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Sile und Angus

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In den Ebenen von Maurice/November 1783

Der Boden unter ihrem nackten Körper war weich und warm. Die Morgensonne konzentrierte ihre gesamte Lichtfülle auf das Himmelswesen und bedeckte dessen Leib mit all ihrer lebensspendenden Energie.

Siobhan war vollkommen und rein. Ihr goldbraunes Haar schützte sie vor den neugierigen Blicken der Waldbewohner. Ihre Haut war weiß und ebenmäßig wie das reinste Porzellan. Sie war so verletzlich und zart wie Eisblumen an einem Fenster. Ihre Lippen schienen schmal und zartrosa. Ihr Körper war zierlich wie der eines Kindes. Allerdings war er nicht der eines Kindes, was sich an entscheidenden Körperstellen deutlich hervorhob. Ihre wohl gerundeten Hüften und ihre langen, schlanken Beine luden zu sündhaften Gedanken ein. Die weichen Wölbungen ihrer Weiblichkeit ließen jeden Mann schwach werden.

Sie war jung im Himmelreich wie auch auf Erden. Sie war eine junge, schöne Frau, die schnell lernen musste, nicht aufzufallen.

Sie kannte die Menschen, oft hatte sie sie in ihren Träumen besucht. Sie waren ihr vertraut.

Sie kannte ihre Gedanken, ihre Wünsche, ihre Gebete.

Was ihr fremd war, war die Art zu gehen, zu reden, sich wie ein Mensch zu bewegen ohne es lächerlich wirken zu lassen. Wie auch schon das erste mal, hatte sie Mühe, ihren 48 Kilo schweren Körper hoch zu hieven. Es war eine unerträgliche Last. Ihre Beine wollten tanzen. Doch alles, was sie taten, ähnelte mehr einem Stolpern, ja Watscheln.

In den Bäumen zwitscherten die Vögel ihre Lieder, den Morgen begrüßend. Ein Eichelhäher saß nicht weit von ihr und starrte sie an.

„Hallo, Vogel“, wollte sie ihm sanft zu hauchen.

Und schon beim ha waren alle mucksmäuschenstill und verschwunden.

Etwas verärgert über sich selbst lief sie los, ihren geheimnisvollen Schönen zu finden.

Der Tag verstrich. Die Nacht brach herein. Siobhan machte halt an einem kleinen Bach, wusch sich das Gesicht und trank einen Schluck Wasser. Es war süß und kalt. Das gefiel ihr. Und mit den letzten Sonnenstrahlen verschwand auch die Wärme auf ihrer Haut. Sie fröstelte und suchte instinktiv nach Schutz.

Hinter einem Birkenwäldchen erblickte sie ein Gehöft. Das Haus wirkte ärmlich und doch einladend. Aus den Fenstern schien ein warmes Licht. Siobhan verlangte es nach Geborgenheit. Sie vermisste die Ihrigen, jetzt schon. Das Gras unter ihren Füßen war kalt und nass und fremd. Das eben noch so wundervolle und spannende, neues zu entdecken, überrannte sie nun wie ein eisiger Schauer. Ihr Körper war müde und forderte eine Pause. Verzweiflung kam auf.

Unter ihr raschelte es plötzlich, irgendetwas berührte ihre nackten Füße, und ohne klaren Gedanken rannte sie in Richtung Haus.

Im Schutz eines Haselnussstrauches verweilte sie und beobachtete das Hofgeschehen.

Angus und Sile Ò Ceallaigh, ein älteres Ehepaar, das vor zwanzig Jahren vom südlichen County hierherzog, als Angus Vater starb, versorgten ihr Vieh und verschwanden dann im warmen Licht des Hauses.

Sie waren beide unscheinbare Gestalten. Sie trug ein Rapsgelbes Tuch auf dem Kopf, was nicht zu ihrer sonstigen Kleidung passte, doch es harmonierte mit ihrem Gesicht. Siobhans erster Gedanke war 'Sonnenblumen', eine solche hatte sie schon einmal in einem Traum gesehen.

Angus strahlte pure Herzlichkeit aus. Seine Statur war eher schmächtig, dadurch wirkte er schwach und angreifbar. Interessant waren seine Augenbrauen. Sie waren buschig und dunkel. Sein Haar hingegen war licht und silbern.

Es war sehr kühl geworden. Siobhan brauchte unbedingt Schutz. Sie bewegte sich wie ein scheues Reh, unbemerkt und flink kletterte sie über den kleinen, kaputten Zaun, hinter dem ein Haufen Stroh lag. Es war stockfinster. Neben ihr ertönte ein aufgeschrecktes Wiehern. Hinter ihr raschelte es, ein Kater mit leuchtenden Augen machte es sich im Stroh bequem. Siobhan blickte den Gaul fragend an und nahm sich die Decke, die über dem Zaun hing und wohl seine war.

Beim ersten Hahnenschrei öffnete Angus ein kleines Türchen . Seine Schritte waren stolpernd und kurz. Er begrüßte sein Viehzeug: „Guten Morgen. Na, dann wollen wir mal...“

Siobhan schlief tief und fest. Sogar das Zusammenschlagen der Blechkannen, als Angus Wasser holen wollte, hörte sie nicht.

Die Tiere waren schnell versorgt.

„Ach, Katerchen, dich hab ich ja bald vergessen.“

Unter seinem Tuch, das er um die Hüften gebunden hatte, holte er ein kleines Stück Pökelfleisch hervor und warf es dem Vierbeiner zu.

„So was gibt's nicht jeden Tag. Also friss ja alles auf.“

Der Kater bedankte sich schnurrend und schlängelte sich um die Beine seines Herren, als der sich gerade bücken wollte, ihn zu streicheln und das schlafende Mädchen erblickte.

