Читать книгу CLIL in der Fächerfusion Englisch und Bildnerisches Gestalten in heterogenen Primarschulklassen - Silvia Frank Schmid - Страница 29
3.1 Grundlegendes Lehr-Lernverständnis
ОглавлениеAuch wenn die Fachdidaktiken an Selbstständigkeit gewonnen haben (Terhart 2009, S. 13) und inzwischen als eigenständige Disziplin anerkannt sind, trägt die allgemeine Didaktik dazu bei, ein fächerübergreifendes Konzept von Lernen zu etablieren (vgl. Meyer & Meyer 2009). Deshalb wird an dieser Stelle ein kurzer Exkurs in die Erziehungswissenschaft gemacht, um das Lehr-Lernverständnis zu definieren das dieser Arbeit zugrunde liegt.
Lernen im Zeitalter der Kompetenzorientierung bedeutet nicht nur tiefverstandenes Wissen zu erlangen, sondern beinhaltet ebenfalls situativ passendes Können aktiv zu nutzen (Baer 2016, S. 39). Um kompetent Handeln zu können, müssen sich Lernende dieses Wissen und Können aktiv konstruieren. Der Begriff ‘Konstruktivismus’ hat in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts an Beachtung gewonnen (Diesbergen 2012, S. 46). Trotz teils uneinheitlichen Definitionen wird beim Konstruktivismus Lernen als ein aktiver Prozess angesehen, bei dem die Hauptakteure eigenaktiv handelnd ihr Wissen basierend auf subjektiven Konstruktionsleistungen erschliessen (Diesbergen 2012, S. 54). Dabei geht es weniger, wie oft fälschlicherweise angenommen, um das Selber-Entdecken von Inhalten, sondern um deren inneren Nachvollzug durch ein «Sich-Einlassen» zum Beispiel beim aktiven Zuhören von Erklärungen, beim Lesen von Texten, beim mitdenkenden Beobachten, beim Problemlösen oder beim Bearbeiten von Lernaufträgen (Reusser 2016, S. 45). Wie bei jeder Theorie gibt es auch beim Konstruktivismus verschiedene Ausprägungsformen und Sichtweisen. Das breite Gebiet des Konstruktivismus wird deshalb oft in zwei Stränge unterteilt, zum einen in den individuellen Konstruktivismus und zum anderen in den sozialen Konstruktivismus (Woolfolk 2015, S. 399).
Der erste Strang, mit seinem prominenten Vertreter Jean Piaget, beschäftigt sich, wie individuelles Wissen durch Einwirkungen der Umwelt konstruiert und organsiert wird (Woolfolk 2015, S. 400). Gemäss Piaget ist die Intelligenz in der Lage die Austauschprozesse zwischen den Subjekten und Objekten in ihrer Umwelt konstruktiv zu strukturieren. Dies geschieht entweder durch eine Anpassung der Objekte an das Subjekt (Assimilation), oder durch die Veränderung des Subjekts an die äusseren Umständen (Akkommodation) (Piaget 1948, S. 206–9). Konkret bedeutet das, dass für die Bewältigung einer intellektuellen oder praktischen (Problem-)Situation die entsprechenden mentalen Schemata mobilisiert und die Einflüsse aus der Umwelt in die bestehenden Assimilationsschemata integriert werden. Reichen die verfügbaren Assimilationsschemata nicht aus und liegt somit ein kognitiver Konflikt vor, wird es unumgänglich die vorhandenen Schemata zu erweitern oder zu differenzieren. Dieser Prozess der Akkommodation, welcher die strukturelle Veränderung der Schemata bedeutet, bildet die Grundlage des Verstehens, des Erweitern des Wissens und somit des Lernens (Baer 2016, S. 41).
Der zweite Strang, der Sozial-Konstruktivismus, wurde von Lew Vygotskys Theorie stark geprägt. Auch er interessiert sich für die individuelle Entwicklung des Lernens als interner Prozess, jedoch geschieht dieser für ihn massgeblich in sozialen Interaktionen, welche in kulturelle Kontexte eingebettet sind (Woolfolk 2015, S. 400–401). Entgegen der von Piaget dargestellten Abfolge der Entwicklung des kindlichen Denkens vom Individuellen zum Sozialen, geschieht für Vyogtsky dessen Entwicklung in umgekehrter Reihenfolge. Demnach sind es anders als bei Piaget für Vygotsky nicht die inneren kognitiven Konflikte, die das Lernen ermöglichen, sondern die Prozesse ausgelöst im sozialen Austausch mit einem mehrwissenden Interaktionspartner (Hasselhorn & Gold 2013, S. 305).
