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Betty Paoli

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Betty Paoli (1814 –1894), so der Künstlername von Elisabeth Glück, versucht sich zwar im Beruf der Gouvernante in Polen, sie kehrt aber sehr bald, nach dem Tod der Mutter, nach Wien zurück. Sie hat das Glück, bei der Baronin Schwarzenberg als Vorleserin engagiert zu werden.6 Hier erwirbt sie sich eine umfassende Bildung und weitreichende Kontakte, steigt zur Gesellschafterin auf, verliert aber diese Position nach fünf Jahren durch den Tod der Fürstin. Die Familie bleibt ihr zwar wohlwollend verbunden, sie kann sich z. B. im Krankheitsfall an den Fürsten um finanzielle Hilfe wenden, doch Paoli muss sich um eine neue regelmäßige Einkommensquelle kümmern. Ihre Persönlichkeitsstruktur lässt sie weitere direkte Abhängigkeitsverhältnisse ablehnen. Im Übrigen ist der Markt für Gesellschafterinnen nach der Revolution von 1848 sehr reduziert. Sie benützt hinfort die künstlerische und gesellschaftliche Anerkennung, die ihr ihre Gedichte eingebracht haben (Grillparzer nennt sie bekanntlich den „ersten Dichter“ Österreichs), dazu, Eingang in die journalistische Welt zu finden und ihren Lebensunterhalt mit Theater-, Ausstellungs- und Buchrezensionen zu bestreiten, mit Reiseberichten, Feuilletons und Erzählungen.

Das lyrische Ich ihrer Gedichte ist meist deutlich weiblich, auch ihre Erzählungen schildern häufig Frauen. Die persönlichen und philosophischen Positionen, die sie vertritt, können als moderat fortschrittlich bezeichnet werden. Frauenbildung und -arbeit wird eingefordert,7 die soziale Frage wird angesprochen. In dem Gedicht „Minotaurus“8 z. B. interpretiert sie die titelgebende menschenverschlingende Bestie der Antike als menschenverschlingendes soziales Elend der Gegenwart, doch ist ihre Haltung immer gemäßigt. Auch in der Kunst lehnt sie den Naturalismus und sogar schon den Realismus ab, da er die Bearbeitung und Formung, die das Wesen der Kunst ausmache, nicht in ausreichendem Maße verwirkliche.

In ihren Rezensionen setzt sie sich immer wieder für Schriftsteller-Kolleginnen ein, vor allem für Droste-Hülshoff, ihre Freundschaft mit der jüngeren Ebner-Eschenbach umfasst sowohl die gegenseitige Kritik der Werke als auch den wöchentlichen Tarock-Nachmittag (mit Zigarren und Zigaretten). Der Schauspielerin Julie Rettich widmet sie einen Nachruf, der die Form einer biographischen Erzählung annimmt – es zeichnet sich hier ein Netz gegenseitiger Unterstützung ab, auf das wir noch öfter zurückkommen werden.9

Paolis Gedichte umfassen die klassischen Bereiche Naturgedichte, Liebesgedichte, philosophische und künstlerische Reflexionen und stehen, wie die so vieler ihrer Kollegen, in einer deutlichen Schiller-Nachfolge. Wir finden auch quasi persönliche Aussagen eines lyrischen Ichs, das jedoch nur selten zu autobiographischen Lesarten einlädt, wie im langen „Kein Gedicht“10, das an einen jungen Geliebten gerichtet ist. Liebe ist ein wichtiges Thema, es ist allerdings immer eine unerfüllte, enttäuschte Liebe, oder aber sie kommt zu spät, wie im eben genannten Gedicht. Die Form ist klassisch, meist mehrfüßige Jamben, typisch sind Naturbilder und Rückgriffe auf Mythologie, nicht nur die griechische, sondern auch die indische. Ambivalenzen, Verbindungen von Gegensätzen durchziehen das lyrische Werk, eine ziemlich skeptische bis pessimistische Weltanschauung wird manifest.

In dem Gedicht mit dem programmatischen Titel „Ich“ drückt sich die individuelle und gleichzeitig auch typische Situation Paolis aus, es sei daher hier zur Gänze zitiert:

Ich kann, was ich muß! o seltnes Geschick!