„Was haben wir denn hier?“

Unentschlossen sie zu wecken oder nicht, spielte er aufgeregt mit seinen Fingern an seinem Kinn. Dann drehte er sich und lief mit schnellen Schritten zu seinem Weib.

Sile versuchte gerade das Feuer neu zu entfachen. Sie wollte Tee kochen. Die Jahreszeit war nass und kalt. Hier unten im Tal war es ja immer nass und kalt.

Wenn sie in den Frühlingsmonaten im Morgengrauen auf die Anhöhen ging, war der Nebel so dicht, man konnte die Hand vor den Augen nicht sehen, was gut war. McCorley schickte oft seine Leute aus, zu spionieren. Allein die Minze und der Salbei für den kranken Merte hätten sie vermutlich auf den Scheiterhaufen gebracht.

„Du musst schnell kommen, Weib!“

Er ließ keine Widerrede zu und schnappte sich Siles Hand. Seit zehn Jahren war er nicht mehr so schnell gelaufen, sein Atmen war unregelmäßig.

Als Sile das Mädchen erblickte, schlug sie die Hände vor das Gesicht. Sie war entzückt . So etwas schönes hatte sie noch nicht gesehen.

„Sie ist so...“

In dem Moment öffnete Siobhan ihre Augen und war sogleich erschrocken.

„Hab' keine Angst! Wir tun dir nichts“, Angus konnte seine Freude kaum noch im Zaum halten.

„Du bist hungrig?“

Erst überlegte sie, dann nickte sie vorsichtig. Und auf der Stelle nahm das Weib sie bei der Hand und führte sie ins Haus.

Hier war es warm und behaglich. Es war dunkel. Die Fenster waren verdeckt. Nur das Feuer unter dem Topf mit Wasser brachte ein sanftes Licht in den Raum. Das Haus war nicht sehr hoch gebaut. Obwohl Siobhans Körper keine 1,55 m maß, war sie zu groß und zog daher den Kopf ein. Es gab keine Stühle, Betten oder Schränke. Sie schliefen auf gebundenem Stroh, lediglich eine Wolldecke schützte sie vor den Pieksern der Halme. Neben dem Feuer waren unzählige kleine Nischen im Gemäuer, in denen allerhand aufbewahrt wurde, zumeist Vorräte von Kräutern, ein Laib Brot und ein kleines Stück Pökelfleisch. Auf dem Tisch, dem einzigen Möbelstück hier, befand sich eine Schale mit vier Hühnereiern und daneben lag ein Streifen Speck.

„Setze dich!“, Angus zeigte auf den zurecht gehauenen Kieferstamm, der hinterm Tisch lag.

Bei allem, was die beiden Alten taten, sie ließen das Mädchen nicht aus den Augen. Ihre Faszination konnten sie nicht verbergen. Sile hatte die Fünfzig lange schon überschritten, Angus war weit über sechzig Jahre alt. Immer hatten sie sich Kinder gewünscht. Es sollte ein unerfüllter Traum bleiben, bis heute.

Die Tage wurden kürzer. Es war Ende November. Das Wasser in den Pfützen fror und die sonst so matschigen Wege waren nun hart wie Stein. Das meiste Laub hatte der Wind von den Bäumen und Sträuchern geweht und gleichmäßig übers Land verteilt. Wenn man in diesen Tagen durch die Wälder ging und an einem sonnigen Tag nach oben in die Baumkronen schaute, bot sich einem ein Anblick, der märchenhaft war. Die Sonnenstrahlen erreichten nun mühelos den Waldboden. Und der herbstliche Nebel, der zur frühen Mittagsstunde gut acht Meter über einem stand, vermittelte einem das Gefühl, sich in einem Traum zu befinden. Wie ein Teppich aus feinster Seide stand er in den Baumkronen.

Die Magie Irlands“, sagte Angus, als er mit Siobhan an solch einem Tag Brennholz aus dem Wald holte.

Sie konnte es kaum glauben. Es gab hier so viel Schönes und Faszinierendes zu sehen. So hatte sie das früher nie wahrgenommen. Sie fühlte jetzt als Mensch, und das intensiver, als sie es je für möglich gehalten hätte.

Sie war glücklich, zwei wundervolle Menschen wie Sile und Angus gefunden zuhaben. Doch die Traurigkeit in ihren Augen blieb Sile nicht verborgen.

„Ich bin so froh, seit du bei uns bist...etwas bedrückt dich, Kind. Sag' was es ist!“

Nach langem Zögern brach es aus ihr heraus: „Ich kann nicht hier bleiben.“

In den Augen der Alten stand nur eine Frage: Wieso?

„Ich bin auf der Suche nach jemanden.“

Die Zeit der Hexenverbrennung war grausam und beinah am Ende. Aber grausam war auch das, was folgte. Das Land war zersplittert. Die Engländer, die sich hier wie Ungeziefer breitmachten, nahmen den irischen Katholiken das Land weg. Eigentum in den Händen der Iren gab es praktisch nicht. Wenn sie Land wollten, mussten sie es pachten.

Armut, Hunger und Krankheit waren die Folge. Das Volk versuchte sich zu wehren. Aufstände, bei denen am Ende das Blut von tausenden Männern und auch Frauen und Kindern über die grünen Ebenen von Irland floss, waren an der Tagesordnung. Vergewaltigung und Mord war immer gegenwärtig.

„Der Winter hat Einzug genommen. Wo willst du denn hin?“

"Du wirst erfrieren, sie werden dich vergewaltigen und dann in den Fluss werfen oder noch schlimmeres.“

Siobhan wusste das und blieb bis zum Frühjahr.

My Siobhan

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