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Eine Frage der Dosis

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Eigentlich wollte ich nun an dieser Stelle zusammenfassen, wofür Jochen und Kathrin für mich stehen. Doch ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, was ich gerade beim Mittagessen mit meiner Tochter erlebt habe. Sie haben Rianna im letzten Kapitel schon kurz kennengelernt. Sie fragte mich eben, an welchem Kapitel meines Buches ich zurzeit arbeite. Ich antwortete, es würde um die Folgen gehen, die gefesselte Lebendigkeit in Unternehmen und Schulen hat. Was sie dann sagte, hat mich sehr betroffen gemacht: »Ich glaube, ich habe das kreative Denken in der Schule verlernt. Ich bin nicht mehr besonders, sondern eine Aufgabenerfüllerin.«

Nach dieser Aussage war nun erst einmal ein Spaziergang mit meiner Großen fällig, das konnte und wollte ich so nicht stehenlassen. Die Essenz aus unserem Gespräch: Der Grundtenor von Aufgabenerfüllung, Leistung und Konkurrenz, den meine Tochter in der Schule erlebt, wirkt sogar, obwohl ihr die Mechanismen sehr bewusst sind. Sie möchte ihnen gar nicht so sehr folgen, doch es kostet sie eine ganze Menge Energie, sich immer wieder davon abzugrenzen. Und diese Kraft hat sie einfach nicht jeden Tag zur Verfügung. Ich glaube, das geht uns Erwachsenen nicht anders. Es ist auf Dauer sehr anstrengend, wenn in unserem Umfeld Maximen gelten, die mit unseren eigenen nicht übereinstimmen. Wir müssten dann immer und immer wieder Energie aufwenden, um uns diese Einflüsse vom Leib zu halten.

Was wir jeden Tag in unseren Organisationen erleben, prägt unsere Werte, unser Weltbild und unser Verhalten – ob wir wollen oder nicht. Die Erwartungen, denen wir täglich begegnen, machen wir zu einem Bestandteil unserer Identität und Persönlichkeit. Manchmal zahlen wir dafür einen hohen Preis, werden krank in diesen Systemen. Das ist eigentlich eine sehr gesunde Reaktion. Die Menschen bei sysTelios formulieren das so: »Wer in einem kranken System krank wird, ist eigentlich sehr gesund.« Sie meinen das in keiner Weise zynisch und nehmen das damit verbundene Leid sehr ernst. Doch es ist oft ein erster Schritt, Erschöpfung oder Burn-out als Lösungsversuch einer schwierigen Situation zu deuten – und nicht als Schwäche. Dazu später mehr.

Trotz dieser manchmal gravierenden Auswirkungen der etablierten Vorgehensweisen in Unternehmen wie Schulen liegt es mir fern, alles zu verdammen und ein komplett anderes System zu fordern – obwohl ich den alten Marx an der ein oder anderen Stelle gut verstehen kann. Es ist aber eine Frage der Dosis. Mein Mann, der Chemiker ist, sagt dazu: »Ob etwas giftig ist, kann man nie absolut sagen. Es kommt immer auf die Menge an.« Die schädliche Dosis ist aber an vielen Stellen längst erreicht, nicht nur für uns Menschen, sondern auch in unseren Organisationen. Die leiden auch.

Lebendigkeit entfesseln

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