Читать книгу SoulPassion - Silke Naun-Bates - Страница 17

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Die Diva

Als ich die Bühne betrete, sehe ich, wie gerade eine zweite, etwas kleinere Bühne aufgebaut wird. Eine Marionette, gekleidet in einem eng anliegenden, nachtblauen Kleid, welches mit funkelnden Edelsteinen besetzt ist, dirigiert den Aufbau. Ich beobachte sie. Sie ist wunderschön. Ihr Dekolleté wird von einer Halskette mit einem tropfenförmigen rötlichen Stein als Anhänger geschmückt. Der Stein umschließt ein dunkelrotes Herz. Nachdem die Bühne aufgebaut ist, schreitet sie hinauf. Sie hält ein Mikrofon in ihren Händen und beginnt mit göttlicher Stimme einen der bekanntesten Songs von Whitney Houston „I will always love you“ zu singen. Begleitet wird ihr Gesang mit sanfter Klaviermusik. Ich könnte ihr stundenlang lauschen, so sehr berühren mich ihre Stimme und die Musik. Als der letzte Ton verklingt, verneigt sich die Sängerin auf ihrer Bühne, bittet mich zu ihr zu kommen. Mit tiefer Hochachtung folge ich ihrer Einladung. Als ich vor ihr stehe, zieht sie aus ihrem Dekolleté eine Karte, die sehr edel aussieht. Sie reicht sie mir und fordert mich auf zu lesen:

Künstlername: Diva

Ursprünglicher Name: Bedürftigkeit

Genre: Melodram

Kleidungsstil: extravagantes, glitzerndes Bühnenoutfit

Besonderes Merkmal: tropfenförmiger rötlicher Stein mit einem Herz

Berührt und nachdenklich reiche ich ihr die Karte zurück. Wieso sich diese Ausnahmekünstlerin Diva nennt, verstehe ich, doch ihr Ursprungsname soll Bedürftigkeit sein? Sie hat doch alles, was eine Frau sich wünschen kann: ein bildschönes Gesicht, einen Körper, für den Männer alles geben würden, um ihn auch nur ein Mal berühren zu dürfen, eine von Gott gegebene Stimme – und so, wie sie wirkt, scheint sie auch mit materiellem Reichtum gesegnet zu sein. Was soll das also mit der Bedürftigkeit? Ich verstehe es nicht! Bevor ich mich weiter meinen Gedanken widmen kann, hält sie mir ein extravagantes Abendkleid entgegen und bittet mich mit einer Geste, es anzuziehen, während sie den Vorhang der Bühne schließt. Gerne folge ich ihrer Bitte; noch niemals zuvor habe ich so ein wundervolles Kleid getragen. Ich fühle mich wie eine Königin. Erneut ertönt die Klaviermusik und sie reicht mir ein Mikrofon. Der Vorhang öffnet sich und ich blicke in einen Saal voller Menschen, die mich erwartungsvoll anblicken. Aufmunternd gibt mir die Diva zu verstehen, dass ich jetzt singen werde, und geht von der Bühne. Als die ersten Töne meines Gesanges erklingen, brechen die Menschen im Saal in begeisterte Jubelrufe aus. Was für ein Gefühl! Einfach unbeschreiblich! Ich bade regelrecht in der Anerkennung dieser vielen begeisterten Menschen. Nie mehr will ich dieses Gefühl missen. Ich singe Lied um Lied, bis ich mich, taumelig vor Euphorie, kaum noch auf den Beinen halte. Die Diva kommt hinter der Bühne hervor, lässt sanft den Vorhang fallen und führt mich in einen Raum, in dem ich mich etwas erholen kann. Gerade habe ich mich in einen tiefen, kuscheligen Sessel gesetzt, da klopft es an der Tür und ein Bote bringt Dutzende von Blumensträußen, Briefe und Geschenke. Die Welt liebt mich einfach, wie schön! Vor mir steht die Diva und schaut mich mit festem Blick an. Mit ruhiger Stimme fordert sie mich auf, das Kleid auszuziehen und ihr das Mikrofon zurückzugeben. Sie wirft mir meine alte Kleidung vor die Füße und sagt: „Anziehen!“ Ohne ein Wort gehorche ich und schlüpfe in meine Kleidung. Sie deutet mir, ihr zu folgen. Wir gehen wieder auf die Bühne. Ich höre die Menschen „Zugabe, Zugabe!“ rufen. Die Diva reicht mir erneut das Mikrofon, öffnet den Vorhang und verschwindet hinter der Bühne. Begeisterte Jubelrufe erklingen und ich beginne zu singen, doch meine Stimme hört sich an wie ein falsch gestimmtes Tasteninstrument und trifft keinen Ton. Die Menschen beginnen von ihrer Begeisterung aufzuwachen, schauen mich erstaunt an und die ersten lautstarken Buhrufe dringen zu mir auf die Bühne. Immer lauter werden die abfälligen Reaktionen, bis der ganze Saal erbebt. Ich sacke auf der Bühne zusammen und fühle mich so entsetzlich klein. „Bitte habt mich lieb, bitte, bitte habt mich doch lieb“, spreche ich immer wieder leise zu mir selber. Die Diva kommt auf die Bühne, in ihren Händen hält sie eine Sofortbildkamera. Sie stellt sich vor mich hin und drückt auf den Auslöser. Langsam bewegt sich das Foto unten aus der Kamera heraus und fällt zu mir auf den Boden. Ich nehme es auf und schaue es erstaunt an: Ein fünfjähriges Mädchen steht weinend vor ihren Eltern und fleht mit ausgestreckten Armen darum, in den Arm genommen zu werden. Die Eltern wenden sich mit kühlem Blick von ihr ab. Während ich mir das kleine Mädchen auf dem Foto genauer anschaue, verändern sich ihre Gesichtszüge und ich schaue mir selber in die Augen.

