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Kapitel 3

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Der achtjährige Ziegenhirte Paul drängte sich dicht an seine Tiere, weil ihm vor Kälte die Knie schlotterten. Er hatte bei Sonnenaufgang den kleinen Hof des Ackerbürgers verlassen, bei dem er eine Anstellung gefunden hatte, und hoffte, dass er im Nebel keines der klapprigen Tiere verlor. Wenn ihm eines der viel zu spät geborenen Zicklein weglief, würde der Herr ihm nicht nur das Fell gerben, er würde ihn mit Sicherheit auch aus dem Haus jagen. Zwar teilte Paul sich den stinkenden Heuboden mit allerlei Geziefer und Ratten, doch die Unterkunft war besser als alles, an das er sich erinnern konnte. Nachdem sein Vater bei einem Unfall auf der Münsterbaustelle ums Leben gekommen war, hatten sich eine Zeit lang die Zimmerleute um ihn gekümmert. Dann war der mutterlose Knabe bei einem prügelsüchtigen Trinker gelandet, der ihm mit einem Meißel fast den Kopf gespalten hätte. Verängstigt, mit einer gebrochenen Nase und nur den Kleidern, die er am Leib trug, war der Junge fortgelaufen und seitdem auf sich allein gestellt.

»Bleib hier, Mecki!«, rief er, als eine der Geißen neugierig zum Wegrand trabte, um dort Gras zu zupfen. Er wusste nicht einmal, ob die Wiese, auf die er die Tiere bringen sollte, in der Nähe war. Vermutlich hatte er sich längst verlaufen, weil im Nebel alles gleich aussah. Die Weide, die der Herr sich mit einigen anderen Ackerbürgern teilte, war nahe der Stadtmauer bei der Donau, allerdings tauchten vor ihm die Schemen von Zäunen und Obstbäumen auf. Mit zitternden Fingern zog er an dem langen Strick, mit dem er die Ziegen zusammengebunden hatte, und hoffte, dass er sein Ziel bald erreichte.

Während die Tiere mal in die eine, mal in die andere Richtung drängten, lauschte er auf die Geräusche der Stadt. Es war unheimlich, Hufe klappern und Menschen reden zu hören, ohne sie zu sehen. Zwar war es jeden Herbst nebelig in Ulm, doch so schlecht wie an diesem Morgen war die Sicht schon lange nicht mehr gewesen. Insgeheim fürchtete Paul, dass im Schutz der aufsteigenden Feuchtigkeit Dämonen und Geister ihr Unwesen trieben, da Gott und der Herr Jesus sie nicht sehen konnten. Mit einem Gebet auf den Lippen, umklammerte er das Holzkreuz an seinem Hals und tastete sich mit den Ziegen weiter den schlechten Pfad entlang.

Er hatte von Menschen gehört, die bei Nacht und Nebel von Wiedergängern oder Werwölfen angegriffen worden waren. Wurde man von einem solchen Wesen getötet, war die Seele verloren. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er Schritte hinter sich vernahm, die sich rasch näherten. Verfolgte ihn eine Kreatur der Hölle? Er umklammerte den groben Strick fester und drängte sich näher an die Ziegen. Als ob sie ihn schützen könnten! Seine Furcht verstärkte sich, als sich weitere Verfolger zu dem ersten gesellten.

»Lieber Herr Jesus, steh mir bei!«, murmelte er und hätte vor Erleichterung fast aufgeschluchzt, als die Pfosten, die der Herr als Begrenzung der Wiese in den Boden geschlagen hatte, vor ihm auftauchten. Er hatte sich nicht verlaufen. So schnell er konnte, zerrte er die Ziegen auf das kleine Stück Gras, das von zu vielen Hufen niedergetrampelt war. Nur an wenigen Stellen wuchs noch saftiges Grün, rings um den Wassertrog in der Mitte des Fleckens. Mehrfach sah er sich um, während er die Tiere zu dem Trog führte, wo er sie an einem Pflock festband. Ungeachtet der fürchterlichen Kreaturen, die im Nebel lauern konnten, machten sich die Ziegen über das magere Gras her und schon bald war das Geräusch ihres Zupfens das einzige, das Paul hörte. Der Rest der Welt um ihn herum schien verstummt zu sein.

Obwohl ihm die Angst im Nacken saß, wagte er, sich auf den Rand des Troges zu setzen und die Beine anzuziehen. Wenn er ganz still und leise verharrte, bemerkten ihn die Dämonen vielleicht nicht. Geradeaus starrend, betete er ein Vaterunser nach dem anderen und schloss die Augen, wann immer sich ein Schemen aus dem Nebel zu lösen schien. Seine Sinne spielten ihm mehr als einmal einen Streich und als einer der kahlen Bäume sich auf ihn zuzubewegen schien, rutschte er mit einem erstickten Schrei nach hinten.

»Mist!«, schimpfte er, als sich sein Hosenboden mit eiskaltem Wasser vollsog. Einen Moment lang war die Angst vergessen und er sprang schimpfend zurück auf den Boden. »Das hat gerade noch gefehlt«, brummte er und versuchte, das Wasser aus dem Stoff zu wringen. Dabei fiel sein Blick in den Trog.

Etwas Grauenhaftes glotzte zurück.

Mit einem schrillen Schrei kehrte Paul dem Trog und den Ziegen den Rücken und rannte, so schnell er konnte, davon. Vergessen war die Angst vor dem Zorn seines Herrn, weggewischt die Furcht vor den Klauen der Höllenwesen. Das, was ihm aus dem Wassertrog entgegengeblickt hatte, war so entsetzlich, dass es Schlimmeres kaum geben konnte. Wie von Furien gehetzt, stolperte der Junge durch die Gassen, prallte mit Reitern und Fußvolk zusammen und rannte blindlings immer weiter. Es war ihm egal, wohin er lief. Hauptsache, er brachte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und das Ding auf der Futterwiese.

Die Begine und der Siechenmeister

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