Читать книгу Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000 - Sigrid Schmid-Bortenschlager - Страница 25
Marie von Ebner-Eschenbach
ОглавлениеEbner-Eschenbachs (1830 –1916) Weg zum Schreiben erinnert eher an männliche Muster der Selbstverwirklichung und der inneren (inspirierten, genialen) Notwendigkeit. Sie muss ihren Wunsch, Schriftstellerin zu werden, gegen die Familie und gegen ihren Mann immer wieder durchsetzen, denn für die adelige Gesellschaft bedeutet der Schritt in die literarische Öffentlichkeit und die mit ihr verbundene Kritik einen Abstieg, während er im bürgerlichen Milieu der Caroline Pichler, genauso wie im bürgerlichen Milieu des assimilierten Judentums am Ende des 19. Jahrhunderts, den Aufstieg in eine großbürgerliche oder adelige Schicht markiert, die sich den Luxus der Kunstausübung leisten kann. Ebner-Eschenbachs eher mäßige Erfolge als Bühnenautorin scheinen die Vorurteile der Familie zu bestätigen, doch sie hält am Schreiben fest, das für sie die Möglichkeit darstellt, aus dem oberflächlichen Leben des österreichischen Adels, wie sie es oft kritisch-satirisch dargestellt hat – man denke nur an die Komtesse Muschi aus der gleichnamigen Erzählung –, zu fliehen. Das Schreiben bietet auch die Möglichkeit, sich ein Rückzugsgebiet gegenüber den Ansprüchen ihrer zahlreichen Familie zu schaffen, die die kinderlose Ebner-Eschenbach „liebevoll“ für den Pflegedienst an erkrankten Neffen und Nichten, Onkeln und Tanten und an ihrem Vater einsetzt. Dass diese Schwierigkeiten ihr ein schmerzhaftes Leiden der Gesichtsnerven, einen tic douloureux, eingebracht haben, ist psychoanalytisch gesehen nicht weiter verwunderlich. Erfolgreich wird sie erst als Erzählerin, so erfolgreich, dass sich die Wertschätzung der Literaturwissenschaft – etwas freudianisch verschoben – in der Verleihung des Ehrendoktor-Titels der Universität Wien im Jahr 1900 an sie, als erste Frau überhaupt, ausdrückt.
Marie von Ebner-Eschenbach (1830 –1916) gehört zu den etablierten Schriftstellerinnen der österreichischen Literaturgeschichte. Ihr wurde eine Briefmarke gewidmet.
Thematisch dominiert in ihren Erzählungen die Hinwendung zu den unteren Schichten, den Dienergestalten, allerdings keineswegs im Sinne des Naturalismus. Ebner-Eschenbach ist eine Vertreterin des Realismus mit seiner Verklärungstendenz. Obwohl ihr scharfer Blick die Ungerechtigkeiten sehr wohl wahrnimmt, treibt sie sie nie auf die Spitze, fordert nie direkt politische Änderungen. Aus der Perspektive der postkolonialen Literaturwissenschaft kann man/frau ihr zu Recht vorwerfen, dass sie das meist tschechische Gutspersonal aus der Perspektive der Herrschenden idealisiert – man denke an die treue Dienerin Bozena –, und der Vergleich mit der tschechischen Autorin Nemcová21 könnte hier interessante Differenzen aufzeigen. Ebner-Eschenbach ist keine Sozialrevolutionärin, sie ist die Verfechterin eines Adels, wie er sein soll, mit allen seinen Vorrechten. Aber sie kritisiert den Adel, wie er ist, sehr scharf. In der Erzählung Er lässt die Hand küssen wird dieser gedankenlose, oberflächliche, von sich eingenommene Adel repräsentiert durch die Adressatin der Geschichte und durch die Großmutter aus der Handlung, während der Erzähler als Vertreter des Adels, wie er sein soll, fungiert. Er nimmt sich selbst aus seinen kritischen Betrachtungen aber keineswegs aus, wie das folgende Zitat deutlich zeigt:
Sie lebt; nicht im Urbilde zwar, aber in vielfachen Abbildern. Das kleine, schwächliche, immer bebende Weiblein mit dem sanften, vor der Zeit gealterten Gesicht, mit den Bewegungen des verprügelten Hundes, das untertänigst zusammensinkt und zu lächeln versucht, wenn eine so hohe Dame, wie Sie sind, oder ein so guter Herr, wie ich bin, ihm einmal zuruft:, Wie geht’s?‘ und in demütigster Freundlichkeit antwortet:, Vergelt’s Gott – wie’s so eben kann.‘ – Gut genug für unsereins, ist seine Meinung, für ein Lasttier in Menschengestalt. Was dürfte man anders verlangen, und wenn man’s verlangte, wer gäbe es einem? – Du nicht, hohe Frau, und du nicht, guter Herr …‘22
Durch die ironische Differenzierung zwischen der „hohen Frau“ und dem „guten Herrn“ macht Ebner-Eschenbach deutlich, dass die kritische Haltung ihres Erzählers nichts an den realen Ungerechtigkeiten ändert.
