caoimhe und seiner Mutter.
„Sie werden dich nicht auf den Scheiterhaufen bringen. Sie haben keine Beweise.“
„Sie brauchen keine Beweise. Letzten Monat nahmen sie die junge Brighid Ó Riagáin und ihren erst drei Jahre alten Sohn Fearghas fest. Nur einen Tag später wurden sie beide verurteilt und verbrannt.“
Caoimhe zitterte am ganzen Leib. Die Angst schnürte ihren Hals so eng, dass sie nur noch flüsterte. Máire schüttelte ihren Kopf unweigerlich hin und her, nicht verstehend, was hier passierte. Sie wollte ihr Trost spenden und hielt ihre Hände. Sie waren geschwitzt und kalt.
„Was war die Anklage?“
Caoimhe trank hastig einen Schluck Wasser, den Máire ihr in einem Tonbecher gereicht hatte.
„Für uns brauchen sie doch keine Anklage. Wir sind Frauen, Mütter.“
Sie schluchzte und rang nach Atem, bevor sie weiter reden konnte.
„Also ich ging in den Wald, um nach Heilkräutern zu suchen. Und Lan wurde auch bald darauf gesund. Dann kamen SIE, schleppten mich zu ihrem Inquisitor.
Der sagte, ich sei femina - zu schwach zu glauben. Und er beschuldigte mich der Hexerei. Ich konnte fliehen, doch sie sind hinter mir her.“
Plötzlich fing Caoimhe hysterisch an zu lachen. In ihren Gedanken spielten sich grausame Szenen ab, wie sie sie folterten und missbrauchten bis sie nur noch ein wertloses Stück Fleisch war, das verbrannt werden sollte.
„Dich werden sie auch holen. Du hast mir Unterschlupf gewährt.“
Aus dem Lachen wurde ein Weinen.Dann hörte man Pferdegetrampel, und allen dreien stockte der Atem. Ein leises und dumpfes Geräusch. Dann wurde es zunehmend lauter. Ieuan hörte das Klappern des Geschirrs und wie die Pferde auf ihrem Zaumzeug herumkauten. Ein Reiter sprang vom Sattel und kam mit schweren Schritten näher. Ein zweiter folgte ihm.
Ieuan sprang auf und griff die Hand seiner Mutter. Doch es war bereits zu spät.
Zwei Männer in dunklen Umhängen betraten grinsend das Ó Briain-Haus.
Sie hatten den Schein der untergehenden Sonne im Rücken, und der Staub, den sie aufwirbelten, erstickten die letzten Worte, die Caoimhe zu sprechen fähig war.
Ui Murchadhadh, ein kleiner aber kräftiger Mann mit winzigen Augen und lächerlich
gepflegtem Bart, schlug Caoimhe heftig ins Gesicht und schrie sie an, da sie augenblicklich das Bewusstsein verlor. Er trat und schüttelte ihren geschundenen Körper. Sie sollte jeden Schmerz spüren, den man ihr von nun an bis zu ihrem baldigen Tode zufügen würde.
„Steh auf, du Mistweib!“
Máire versuchte, ihn abzuhalten. In ihrer Verzweiflung befahl sie den beiden ungebetenen Gästen, ihr Haus zu verlassen.
Ieuan wusste, dass alles, was sie von nun an taten, vergebens war. Seine Haut brannte in seiner Wut. Er atmete kurz. Seine Augen funkelten wie die eines Wolfes, bevor er sich entscheidet, die Beute zu packen oder zu flüchten.
„Ihr könnt sie nicht mitnehmen. Sie hat nichts getan.“
Máire spürte die Verzweiflung in sich, und dennoch war es zorniger Stolz, mit dem ihre Augen denen von McCorley begegneten. Ieuan kannte ihn. Er war ein Freund seines Vaters. Sie gingen oft zusammen auf die Jagd. Und jetzt verriet sein Blick seine Unsicherheit.
