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Ada Christen

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Repräsentiert Paoli die zurückhaltende, distanzierte, vornehme Dame in der Dichtung, wie sie auch von Stifter im Nachsommer porträtiert wird, so stellt die eine Generation jüngere Ada Christen (1839 –1901) den entgegengesetzten Typ dar, die Schriftstellerin, die das eigene Leben als Skandal literarisiert und inszeniert, um damit öffentliche Aufmerksamkeit und Erfolg zu erlangen. Denn anders als geplante Provokation kann man den als autobiographisch verstandenen Roman Ella, in dem das Leben einer Frau geschildert wird, die kurzfristig in die Prostitution geschlittert ist, nicht verstehen.13 Die Gedichte Christens sind von Ferdinand von Saar14 lektoriert und in eine Ordnung gebracht worden, die eine autobiographische Lesart provoziert hat; er hat auch die Publikation im prestigeträchtigen Hoffmann & Campe Verlag lanciert.15 Saar war sowohl mit Christen als auch mit Paoli und Ebner-Eschenbach befreundet, was zeigt, dass derart unterschiedliche, ja fast konträre Ausprägungen von Dichterinnen-Persönlichkeiten (Images, würde man heute sagen) für tolerante Zeitgenossen unter dem Begriff der Autorin vereinbar waren. Das Aufsehen, das die Lieder einer Verlorenen (1868) erweckt haben, spiegelt sich nicht nur in vier Auflagen innerhalb von zwei Jahren wider, sondern auch in den zahlreichen Kommentaren zu diesen Gedichten, ihren Erwähnungen in Briefen, in Rezensionen etc.16 Was die Zeitgenoss/inn/en so überrascht, ist, dass hier ein weibliches lyrisches Ich das Bedürfnis nach und die Lust an – auch körperlicher – Liebe formuliert und damit das gängige gesellschaftliche Vorurteil, dass Frauen Sexualität lediglich als notwendige Vorstufe der Mutterschaft und als Teil der ehelichen Pflichten ertragen, Lügen straft. Ein Gedicht sei hier beispielhaft zitiert:

Ich sehne mich nach wilden Küssen,

Nach wollustheißen Fieberschauern;

Ich will die Nacht am hellen Tag

Nicht schon in banger Qual durchtrauern.

Noch schlägt mein Herz mit raschem Drang,

Noch brennt die Wang’ in Jugendgluthen –

Steh still, lösch’ aus mit einem Mal!

Nur nicht so tropfenweis verbluten.17

Das Motiv der fliehenden Zeit, der Jugend als Zeit der Lust, der Wunsch nach ekstatischem Liebestod statt eines „vernünftigen“ langweiligen Lebens, das sind alles bekannte Topoi der Lyrik; sie stammen allerdings aus ganz anderen Traditionen als die Verzichtshaltung und Resignation bei Paoli. Doch dass diese positive Akzentuierung von Sexualität aus dem Mund einer Frau kommt, macht sie um 1870 für die Zeitgenossen skandalisierend, der inszenierte autobiographische Charakter dieser Texte verstärkt diese Tendenz noch. Exhibitionistisch – Christen hat als Schauspielerin begonnen – werden hier Leben und Text zu einer Einheit verschmolzen, ohne dass die Autorin damit auf ihre Position in der bürgerlichen Gesellschaft verzichten will. Denn Christen lehnt keineswegs, wie die wenig später auftretenden Bohemiens, die bürgerliche Gesellschaft ab, es geht ihr vielmehr darum, sich durch ihren dichterischen Ruhm einen Platz in dieser Gesellschaft zu erobern – dass ihr dies letztlich auch gelingt, ist ein Beweis für die Toleranz dieser angeblich so verklemmten „viktorianischen“ Gesellschaft der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts.18

Für heutige Leser/innen ist das Skandalisierende dieser Texte nur mehr schwer nachvollziehbar, vor allem, da die explizitesten im antikisierenden Gewand auftreten, doch sind die zeitgenössischen Reaktionen eindeutig. An ihren Erstlingserfolg kann Christen nicht mehr anschließen, vielleicht auch deshalb, weil sie Thema und Gattung wechselt. Sie wird auch heute noch in den einschlägigen Darstellungen wegen ihrer Erzählungen und der Schilderung der „kleinen Leute“ erwähnt, nicht wegen ihrer Gedichte. Auch in den Gedichtbänden, die im Titel den Erstlingserfolg anzitieren (Aus der Asche, Aus der Tiefe), wird die soziale Komponente wichtiger als die erotische.

Der Übergang zur Prosa entspricht sowohl ihrem Talent als auch der Notwendigkeit, vom Schreiben zu leben (und die Schulden ihres Ehemanns abzudecken). In ihren Erzählungen erschließt Christen, ähnlich wie Ebner-Eschenbach, eine neue Schicht für die literarische Darstellung – in ihrem Fall die Welt der kleinen Handwerker und der Heimarbeiterinnen, insbesondere der Handschuhnäherinnen. Situiert sind diese Texte in der Vorstadt im „Haus zur blauen Gans“, das in struktureller Opposition zur Wiener Innenstadt steht. Interessant ist dabei die differenzierte Darstellung dieser beiden klassischen Loci der Literatur. Die Stadt ist sowohl der Ort des sozialen Aufstiegs als auch der Ort, an dem die Protagonist/inn/en der Erzählung schuldig und unglücklich werden; die Vorstadt ist nicht nur der Ort des Sich-Bescheidens im kleinen Glück, sondern auch der Ort, an dem sich die Gescheiterten finden, an dem Not und Brutalität herrschen. In beiden ist sowohl individuell gelingendes als auch scheiterndes Leben möglich.19

Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000

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