Die Großmutter aus der Erzählung ist die typische Vertreterin von Moral und Recht und Ordnung, sie nimmt ihre Untergebenen nur punktuell wahr – unterscheidet sich in diesem Punkt allerdings, wie wir im Zitat gesehen haben, nur graduell von ihrem erzählenden Enkel. Sie selbst versteht sich als gütige Grundherrin, aber wenn sie versucht, ihren Untergebenen Gutes zu tun, so führt dies, wie die Geschichte zeigt, direkt in die Katastrophe. Denn sie sieht ihre Untergebenen nie als Menschen, die in menschlichen Zusammenhängen existieren, sondern nur als passive Empfänger von Wohltaten oder Züchtigungen. Mischka ist ein liebevoller Sohn seiner Mutter, der sie gegen den brutalen Vater verteidigt, er ist ein fürsorglicher Geliebter und Vater, doch in den Augen der Gutsherrin ist er lediglich ein Sünder wider das 4. und das 6. Gebot, da er sich gegen den Vater aufgelehnt hat und mit der Mutter seiner Kinder nicht verheiratet ist. Dass Liebe auch ohne Ehe existieren kann, wenn einem diese aufgrund der mangelnden finanziellen Absicherung verboten ist, diese Idee ist außerhalb ihres Denkhorizontes. Ohne auch nur ein einziges Mal direkt mit Mischka gesprochen zu haben, akzeptiert sie die ihr überbrachte angebliche Untertänigkeitsfloskel „Er lässt die Hand küssen“ als Dank und fühlt sich als seine (verratene) Wohltäterin, während sie in Wirklichkeit sein Leben und das der Seinen zerstört, im übertragenen und im realen Sinn. Seine Geliebte stirbt als Folge der Vertreibung bei der Geburt des zweiten Kindes, er selbst überlebt die von der Gräfin angeordnete Prügelstrafe nicht. Die Kritik in diesem Text nähert sich schon dem Zynismus.
Ebner-Eschenbach schildert die Welt, die sie kennt, wie sie ist, aus einer deutlich kritischen Perspektive, die aber immer noch an die Verbesserungsmöglichkeit dieser Welt glaubt, an der sie mit ihren Texten mitarbeitet. Zu Recht wurde betont, dass die städtische Welt und die Welt der Arbeiter in ihrem Werk fehlen, doch heißt dies nicht, dass ihre Zeitgenossen sie als konservative Schriftstellerin betrachten. Im Gegenteil, Otto Adler lässt ihren kleinen Roman Das Gemeindekind in der Wiener sozialistischen Arbeiterzeitung in Fortsetzungen abdrucken, da er in ihm die soziale Problematik exemplarisch dargestellt findet.
Was heute noch an Ebner-Eschenbach fasziniert, ist der genaue psychologische Blick, der die in ihren Novellen und Erzählungen erzähltechnisch notwendige Zuspitzung der Gegensätze unterläuft und die vorbewusste Komplizenschaft der Herrschenden und der Unterdrückten zeigt. Dies wird besonders deutlich in den vielen Ehe-Geschichten, in denen es manchmal der Aktivität, Phantasie und List der Frauen gelingt, die patriarchalen Verhaltensmuster ihrer Männer aufzubrechen: So weckt die Heldin in Erste Trennung das Misstrauen ihres Mannes, der sich ihr überlegen fühlt und sie wie ein Kind behandelt, indem sie ihm aus der Kur zuerst einen Brief und dann ein Telegramm schickt, dass er den Brief nicht lesen möge. Der Brief, den er trotzdem öffnet, enthält nur ein leeres Blatt, die ganze Aktion macht aber ihm und seiner Frau seine Gefühle klar, die ihn zu dieser Taktlosigkeit oder zu diesem Vergehen, dieser Schuld, geführt haben – eine mögliche Egalität der Ehegatten ist dadurch eingeleitet.
