Читать книгу Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000 - Sigrid Schmid-Bortenschlager - Страница 31
Psychologische Romane
ОглавлениеDas Werk von Wanda von Sacher-Masoch (1845 –1906) weist voraus auf die Psychologisierung der Literatur um die Jahrhundertwende, auf die Rezeption der Psychoanalyse, es weist aber noch viel weiter voraus, nämlich auf postmoderne Subjekt-Konzepte der Inszenierung und des Rollenspiels. Das beginnt bereits im biographischen Bereich. Aurora Rümelin, so der Mädchenname, nimmt unter dem Namen einer der Heldinnen von Leopold von Sacher-Masoch, Wanda von Dunajew aus den Damen mit Pelz und Peitsche, den Briefkontakt mit dem realen Sacher-Masoch auf, der schließlich zur bürgerlichen Eheschließung führt. Es ist literarisch interessant,54 dass Wanda von Sacher-Masoch (sie behält den fiktiven Vornamen Wanda als Schriftstellerin bei) zu mehreren Texten ihres Mannes, die sich mit amourösen Themen beschäftigten,55 Gegenstücke aus weiblicher Perspektive geschrieben hat: Der Roman einer tugendhaften Frau (1878) nennt sich im Untertitel explizit „Ein Gegenstück zur Geschiedenen Frau von Sacher-Masoch“ (1878), Echter Hermelin (1879) spielt sehr direkt auf Falscher Hermelin (1877) an. Die Protagonistin der Tugendhaften Frau entspricht rein äußerlich dem Klischee der Emanzipierten, sie ist russische Mathematikerin und erinnert damit an Sonja Kowalewska; doch Sacher-Masochs Heldin überträgt diese intellektuelle Schärfe und Kälte auch auf das Gebiet der Beziehungen und Gefühle und ruiniert dadurch die Männer, die von ihr fasziniert sind und sie zur Liebe „erlösen“ möchten. Diese Inszenierung der Beziehungen verleugnet ihre Inszenatorik keineswegs, sie wird aber – anders als bei Leopold von Sacher-Masoch – bei seiner Ehefrau immer bis an das konsequente böse Ende geführt: In Todeslos beansprucht z. B. die Protagonistin, eine reiche junge Witwe, eine Mitsprache bei der Wahl ihres nächsten Ehemanns. Die beiden Männer, die sie lieben und sie heiraten möchten, verabreden sich, ohne sie zu informieren, zur Lösung des Dilemmas zu einem Duell; doch sie erscheint ebenfalls und versucht noch einmal, ein Gespräch über das Problem zu führen. Als dies abgelehnt wird, bittet sie darum, dass sie den Duellanten ihre Pistolen aushändigen dürfe – was auch gewährt wird. Sie nützt die Gelegenheit dazu, die Kugeln aus der Pistole des ihr nicht genehmen Freiers zu entfernen, und führt so die von ihr gewünschte Entscheidung – die tödlichen Methoden der Männer benutzend – herbei.
Bei Wanda von Sacher-Masoch treffen sich auf der Inhaltsebene verschiedene Stränge: die von ihrem Mann vorgegebene (auch pathologische) Inszenierung des Verhältnisses zwischen Mann und Frau als Machtverhältnis – mit der Frau in der dominanten Position. Das Phantasma von der starken Frau aktiviert weit verbreitete un- und vorbewusste Angstvorstellungen vom Reich der mächtigen Mutter, wie sie Bachofen in seinem 1861 erschienenen Mutterrecht56 historisch-ethnographisch dargelegt hat. Allerdings können die Texte von Wanda von Sacher-Masoch auch bereits als ironische Bearbeitung dieses Themenkomplexes gelesen werden. Für die Publikationszeit sind diese Ironisierungen allerdings kaum decodierbar, die Texte und ihr(e) Autor(in) werden – trotz des kleinbürgerlichen Haushalts mit zwei Kindern in Bruck an der Mur – lediglich als Skandal und indizierte Lektüre rezipiert.