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ОглавлениеDer Narr
Als ich die Bühne betrete, wechselt die Bühnenleinwand ihr Bild. Vor meinen Augen erscheint ein türkisches Bad in blauen und türkisfarbenen Fliesen. Treppen aus Mosaiksteinen, von goldenen Handläufen gesäumt führen ins Wasser. Die Kuppel des Bades ist aus Glas. Sie fängt das Sonnenlicht ein und zaubert Lichtspiele an die Wände und den Boden. Das Klingen von näher kommenden Schellen dringt zu mir hindurch. Ihre Karte schwungvoll vor sich herschwenkend kommt eine kunterbunt gekleidete Marionette mit einer Narrenkappe auf dem Kopf auf mich zu. Neugierig versuche ich, nach der Karte zu greifen, doch geschwind springt sie mit einem breiten Grinsen davon. Noch im Sprung wirft sie mir die Karte zwinkernd zu. Etwas unsicher, ob ich sie mir jetzt anschauen darf, beginne ich zu lesen:
Künstlername: Narr
Ursprünglicher Name: Neid
Genre: Satire
Kleidungsstil: kunterbunt, Narrenkappe
Besonderes Merkmal: klingende Schellen
Die Marionette kommt wieder auf mich zu, nimmt ihre Karte an sich und steckt sie unter ihre Kappe. Sie dreht sich um und bittet mich mit einem Kopfnicken, ihr zu folgen. Ihren betörenden, klingenden Schellen folgend finde ich mich alsbald im Wasser treibend wieder. Umgeben von marmorner und goldener Schönheit bade ich genussvoll in warmem flüssigem Gold. Die klingenden Schellen entführen mich in eine Welt, in der ich all das habe, um das ich andere Menschen beneide: unermesslichen Reichtum, Anerkennung, Erfolg, Schmuck und Edelsteine, eine Jacht, unzählige Autos, Kleidung von Prada und Gucci, eine Villa am Strand … Eingesponnen in meinem Traum schießt plötzlich eine pechschwarze, nach Teer stinkende Hand aus dem flüssigen Gold, greift nach mir und zieht mich unter die Wasseroberfläche. Das wohlig warme Gold verwandelt sich in eine gelbe, übel riechende, eklige, blubbernde Masse. Ich sinke tiefer und tiefer. Gelbes Gift strömt in meinen Körper und ich sinke auf den Beckenboden. Wie aus weiter Ferne dringen das Lachen und klingende Schellen zu mir herunter. Langsam verebben die Geräusche und das Gelächter verstummt. Gift und Galle spuckend tauche ich wieder auf. Das wundervolle türkische Bad hat sich in einen leeren, öden Raum verwandelt. In der Ferne sehe ich die entschwindende Silhouette der tanzenden Marionette. Als Souvenir hat sie mir eine Kopie ihrer Karte dagelassen. Ich nehme sie in die Hand und schaue sie mir nochmals genauer an. Auf der Vorderseite sehe ich das türkische Bad abgebildet, ich drehe die Karte um und erblicke das Bild eines lachenden Narren in einem öden und leeren Raum.
Ich öffne meine Augen. Das wohlig warme, goldene Wasser war so schön und all die Reichtümer erst, doch der öde, leere Raum gefiel mir gar nicht. Aus welchem Grund hat die Marionette sich für den Namen „der Narr“ mit dem Ursprung Neid entschieden? Viel schöner wäre doch der Name „Wunsch“ oder „Traum“ und als Ursprungsname „fliegende Fantasie“! Ja, das hätte mir viel besser gefallen. Doch wenn ich ehrlich bin, muss ich über die Botschaft nicht weiter nachdenken. Ihre Wirkung im Alltag ist mir nur zu bekannt. Das sind die Situationen, in denen ich entweder den Erfolg eines anderen Menschen infrage stelle, mich freundlich herablassend über diesen Menschen äußere oder vor Wut die Decke hochgehen könnte, weil dieser Mensch etwas vor mir erreicht hat. Ein wirklich unangenehmes Gefühl. Neid bewirkt, dass ich Menschen nicht mehr in die Augen schauen kann. Und wenn ich es ganz genau betrachte, dann sehe ich doch hinter dem lachenden Narren Madame Eva mit ihrer filigranen Maske hervorblitzen. Was für eine Überraschung! Da scheint ja ein Zusammenhang zwischen einigen Marionetten zu bestehen, der mir genauso wenig bewusst ist wie das Wirken jeder einzelnen Marionette in meinem Alltag. Es scheint Sinn zu machen, mir die nächsten Künstler anzuschauen, bevor ich beginne darüber nachzudenken, was ich mit ihren Botschaften anfange. Vielleicht gibt es mehr Zusammenhänge, als ich mir im Moment vorstellen kann.
Erneut schließe ich meine Augen und tauche in meine innere Welt ein. Mit jedem Mal gelingt es mir ein wenig schneller, fast so, als müsste ich aufholen, was ich all die Jahre zuvor versäumt habe. Sanft lande ich auf der Bühne …