Die Diva beugt sich zu mir herab, streichelt mir sanft übers Haar, nimmt ihre Halskette ab und legt sie mir zart um meinen Nacken. Danach lässt sie mich nochmals einen Blick auf ihre Karte werfen und schreitet feierlich von der Bühne.

Ich öffne meine Augen und frage mich, was das nun wieder bedeuten soll. Weder bin ich ein gefeierter Star noch kann ich singen – und was hat es mit dem Foto des kleinen Mädchens auf sich? Was hat die Halskette zu bedeuten, die, bei genauerer Betrachtung, aussieht wie ein weinendes Herz? Und wieso wählt die Marionette dieses Lied von Whitney Houston? Ja klar, ich mag Anerkennung, wer mag sie nicht, wenn er ehrlich zu sich ist, doch breche ich weinend und nach Liebe bettelnd zusammen, wenn ich sie nicht bekomme? Wie kommt sie auf so eine aberwitzige Idee? Mittlerweile bin ich durch die Botschaften der vorherigen Marionetten sensibilisiert und bin mir, trotz meines Unverständnisses, sicher, dass die Aufführung der Diva mir etwas Wesentliches nahebringen will. Meine Gedanken wandern zu Whitney Houston. Gesegnet mit liebreizender Schönheit und einer atemberaubenden Stimme lag ihr die Welt zu Füßen und doch schien sie stets auf der Suche zu sein. Im Glanz des Rampenlichts und im Jubel ihrer Fans blühte sie auf, doch sobald die Lichter und der Jubel still wurden, schien sie sich einsam zu fühlen – oder warum sonst floh sie in Drogen und Alkohol? Ihre Liebesbeziehungen – ein sich wiederholendes Desaster. Langsam beginnt Licht ins Dunkel zu fallen, doch ich merke, wie schwer es mir fällt, mich auf diese Erleuchtung einzulassen. Habe ich wirklich Bedürftigkeit mit Liebe verwechselt? Ist es mir aus diesem Grund so wichtig, dass mich jeder mag? Tue ich deswegen so viele Dinge, auf die ich eigentlich keine Lust habe oder die ich nicht tun will? Fällt es mir deswegen so schwer, auch mal „nein“ zu sagen? Bin ich daher immer die Letzte, die das Büro verlässt, obwohl ich anderes zu tun hätte? Laufe ich aus diesem Grund Männern hinterher, obwohl sie mich verletzt haben? Um das Flehen nach Liebe, Zuneigung und Anerkennung des kleinen Mädchens auf dem Foto zu erfüllen? Tränen rollen über meine Wangen und ein tiefer Schmerz löst sich in meinem Innern, als ich das gesamte Ausmaß meines bedürftigen Handelns erkenne. Mein Körper rollt sich schützend zusammen wie der eines kleinen Kindes. Sanft und immer noch weinend wiege ich mich selbst in den Schlaf.

Als ich nach einiger Zeit aufwache, fühle ich mich etwas ruhiger, doch die Frage bleibt: Wie kann ich den Schmerz des kleinen Mädchens heilen? Kann ich seine Wirkung in meinem Alltag verändern? Wenn ja, wie? Noch sehe ich keine Möglichkeit.

Mangels Antworten widme ich mich wieder meinem imaginären Marionettentheater.

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