Was bedeutet das nun für die Unterrichtspraxis? Konstruktivismus wird immer wieder in Verbindung mit einem Paradigmenwechsel von einem herkömmlichen, traditionellen zu einem aktiven, konstruktivistischen Verständnis von Unterricht gebracht (Diesbergen 2012, S. 46). Eine solche Gegenüberstellung von traditionellem Lernen im Sinne von Instruktion, Darbieten und Erklären versus fortschrittliches, konstruktivistisches Lernen ist jedoch etwas zu vereinfacht dargestellt, weil hier die Ebenen von Lerntheorie und Didaktik vermischt werden (Diesbergen 2012, S. 51). Hattie (2009, S. 243) verdeutlicht diese Problematik mit den folgenden Worten: «Constructivism is a form of knowing and not a form of teaching, and it’s important not to confuse constructing conceptual knowledge with the current fad of constructivism.» Auch Reusser (2016, S. 45) stört sich an dieser Vermischung von lernpsychologischer und didaktischer Ebene. Konstruktivistisches Lernen bezieht sich auf die Tiefenstruktur des Unterrichts und kann mit jeglicher methodisch-didaktischer Unterrichtsform gelingen. Gedanklich bei der Sache zu sein, demnach Lernen, geschieht oft auch ohne äusserlich sichtbare Aktivität und passiert somit ebenso während des Zuhörens im lehrgesteuerten Klassenunterricht als bei selbstgesteuerten Lernphasen. Diese Tatsachen haben bereits Piaget als auch sein Schüler Hans Aebli betont, indem sie Denken als einen rein innerlichen Prozess beschreiben und diesen nicht an äusserliche, behaviorale Aktivitäten binden.
Eine direkte, systematische Ableitung von didaktischen Prinzipien basierend auf der konstruktivistischen Lernauffassung ist somit aus Sicht dieser Experten problematisch. Trotzdem wird genau immer wieder versucht und gewagt für die Unterrichtspraxis eine ‘konstruktivistische Didaktik’ zu definieren. Der nachfolgend vorgestellte Versuch eine solche hergeleitete Didaktik zu definieren, entspricht somit eher einer weitverbreiten Überzeugung, als einem theoriebasierten wissenschaftlichen Ansatz (Diesbergen 2012, S. 57). Im Zusammenhang mit einer konstruktivistische Didaktik geraten Lernaufgaben als Träger von schülerorientierten Lerngelegenheiten in den Fokus (Reusser 2016, S. 46; Diesbergen 2012, S. 46). ‘Gute’ Lernaufgaben, so gemäss einer Reihe von empirischen Untersuchungen, weisen Qualitätsmerkmale aus, die sich an die Grundideen der konstruktivistische Lern-Lehrtheorien anlehnen (Diesbergen 2012, S. 57). Solche Merkmale sind zum Beispiel die Ermöglichung einer hohen Eigenaktivität, individueller Lernzugänge, Gelegenheiten der Reflexion oder der sozialen Interaktion. Dieses letztere Qualitätsmerkmal verdeutlicht, dass im Zusammenhang mit Lernaufgaben der sozial-konstruktivistische Ansatz besonders passend erscheint1.
Ausgehend der Vorstellung, dass alles Wissen konstruiert wird und Lernen als aktiver Prozess der Ko-Konstruktion in einem sozialen Austausch verstanden wird, können Lehrpersonen das Lernen nicht erzeugen, sondern nur initiieren (Terhart 2009, S. 20). Auch wenn Lehrpersonen ihren Schüler*innen die geistigen Konstruktionsprozesse nicht abnehmen können, spielen sie trotzdem Schlüsselfiguren in der Begleitung der Lernprozesse. Denn angesichts ihres Wissensvorsprungs initiieren und modellieren sie Zugänge zu Wissen und Können (Reusser 2016, S. 46), damit die Lernenden ihren Lernprozess aktiv und selbstständig vollziehen können. Weil jedes Kind anders lernt, verläuft der Aufbau von Wissen und Können entsprechend bei jedem Lernenden individuell. Die Forderung nach Individualisierung ist somit stark vom Leitgedanken des Konstruktivismus geprägt (Criblez 2016, S. 34). Individuelles Lernen gelingt gemäss dem sozial-konstruktivistischen Verständnis mit Hilfe eines kompetenten Interaktionspartners, der durch kooperative Dialoge, geleitetes Herbeiführen oder interaktives Aushandeln den Wissensaufbau in Vygotskys ‘Zone der nächsten Entwicklung’ massgeblich unterstützt (Vygotsky 1978, S. 90). Seine sozio-kulturelle Theorie bildet deshalb die Grundlage für die individuelle Lernbegleitung, die später unter dem Namen Scaffolding bekannt wurde (Hasselhorn & Gold 2013, S. 305) und welches für die vorliegende Arbeit von eminenter Bedeutung ist (siehe Kapitel 3.6).
In diesem Abschnitt wurde aufgezeigt, dass sich in der Lehr-Lerntheorie des sozialen Konstruktivismus die dieser Arbeit zugrundeliegenden elementaren Themen wie die Relevanz von Lernaufgaben, der Anspruch nach Individualisierung und die damit verbundene Notwendigkeit von Scaffolding verorten lassen. Diese didaktischen Elemente werden in den nächsten Kapiteln genauer thematisiert. Insgesamt versuchen alle nachfolgenden Kapitel dieser hier dargestellten Gesamtsicht von Lehren und Lernen gerecht zu werden. In einem nächsten Schritt werden nun die hier erarbeiteten Grundlagen von Lehren und Lernen in den Kontext des bilingualen Lernens übergeführt.