Während die dramatischen Versuche Ebner-Eschenbachs bis heute nicht wiederbelebt worden sind, werden ihre Aphorismen zunehmend geschätzt. In ihnen finden sich auch einige, die ihre deutliche Parteinahme für die Emanzipation der Frauen zeigen. Zwar ist sie keine Suffragette (die in Österreich-Ungarn ohnehin höchst selten waren), aber sie zeichnet in ihren Werken häufig Frauengestalten, die die von Ebner-Eschenbach hochgehaltenen Werte besser verkörpern als die Männer. Es handelt sich dabei um einen konservativen, nicht aber um einen reaktionären Wertekatalog, der Treue, soziales Empfinden, Humanität, Vernunft, Echtheit und Natürlichkeit umfasst und der seine Wurzeln in der Aufklärung und im Christentum hat. Auch als Person interagiert sie oft mit Frauen – die Freundschaft mit Paoli und Fleischl mit ihren wöchentlichen Tarock-Partien und den gemeinsamen Sommerfrischen ist bereits erwähnt worden, der intensive Briefwechsel mit der Schriftsteller-Kollegin Luise von François gehört ebenso hierher wie ihre großzügigen Zuwendungen an den Verein der Wiener Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, die es diesem ermöglichen, Pensionen auszuzahlen. Ihr Aphorismus „Als eine Frau lesen lernte, trat die Frauenfrage in die Welt“ zeigt diese Parteinahme; er zeigt auch deutlich die Funktion, die sie der Literatur in diesem Kontext der Verbesserung der Gesellschaft zugemessen hat.
Mit den hier vorgestellten Schriftstellerinnen finden wir verschiedene Muster des Zugangs zum Schreiben ausgebildet, die uns immer wieder begegnen werden: Bei Paoli und bei Christen, aber auch bei Pfeiffer, steht die finanzielle Notwendigkeit im Vordergrund, die von unterschiedlichen Zusatzmotivationen begleitet wird: die Wertschätzung der Kunst als geformte Welt bei Paoli; der Wunsch, die Welt zu erforschen, bei Pfeiffer; ein gewisser exhibitionistischer Trend, der Kunst ja immer auch begleitet, bei Christen. Ebner-Eschenbach hingegen repräsentiert das Muster des „Schreibens aus innerer Notwendigkeit“, das sich für die Lyrik auch bei Paoli findet und das die für das 20. Jahrhundert dominante Motivation werden wird.
Schreiben aus materieller Notwendigkeit herrscht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor, ist aber auch später noch – wenn auch häufig kaschiert – zu finden. Das Muster von Pfeiffer, bei der Schreiben einer anderen „Leidenschaft“ untergeordnet ist, wird uns im Bereich der unterschiedlich „engagierten“ Autorinnen wieder begegnen – vom pazifistischen Engagement der Bertha von Suttner bis zum Engagement gegen das Vergessen der nationalsozialistischen Verbrechen gute 100 Jahre später bei Kerschbaumer.
Paoli und Ebner-Eschenbach sind die beiden Autorinnen, die den Einzug in die österreichischen Literaturgeschichten geschafft haben. Während aber Paoli zu Beginn ihrer Karriere tatsächlich noch eine Einzelerscheinung als schreibende Frau gewesen ist, so hat sich in den drei, vier Jahrzehnten, die ihre Produktionszeit von der Ebner-Eschenbachs trennen,23 das Schreiben von Frauen zwar noch nicht, wie es um die Jahrhundertwende heißen wird, zu einer Seuche ausgeweitet, aber es ist fast eine Selbstverständlichkeit geworden, zumindest für die Zeitgenoss/inn/en. Der übliche literaturgeschichtliche Befund, der Ebner-Eschenbach eine ähnlich isolierte Position wie Paoli zuspricht, ist schlicht falsch.