Ich will, was ich muß – o doppeltes Glück.

Mein Herz ist an Stärke dem Felsen gleich,

Mein Herz ist, wie Blumen, sanft und weich.

Mein Wesen gleicht Glocken von strengem Metall:

Schlag kräftig d’ran, gibt es auch kräftigen Schall.

Mein Geist stürmt auf eiligem Wolkenroß hin;

Mein Geist spielt mit Kindern mit kindlichem Sinn.

Ich weiß, was ich will! und weil ich es weiß,

Drum bann’ ich’s zu mir in den magischen Kreis.

Ich weiß, was ich will! das ist ja die Kraft,

Die sich aus dem Chaos ein Weltall entrafft.

Ich weiß, was ich will! und wenn ich’s erreich’,

Dann gelten der Tod und das Leben mir gleich.11

Die erste Strophe baut Parallelen zwischen Wollen, Können und Müssen auf, die nächsten drei thematisieren die Verbindung von Oppositionen, während die letzten drei jeweils mit „Ich weiß“ beginnen, also die rationale Erkenntnis dominant setzen – und es mit dem „Ich will“ aus der ersten Strophe verbinden. Die vorletzte Strophe spricht quasi hymnisch von der Schaffenskraft. Ihr Ursprung im dichtenden Subjekt wird durch den grammatisch reflexiven Bezug betont („sich aus dem Chaos ein Weltall entrafft“); die positive Akzentuierung wird aber durch die eher negativen Konnotationen von Gewalt, Diebstahl, Raffgier, die der Neologismus „entrafft“ mitträgt, eingeschränkt. Die letzte Zeile „Dann gelten der Tod und das Leben mir gleich“ kann sowohl triumphalistisch als auch resignativ gelesen werden. Auf der manifesten Ebene dominiert der Triumphalismus der schaffenden und damit gottähnlichen bis gottgleichen Dichterin; kehrt man aber zum Beginn des Gedichts zurück, zum „Ich will, was ich muß!“, so ergibt sich ein Sub-Text, der die Anpassungsleistung, die das gesellschaftliche „Müssen“ in ein subjektives „Wollen“ transponiert hat, sichtbar macht, der Triumphalismus des Endes rückt in die Nähe der Resignation.

Betty Paoli ist es gelungen, sich von einer eher misslichen Ausgangssituation12 aus durch ihre literarische Tätigkeit gesellschaftliche Anerkennung und ein – relativ – angenehmes Dasein aufzubauen, zumindest in der zweiten Hälfte ihres Lebens. Ab 1855, sie ist 41, lebt sie im Haus von Ida Fleischl-Marxow und genießt „alle Annehmlichkeiten des Familienlebens ohne dessen Verpflichtungen“, wie Ebner-Eschenbach etwas neidvoll feststellt. Dass dieser Erfolg und die gesellschaftliche Anerkennung mit zahlreichen bewussten und unbewussten Kompromissen erkauft waren, zeigen die vielen Stellen ihres Werks, in denen das Leben als Kampf geschildert, in denen häufig eine resignative Position eingenommen wird.

Stehen ihre Gedichte, vor allem auch formal, in der klassischen Tradition, so zeigen sich in den fiktionalen Prosatexten auch deutliche Einflüsse der Romantik. Die Romanlänge erreichende Erzählung Die Ehre des Hauses aus dem ersten Band ihrer Gesammelten Erzählungen mit dem gut gewählten Titel Die Welt und mein Auge handelt von der tragischen Familiengeschichte derer von Brandon; der Konflikt zwischen dem edlen und dem schurkischen Bruder, Schuld, die auch noch die nächste Generation ins Verderben stürzt, eine erzwungene Ehe, die zu wahrer Liebe führt, die aber aus Stolz nicht eingestanden wird – eine große Zahl der Elemente des englischen Schauerromans finden sich hier, inklusive des unausweichlichen Schicksals, doch erinnert die auktoriale Perspektive auch an die klassizistischen Gedichte Paolis. Wichtig sind das Selbstbewusstsein und die Stärke der handelnden Personen, bei denen der Stolz und die Gewissheit der eigenen Positionen durch die Trauer um die dadurch vermissten Gelegenheiten nicht gebrochen werden können.

Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000

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