„Sie ist eine Hexe!“, schnaubte er.
Wieder trat er Caoimhe in den Unterleib. Seine Stiefel waren aus festem Leder. Das ungeborene Leben in ihrem Bauch hatte keine Chance. Er zog sie so heftig an ihren Haaren, dass er ganze Büschel ausriss. Über dem linken Auge klaffte eine tiefe Wunde, aus der das Blut über ihr schmerzverzerrtes Gesicht lief.
„Sie ist keine Hexe. Und das wisst ihr.“
Ieuan war bekannt, wie das läuft. Er wusste, wie sie einem die Worte in den Mund legten, um jeden zu kriegen, den sie wollten. Er wusste, wie furchtbar die Foltermethoden von Ui Murchadhadh waren.
Die Frau, die sie erst vorigen Monat auf dem Scheiterhaufen verbrannten, war an den Beinen übersät mit blauen Flecken. Man hatte ihr die Ohrläppchen abgeschnitten und den Kopf geschoren. Ihre auf den Rücken gefesselten Hände hielt sie vor Schmerz verkrampft. Ihre Daumen wurden gequetscht und die Mittelfinger gebrochen. Ihre Augen flehten, ihren Körper zu erlösen.
Ui Murchadhadhs Lippen öffneten sich für ein widerliches: „So glaubt ihr nicht an Hexerei?“
McCorley, riesenhaft neben seinem Begleiter strich eine seiner roten Strähnen aus seinem Gesicht und räusperte sich. Dann sagte er mit gleichgültigem Ton: „ Wir nehmen beide mit!“
„Nein!“
Ieuan versuchte beide wegzustoßen. Màire hielt seine Hand fest, um ihn zurück zu halten.
Zwei weitere, kräftig gebaute Männer traten ein. Ieuan kannte sie beide. Den einen nannten sie hinter seinem Rücken Hühnchen, da er wie eines gackerte, wenn er lachte.
Der andere hieß Mad. Er schlug immer schon gerne zu. Und kämpfen konnte er. Nur war er nicht mehr als ein Hund seines Herren.
Ieuan hatte keine Chance. Sie trafen ihn hart. Mad schlug mit seiner eisernen Faust unermüdlich in seinen Magen, dann auf die Nase. Ein Knacken erreichte seine Ohren. Es brannte wie Feuer.
Drei weitere Schläge vom Hühnchen ließen ihn zu Boden gehen. Die Rippen schmerzten höllisch. Wie Messerklingen schnitten die Knochen in sein Fleisch. Auf dem Boden liegend rang er nach Luft. Wut lag in seinem Blick.
„Lasst meine Mutter in Ruhe!“
Amüsiert über Ieuans Worte hielt Mad seinen Kopf hoch und schlug ihn mit dem Stiefel gegen die Stirn. Ieuan stöhnte vor Schmerz. Ein Dröhnen durchfuhr seinen Kopf.
Sein Speichel vermischte sich mit Blut und dem Staub auf dem Boden. Leise röchelte er: „Das könnt ihr nicht tun!“
Sie schenkten ihm nicht einmal mehr einen einzigen Blick. Er war keine Bedrohung mehr.
Den Frauen fesselte man die Hände auf den Rücken und nahm sie mit.
Máires letzte Worte an ihren Sohn waren: „Versprich mir, dass ihr nicht zusehen werdet, versprich mir, dass Aidan nicht zusieht, versprich es mir!“
Ieuan hatte das Gefühl, er würde schreien, aber es kam kein Ton aus seinem Hals. Es schien ihm, als wäre er hier und dennoch nicht hier. Ihre Worte klangen wie in einem Traum. Dann wurde es schwarz vor seinen Augen.
Schwarz und düster war auch der Tag, an dem die Rauchschwaden über Clar Cloinne Mhuiris in den Himmel stiegen, und mit ihnen Máire Bean Ò Briain.